von der konfliktreichen alternanz über die christliche republik bis zum modernen pluralismus

kaum ein kanton hatte so mühe, sich in den frühen bundesstaat einzuordnen, wie fribourg/freiburg. ein buch zur geschichte des staatsrates im nachbarkanton erhellt, was aus den streitparteien geworden ist, und es lässt erahnen, was daraus werden könnte.

1846 tritt fribourg dem sonderbund bei. der beschluss des kantonalen parlaments macht die separat-eidgenossenschaft der katholisch-konservativen orte, die von der innerschweiz ausging, überhaupt erst bekannt. nur ein jahr später lösen die truppen der tagsatzung den sonderbund, teils mit drohungen, teils mit waffengewalt auf. in allen kantonen setzen sie liberale regimes ein, die den übergang zum bundesstaat auf der basis der verfassung vom 12. september 1848 vorbereiten sollen. danach gab, auf bundesebene die fdp den ton an, bis sie die katholisch-konservativen, die bauern und bürger aus der mitte und die sp in ihr regierungssystem intergrierten. erst die polarisierung der letzten 20 jahre hat die vorherrschaft der fdp ins wanken gebracht; ihr droht 2015 die marginalisierung mit nur einem bundesratssitz.

in der freiburger geschichtsschreibung greift man zu grossen lettern, wenn man die gründungsphase des bundesstaates umschreibt. von jakobinern, französischen revolutionären der radikalsten sorte, ist die rede, um die anfänglich rein freisinnige regierung des kantons ins licht zu rücken. was 1847 provisorisch begann, hatte 1848 eine parlamentsmehrheit hinter sich, und dauerte knapp 10 jahre. 1856 machten sich veränderungen bemerkbar, denn die radikalen und konservativen näherten sich einander an. von 1857 bis 1862 regierte eine neue, konservativ-liberale regierung, danach eine rein konservative.

prägende figur dieser hoch-zeit war georges python, 1886 in den staatsrat gewählt, aus dem er 1927 demissionierte. fast 32 jahre prägte er die freiburger regierungsgeschäfte fast uneingeschränkt im geiste einer christlichen republik. freiburg hatte damals seinen kardinal in rom und bekam sein cardinal im bierglas. mehr noch: gegründet wurde 1889 die universität fribourg, mit der man katholischen studenten aus der ganzen schweiz eine ausbildung in theologie, jurisprudenz und ökonomie jenseits des vorherrschenden, reformiert-bürgerlichen geistes, eröffnen wollte.

nach dem ersten weltkrieg nahm strahlkraft der christlichen republik ab: 1921 ging man von der parlaments- zur volkswahl der freiburger regierung über, um sachte die demokratisierung der regierungsarbeit einzuleiten. und nach dem zweiten weltkrieg öffnete sich die parteien- und regierungslandschaft schritt für schritt.
die fdp erhielt 1946 einen zweiten sitz im staatsrat, 1952 wurde die bgb am regierungsgeschäft beteiligt und 1971 folgte die sp.
1981 wählten die freiburgerInnen erstmals eine frau in die kantonsregierung, 1996 folgte der erste parteilose und 2011 die erste grüne. gleichzeitig mit diesen änderungen verlor die zur svp mutierte ehemalige udc ihren regierungssitz. mit dem rücktritt von isabelle chassot, diese jahr zur obersten kulturchefin der schweizerischen eidgenossenschaft berufen, geht es erstmals auch um eine mögliche linke mehrheit im kanton freiburg, eine herausforderung, die von cvp bis svp aufgenommen wird.

das buch zur freiburger regierungsgeschichte, unter der leitung des freiburger historikers georges andrey entstanden, ist faktenreich. alle 96 staatsrätInnen, aber auch alle kanzler des staates freiburg haben ein kurz-portrait bekommen, wenn vorhanden mit bild ergänzt. einfache analysen der familiären hintergründe belegen die demokratisierungsabsichten, die namentlich mit der volkswahl des staatsrates fortschritte gemacht hatte. denn in der christlichen republik freiburg stammt noch die hälfte der staatsräte aus den reihen der familien, sie aus tradition politik betrieben hatten; das sank danach rasch ab, verbunden mit der verpflichtung, die arbeit im staatsrat direkt und angemessen bezahlen zu müssen.

francis python, heute professor für zeitgeschichte an der freiburger universität, hat das illustrative vorwort zur 2012 erschienen nachschlagewerk geschrieben. er gliedert die regierungsgeschichte in sechs phasen:

. die konkliktreiche alternanz, von der gründung des bundesstaates bis zum ausbruch des kulturkampfes 1871,
. das zeitalter der konfessionalisierung der politik (bis 1881),
. die zeit der dynamischen konervativen mehrheitspolitik (bis 1921),
. die vorsichtige öffnung danach (bis 1946),
. die zeit der umstrittenen mehrheitspolitik (bis 1981) und
. die zeit des pluralismus (bis heute).

ganz im sinne des amerikanischen forschers robert dahl fragt er, wer freiburg regiere? dem vorbild der politikwissenschaftlichen regierungsanalyse folgend, kommt er zum schluss, aus der “mon-archie” mit einem machtzentrum sei auch im kanton freiburg eine poly-archie” mit mehreren solchen geworden.

verloren haben dabei die zur cvp mutierten katholisch-konservativen. ihre vormachtstellung während der wende vom 19. zum 20. jahrhundert sei verschwunden, gewichen einer neuen dynamik, die nicht mehr vom konservativen zentrum her komme, sondern von den politischen polen. die ersatzwahlen in den staatsrat vom letzten sonntag, die in einem patt endeten, sind ein beredeter ausdruck hiervon.

am 13. oktober 2013 wissen wir mehr, denn entweder rettet sich die bürgerliche mehrheit im pluralismus, oder aber es kommt zu einer neuen phase mit einer rotgrünen mehrheit. je nachdem müsste das buch um neues kapitel in der freiburger staatsratsgeschichte erweitert werden.

stadtwanderer

die kürzeste geschichte der sp schweiz

morgen wird die sp schweiz 125 jahre alt; ein guter zeitpunkt, ihre kürzeste geschichte zu schreiben.

die sp schweiz hat zwei verschiedene wurzeln, die internationale arbeiterbewegung, und den schweizerischen arbeiterbund, der rund um die volksabstimmung zum ersten schweizerischen fabrikgesetz von 1877 seinen höhepunkt hatte. 1888 wird die eigentliche sozialdemokratische partei der schweiz gegründet. erster präsident ist alexander reichel, rechtsprofessor an der universität bern. erste aufgabe ist die verbesserung der lage der arbeiter. politisch bleibt man eine aussenseiterpartei. erfolgreicher sind die grütlivereine, die nie zu einer partei werden.

nach der gründung gibt sich die oppositionspartei ein streng marxistisches programm. am ende des ersten weltkrieges organisiert sie den viertägigen landesstreik mit, die erste grosse kampfansage an den freisinnigen bundesstaat, die mit militär aufgelöst wird. drei streikforderungen werden in den nachfolgenden knapp 100 jahren politische karriere machen: das proporzwahlrecht, die sozialpolitik und gleichstellung von frau und mann.

die nationalratswahlen 1919 bringen der sp einen beachtlichen sitzgewinn. doch die partei spaltet sich danach, in eine reformistische mehrheit und eine revolutionäre minderheit, die im in- und ausland eigene wege gehen wird. noch glaubt man an der untergang des kapitalismus, und man bereitet sich mit selbsthilfe unter arbeitern auf die zeit danach vor. denn der bürgerliche staat ist unerreichbar weit weg.

mit der weltwirtschaftskrise und der äusseren bedrohung in den 30er jahren ändern sich die ansichten. die „diktatur des proletariates“ wird aus dem sp-programm gestrichen; und das militär wird anerkannt. das erhöht die akzeptanz der sp im bürgertum. mit der richtlinienbewegung sucht man die nähe zum mittelstand, der von der sparpolitik bedroht wird. schliesslich setzen metallindustrielle und der smuv die sozialpartnerschaft durch; jetzt verzichtet man auf den streik als kampfmittel. dafür wird man in die politische entscheidfindung miteinbezogen.

1930 erreicht die sp bei den nationalratswahlen 28,7 prozent – es ist und bleibt der rekordwert. drei jahren später ist die sp erstmals in kantonregierungen vertreten. in genf findet man linke mehrheiten über volkswahlen; in bern setzt sich 1938 die proportionale aufteilung der regierungsmacht mit bürgerlichen parteien durch. 1943 zieht mit ernst nobs erstmals ein sp-vertreter in den bundesrat ein. seit 1959 hat die sp dank eines bündnisses mit der katholischen volkspartei zwei vertreter im siebenköpfigen bundesrat. die sp ist eine jetzt minderheit in der regierung, die ihre anliegen durch sachpolitische allianzen mit anderen parteivertretern durchbringen muss.

die frühe nachkriegszeit wird durch zwei themen geprägt: die einführung der ahv und der ausbau der infrastruktur. die rede ist vom bundesrat tschudi-zeitalter, der sichtbaren fortschritt mit altersversicherungen und autobahnen dank wirtschaftswachstum bringt. der ökonomische aufstieg lässt einen teil der arbeiterschaft verbürgerlichen, die 68er-generation aber die frage nach dem sinn des lebens in der konsumwelt stellen. von nun an unterscheidet man generationen innerhalb der linken.

1971 erhalten die frauen in der schweiz das stimm- und wahlrecht. 12 jahre später möchte die sp die erste bundesrätin stellen. doch der plan geht in der bundesversammlung nicht auf. die erboste sp-parteispitze erwägt den gang in die opposition. die delegiertenversammlung entscheidet anders. man bleibt regierungspartei und setzt sich für die vertretung beider geschlechter im bundesrat und politischen behörden ein. 1991 unterstützt die sp den frauenstreik, der die umsetzung der gleichberechtigung beschleunigen will. nach einer turbulenten wahl wird 1993 ruth dreifuss erste sp-frau im bundesrat. das neue jahrtausend eröffnet sie als erste bundespräsidentin der schweiz. ursula koch wird drei jahre zuvor erster sp-parteipräsidentin. christiane brunner ist ihre nachfolgerin.

1992 stellt sich die sp vor die europa-politik der bundesrates: der eu-beitritt ist das ziel, die beteiligung am ewr der erste schritt. schon dieser misslingt in der volksabstimmung. für die sp eine niederlage. gemeinsam mit der fdp befördert sie die bilateralen als schweizerischer weg in die europäische integration. 2002 gelingt auch der uno-beitritt; bei der lancierung der volksinitiative sind sp-vertreterInnen vorne dabei. die aussenpolitische öffnung beflügelt die sp, gleichzeitig auch die svp, die zur hauptgegnerin wird und viel schneller wächst.

die umweltfrage befördert die absichten der sp auf einen ökologischen umbau der wirtschaft, schafft aber auch raum für alternative lebensentwürfe. mit den grünen entsteht eine neue partei, die partnerin in sachfragen und konkurrentin auf dem wählerInnen-markt ist. bei den nationalratswahlen 1987 erreicht die partei mit 18,4 prozent ihren rekordteifstwert. in den 90ern wächst rotgrün mehr und mehr zusammen, und wird die allianz elektoral stärker, bis die grünliberale aufkommen und sie bremsen. heute ist die sp die führende partei der grossen städte, auf dem land verliert sie aber an rückhalt. ihr wählerInnen-anteil stagniert selbst während der globalen finanzmarktkrise. nur die jungsozialistInnen profitieren von der veränderten wirtschaftslage und fordern mit frecher politik nicht nur die schweiz, auch die etablierten sozialdemokratInnen heraus.

stadtwanderer

ps: mehr dazu hier im beitrag der srf tagesschau.

club politique berne

club politique heisst die neue vereinigung der politikdienstleister in bern. sie trafen sich diese woche erstmals, um sich mit bundesrätin eveline widmer-schlumpf zu unterhalten, wie es um das politzentrum bern in der globalen welt stehe.

politische clubs haben ihren ursprung in der aufklärung. das bürgertum, von königen und fürsten geknechtet, raisonnierte so über die eigene lage. in aller regel traf man sich unter seinesgleichen, und man tagte oder nächtigte unter ausschluss der öffentlichkeit. jacques necker, weiland finanzminister von könig louis xvi., war ein prominenter und den pionieren, der enttäuscht den staatsdienst quittiert hatte, sich in coppet bei genf niederliess und eben diesen republikanischen geist in die schweiz einführte.

seit gestern hat auch bern einen club politique. einer tradition folgend, die sich zwischenzeitlich in vielen europäischen hauptstädten etabliert hat, versammelten sich im schweizerhof politdienstleister aller art zu einem ersten treffen. geladen hatte reto nause, berner gemeinderat, um das politzentrum bern zu profilieren; gekommen war seine „liebe eveline“, unsere finanzministerin, um ausgesprochen kompetent über die zukunft des bankenplatzes schweiz zur referieren. das fatca-abkommen, der us-bankendeal und das bankgeheimnis nach aussen und nach innen waren ihre grossen stichworte. bezogen auf den bankenplatz war widmer-schlumpf zuversichtlich, denn dessen chancen sah sie auch ohne weitreichendes bankgeheimnis intakt. skeptischer gab sie sich bezüglich der innenpolitische lage. die realität der globalisierung sei in den köpfen der meinungsmacherInnen in der schweiz noch nicht angekommen. statt analytisches raisonnement, was nötig und gut für die schweiz sei, herrsche rhetorische polemik und aufregung über personen vor.

die anschliessende diskussion machte eines deutlich: politikerInnen verschiedenster couleur wissen nicht mehr, wer die schweizer wirtschaft vertritt. statt markanten persönlichkeiten, die forderungen stellten und kompromisse schmiedeten, gäbe es heute zahlreiche interessenvertreter, die partikuläre ziele verfolgten, kaum verhandlungsspielräume hätten, und bisweilen unzuverlässige partner in anzustrebenden entscheidungen seien, äusserte eine ex-nationalrat.

eveline widmer-schlumpf wurde noch deutlicher: das politsystem der schweiz basiere auf kompromissen, um nachhaltiges wirtschaften jenseits des politischen kleinkleins zu ermöglichen; diese wiederum sichere politische stabilität wohlstand für alle. dieser grundlegende mechanismus sei jedoch gestört, einmal von aussen mit hartem druck auf die schweiz, sodann von innen mit viel aktivismus ohne orientierung.

victor schmid, kommunikationsberater in bern, der elegant durch die veranstaltung führte, gab mir, ganz unvorbereitet, die möglichkeit zu einem schlusswort: “vertrauen und gemeinschaft” war das mir übetragene thema. spontan kamen mit drei bilder in den sinn; das vom ewr, mit dem die nussschale schweiz aufgebrochen wurde, die ausgelöste verunsicherung gross war und 8 jahre brauchte, bis mit den bilateralen eine neue gemeinsame basis gefunden werden konnte; das vom umbau des bundesrates durch die wahl von christoph blocher statt ruth metzler resp. von eveline widmer-schlumpf anstelle von christoph blocher, was tiefe wunden unter politikerInnen hinterliess; und das von der neuen insel schweiz, die in der globalen brandung stand zu halten versucht, erfolgreich, aber isoliert ist. die beiden ersten bilder standen für mich für verlorenes vertrauen, das dritte für eine neu entstehende gemeinschaft mit mehr unterstützung für die schweiz, ihre institutionen und magistratspersonen, als man sich landläufig erzähle. leistungsseitig würde die föderalistische, direktdemokratische und kollegial geführte schweiz ausserordentliche leistungen hervorbringen, während der medial-parteiische komplex im lande in zyklen den untergang der schweiz prognostiziere.

untergegangen sind, beginnend mit der französischen revolution, zahlreiche der damaligen monarchien. die citoyens und citoyennes, die daran arbeiteten, habe ihre diskreten politischen clubs längst verlassen und bilden die basis der heutigen öffentlichkeit. doch suchen die finanzminister heute wie damals die nähe gleichgesinnter, um sich über den stand der dinge in der welt zu vergewissern. anders als damals ist die heutige diagnose ist nicht revolutionär, aber kritisch; wie damals kommt sie in leisen worten daher, aber grundsätzlich.

davon braucht bern mehr, um im politzentrum der schweiz einen neuen republikanischen geist entstehen zu lassen.

stadtwanderer