la suisse romande. ihre geschichte gegen den strich gegen den strich gelesen

geschichte sei die lüge auf die man sich geeinigt habe, soll napoléon bonaparte gesagt haben. genau deshalb brauche es geschichte als kritische wissenschaft, schrieb friedrich nietzsche. das dürfte sich georges andrey gedacht haben, als er das buch “la suisse romande” schrieb, ebenso wie ich mich daran erinnerte, als ich es las.

romandieeigentlich erscheint alles ganz einfach. von der suisse romande kann man erst seit der helvetischen republik sprechen. 1798 übernahmen unverbrauchte politiker aus dem waadtland verantwortung in der ersten regierung der helvetik. mit ihr begründeten sie einen neuen staat, dessen politik erstmals für die schweiz auf der mehrsprachigkeit basierte. abgelöst wurde damit das ancien régime, das ausschliesslich aufgrund deutschsprachiger verhandlungen über das gute entschied. beendet wurde damit auch der lose bund von staaten durch den strengen zentralismus à la française, ohne dass das von dauer gewesen wäre. 1803 setzte sich mit der mediation der gescheiterten helvetik zwar der gedanke der erneuerten, plurikulturellen schweiz vermittelt fort. louis d’affry, vormals freiburger avoyer (schultheiss), übernahm als erster landammann der schweiz die regierungsgewalt alleine, wenn auch auf zeit, gestützt von einem ständigen eidgenössischen kanzler, der symptomatischerweise aus der waadt stammte. doch entsagte die mediationsakte dem zentralismus und der militärischen intervention, was der entwicklung der schweiz gedeihlich war.

so klar man den beginn der suisse romande identifizieren könnte, so kritisch geht der autor der geschichte der suisse romande mit ihm um. georges andrey, freiburger historiker welscher zunge, widerspricht in seinem buch „La Suisse Romande. Une histoire à nulle autre pareille“ in vielem, was man aus der geschichte zu kennen glaubt. so meint, diese traditionelle sichtweise der Dinge basiere einzig auf einer ethnischen definition der sprachkulturen. demgegenüber verteidigt er eine historische bestimmung der suisse romande, die von herrschaft über territorien mit einer mehrheitlich geteilten sprache ausgehe. deshalb gehörten die rein französischsprachigen kantone vaud, genève, neuchatel und jura, genauso wie die zweisprachigen fribourg und valais zur suisse romande.

sein voluminöses buch über die geschichte dieser kantone teilt der ehemalige bundesbeamte, der erfolgreich einige bücher zur geschichte der schweiz resp. freiburgs verfasst hat, in fünf umfangreiche teile:

. in die mittelalterlichen allianzen des 13. bis 15. Jahrhunderts (deren einbezug noch begründet werden muss),
. in die zerstückelte suisse romande von 1481 bis 1798,
. in die befreite und geeinte suisse romande von 1798 bis 1815
. in die suisse romande der fünf kantone von 1815 bis 1914/19 und
. in die romandie, tochter der helvetias seither.

verbunden ist damit der wegleitende gedanke einer evolution der selbstwerdung. denn die suisse romande entstand selbstredend auf lateinischer basis, vermittelt durch burgundische kultur, geprägt durch lokal verankerte adelsdyanstien. doch sie näherte sich, so der autor, schritt für schritt resp. teil für teil der deutschsprachigen eidgenossenschaft an, in sie nicht ohne konflikte aufgenommen wurde, woraus der heutige staat auf plurikultureller grundlage entstanden sei.

am umstrittensten sei der begriff der „romandie“, schreibt andrey. denn er gehe von einer territorium ohne schweiz aus, während in seinem verständnis die suisse romande eine schweiz in der schweiz sei. entstanden in der tiefen krise nach dem ersten weltkrieges, genau genommen am 10. märz 1919, ausgedrückt durch maurice porta, dem eigentlichen vater der romandie, sei der Name durch die umstände geprägt. diese äusserten sich in der bedrohlichen spaltung des landes entlang der sprachgrenze, am besten ausgedrückt im beitritt des landes zum völkerbund. denn bei dieser volksabstimmung entschied die geschlossen votierende minderheit mit der minderheit in der gespaltenen mehrheit, nicht ohne damit eine staatskrise zu riskieren.

kinder dieser teilung sind das radio romande, heute mit dem französischsprachigen fernsehen teil der srg, aber auch die tour de romandie, bis in die gegenwart ein teil à part der tour de suisse. höhepunkt der romandie-bewegung erscheint dem autor die expo 64 mit der die romandie teil helvetiens geworden sei. das neue selbstbewusstsein haben auch auf andere gegenden ausgestrahlt. denn die geburt des kantons jura, 1978 mittels volksabstimmungen entschieden, gehöre in die lange linie der selbstbestimmungen von minderheiten in der schweiz. einige seiten lang spekuliert der autor selbst darüber, dass mit dem südjura, wie er es nennt, dereinst ein vierunzwanzigster kanton der schweiz und ein weiterer der suisse romande entstehen könnte.

dennoch, georges andrey beleibt realist und schreibt in seinem buch konsequent von der suisse romande, dem historisch gewachsenen, anderen teil der schweiz. ganz in der tradition des welschen föderalismusverständnisses sieht er die in souveränen, aber kooperativen kantonen begründet. deren startschuss war der wiener kongress, mit dem die tagsatzung als wichtigster eidgenössischer behörde der damaligen zeit auf neuer basis belebt wurde. entwickelt habe sich damit der gedanke, die kantone seien eigenständig, indessen über konkordate verbunden. in der suisse romande habe man das nach dem ende des einheitlichen frankens mit der einführung einer gemeinsamen währung zwischen freiburg und der waadt im jahre 1825 sinnbildlich zum gebracht.
konstitutiv für dieses staatsverständnis sei, dass sich die fünf welschen kantone von 1815 auf fünf verschiedenen identitäten berufen, die sich nicht zuletzt im sonderbundeskrieg heftig begegnet seien. danach habe man sich aber aneinander gewöhnt. autor andrey spricht davon, die suisse romande habe seither genügend bewiesen, dass man bei aller unterschiedlichkeit als gemeinschaft existiere. typisch dafür ist das wortspiel vieler zeitgenossen, verbunden mit der frage, ob die suisse romande ein körper sei, der nach einem geist suche, oder ein geist, den seinen körper erst finden müsse. klar ist für andrey, dass die suisse romande ein körper ist, in dem ein gemeinsamer geist wirkt. besonders hervorgehoben wird in diesem zusammenhang die überragende rolle des genfers guillaume-henri dufour, der im sonderbundskrieg mit weitsicht die eidgenössische armee führte und in freiburg eine kapitulation ohne blutvergiessen erwirkte, was viel zur bildung einer einheit in der vielfalt beigetragen habe.

zentral ist dem autor selbstredend die phase rund die helvetische republik. vorbereitet worden sei sie von historikern und geographen, die im 18. jahrhundert erstmals eine gemeinsame geschichte resp. eine gemeinsame karte des denkbaren territoriums konzipiert und realisiert hätten. beschleunigt worden sei dies alles 1792 durch die revolutionen in den bergen des juras und neuenburgs. gezündet habe der funke aber in der waadt, die bereits 1723 mit der begründung, in den villmergen kriegen vollwertige militärische dienste geleistet zu haben, zum selbständigen kanton avancieren wollte, dafür aber mit der öffentlichen hinrichtung von major davel bestraft worden sei. während den verhandlungen zur mediationsakte sei dann mit hilfe frankreichs und gegen den willen berns der kanton waadt auf bürgerlicher basis entstanden, gleich wie die fünf anderen kantonen aargau, thurgau, st. allen, graubünden und tessin, die 1803 die schweiz erneuert hätten. andrey widerspricht auch hier dezidiert vorherrschenden auffassungen, wonach die helvetische republik ein schweizerisches trauma sei. denn ohne 1803 sei mit der gründung der waadt resp. 1815 mit dem beitritt genfs, neueburgs und des wallis, hätte es die föderale grundlage der modernen schweiz nicht gegeben, mit der sowohl die gleichheit aller kantone als auch die mehrsprachigkeit die schweiz begründet worden sei. denn die alten schichten aus dem ancien régime hätte eine schweiz der vorrechte unter führung der der deutschsprachigen kantone gewollt, wie man das in vorrevolutionärer zeit gehabt habe.

der streitbare andrey lässt es aber nicht damit bewenden. denn der autor zeichnet in seinem voluminösen werk, 2012 in den éditions du belvédère entstanden, die spuren der suisse romande auch in der früheren jahrhundert nach. dies geschieht insbesondere am beispiel freiburgs, von den deutschsprachigen zähringer aus dem südschwäbischen adel gegründet, von den ebenso konstituierten kyburgern übernommen und von den verwandten habsburgern von wien aus lange zeiten geführt. trotz dieser deutschen oberhoheit sei freiburg bis in die moderne hinein von einem lateinisch geprägten patriziat streng hierarchisch geführt worden, weshalb man es zurecht zur romandie zählte. dass freiburg 1481 deutsch als amtssprache gewählt habe, schlägt er mit dem hinweis aus dem wind, man sei damit der vorherrschenden kultur der eidgenossenschaft entgegen gekommen. ganz ohne belang ist für ihn, dass damals eine mehrheit der freiburger deutsch sprach, sich und sich in wien oder bern wohler fühlte als bei den savoyern.

noch abenteuerlicher, wenn auch noch spannender werden die ausführungen andrey gleich im ersten buchteil, der sich mit den mittelalterlichen bündnissen beschäftigt. in der frühen geschichte der schweiz sind sie zentral gewesen, den traditionellerweise wird ihre begründung auf das jahr 1291 datiert, hervorgegangen aus einem bündnis in der innerschweiz. auch dem widerspricht andrey, denn das sei bloss die geschichte der landbündnisse, mit der man jene der städtebündnisse übersehe, die älter und wichtiger seien – und ihren ursprung in freiburg gehabt hätten. denn in seiner präkeren lage an der sprachgrenze habe die stadt den zerfall der schützenden kaiserlichen macht im 13. jahrhundert auf eine neue art absichern müssen und das bündnissystem erfunden, das für die schweiz wegweisend werden sollte.

die lektüre dieses buches ist ausser zweifel anregend. denn mit ihr vollzieht man die konsequente arbeit eines historikers nach, der den spuren und folgen der suisse romande nachgeht und zahlreiche bekannte ereignisse neu interpretiert, aber auch persönlichkeiten der geschichte wie rene payot oder gilberte de courgenay begegnet, die namentlich in der deutschsprachigen literatur regelmässig untergehen. dennoch, es entstehen wegen des plans, den andrey hierfür gewählt hat, neue zweifel. sie entspringen der definition des gegenstandes. meines erachtens besteht die idee der romandie mehr als es andrey meint auf sprache und ethnie. ihre besonderheit ist es aber, dass sie staatlich nicht eindeutig verortbar ist, wie es der französische gedanke der nation nahelegen würde. deshalb ist die suisse romande genauso wie die suisse alémanique und die suisse italienne ein gemenge, indem die staatlichen subeinheiten, die grundlage bilden. ihre besonderheit ist aber mitunter, dass sie selber zwischen der einheitlichkeit und diversität von sprache und kulturen oszillieren.

richtig an andrey interpretation ist meines erachtens, dass die kantone der französischsprachigen schweiz genauso wie die der italienischen ihre eigenständigkeit aus der befreiung erhalten haben. täuschend ist allerdings die vorstellung, ihre staatlichen und kulturellen grenzen seine deshalb identisch resp. wo dies nicht der fall sei, seien die staatlichen wichtiger. vielmehr gibt es seit 1798 nicht nur eine plurikulturelle schweiz; nein, es gibt auch plurikulturelle kantone, die für das funktionieren der schweiz von höchster bedeutung sind, aber nicht ohne not eindeutig einer sprachlich begründeten gemeinschaft zugeordnet werden sollten. denn die problematik der mehr- und minderheit in der schweiz, die in diesem buch aus der sicht der nationalen minderheit behandelt wird, müsste eigentlich auch aus der optik der minderheiten in den kantonen thematisiert werden. insbesondere auch im kanton freiburg, aus dem der provokative und ebenso produktive autor stammt – genauso wie ich.

stadtwanderer

fünf perlen in unserem raum, die zur perlenkette der schweizer geschichte wurden

es ist bekannt, ich bin ein grosser fan historischer übersichten. seit kurzem angetan bin ich von der “chronologie de la suisse” von xavier deboffles und yves bisch, erschienen in der französischen collection TABLEAUX SYNOPTIQUES DE L`HISTOIRE (auf dem webleider nur kryptisch vorhanden).

was von aussen wie ein buch aussieht, ist im innern ein falzprospekt. 20 seiten lang, auf denen sich, ausgeklappt, die zeit ausbreitet. vereinfacht gesagt, eine seite für ein jahrhundert – insgesamt 2000 jahre, von gaius julius caesar bis betrand picard.

das ist schon der erste vorteil. denn die meisten geschichtsbücher kennen eine exponentielle zeitvorstellung, wonach sich die vergangenheit mit der zeit beschleunigt. geschichte verdichtet sich dann quasi soweit, dass sie sich im augenblick der gegenwart auflöst. genau das passiert nicht, wenn man einen lineal mit zeitlichen aequivalenzen anlegt, um vergangenes auszubreiten. oder anders gesagt: die jetzt-zeit schrumpft, womit die vergangenheit ihren platz wieder findet.

der zweite vorteil der übersicht besteht darin, dass man die 20 seiten von vorne nach hinten, aber auch von hinten nach vorne durchblättern kann. erstes leistet jedes geschichtsbuch auch, denn die chronologische ordnung gehört zum a und o einer jeden historik. für zweitere braucht es übersichten, die chronologien besser leisten als erzählungen. genau das hat auch vorteile: denn die geschichte “vim ende her gedacht” setzt beim ergebnis an und fragt, wie dieses geworden ist. das mag zwar nicht die ganze geschichte sein, wenden historikerInnen regelmässig ein. aber es ist die geschichte, die in der gegenwart verankert und damit ihr immer währender, aber auch sich stets ändernder ausgangsunkt ist.

reiht man die gegenwart historisch in perlenform auf, besteht die letzte perle zweifelsfrei aus der periode seit dem wiener kongress – profis würden sagen, die phase der zeitgeschichte. denn die grosse versammlung der diplomatie an der donaumetropole ordnete 1815 das europa der nachnapoleonischen phase neu. der wiener kongress war es auch, der die völkerrechtliche souveränität der schweiz erneurte, die neutralität des landes bestimmte, die grenzen des landes festlegte und unsere heutigen kantone (bis auf den jura) verfestigte. sicher, die schweiz hat sich seither gewandelt; aus der agrargesellschaft wurde die industriegesellschaft und die mündete in die dienstleitungs-, ja kommunikationsgesellschaft. treiber geworden sind einerseits die oekonomie und ihre industriellen, anderseits die wissenschaft und die erfindungen. auch die staatliche organisation hat sich seither entwickelt. entstanden ist der bundesstaat von 1848, gefolgt sind die bundesverfassungen von 1874 und 1999 sowie die damit verbundenen zentralisierungen insbesondere lebenswichtiger politikbereiche. sie haten anfänglich eher repräsentativen charakter, heute werden sie stark durch die institutionen der direkten demokratie beprägt. trotz der vorherrschenden beschäftigung mit sich selber, ist die schweiz heute in vielem internationalen vernetzt. gerade ihre ökonomie gilt als leistungsstark, sodass die schwein in internationalen rankings zu innovation und standortwettbewerb regelmässig einen spitzenplatz einnimmt.

die zweite perle, das ancien régime, entstand aus der grosssen konfessionellen spaltung, welche die reformation der katholischen kirche im frühen 16. jahrhundert einleitete. die europäische bewegung hatte ihren ursprung in zwinglis zürich, breitete sich dann auf zahlreiche städte aus, um schliesslich in genf zum zentrum der globalen entwicklung hin zum calvinismus zu werden. die schweiz veränderte die reformation nachhaltig, wenn auch weniger radikal als schweden, aber nachhaltiger als etwas italien oder frankreich. die autonomie der starken kirche vom schwachen staat fand ihr ende, klöster wurden aufgehoben und ihre aufgaben flossen teilweise in jene des entstehenden staates ein. für die schweiz von eminenter bedeutung ist, dass ihre territoriale expanision mit den folgen der refomration endete. überlebt hat der staat von damals, das ancien régime der patriziate, aber auch der zunft- und landsgemeindeverfassungen. zerbrochen ist aber die gemeinsame innere kultur, denn die reformation führte zur ausbildung konfessionell getrennter und damit kulturell autonomer räume. zu den gründen hierzu zählte, dass die im schwabenkrieg erworbene autonomie vom reich und seinen reformen voraussetzungen der eigenen kirchenspaltung waren, aber auch, dass das ausland sein interesse bewahrte, mit der schweiz geregelte verhältnisse zu haben, wie sie spätestens im westfälischen frieden 1648 zum ausdruck kamen. bis heute, kann man sagen, wirkt die reformation nach, denn gerade in kulturellen, teilweise auch in staatlichen fragen unterscheiden sich die basalen ansichten der kantone, die mit der glaubensspaltung eines ihrer prägenden gesichter bekommen hat. hinzu kommt, dass alle grossen urbanen zentren von heute evangelisch-reformiert geprägt sind, während die katholischen gebiete durch landgegenden und maximal mittlere zentren geprägt werden.

ob man davor von der schweiz sprechen kann, ist umstritten. die traditionelle geschichtsschreibung hat das mit ihrem bedürfnis, die gegenwart in der tiefen vergangenheit zu erklären, befürwortetet dies. heute ist mancher historiker, ist manche historikerin skpetischer. was mittelalter im schweizerischen bewusstsein, wie auch im verhalten seiner leute geblieben ist, ist das denken in flexiblen bündnissen. entstanden sie sie aus allianzen reichsfreier städte und länderorte seit dem 13. jahrhundert. je mehr die herrschaft des kaiserreiches und seiner grossadeligen stellvertreter zerfiel, umso mehr setzten die bündnisse, die ihren mitgliedern mit ökonomischer absicht rechtssicherheit garantierten durch. das war in den heute deutschsprachigen landesteilen deutlicher stärker der fall, sodass sich hier drei eidgenossenschaften, jene berns, zürichs und der innerschweizer orte entwickeln und behaupten konnten. weiterentwickelt wurden sie gegen ende des 14. jahrhunderts, mit der gemeinsamen regelung kirchlicher und militärischer verhältnisse. der sieg der eidgenossen in murten leitet die phase der söldnerwesens der renaissance ein, die in der katastroph in obertalien endete. aus den allianzen entstand, die tagsatzsatzung, die ältesten eidgenössische institution, gleichzeitig auch dem frühesten netzwerk weit über die einzelnen orte hinaus. bis heute leben sie im regionalismus einerseits, der suche nach gemeinsamkeiten in konkordaten statt im zentralismus nach, selbst wenn sie ihren höhepunkt mit der neuordnung der schweiz in konfessionellen teilstaaten ihren höhepunkt überlebt haben.

bei der vierten perle, die es zu erwähnen gilt, ist der bezug zur schweiz von heute noch geringer. denn zuerst die klöster, aber auch die städte selber sind aus europäischen entwicklungen hervorgegangen. die völkerwanderung schuf seit dem 5. jahrhundert die gemeinschaften der mönche, die zu siedlungs- und kulturzentren wurden, aber alle nach nach regeln der irischen, vor allem auch der römischen missionare funktionierten. später kamen orden aus burgund und italien hinzu, die das ländlich wie auch städtische leben prägten. von direkter bedeutung sind sie in der reformierten schweiz nicht mehr, doch auch in der katholischen ist die säkularisierunng der gesellschaft soweit fortgeschritten, dass nicht mehr viel davon übrig geblieben ist. die städte, auf der anderen seite, sind mit dem klimawandel des mittelalters, der zwischen den dem 11.und 13. jahrhundert mediterane temparaturen in die gegend brachte und dem daraus folgenden bevölkerungswachstum entstanden. befördert haben sie der römisch-deutsche könig, aber auch verschiedene seiner vasallen im hochadel, die damit ihre herrschaft im raum sichern wollten, damit aber viel zu ihrer eigenen überwindung beigetragen haben. entsprechend sind auch die spuren der feudalgesellschaft in der schweiz von heute nur noch beschränkt sichtbar, abgesehen von den mittelalterlichen städten, welche die raumstruktur des landes bis heute prägen.

die fünfte und letzte perle, die schwierigste gleichzeit zeigt bis in die gegenwart eminente folgen. es ist die kulturelle segmentierung des mittellandes, indem zahlreiche charakteristiken der schweiz in gegenwart und geschichte entstanden sind. was die römer einheitlich mit ihren städten wie nyon und augst, aber auch mit ihren kolonien wie avenches und windisch einheitlich verwaltet hatten, zerfiel mit der völkerwanderung und ihren folgen. gespalten wurde das plateau durch die aare, welche zur wichtigsten siedlungsgrenze wurde. links davon war man burgundisch, rechts alemannisch geprägt, wie sich das in den sprachen bis heute äussert. die eine kultur lebte ganz in der römischen tradition, die andere entwickelte sich in opposition zu ihr, mit weitreichenden folgen für die mentalitäten bis in die heutige zeit. verfestigt hat sich die mit der übernahme der macht durch die fränkischen könige nach clovis, denn die zentralisierung des frankenreiches nicht mehr richtig gelang, sodass die gebiete links der aare ab 561 in aller regel zum burgundischen könig, jene rechts davon zum austrasischen gezählt wurden. auch die bistümer, die älteste organisationsform des raumes, die es (in stark gewandelter form) heute noch gibt, respektierten diese grenze, sodass das mittelland zwischen den diöszen von lausanne und konstanz aufgeteilt wruden.

wenn man die synoptischen tabellen der geschichte, die mir hier als vorlage dienten, überblickt, fällt einem vieles von dem, was man intuitiv spürt, kein geschichtsbuch aber so festhält, wie schuppen aus den haaren. es eröffnet sich den blick auf das wesentliche, spricht auf das, was anhaltend, wenn auch nicht unveränderlich ist. das gehört zur grossartigen leistung des falzprospektes, selbst wenn einzelne verwechslungen im text und illustationen ärgerlich sind. wirklich ärgerlich ist eigentlich nur, dass man den in französisch verfassten prospekt in den deutschsprachigen buchhandlungen, selbst in bern, nicht findet, während man ihn in fribourg, angepriesen von der französischenbuchkette fnac nur so auflesen kann. eigentlich jedem empfohlen, der oder die sich für das ganze der schweiz interessiert.

stadtwanderer

“Zu viele Junge wollen Historiker werden.”

“Zu viele Junge wollen Historiker oder Psychologen werden”, zitiert der heutige tagesanzeiger jean-François rime. richtig oder falsch? die debatte ist eröffnet.

jürgen kocka, führender historiker der bielefelder schule, umschrieb die sozialen funktionen der geschichte folgendermassen:

“. Historische Erklärung gegenwärtiger Probleme durch Aufdeckung ihrer Ursachen und Entwicklung (Beispiel: Antisemitismus)
. Vermittlung von modellhaften Kategorien und Einsichten politischer Bildung zur Erkenntnis und Orientierung in der Gegenwart
. Legitimation und Stabilisierung sozialer und politischer Herrschaftsverhältnisse, Rechtfertigung politischer Entscheidungen (Bsp. Revolutionsfeiern der USA 1976 und Frankreichs 1989)
. Traditions- und Ideologiekritik, Kritik an historischen Mythen und Legenden (Bsp. Dolchstoßlegende)
. Schaffung eines Möglichkeitsbewusstseins durch Verflüssigung des Gegenwärtigen, Aufzeigen von Alternativen
. Orientierung von Individuen und Gruppen in ihrer Gegenwart, auch durch Aufzeigen des Verschütteten, Nichtaktuellen
. Erziehung zum konkreten und kritischen Denken gegen vorschnelle Absolutheitsformeln, Einsicht in die Relativität von historisch-politischen Perspektiven
. „zwecklose“ Freizeitbeschäftigung, Unterhaltung, Vergnügen
(gemäss wikipedia)

alles sinnlos oder nicht?

der geht es um etwas ganz anderes? junge menschen, die geschichte studieren oder eine baulehre machen gegeneinander auszuspielen? mehr staatsförderung für die berufslehre zu erhalten, statt für studiengänge?

gerne lese ich mehr dazu? kommentieren sie!

stadtwanderer

fast ganz ruhig (värmlands nyheter 1)

städter, genauso wie städterinnen, kennen das wort ruhe nur noch vom hören sagen. das ändert sich im wald schlagartig. mit überraschungen.

der vorherrschende lebenseindruck in der stadt ist der lärm. allen voran machen fahrzeuge lärm. die vorbeibrausenden autos überall, startende töffs in engen gassen, quitschende züge im bahnhof bern, wenn sie halten. der der maschienenlärm ist seit dem industriezeitalter das urbane grundgeräusch.
und fällt es einmal aus, kommen die menschen an die reihe. kinder, die sich schreiend wehren, junge, die sich laut unterhalten, ja selbst erwachsene, die gruppen unterwegs sind, erzeugen einen erheblichen pegel an geräuschen. ich behaupte, in einer stadt kann man keine 10 minuten sein, ohne dass man einen menschen zu hören.

im hohen norden angekommen, fällt einem das alles wie schuppen von den haaren. den das rurale grundgefühl ist die ruhe. klar, in den schwedischen wäldern gibt es scheppernde holzlastwagen – wenn’s hoch kommt zwei im tag. es gibt auch passantInnen, die zum fischen am nahe gelegenen see kommen, oder einige würste brättel wollen, geschützt von einer fischerhütte. doch auch die lassen sich je tag an einer hand abzählen.
die nachbarn selber leben beileibe nicht so nahe wie in einer stadt. die streusiedlungen selbst in dörfern garantieren, dass man sie sehen, aber nicht hören kann!

so ist man dem glück der ruhe in holzhausen ganz nahe.

doch es bleibt auch hier nicht einfach still. denn das ohr entdeckt, einmal befreit vom lärm, neue geräusche: die kreischende möve, die hoch oben über den bäumen segelt und hunger hat. die warnenden schwalben, die kollektiv eindringliche abhalten. und der specht, der seine würmer heraussucht, begegnen einem als erste. danach kommt das rascheln einer schlange, das schnappen eines fisches, das summen einer hummel.

ruhe ist also relativ. ganz ruhig wird es wohl nie. im vergleich zum bekannten lärmpegel ist es aber in der pampa schwedens aber kolossal ruhig.

(sodass man selbst den weichen widerstand der tastatur beim schreiben hört.)

stadtwanderer

unterwegs sein, heisst frei sein

“eine kleine philosophie des gehens”, heisst das buch, das ich gerade lese. geschrieben hat es frédéric gros, philosophieprofessor an verschiedenen pariser universitäten. seine spezialität: unterwegs philosophieren. ihm folge ich ein stück des weges, den ich gerade gehe.

unterwegsfreiheit ist eines der zentralen kapitel im handlichen buch, das gros auf 250 seiten ausbreiet. freiheit wird hier dreifach definiert: als loslösen, als aussteigen und als verzicht.

das gefühl loszulassen, kennen wohl die meisten. zum beispiel all jene, die, wie ich, über mittag spazieren gehen, um sich von der arbeit zu lösen, sich von schreibgeräten zu entfernen. auch wenn sie ausgesprochen nützlich sein mögen, sie kommen einem auch nah. denn sie nehmen einen mehr in beschlag als ein einfaches instrument, ein hammer beispielsweise. sie haben die eigenschaft, sich mit uns zu verbinden, ein teil des eigenen selbst zu werden. und sie stehen gerade zu sinnbildlich für die zwänge, die mit dem arbeiten verbunden sein können: die termine, die verpflichtungen, der erwartete input, der zum erhofften output führen soll.

wer vorübergehend loslässt, kennt die Vorteile des unterwegs seins. er oder sie hat auch die nachteile der reisenden nicht: das schwere gepäck, das man meist transportiert, aber auch die handtasche fällt weg, die das unmittelbare überleben an einem fremden ort sichern soll. denn wer einfach unterwegs ist, verfolgt kein festes ziel, ganz anders als reisende, die den ort der ankunft kennen, die distanz hierzu auswendig wissen und die vorher berechnete zeit der anreise sorgfältig kontrollieren.

der ausstieg, sagt philosoph gros, ist radikaler, denn er komme einem bruch gleich: man lässt einen ganz bestimmten ort ganz bewusst hinter sich. wer aussteigt, sucht das andere, das unbekannt, chaotische. es ist die wildnis, die man sucht, auch die energie, die einem von neuem stärken soll freiheit ist hier, an der nächsten kreuzung wählen zu können, ohne zu wissen, was kommt. weder hier durch, noch da durch. es braucht ein (über)mass an mut, um diese freiheit zu ergreifen. riskiert wird dabei ein (über)mass an müdigkeit, denn der weg, der einem ausbrecher bevorsteht, ist nicht kalkulierbar. eine neue identität kann so entstehen, aber auch der Sturz ins bodenlose.

wenn ich im sommer in den norden gehe, ist es jeweils mehr als (der versuch) loszulassen; es ist aber auch weniger als ein ausstieg. sicher, in schweden kenne ich aussteiger, die weg gingen, ohne zu wissen, ob sie oder ihre kinder je zurückkehren würden. natürlich kennen wir auch loslasser, die für ein paar tage kommen und dann auch gehen. einen monat weg zu sein, ist irgend etwas zwischen dem, was der philosoph uns “vorschreibt”. freiheit, würde ich meinen, ist es dennoch – die freiheit nämlich, frei von den vielen kontrollen, die einen in der dicht besiedelten schweiz umgeben, neu zu finden, ohne dass die gewonnene freiheit zur ganz grossen herausforderung wird, die alles bisherige in frage stellen würde.

in einem hat der alltagsphilosoph aus paris auf jeden fall recht: ein dauernder verzicht im philosophischen sinne ist das leben in den wäldern nicht. denn wenn der franzose gros vom verzicht redet, erinnert das ein wenig an hinduistische lebensweisheiten. der morgen des lebens ist mit dem lernen vom meister besetzt; der mittag wird durch den erwerb von einkommen und ansehen bestimmt; am nachmittag wird man zum eremiten, der im wald meditieren lernt. ganz am schluss, am abend, werde der lebenswanderer man zum Pilger, sagt gros. denn der weise verzichtet, wird zum namenlosen selbst, das im grossen herz der welt seinen ausgang sucht.

unser eremit in holzhausen ist dieses jahr zum ersten mal nicht dabei. schade. im kampf gegen einen dachs hat er sich aergerlich verletzt, sodass er operiert werden musste. ein vorbild ist er dennoch, seit jahren bewohnt er entbehrungsreich den wald, jedenfalls in den sommermonaten, und lebt abseits vom geschäftigen treiben, das wiederum uns die meiste zeit beherrscht. ob er je zum pilger wird, ist gegenwärtig offen, denn das gehen bereitet ihm mühe.

wandern, schliesse ich, ist also mehr als nur gehen. es ist loslassen, es kann zum aussteigen werden, ja zum eigentlichen sinn des lebens.

stadtwanderer.
(beim weiterlesen)

cottage cheese terrorism

der security control hat mich gefilzt. wegen hüttenkäse gabs eine grundsatzdebatte. mit vorsichtiger annäherung. so bin ich doch kein cottage chees terrorist.

um jedes nur erdenklicge missverständnis gleich zu beginn zu vermeiden: ich bin für sicherheit im flugverkehr. indes, ich bin auch für verhältnismässigkeit von massnahmen hierzu.

zürich-flughafen: der flug geht in den norden, genau gesagt nach oslo. die ferienträume warten (seit langem).

wie immer vor dem boarding ist ein security check angesagt. nine/eleven und so weiter. doch diesmal verläuft er anders als sonst. denn mein handgepäck wird genauestens inspiziert. insbesondere meine esstasche. und genau da bleibe ich hängen.
nicht, weil ich mein mineralwasser nicht rechtzeitig ausgetrunken hätte. nein, weil ich eine ungeöffnete schachtel cottage cheese dabei hatte.
das sei flüssigkeit und während des fluges im handgepäck nicht erlaubt, werde ich eher unfreundlich geheissen.
häää? hüttenkäse sei käse, o.k.. aber keine flüssigkeit. niemals.
ich gebe meiner spontanen gefühlsmischung aus überraschung und unmut kontrolliert ausdruck.
ob man mir das genauer erklären könne, möchte ich wissen.
die antwort ist beamtenhaft: das gesetz mache nicht sie, die kontrolleurin; sie achte nur auf die einhaltung der vorgaben.
perplex wie ich bin, passiere ich den triumphbogen aller kontrolleure, der mich, gott sei dank, vom dringenden verdacht des terrorismus weiss wäscht.
hätte es an meinen inneren triumphbogen auch ein messgerät gehabt, hätte dieses bestimmt einen tiefen minuswert angegeben.

da machen uns die behörden auf die problematik von food waste aufmerksam. esswaren werfe man nicht einfach weg. ausgründen. und dann schmeissen die sicherheitsbeamtInnen vom flughafen genau das achtlos in den kübel, was nicht in ihr fahndungsraster passt. egal, ob es esswaren sind oder nicht, egal ob sie frisch sind oder nicht.
nachvollziehen kann ich das unter keinem titel! sicherheit ja – verhältnismässigkeit ebenso, ist meine devise.

am ende des rollbandes spreche ich, befeuert durch meine innere verfassung, aber auch gestärkt durch meine eben bezeugte harmlosigkeit, einen wachenden beamten an.
wo es stehe, dass hüttenkäse im handgepäcknicht erlaubt sei?, will ich wissen.
irritiert greift der zu einigen bereitliegenden prospekten, streckt einen in englisch hin und sagt: da!
doch da steht nichts davon. um einen unerfreulichen disput zu vermeiden, eilt er gleich zu seiner vorgesetzten. die soll die ärgerliche sache kraft autorität des amtes verbindlich klären.
nach einigem hin und her gibt die chefin zu, dass hüttenkäse nicht ausdrücklich verboten sei. er sei auch keine flüssigkeit; er sei aber streichbar, und sie hätten die anweisung, alles streichbare einzuziehen.

es sei aber möglich, sinniert die beamtin nun, nochmals einzuchecken, oder den hüttenkäse als spezialgepäck mitfliegen zu lassen.
ich merke, dass wir uns annähern. s
schalter 124 in der check-in halle sei dafür da. ein paket müsse ich dafür allerdings kaufen, die ganze welt werde es nicht kosten.

die ganze welt wäre nicht verloren gewesen, hätte ich meinen hüttenkäse nicht mitnehmen können. doch habe ich, ebenso wie die sicherheitsleute meine prinzipien. und meine begründungen, die gut legitimiert sind. angemessenheit war also angebracht.
und ich bin überzeugt, wenn normale passgiere normalen hüttenkäse in ihrem handgepäck haben, geht die welt auch nicht unter!

was das im zürcher flughafen geboten wurde, war ganz einfach käse!

stadtwanderer

bern im mittelalter

regelmässig bekomme ich anfragen für führungen zu „bern im mittelalter“. diesen herbst werde ich hierzu eine neue stadtwanderung anbieten.

mittelalter:
das mittelalter ist die idee der humanisten im 16. jahrhundert. sie wähnen sich in einer neuen zeit, orientieren sich aber rückwärts gewandt am römischen reich, der klassik, und was dazwischen war, ist „mittelalter“ – vorbei und auch kein vorbild!
der begriff ist bis heute gebräuchlich, das tiefe mittelalter ist der inbegriff für rückständigkeit. die geschichtswissenschaft hat den begriff versachlicht und definitiert: als phase der europäischen geschichte mit der vorherrschaft der katholischen kirche über den kontinent, und dem kaiserreich, bestimmt durch feudale strukturen. also endet das mittelalter mit den entdeckungen der neuen welt(en) ab 1492 einerseits, der reformation der christlichen kirche ab 1517 anderseits. die grosse reichsreform von 1500 kann ebenfalls hinzu genommen werden.
übertragen auf bern beginnt die zeit der entdeckungen mit den italienfeldzügen der söldner ab 1494: südländische lebensweisen dringen an die aare vor, die zitrone wird zum lebensgefühl der frischen leichtigkeit, doch syphilis, die italienische krankheit, breitet sich aus. die reformation setzt in bern 1528 ein; sie wird schnell und gründlich durchgezogen. mit ihr kommt auch die territoriale expansion zum stehen, 1536 hat bern seine grösste ausdehnung erreicht. irgendwann zwischen 1494 und 1536 ging auch in bern das mittelalter zu ende.
einfacher ist es, den anfang berns im mittelalter zu bestimmen, denn die stadtgründung selber macht da eindeutig sinn. wenn auch nicht sicher belegt, hat sich das jahr 1191 als datum etabliert. herzog berchtold v. von zähringen besiegte damals den burgundischen kleinadel im berner oberland, und er hatte ein interesse, die verschiedenen wege in den süden via murten, freiburg und thun mit der gründung der zentralen stadt bern am strategisch wichtigen aareübergang zu sichern. das ist die geburtsstunde der stadt bern.

die stadt im mittelalter
bern im mittelalter ist zunächst die geschichte einer zähringerstadt, die nach dem aussterben des geschlechts des stadtherrn kurzfristig savoyisch und neu begründet wurde, letztlich aber zur königsstadt avancierte und stück für stück zur reichsstadt emporstieg, bis sie im südwesten des reiches der führende ort war. 1536, auf dem höhepunkt der territorialen ausdehnung, nannte sie sich grösster stadtstaat nördlich der alpen: zu recht, denn im normalfall blieben die städte ein eigener rechtsbezirk, der auf die stadtsiedlung und ein wenig umfeld darum herum erstreckte, während bern mit der vertreibung des umliegenden adels, zuerst die kyburger, dann die savoyer, am ende des mittelalters von brugg im wasserschloss bis coppet vor den toren genfs reichte.
die stadt als ort war seit der gründungszeit zweimal erheblich gewachsen: um die savoyerstadt im 13. Jahrhundert und um die stadterweiterung nach der schlacht von laupen. die savoyerstadt ist heute noch erkenntlich, als stadtteil zwischen zytgloggen und käfigturm, während die stadt im 14. Jahrhundert bis zum christoffelturm wuchs, der früher da stand wo heute der baldachin vor dem bahnhof ist. markanste neuerung in dieser zeit war die plattform vor dem heutigen münster, mit der man eine tolle aussicht auf voralpen und alpen bekam. auch das war programm, denn mit der schlacht von laupen expandierte die stadt bern ins oberland und machte der stadt freiburg, jetzt habsburgisch, gehörig konkurrenz.
mitte des 14. jahrhundert bracht die pest auch in bern aus. Wenn es auch nicht genau bekannt ist, wieviele tote es in der folge gab, das stadtwachstum war danach für über 100 jahren unterbrochen. ein wieterer einschnitt ins stadtbild brachte der grosse stadtbrand von 1405. ein drittel der holzstadt fackelte in einer nacht nieder. beim wiederaufbau setzte man auf vermehrten brandschutz: repräsentative gebäude wie das rathaus oder münster entstanden ganz aus stein, die häuser entlang der strassen bekamen einen steinvorbau, mit dem auch die lauben in bern einzug hielten. die strassen schliesslich wurden gepflästert, und diverse brünnen in der stadt begannen die wasserversorgung in den quartieren zu verbessern.
am meisten an die mittelalterliche stadt erinnert in bern von heute der grundriss der altstadt, denn er ist weitgehend identisch mit dem der zähringer- sesp. savoyerstadt. dafür hat bern in der neuesten zeit auch den titel unesco-weltkulturerbes erhalten. das die stadt nie kriegerisch zerstört wurde, trug das ihre zur konstanz im stadt- und strassenbild bei.

das leben in der mittelalterlichen stadt
die führende schicht in der stadt bern hatte sich rund um die gründungsfamilien gebildet – zum beispiel im gefolge der von bubenbergs, anfänglich ministeriale der zähringer, dann eine sippe innerhalb der tonangebenden junckerschaft, die mehrfach den schultheissen stellte. nach der pest sicherten sich die juncker die vorherrschaft in der stadt, indem sie die zünfte, die gewerbliche schichten rund um die bäcker, metzger, gerber und schmiede, aus der politik ausschlossen, sie dafür mit der verwaltung der stadtvierteln beschäftigte. das prägte charakter der obrigkeitlich ausgerichteten stadt ganz anders als etwas zürich oder schaffhausen, wo sich im 14. oder 15. jahrhundert ein zunftregime etablierte. in bern kamen kamen die kaufleute eher spät, gegen ende des 14. jahrhunderts hinzu, drangen aber in der zweiten hälfte des 15. jahrhunderts in die stadtpolitik vor. die familie diesbach ist die bekannteste unter ihnen, im tuchhandel mit den fürstenhöfen von halb europa reich geworden. darüber hinaus kannte die stadt stets eine unterschicht, aus menschen mit unehrbaren berufen bestückt.

das panorama der stadt bern im mittelalter wäre unvollständig, würde man die spezielle rolle der kirche nicht erwähnen. zuerst der deutschorden im auftrag des kaisers, dann die bettelorden der dominikaner und franziskaner mit dem segen des papstes, waren in der führung der stadt von hoher bedeutung. sie wachten nicht nur über die seelen der menschen, sie prägten auch ihre moral, und sie regelten verstöss gegen die sittlichkeit nicht selten selber. ursprünglich hing die berner kirche von köniz ab, dann entstand die leutkirche, an der stelle, an der heute das münster steht. weitere kirchen und klöster kam vor allem im 14. jahrhundert hinzu. die reformation änderte das aussehen des katholischen münsters. beseitigt wurde im innern der prunkt, der an die reichskirche erinnerte, derweil das jüngste gericht, bedeutensten kurnstwerk der jungen bernischen landeskirche aus den 1480er jahren, bestehen blieb. verschwunden sind mit der reformation die klöster in der stadt bern. mit den juden, seit der savoyerzeit in bern bern anwesend, verstand sich die christenheit mehr schlecht als recht, sodass sie nach der pest ein erstes mal, im frühen 15. jahrhundert ein zweites mal als sündenböcke aus der stadt ausgewiesen wurden. lombarden und kawertschen, aus dem süden kommend, ersetzten sie als geldhändler, indem sie christlich waren, das zinsverbot der katholiken aber nicht kannten.

von der burgundischen stadt zur eidgenössischen republik
eigentlich war bern ursprünglich auf imperial-burgundischem siedlungsgebiet gegründet worden, und noch im 14. Jahrhundert verstand sie sich als eingangspforte zu burgund, ja, als schönste stadt burgunds. der bezug zum burgundischen verlor sich aber stück für stück, einmal weil sich die eidgenossenschaft als wirkungsvolles gegenprojekt aus städte- und landbündnisse entwickelte, sodann auch weil könig sigismund auf dem weg zur kaiserkrönung bern zum vollwärtigen reichsstand erhob, der losgelöst von allen rund herum im kaiserreich seine eigene politik verfolgen konnte. im alten zürichkrieg, dem ersten bürgerkrieg unter eidgenossen, paktierte bern mit den innerschweizern gegen zürich, und mit ihrem sieg über die andere reichsstadt, stieg bern zum führenden ort in der eidgenossenschaft auf.
nun kam es, mit den eidgenossen, zur grossen wende gegen das benachbarte burgund, verbunden mit savoyen, kommen. 1474 erklärte bern dem herzog von burgund den krieg, den man mit der schlacht von murten auch gewann. herrschaftlich blieb der aufstieg in die oberste liga europas aus, militärisch fand er aber vorübergehend statt. denn die erfolgreichen jungs auf den schlachtfeldern wurden nun söldner beim französischen könig, beim papst und anderen würdenträgern.
1499 setzen man sich, im verbund mit den anderen eigenossen, selbst gegen den kaiser durch, womit man die reichsreform von 1500 nicht mitmachte und die wege des reichs und der eidgenossenschaft auseinerander gingen. in bern endet die feudalzeit spätestens mit dem aufstand von köniz. Mitten auf dem höhepunkt der machtentfaltung machte die jugend von köniz die reichhaltigen pensionsbezüge der politiker der stadt bekannt, sodass sie das viele geld, das sie so bezogen, der stadt abgeben mussten. krieg und frieden konnte bern nun nur noch mit zustimmung der ämter rund herum beschliessen. vorweg genommen wurde damit die reformation, in bern eine bewegung gegen die selbstherrlichkeit der katholischen kirche, namentlich als treiberin des spätmittelalterlichen soldwesens.

die neue stadtwanderung
bern im mittelalter, das wird im herbst meine neue wanderung. die zeit vom 13. bis 15. Jahrhundert in bern ist die mutige, aber auch die wilde, bevor die phase des mächtigen und geordnenten berns einsetzte. mit der entwicklung, die hier beschrieben wurde, entstand in bern auch das bewusstsein als geschichtlicher faktor. die ältesten chroniken zeugten noch klar vom wirken gottes in grossen ereignissen, während vor allem mit den burgunderkriegen das gefühl entstand, selber wer zu sein, der selber gott ein haus bieten könne. doch nicht nur das göttliche prägte das spätmittelalter – auch das weltliche. kleinrat tühring von ringoltdingen schrieb mit der „melusine“ eines der ersten bücher in bern überhaupt, welche den lange versteckten lustbarkeiten in der stadt einen textlichen und visuellen rahmen gab, der von den germanistInnen heute noch als teil der mittelalterlichen weltliteratur gefeiert wird.
im herbst geht’s los mit bern im mittelalter. wenn’s interessiert, stelle ein gruppe von mindestens 5, maximal 20 personen zusammen, und koordinieren mit mir einen termin. die führung selber dauert 2 stunden, und sie findet idealterweise an einem vorabend statt.
bis dann bin ich für einen ganzen monat in schweden, um mich aufzutanken!

stadtwanderer

letzte reisevorbereitungen

nun bin ich definitiv ferienreif. wie seit vielen jahren fahre ich, um den schwedischen sommer zu geniessen, in den norden.

für twitterer ist es schwierig, in die ferien zu gehen. denn der 140-zeichen-kanal kennt keine ferien(ab)meldung. email-freunde haben es da einfacher: schalter zu, riegel rein – und schon wird jede(r), die/der mich kontaktiert, in kurzform über die abwesenheit informiert. blogger haben es am einfachsten: sie können sie gleich per post abmelden. die regelmässige leserschaft ist dann hinreichend ins bild gesetzt, wenn sie dringend was sucht.

meine tage in der schweiz sind gezählt. heute schaue ich in der nachbarschaft noch fussball. “argsui”, wie das in der kurzform des microblogging neudeutsch heisst. allzu patriotisch nehme ich das nicht; wenn es guten fussball gibt, freue ich mich über jeden, der dazu was beiträgt. egal in welchem team das der fall ist. ich weiss, starke fussball nationen sind nicht glücklicher, und wenn nur ganz kurz! am 1. august bin ich auch nicht in der schweiz. keine verweigerung! in kreuzlingen hätte ich gar die grosse 1. august-rede halten können. ein biz gereizt hätte mich die herausforderung schon. 800 bis 1000 angekündigte zuhörerInnen hat man als redner ja nicht immer.

allen chancen zum trotz: ich mache ferien. auf mich wartet holzhausen. irgendwo in den unendlichen wäldern mittelschwedens, am rande des langen klarälvtals. bin gegenwärtig an den letzten reisevorbereitungen, einen monat in in der pampa zu verbringen, will vorbereitet sein. mehr verrate ich, fast schon traditionsgemäss, nicht. denn es gehört dazu, dass das private private bleibt, und ferien sind nun mal privatsache.

öffentlichkeit, wie es die kommunikationswissenschaft heute benennt, gibt es in holzhausen nicht. am ehesten noch haben wir massenmedienzugang, seit in der nähe eine satellitenschüssel eingerichtet wurde. einen fernseher haben wir selber aber nicht. versammlungen mit rednern, zuschauern und so, der zweiten form von öffentlichkeit, bin ich in 15 jahren holzhausen noch nie begegnet. wenn es sowas ähnliches mal gab, dann nur, weil ein bauernhof eingangen war, und es eine versteigerung gab. das lockt regelmässig viele leute an, die für wenig geld viel hausrat kaufen wollen – oder auch ganz einfach mal andere menschen, mit kind und kegel, treffen möchten.

die dritte, einfachste form der öffentlichkeit, findet sich in holzhausen auch nicht wirklich. begegnung mit fremden menschen, sei es in restaurants, beim warten auf die fähre, oder beim wasserschöpfen an eine quellwasser, sind in schweden nicht angesagt. das hat nicht einaml mit der mentalität der leute zu tun. vielmehr hat es einfach zu wenig menschen: bewohnerInnen, arbeiterInnen oder auch gäste auf einem quadratkilometer sind 10 mal seltener als in der schweiz. als nachbarn bezeichnet man in holzhausen schnell einmal ein person, die 30 oder 50 kilometer entfernt wohnt. zu fuss eine tagesstrecke. mit dem fahrrad über schotterstrassen bisweilen nicht weniger. trifft man sich dennoch einmal zu tee oder kaffee, bleibt das eben privat. für den gezielten austausch an informationen über bären, niederländische auswanderer oder deutsche lamazüchter im umfeld einer tagesdisanz reicht das. auch ohne dass dritte, beobachter eben, dabei sein müssen oder können.

das öffentlichste an holzhausen ist wohl mein stadtwanderer blog, mit spezieller rubrik schweden. denn seit vielen jahren berichte ein wenig über das hüttenleben in schweden. wie die natur ist, wie der mensch sie zur kultur umgestaltet, und wie die die natur in form von wald wieder alles zurückerobert. manchmal gibt es auch erlebnisse von allgemeinen interesse. debatten unter uns über das unmittelbare hinaus, von dem man annehmen kann, dass es andere auch interessiert. das kann man das bloggen. oder ausflüge, die einen begeistern, weil es soviel unbekanntes zu sehen gibt im lebensraum wald. auch das kann mitteilenswert sein.

wenn der internetzugang es erlaubt, werde ich auch dieses jahr bloggen. wenn’s interessiert, der/die sei willkommen auf meiner grossen plattform der kleinen welten, die mein leben ausmachen. emailen lässt man im juli lieber sein, ich werde es nicht intensiv nutzen. und von twitter soll man in diesen tagen nicht allzu viel halten. denn was ich bis anfangs august stadt/landwandere, werde ich nicht vertwittern. in der hoffnung es bleibe mehr als halbprivat …

stand(land)wanderer (während den letzten reisevorbereitungen)