trist im morgenrot (bundesratsbild 2009)

“Der Bundesrat entscheidet als Kollegium”, steht im artikel 177 der geltenden bundesverfassung. in die praxis übersetzt heisst das, dass man in der schweizer regierung für alles gemeinsam verantwortung trägt. keine ministerInnen sind unsere bundesräte, und kein ministerpräsidentInnen sind unsere bundespräsidentInnen. meint man.


offizielles bundesratsfoto für das jahr 2009

tempi passati, höre ich unter beobachtern immer wieder. für die einen gehören kollektive auf den scheiterhaufen der geschichte. leadership, führung in den eigenen dossiers, sei inskünftig angesagt. für andere sei der kuschelstil im bundesrat, dem man im ständerat noch nachhange, definitiv vorbei. gefragt sei heute klartext, wie man ihn im nationalrat vertrete. und schliesslich wisses man, dass wir seit neusten einen regierungssprecher haben. doch sei unklar, wessen regierungsprogramm er jeweils verkünden müsse.

in all diese kritischen analysen der verfassung unseres bundesrates passt das offizielle bundesratsfoto für die nächsten 12 monate. schön rot wie die schweizer fahne ist es! viele kreuze hat es im hintergrund! und lauter individuelle sternchen im vordergrund.

hand aufs herz: erklärt das bild einem oder einer jugendlichen, was das kollegialsystem ist? weiss eine ausländerin oder ein ausländer, der das bild auf internet sieht, welchen esprit de corps hier vertreten wird? und ist das für die ganz normalen schweizer bürger und bürgerinnen eine reigerung, die in den stürmen der weltwirtschaft besteht, die der vereinzelung in der gesellschaft gegensteuert, welche die zentrifuge der parteipolitik pariiert?

zweifel sind angebracht. denn die körpersprache ist alles andere als entschlossen. micheline calmy-rey hat die arme zwar gut sichtbar veschränkt, will damit aber nur svp-kapriolen abzuwehren. evelyne widmer-schlumpf hält die hände versteckt, sodass niemand weiss, was sie in der asylpolitik vorhat. doris leuthard wiederum steht händehaltend so verschüpft in der landschaft, als würde sie gerade ein interview zur nicht existierenden wirtschaftskrise geben. pascal couchepin seinerseits hat beide hände am körper angelegtangelegt, als wolle er zeigen, in seinem letzten amtsjahr doch noch ein guter parteisoldat werden zu wollen. das ist moritz leuenberger und ueli maurer wurst, denn sie präsentieren sich einarmig, die rechte resp. linke hand, die sie bei kompromissen im kollegkium ausstrecken müssen, gut versteckt. legerer ist da schon mal der bundespräsident hans-rudolf merz: die rückhand lässt er hinter sich hängen, während die rechte für den kommenden schlag im steuerstreit ansetzt.

rot, füge ich bei, ist eine signalfarbe. die stärkste überhaupt. doch mag ich beim anblick dieses foto kein gemeinsames singal erkennen. selbst die maximale amplitude schwingung im hintergrund wird von diesem kollegium in einer nur nur ministen schlangenlinie in der aufstellung aufgenommen. so bleibt mir nur die schwarze farbe haften, die unsere regierung kleidet. und damit auch der satz: trist im morgenrot des neuen jahres.

prosit alle meinen hoffenden und lesenden – trotzdem!

stadtwanderer

weiterentwicklung unserer identitäten statt kampf der kulturen

erstens kommt es anders und zweitens als man denkt! dennoch will ich auch 2009 weder ideologisch noch beliebig, sondern bewusst, offen und überlegt durch meine gegenwart wandern.


sir karl raymund popper, der philosoph des kritischen gebrauchs der vernunft (mitte) gegen die religiösen fundamentalisten wie osama bin laden (links) und george w. bush (rechts)
Bilder: Werner Horvath

samuel huntingtons kampf der kulturen
da habe ich mich in meinem kommentar zu “auf dem weg zur grossen ökumene” an weihnachten über den weltlehrer aufgeregt, und da stirbt samuel huntington just an diesem abend. symbolträchtiger hätte sein tod nicht sein können. auserechnet der einflussreichste verteidiger der jüdisch-christlichen kultur, er vordenker der weltweit ausgerichteten bush-doktrin, verschied an weihnachten 2008.

huntingtons verdienst war es, an die bedeutung von kulturen erinnert zu haben. das war ein grossen programm, das nicht nur die (sozial)wissenschaften verändert hat, sondern auch unser alltagsdenken. selbst das stadtwandererblog ist letztlich ein ausfluss davon. ich mag mich nicht mehr nur mit schemata auseinandersetzen; ich muss auch geschichten erzählen, die aus dem leben gegriffen sind.

und dennoch ist mein kulturverständnis anders als das des wohl us-politologen. denn in seinem versuch, die strukturalistische vereinseitigung des sozialwissenschaftlichen denken zu überwinden, ist er dem gegenteil, einem eigentlichen kulturalismus verfallen. demnach sind kulturen an sich untereinander so verschieden, dass das trennende das gemeinsame auf jeden fall überwiegt, kulturvermischung letztlich unmöglich und damit auch das politische programm der abgrenzung von kulturen geboren ist.

wer so vorausdenkt, muss sich den vorwurf gefallen lassen, mit der überhöhung der differenz eine der gedanklichen voraussetzungen zu schaffen, die zu den konflikten führt, die man selber untersucht. so wurden huntingtons kampf der kulturen so berühmt, weil er nicht nur eine analyse von zeitphänomenen war, sonst selber zum bestandteil des politischen kampfes zwischen kulturen wurde. dampf der kulturen hätte man huntingtons werk auch nennen können, wenn auch die miliärischen konflikt sieht, die in diesem namen geführt werden. “afghanistan” und “irak” waren für die us-amerikaner grund genug, ihre wirtschaftlichen interessen mit kriegerischen mitteln durchzusetzen, und sich dabei auf die chiffren zu berufen, die der harvard-professor in den 90er jahren entwickelt hatte.

amartyra sen weiterentwicklung der identitäten
es kommt wohl nicht von ungefähr, dass ausgerechnet amartyra sen, ökonom aus bangladesh, ebenso wie huntington professor in harvard und nobelpreisträger, zu den berufenstens kritikern des plakativ propagierten kampfes der kulturen wurde. identitätsfalle nennt er das denken des kollegen und seiner anhängerInnen. sein wichtigster einwand ist, dass kulturen von heute nicht ein-, sondern mehrdimensional seien. jeder versuch, kultur auf ein einziges merkmal reduzieren zu wollen, müsse letztlich scheitern.

das gilt nach sen insbesondere für alle versuche, religion zur einig gültigen basis von kultur machen zu wollen. persönliche glaubensbekenntnisse, die untereinander ausgetauscht werden, sind zwar ein wichtiges element der gemeinschaftsbildung. doch sind sie bei weitem nicht die einzige. ebenso grundlegend sind die technikverständnisse, die den fortschritt von gesellschaften beeinflusst haben, die kunst, mit denen selbstverständnisse von kulturen sicht- oder hörbar kommuniziert werden, aber auch die sprache, die uns genauso innerkulturelle vergewisserung wie auch interkulturellen austausch erlaubt. und man tue doch nicht so, wie wenn es keine kasten, klassen, schichten, geschlechter und generationen gäbe, die uns mitbestimmen. nicht die einseitige definition von identität sei unsere aufgabe, sagt sen, sondern die weiterentwicklung unserer vielen identitäten, zu denen wir fähig sind, soll uns leiten.

gerade vor dem hintergrund des westlichen kulturentwicklung sei auch daran erinnert, dass die freiheit des denkens, aufklärerisches licht in das dunkel der glaubens gebracht und die menschen von traditionen wie der ungleichheit, der überlegenheit und des krieges gewarnt, das grosse projekt der menschen-, nicht der kulturrechte geboren, die demokratisierung der politik, beschränkt auch der gesellschaft und der wirtschaft eingeleitet, die technik in bisher ungeahntem masse entfesselt, den nationalismus und den internationalismus hervorgebracht und die modernen gesellschaften befähigt hat, über sich selber nachzudenken. das alles steht dem kampf der kulturen, wie er in wissenschaft, öffentlichkeit und politik beschworen wird, als mächtige widerlegung entgegen.

stadtwandern heute und morgen

die weiterentwicklung von identitäten jenseits ihrer religiösen fundamente zu pflegen, gehört ganz im sinne von “think global, act local “zu den aufgaben des stadtwanderns auch in der post-huntington ära, die so symbolisch mit dem ende der bush-administration zusammenfällt.

stadtwanderer

alpengewitter in der kathedrale

es blitze und donnerte wie bei einem alpengewitter. doch der stadtwanderer hatte sich nicht in den bergen verirrt. er war auf einladung in der freiburger kathedrale.

françois seydoux in voller aktion (foto: stadtwanderer)

er hätte gerne noch lange über seine orgel berichtet, wäre es gestern nur nicht so kalt gewesen. denn keiner kennt den fribourger orgelbauer aloys mooser und sein imposantes instrument in der kathedrale so gut wie françois seydoux. am institut für musikologie der lokalen universtität ist er assistenzprofessor für orgelmusik. an vielen orten wirkt er als experte für die restauration alter orgeln. und in fribourg ist seydoux der mann, der wie kein anderer alle register ziehen kann.

das macht françois seydoux an diesem abend perfekt zweisprachig für herbert ming, den freiburger korresponenten von radio drs. 60 jahre alt wurde der journalist mit dem unverkennbaren senslerdialekt. 60 gäste hatte er dazu nach fribourg geladen.

das fest selber würde im café du st. gothard (“assiette fribourgeoise”) sein, hiess es auf der einladung, das apéro wiederum bei yvonne lehnheer im espace jean tinguely et niki de saint phalle. doch vorher treffe sich die gesellschaft vor der kathedrale zur exklusiven führung in luftiger höhe durch die kathedrale.

bei der orgel angekommen, setzt sich françois seydoux locker auf die bank, denn zuerst ist beim professor theorie angesagt. erklärt wird den interessierten der spieltisch mit mit den tasten und pedalen. erläutert werden die verschiedenen pfeifenfamilien (“schlank, mittel, bauchig”), die im luftstrom der orgel schwingend ihre töne erzeugen. klangfarben wiederum, führt seydoux aus, erzeugt man durch das ein- und ausschalten der zahllosen register.

doch dann dreht sich der organist wie ein wiesel auf seiner bank, um ganz praktisch in die tasten zu greifen. von lieblich-feinen tönen bis hin zu gewaltig-imposanten entlockt er der prachtsorgel alles, was sie zu bieten hat. zuerst schulbuchmässig in einzelnen tonfolgen, dann in kleinen musikstücken, die er passend zur weihnachtszeit ausgesucht hat.

dazwischen macht wirbt der organist mit der geschichte des instruments, die er in- und auswendig kennt. in den 1820er jahren habe der blitz in den kirchturm eingeschlagen und die alte orgel zerstört, beginnt er. aloys mooser, der bekannte orgelbauer gleich um die ecke des münsters, habe den auftrag bekommen, eine neue zu bauen, fährt der erzähler fort. problemlos sei das nicht verlaufen, berichteten die akten, denn der künstler und der staat hätten mehrfach unterschiedliche vorstellungen gehabt. 1834 sei die orgel, die im in- und ausland keinen vergleich zu scheuen hat, endlich fertiggestellt worden. das wunderding lockte in der folge zahlreiche musiker der epoche wie franz liszt, der berühmste pianist der romantik, an, nach fribourg zu kommen.

gestern abend hatte es wiederum zahlreiche wohlklingende namen auf der empore, wenn auch keine musiker. gekommen waren vor allem journalistInnen, die meisten bekannt als korresponedentInnen und redaktorInnen von radio drs. aber auch wegbegleiterInnen des jubilars, von der familie bis zu stadtpräsidentinnen, waren da, um den orgeltönen zu lauschen.

francois seydoux wusste – gott sei dank! – um die kälte im gotteshaus. und so fasste er sich schon nach einer lektion ein herz, um sein publikum in der kathedrale untern platz nehmen zu lassen, und die “scènes pastorales et orage dans les alpes” von charles blanchet so über die gäste zu ergiessen, dass einem die töne und klänge, melodien und kracher nur so durch mark und bein, aber auch herz und gemüt gingen.

stadtwanderer

die vielfalt des glaubens – berns religiöse gemeinschaften porträtiert

der kanton bern hat ein neues handbuch. eines zu den religiösen gemeinschaften auf seinem territorium. ein später, dafür gründlicher sprung zum universellen religionsverständnis der aufklärung ist damit im reformierten bern entstanden. ein überaus spannend zu lesendes werk zur lokalen soziologie darüber hinaus.

portal des berner münsters, von bernischen katholiken gemacht, für bernische refomierte der himmel. nur eines der vielen beispiele für die vielfalt des religiösen lebens im kanton bern.

alles fängt so an: “Als akademische Disziplin ist die Religionswissenschaft wissenschaftlichen Grundsätzen verpflichtet und kann sich also nur mit denjenigen Dingen sinnvoll beschäftigen, die mit wissenschaftlichen Methoden zugänglich sind (…).”

es gehört zu den leistungen der europäischen aufklärung, die basis geschaffen zu haben, sich mit religion beschäftigen zu können, ohne die frage nach dem richtigen oder falschen glauben zu stellen. religionen können einen interessieren, ohne in bestimmter hinsicht gläubig zu sein. vielmehr beschäftigt man sich dabei mit religionen, um sie als produkte der menschlichen kultur zu verstehen, um die bedingungen ihrer entstehung, die voraussetzungen ihres wandels und ihre möglichkeiten und grenzen kennen zu lernen.

ohne den vergleich der religiösen gemeinschaften kann ein solches vorhaben nicht eingelöst werden. deshalb bleibt stefan rademacher nicht bei der theorie der religionswissenschft steht. vielmehr hat er eine ausgezeichnete religionskunde des kantons bern erarbeitete. erschienen ist das werk vor kurzem unter dem titel “Religiöse Gemeinschaften im Kanton Bern” verfasst. entstanden ist es an der universität bern, wo es seit 2005 den studiengang “Religious Studies” mit entsprechender ausrichtung gibt.

die 650 seiten des handbuches behandeln buddhismus, christentum, indische religionen, islam und judentum, soweit sie heute im kanton bern exstieren. in jede religionsgemeinschaft wird behutsam eingeführt, bevor die wichtigsten strömungen dargestellt werden. wer sich über tibetanischen buddhismus, orthodoxe ostkirchen, sikhismus, sunniten und schiiten gerafft und zuverlässig informieren will, wird hier bestens bedient. und wer meint, die christlichen landeskirchen im kanton bern zu kennen, staunt bisweilen, wenn er oder sie beim nachlesen auf eine vielzahl lokaler eigenheiten im protestantischen und katholischen christentum stösst. damit nicht genug! ausführlich stöberten die autorInnen des handbuches nach neuen religiösen und spirtuellen in esoterik, parapsychologie und theosophie, und geben sie überblicke über neuheidnische naturreligionen oder ufo- und yoga-szenen.

noch nicht interessiert? dann lese man nach, was das “diakonissenhaus in bern” heute alles leistet, wer die “jesus freaks” sind, was die “namenlosen” glauben, was die anhänger von “kyrill und methodius” in bern machen, wie man am “self-realization fellowship” meditiert, qui participe au “centre islamique salah” und ob es die “gralsbewegung” in bern gibt.

die kapitel hierzu wurden mit jeweiligen exponentInnen entwickelt und von ihnen auch gegengelesen. entstanden sind so zahlreiche, gut lesbare kurzporträts zu geschichte und gegenwart, zu repräsentativen orten und personen der religionsgemeinschaften sie erschliessen den lesenden eine vielfalt des kulturellen lebens, die man häufig erahnt, aber nicht erfassen kannt. sie zeigen, dass gloablisierung, migration, medienvielfalt und individuelle suche nach weis- und wahrheiten, die basis des religiösen lebens im reformierten bern nachhaltig verändert haben. gelungen ist mit dem handbuch ein sprung zu einer universelleren theologie, die gleichzeitig etwas vom feinsten in sachen bernischer lokalsoziologie ist.

wie gesagt: wer eine bestätigung seines glaubens in diesem handbuch sucht, findet sie nicht. wer meint, religionen seien nur menschliche fantasmen, wird auch enttäuscht werden. wer aber wissen will was religionswissenschaft ist, die sich mit “denjenigen Dingen beschäftigt, die mit wissenschaftlichen Methoden zugänglich sind”, wird seitenlang nur staunen.

stadtwanderer

Stefan Rademacher: Religiöse Gemeinschaften im Kanton Bern. Ein Handbuch. Bern 2008.

auf dem weg zur grossen ökumene

einst meinte katholisch die gesamte christliche kirche. mit der reformation spaltete sich diese unwiderruflich. immerhin brachte die ökumene der nachkriegszeit des 20. jahrhunderts eine annäherung der grossen christlichen gemeinschaften. dabei wird der begriff der ökumene nicht mehr nur für die kleine, innerchristliche verständigung, sondern auch für die grosse, interreligiöse annäherung verwendet.

12 prozent der menschen im kanton bern sind keiner religionsgemeinschaft zugehörig. 83 zählen zu christlichen kirchen, 5 prozent zu nichtchristlichen. die reformierte landeskirche ist mit 67 prozent die grösste, gefolgt von der römisch-katholischen mit 15 prozent. christkatholische und orthodoxe kichemitglieder kommen deutlich weniger vor. muslime wiederum sind die grösste gemeinschaft unter den nicht-christlichen religionen; sie machen annähernd 3 prozent der menschen im kanton aus. hinzu kommen juden un judinnen, buddhistInnen und hinduistInnen.

pluralisierung und individualisierung
die grössen veränderungen der letzten jahre haben zwei verschiedene ursachen: die migration haben zur pluralisierung der gesellschaft beigetragen. im kanton bern leben heute menschen aus 167 nationen; sie sprechen etwas halb so viele verschiedene sprachen. und sie haben den anteil angehöriger nicht-christlicher gemeinschaften ansteigen lassen, denn die aufnahmefähigkeit neuer menschen mit anderen lebenshintergründen resp. deren aufnahmewill in eine landeskirche sind beschränkt.

das hat auch mit der individualisierung der lebensweisen der angehörigen christlicher gemeinschaften zu tun. die geburtenraten sind hier rückläufig; familienformen wiederum werden vielfältiger. kirchenaustritte haben stark zugenommen, zwischen reformierter landeskirche und freikirchen gibt es zahlreiche übergänge, und religiosität resp. spiritualität werden ausserhalb von christlichen kirchen und gemeinschaften gesucht und gefunden.

haus der religionen: bern als pionier

in städischen gebieten sind die trends zur pluralisierung und individualisierung des religösen lebens stärker ausgeprägt als in ländlichen. in bern und biel ist die vielfalt der lebensformen, gemeinschaften und kirchen deutlich grösser. von hier aus geht denn auch die suche nach der neuen ökumene. weil mission kaum mehr vorkommt, kirchenübertritte eine folge individueller entscheidungen sind, besteht eine wichtige voraussetzung dazu. man ist nicht konkurrent untereinder, sondern entwickelt sich zum partner im gesellschaftlichen leben.

das geplante haus der religionen am europaplatz in bern-ausserholligen ist wohl das bedeutendste projekt des interreligiösen austausches in bern. die stadt bern nimmt damit im dialog der kulturen eine prionierstellung in der region, in der schweiz und darüber hinaus ein. 1993 aus dem runden tisch zwischen reformierten und katholiken entstanden, seither in vielerlei hinsicht erweitert, entwickelt dieses projekt schon jetzt zahlreiche aktivitäten. die nacht der religionen vor wenigen wochen war der bisherige höhepunkt in dieser hinsicht.

von der kleinen zur grossen ökumene?
all diese zeichen werfen eine frage auf: bewegen wir uns hin auf eine grosse ökumene in einer pluralisierter kirchenlandschaft? nicht nur weil weihnachten ist, interessiert mich diese perspektive.

stadtwanderer

bern erleuchtet

es war die längste nacht des jahres. gerade richtig, um die neue website www.bernerleuchtet.ch zu lancieren.

impression von der gestrigen gut besuchten vernissage zur website www.bernerleuchtet.ch

1814 wurde london als erste europäische stadt im grossen masse erleuchtet. gaslampen wurden eingesetzt, um die innenstadt an der themse zu erhellen. bald schon folgten paris und berlin. in der schweiz war bern erste stadt, die 1843 nachzog. vor genf, vor basel und vor zürich.

wäre es nach willen des gemeinderates gegangen, hätten die wenigen privat betriebenen oellampen, die man seit rund 100 jahren hatte, genügt. man scheute die kosten, die die investition ins gas mit sich bringen würde. doch die gemeindeversammlung, mit dem neuen gemeindegesetz aus den 1830er jahren erwacht, setzte die prioritäten anders. sie verlangt, die sicherheit der einwohner zu erhöhen, die übersicht in den gassen zu verbessern, und dem fortschritt des lebens zu folgen.

den zusammenhang von technik und gesellschaft zu erhellen, ist die absicht der neuen website www.bernerleuchtet.ch, die gestern nacht ans web ging. initiantin ist die berner soziologin rosalina battiston. tatkräftig unterstützt wurde sie von trudi von fischer und marianne suter. gemeinsam hat das frauenteam die geschichte des gaslichts in bern aufgearbeitet, die relikte aus vergangenen nächten wunderbar fotografiert und das ganze mit lampenplänen aus dem elektrizitätswerk der stadt bern unterlegt. aus alle dem haben die drei eine tolle website gestaltet.

man wünscht sich, dass der hier aufgenommene gedanke weiter entwickelt wird. wie das licht der nacht unsere wahrnehmung der städte verändert hat und wie es sich auf die vögel und anderen tiere auswirkt. licht als schutz, licht als schmutz ist ja gerade heute wieder eines der bewegenden themen.

im französischen nennt man die aufklärung le siècle des lumières. sie bereitete unsere sichweise auf die welt neu, entmystifzierte ihren zauber, rationalisierte aber auch unsere ängste mit ihr. der aufklärung folgten die bürgerlichen revolutionen, die bürgerlichen revolutionen wiederum brachten das licht der nacht.

frei nach immanuell kant könnte man sagen: das licht der nacht ist das heraustreten des menschen aus seiner selbstverschuldeten dunkelheit … in die selbsterzeugte helligkeit.

stadtwanderer

was die stadtwanderer 2008 bewegte

es ist definitiv zeit für jahresrückblicke. auch beim stadtwanderer. was hat seine leserschaft im vergangen jahr bewegt? google analytics gibt unbestechliche auskünfte. zwar verwende ich dieses tool noch nicht seit anfang jahr, aber seit mitte april. und so können die aufrufziffern aller beiträge seither miteinander eruiert werden.

nur wer dauernd einen schritt vor alle andern setzt, geht voraus (stadtwanderer-motto)

wer hätte das gedacht: ich bin an der euro, warte vor der toilette und sinniere über die geschichte der nationalhymne. der beitrag, der so entsteht, ist der meistgelesene auf dem stadtwandererblog 2008.

das verdanke ich einer guten platzierung auf google. so wird der besagte artikel fast täglich nachgeschlagen. am meisten sofort eingefahren ist der beitrag über den 18. oktober 2008. der kommentar zur staatshilfe an die ubs, um die ramschpapiere aus der bilanz auszugliedern, wird mehr als 300 mal in den ersten 24 stunden aufgerufen. die besten beschreibung einer führung betrifft mein rundgang durch das historische museum am gedenktag der murtenschlacht. deren re-inszenierung, hat sich auf dem blog mehrfach ausbezahlt. gut angekomment ist schiesslich auch die debatte über metrobern. sie wurde immer wieder aufgegriffen, und genau mitverfolgt. genauso, wie mein fiktiven wanderungen in den usa während den amerikanischen präsidentschaftwahlen!

die übersicht über die top-twenty-beiträge des jahres 2008 findet sich hier:

1. die merkwürdige geschichte der schweizer nationalhymne 821
2. rückblick auf den 22. juni 1476 726
3. kurt imhof über qualität in der öffentlichkeit 725
4. was nur geht bei einem botellon ab 720
5. im namen der freiheit 715
6. meine morgige rede vor der burgunderausstellung 660
7. aufruf zu metrobern 655
8. my westside story 650
9. ramschpapier 580
10. bern grollt 576
11. wahre lügen 535
12. was eigentlich ist ein blog 532
13. die überraschende kulturgeschichte der farbe orange 516
14. wenn zeitalter sterben 510
15. berner weltkulturerbe im banne der lokalpolitik480
16. i have to say sorry 472
17. die neue dynamik der städteregionen auch in bern entfachen 450
18. politische kultur auf dem bundesplatz 447
19. undemokratisch?422
20. (k)ein witz 420

besten dank für das unverändert hohe interesse, sagt der

stadtwanderer

“in der realität angekommen”

“Rettungspaket” sei das schweizer wort des jahres, sagt die germanistInnen-jury. ich halte dagegen: für mich wäre “in der realität angekommen” die formel 2008.

der 16. oktober 2008 hatte es in sich. der bundesrat verkündete, der grössten “schweizer” bank, der ubs, mit einer finanzspritze helfen zu müssen. 60 milliarden ramschpapier wollte man in eine auffanggesellschaft auslagern, um die bilanz, namentlich im investmentbanking, zu verbessern. 6 milliarden hätte die ubs miteinschiessen können, um die interessen zu parallelisieren. doch war sie dazu nicht mehr in der lage, sodass der staat die summe bürgen und die nationalbank den grosskredit leisten musste. ausgerechnet die grossbank ubs musste damit staatshilfe akzeptieren! der globalste player der schweiz braucht die lokalste versicherung. “to big to fail”, war die offiziöse begründung. der volkswirtschaftliche schaden wäre grösser gewesen, als das risiko, das so minimiert wurde. dabei kam die ubs im weltweiten vergleich nicht gut weg. verbindliche auflagen an die geschäfts- und lohnpolitik der bank wollte das schweizerische parlament nicht an das rettungspaket knüpfen. immerhin krempelte die ubs ihr bonus-system in ein bonus-malus system um.

in diesen sätzen steckt viel, was das jahr 2008 geprägt hat. und so erscheint es richtig, dass ein wort daraus hervorgehoben wird. es hätte aber auch ein anderes sein können. “ramschpapier”, ja “schrottpapier” war für mich ebenso neu. “staatshilfe” wieder feierte seine wiederauferstehung, und zeigt, wie zwiespältig das verhältnis der staatskritischen internationalen gesellschaften im notfall zum staat des heimatmarktes ist. “tobig to fail” kannte man zwar schon länger, doch hätte ich es auch ganz oben auf der liste der jahreswörter 2008 gehabt.

mein eigentlicher favorit wäre gewesen: “in der realität angekommen”. das macht nur sinn, wenn man sich ausserhalb der realität bewegt. und genau das ist in der finanzwelt der fall. diese ist kein abbild der realität mehr, sondern fiktion. diese entsteht durch das interessen, konstituiert sich durch subjektivität und wird gestützt, weil es sich in ihr gut lebt. wenigstens vorübergehend, denn die seifenblasen platzen, wenn sie mit der mit der festen realität in berührung kommen.

leben heisst demnach heute, sich mit der konstruktion von seifenblasen kritisch auseinanderzusetzen, nicht deren reproduktion durch rettungspakete zu ermöglichen.

um zu vermeiden, dass die formel “in der realität angekommen” nicht zur chiffre des 21. jahrhunderts wird.

stadtwanderer

zürich und die schweiz

bruno fritzsche, mein früherer professor für wirtschafts- und sozialgeschichte, hat für die 50 jahr-feier der raumplanung zürich und umgebung einen interessanten essay zum verhältnis von zürich und der schweiz geschrieben. darin hält er fest, dass die stadt bis 1830 eine ganz durchschnittliche position in der eidgenossenschaft einnahm. danach setzte der sturmlauf an die spitze alle schweizer städte ein. begründet durch die vorteile aus der beschleunigten mobilität. und so frage ich aus aktuellem anlass, ob das heute noch der grund ist für die starke stellung der limmatstadt.

die veränderung habe mit der mobilität und ihrer infrastrukturellen förderung angefangen. “Mittel dazu war das revolutionäre Verkehrsmittel der Eisenbahn, welche den bisherigen Raumwiderstand pulverisierte.” mit der geschwindigkeit verringerte sich die distanz und es nahm die raumintegration sprunghaft zu.

zürich setzte damals gegen bern, das die staatsbahn wollte, das privatbahnkonzept durch, und gewann, so der historiker fritzsche, “einige wenige, aber entscheidende Jahre Vorsprung”. gegenüber rivalisierenden städten wie basel, st. gallen, lausanne und genf habe zürich zudem den vorteil der zentralen lage nutzen können. “Bern dagegen, das noch günstiger lag, verhielt sich in der eisenbahnfrage merkwürdig passiv.” der sprung vom führenden strassen- zum führenden eisenbahnbauer gelang bern nicht.

als die privatbahnen nicht mehr rentierten, übernahm zur jahrhundertwende der bund das meiste. poltisch war das eine par force leistung und führte zur integration der früher verfeindeten fdp und kk. dafür flossen öffentliche gelder aus allen regionen in alle regionen.

denkt man! mit den worten aus dem jubiläumsbroschüre der RZU im gedächtnis, habe ich heute morgen mit dem röschtigraber die tageszeitungen durchgeblättert. eine grafik in der nzz fiel uns beiden auf. es ging um die neuen infrastrukturprojekte, die bei den eisenbahnen mit bundesgeldern gefördert werden sollen. und so werden die räume mit bundesgeldern alimentiert:

metrozürich: 2,64 milliarden chf
hauptstadtregion: 0,58 milliarden chf
metrobasel: 0,47 milliarden chf
städtenetz tessin: 0,41 milliarden chf
metrogenf: 0,41 milliarden chf
städtenetz st. gallen: 0,24 milliarden chf

sicher, das beispiel ist herausgegriffen. doch es ist das aktuellste beispiel für die laufende kontroverse.

als das belegt es, dass bern auch als hauptstadtregion nicht einfach schlechter gestellt wird, gegenüber bern, basel und genf. doch diese räume alle nur 2. wahl. und so fragt man sich, was die wirtschafts- und sozialhistorikerInnen in 50 jahren über die zusammenhänge von mobilität, infrastruktur, metropolregionen schreiben werden, wenn es dann um 100 jahre raumplanung “zürich und umgebung” gehen wird?

stadtwanderer

quelle:
zürich und die schweiz. essay von bruno fritzsche, mit kommentaren von iwan rickenbacher und claude longchamp, raumplanung zürich und umgebung, zürich 2008
nzz von heute

bundesrat: “bern ist hauptstadtregion, kein metropolitanraum”

der bundesrat stellt sich hinter die eigenen raumplaner, die bern nicht als metropolitanraum, aber als hauptstadtregion eingestuft haben. in der kurzen begründung auf eine interpellation des stadtberner fdp-nationalrates christian wasserfallen hält er fest: diese einteilung komme «der Realität am nächsten».

symtomatisch: das hotel metropol in bern trägt einen neuen namen. und die stadt selber wird wohl keine schweizerische metropolregion.

aus bundesrätlicher sicht ist bern weder mit zürich-basel, noch mit genf-lausanne vergleichbar. das schwergewicht liege bei der nationalen politik, nicht bei der globalen vernetzung ökonomischer natur.

das heisst nach bundesrätlicher sicht nicht, dass man die hauptstadtregion bei der subventionierung wichtiger bauvorhaben zurückstufen werde. man habe kein interesse, die eigene hauptstadt von der übergeordneten entwicklung auszuschliessen: “Die Verwendung der Mittel werde sich aber nach den Bestimmungen in den verschiedenen Spezialgesetzen richten.”

damit blockiert die bundesregierung die absicht der kantonsregierung, die grossregion bern zu einem metropolitanregion aufzuwerten. natürlich ist das schade, irgendwo aber auch nachvollziehbar: denn der kanton bern wird in diesem prozess lernen müssen, proaktiver zu handeln und die umliegenden kantone besser einzubeziehen.

nicht verdriessen lassen will sich die stadt bern. sie kämpft für eine gleistellung ihrer stadt mit basel. der bundesrat lässt da eine kleine türe offen. der raumbericht werde erst 2009 in seine definitive form gebracht. bis dann kann man mit guten argumenten lobbyieren.

werde schauen, dass das thema weder im schnee von heute versinkt, noch zum schnee von gestern wird.

stadtwanderer

frage an radio stadtwanderer: was ist konkordanz?

ate, unsere fleissige kommentatorin, will wissen, was man eigentlich unter konkordanz versteht. radio stadtwanderer antwortet: der begriff der konkordanz wird vielfältig verwendet. er hat theologische, soziologische und politologische bedeutungen. eine historisch ausgerichtete auslegeordnung, um die verständnisse zu schärfen.


trotz zahlreicher bruchlinien quer durch das land die schweiz stets von neuem zusammenführen ist die hauptaufgabe der helvetischen konkordanzpolitik

der ursprung des begriffs
der zerfall der einheit der katholischen kirche erschütterte die welt des 16. jahrhunderts schwer. reformatoren traten in vielen städten auf, prostestaktionen formierten sich im kaiserreich, kirche und gesellschaft spalteten sich in bisher unbekanntem masse. mit der gegenreformation versuchte die katholische kirche ihren führungsanspruch wieder einzulösen, und löste damit die erste konkordanzbewegung aus. verschiedene der reformierten stadttheokratien, die sich durch abgrenzung gegenüber dem umland definiert hatten, suchten jetzt untereinander nach übereinstimmungen in ihrer neuen religion.

bekanntlich gelang das zwischen calvinisten und lutheranern nicht. in der schweiz näherten sich die verschiedenen glaubengemeinschaften in zürich, bern und basel in der mitte des 16. jahrhundert an, was man als geburtsstunde der helvetischen konkordanz bezeichnen kann.

die begriffsverwendung in der schweiz
seither wird der begriff insbesondere der schweiz regelmässig verwendet, um das verhalten zu charakterisieren, das bestrebt ist, tiefgreifende sozialen spaltungen zu überwinden, welche die einheit des landes gefährden könnten. konkordantes verhalten suchte man in der aufklärung zwischen den verfeindeten konfessionen, seit der helvetischen republik auch zwischen den sprachregionen. konkordanz setzt nicht das aufgehen in einer neuen kultur voraus, minimal aber die suche nach verständnis für einander, die durch bewusste formen der elitekooperation vertieft und verstärkt wird.

bis ins 20. jahrhunderts hinein war die begriffsverwendung gesellschaftlich, wurde danach aber zunehmend auch in die politik eingeführt, um die teilung zwischen dem regierenden bürgerlichen lager und dem oppositionellen sozialistischen zu überwinden. während des generalstreiks 1918 stand man einander verfeindet gegegenüber und setzte die mehrheit das militär gegen minderheit ein. angesichts der bedrohung von aussen suchte man seit mitte der 30er jahren jedoch eine annäherung. es entstand die sozialpartnerschaft zwischen arbeitgebern und arbeitnehmern, und es formierte sich das system der integration alle grossen parteien in die bundes-, teilweise auch kantons- und stadtregierungen.

bundesratszusammensetzung und konkordanz
höchster ausdruck der konkordanten politik war die geburt der zauberformel 1959. sie brachte die verbindliche beteiligung der sp im bundesrat. vorausgegangen waren der abschied vom klassenkampf und die anerkennung der landesverteidigung durch die linke, während die bürgerlichen parteien auf sozialpolitische forderungen eintraten. der antikommunismus dere 50er jahren erleichterte das. er förderte auch die ausrichtung am konsens, demnach immer alle für alles eintreten müssten. ungelöst blieb dabei die frage nach den politischen rechten der frauen in der konkordanten politik.

das parlament behielt sich seit beginn der zauberformel vor, jenseits der numerisch bestimmten sitzverteilung im bundesrat die personenauswahl selber vorzunehmen. so wurde 1959 nicht der sp-präsident und schaffhauser nationalrat walter bringolf bundesrat, sondern der basler rechtsprofessor hans-peter tschudi. in der folge wurden mehrfach offizielle bundesratskandidaten von der bundesversammlung nicht gewählt; seit 2003 werden auch bestehende mitglieder nicht-wiedergewählt.



bundesratswahlen und konkordanz

in den 90er jahren veränderten sich die parteistärken angesichts neuer bewegungen und polarisierungen in bisher ungekanntem masse, was zu einer neuformulierung der konkordanzregeln führte. parallel dazu verringerte sich das gewicht von fdp und cvp im zentrum; es erstarkten sp und svp, die weniger gut integriert waren. als erstes fiel die ausrichtung am konsens. er wurde durch das konzept der variablen mehrheiten (3 bundesratsparteien, abwechslungsweise ohne sp oder svp müssen zustimmen) ersetzt.

1993 entwickelte sich die bisher schwerste krise, indem der sozialdemokrat francis matthey statt der offiziellen sp-kandidatin christiane brunner zum bundesrat gewählt wurde. auf druck seiner partei lehnte er die wahl nach bedenkzeit jedoch ab, und die sp legt der bundesversammlung eine zweiernomination vor, aus der ruth dreifuss als neue bundesrätin und erste bundespräsidentin der schweiz hervor ging.

2003 wurde auf druck der svp das wahlverfahren für die svp geändert. inhaltliche anforderungen an die bundesratszugehörigkeit wurden zugunsten der arithmetischen konkordanz aufgegeben. demnach bestimmt einzig die parteistärke die bundesratszusammensetzung. die svp nominierte 2003 auch nur einen kandidaten, christoph blocher. nach vierjähriger amtszeit wurde er 2007 als bundesrat nicht wieder gewählt. in der folge führte die svp eine ausschlussklausel in ihre statuten ein, um die wahl nicht genehmer bundeesräte zu verhindern, während im parlament eine diskussion entstand, die rein arithmetische konkordanz durch inhaltliche anforderungen neu zu bestimmen.

bei den letzten bundesratswahlen 2008 nomierte die svp-fraktion nach anfänglichen widerständen erstmals wieder zwei offizielle kandidaten, bestand aber hartnäckig darauf, dass einer der beiden gewählt werden müsse. in der wahl setzte sich schliesslich ueli maurer mit einer stimme vorsprung auf den inoffiziellen kandidaten hansjörg walter durch.

gegenwart der konkordanz

die meisten kommentatoren bezeichneten das als prinzipielle rückkehr zur konkordanz auf bundesebene. vollauf gewährleistet ist sie aber mit der jetzigen 5-parteien-regierung weder in arithmetischer hinsicht. noch ist sie politisch gewährleistet.

die meisten politikwissenschafter schliessen sich diesem urteil mit abstrichen an. betont wird in der regel, dass schweiz aber kein musterfall der konsensdemokratie mehr sei, sondern ein normalfall einer verhandlungsdemokratie. angesichts des stark föderalistischen charakters, der hohen bedeutung des exekutivsystems in der praxis und der ausgebauten direkten demokratie wird ein übergang zu einem mehrheits-/minderheitssystem für nicht sinnvoll angesehen. wie weit aber die politische kultur der politischen und meinungsbildenden eliten heute noch der konkordant ist, bleibt umstritten.

radio stadtwanderer

fake im historischen lexikon der schweiz

der grosserfolg von wikipedia im internet zeigt: es gibt viel mehr leute als man meint, die gut und gerne lexikonartikel schreiben. das eine stimmt, was da steht, das andere ist erfunden. doch das meiste davon wird bald aufgedeckt. jetzt wirkt dem besten fake gar, in die hall of fame der schweiz aufgenommen zu werden.


das 12bändige lexikon erhält der oder die beste schweizermacherIn geschenkt

der aufruf
das hochseriöse standardwerk zu persönlichkeit in der schweizer geschichte, das historische lexikon der schweiz, schreibt, patroniert vom “bund”, einen wettbewerb aus. wer über die feiertage musse findet, um so richtig in sich zu gehen, kann seiner fantasie freien lauf lassen. denn gesucht werden die besten kurzbiografien von personen aus der schweiz, die nie gelebt haben.

meine leserschaft kennt das ja. ich hatte mal den beststeller “die 101 enflussreichsten personen, die es nie gab” besprochen. der artikel war selber ein renner. in der folge entwickelte sich auch eine reichhaltige debatte über realität und virtualität, abbild und vorbild sowie über erfahrbares und imaginiertes. ate war bei diesem thema wieder mal so richtig in fahrt.

wer nun beim wettbewerb zum berühmtesten schweizer, zur berühmtesten schweizerin, der oder die nie gelebt hat, mitmachen will, muss sich an einige formalien halten. 1375 zeichen sind das maximum, die man einsenden darf. name, vorname, biografische daten, werdegang und leistung sowie würdigung und literatur müssen erfunden sein. einsendeschluss ist der 16. januar 2009. die besten artikel werden an der berner museaumsnacht vom 29. märz 2009 vorgestellt. und, das ist der clou: der allerbeste wird ins historische lexikon der schweiz aufgenommen!

history fiction

also, geht hin, erfindet die schweiz und ihre unverwechselbaren menschen neu.

stellt euch einen burgundischen, alemannischen oder langobardischen einwanderer vor, den man noch nicht kennt! berichtet über jüdische und mohamendanische händler, die hierzulande “vergessen” gingen. erzählt die vita berühmter klosterfrauen, welche hildegard von bingen in den schatten stellen!
erfindet stadtgründer, deren städte es lide nicht mehr gibt, berichtet von freiheitsliebenden bauern, wackeren söldnern, beamteten freudenmädchen, betrunkenen gauklern an märkten, die spätmittelalterliche geschichte schrieben! lasst bisher unbekannte frauen von reformatoren das licht der welt erblicken! idealisiert bürgerliche chrampfer, imaginé des patriciennes des lettres oder franzosenfreundliche revolutionäre aus uri, gelehrte ausländer an der züricher, berner oder genfer universität, die nobelpreise erhielten! lasst endlich mutige staatengründer auferstehen, bankrotte unternehmer in der “wirtschaft” einen trinken, bisher namenlose arbeiter rote fahnen schwingen, fahnenflüchtige in den weltkriegen in alle welt abhauen! gebt durchschnittlichen konsumkindern, die brav werbung schauen, einen namen, oder propagiert das leben der ausserordentlichen blumenkinder , die nackt für ein politisches amt kandidierten! ja, selbst 7 serbokroatinnen oder 7 svp-ler, die im alternanzsystem abwechslungsweise im bundesrat sind, können als vorlagen für die gesuchte history fiction dienen!

oder schreibt endlich die wahrhaft erfundene geschichte von wilhelm tell. dann gewinnt ihr den wettbewerb zur history fiction switzerland ganz sicher!

stadtwanderer

(k)ein witz

samstag morgen. zeit zum einkaufen beim biobauer pesche aeschlimann in uettligen. und damit auch zeit, einen wie immer träfen wochenrückblick abzuhalten.


ort des wochenrückblick am 13. dezember 2008 (foto: stadtwanderer)

von beruf biobauer, für den erwerb chauffeur, und für das gemüt verkäufer in seinem hofeigenen laden, empfängt uns pesche wie immer gut aufgelegt. heute sind wir zwischen nüsseler-salat, sesam-brot und weihnachts-güetzi aus dem eigenen haus schnell beim witze-erzählen.

“in lützelflüe haben man bei archäologischen ausgrabungen eine sensationelle entdeckung gemacht”, erzählt pesche. “in der erde begraben haben man eine dritte gotthelf-verfilmung gefunden. nach ueli der knecht und ueli der bauer gibt es jetzt auch ueli der maurer.”

das erinnert mich an meine erste vorlesung an der uni bern, die dem “politischen witz” gewidmet war. natürlich ging es vornehmlich um den legendären bgb-bundesrat ruedi minger. der bauer im bundesrat, der selber gerne witze machte, wurde ja selber zu einer der beliebten witzfiguren.

dazu ein witz von damals: “als emd-chef reorganisiert minger die armee. eine brigade wird ihm direkt unterstellt. der berner volksmund hat dafür sofort einen namen: d’armee hät e brigade minger!”

natürlich versteht man das nur richtig, wenn man berndeutsch kann. denn “brigade minger” heisst sowohl “eine brigade, angeführt von minger” wie auch “eine brigade weniger”: ausgerechnet der svp-bundesrat als armeeabbauer!

doch unsere veranstaltung blieb nicht beim witze erzählen stehen. unvergessen ist mir seither das witz-verständnis von sigmund freud: demnach schafft der witz eine emotionale gemeinschaft. mit dem lachen solidarisiert man sich mit dem witze-erzähler. und grenzt sich gegenüber dem ausgelachten ab. gerade deshalb sind witze über autoritäten so beliebt. das spielende urteilen zeigt, was sich ohne ausgesprochen zu werden abspielt, wenn man krampfhaft ernsthaft sein muss.

den ersten witz zu ueli maurer in der blogosphäre habe ich, kein witz!, auf dem sonst so humorlosen “winkelried” gefunden. da wurde gestern schon prophezeit, “die linke” werde jetzt bundesrat-maurer-witze erfinden, um ihn schlecht zumachen. selber ist man zwar nicht links, aber noch schneller im witze erzählen als der “böfei”. kostprobe einer rechten pointe voller hoffnungen:

“Leuthard ist empört, dass ihr das VBS nicht mehr den Helikopter zur Verfügung stellt. Sie geht zu Ueli Maurers Büro, reisst die Türe auf … am Tisch sitzt Christoph Blocher.”

stadtwanderer

farben in der politik sind projektionen

grau dominierte am tag der bundesratswahlen den bundesplatz. auf dem boden lag verschmutzer schnee. das bundeshaus war graugrünbraun. und der himmel zeigte sich verhangen. doch radio drs lud den stadtwanderer ein, über farben in der parteienlandschaft zu sprechen. hier mein thesenblatt aus der vorbereitung als öffentlicher spikzettel.

bern bundesplatz während der bundesratswahl vom 10. dezember 2008 (foto: stadtwanderer)

politische parteien im modernen sinne entstehen als bewegungen aus den bürgerlichen revolutionen zwischen 1798 und 1848. farben dienen seither der identifikation von gesinnung in der öffentlichkeit. in der heutigen gesellschaft ist die eindeutige zuordnung von farben und politischen gesinnung jedoch individualistisch augelöst worden.

. rot ist die erste eigentliche farbe, die eine politische haltung ausdrückt. sie war die farbe der hüte, welche die gefangenen auf den galeeren trugen, die sich mit der französischen revolution emanzipierten. rot steht seit der mitte des 19. jahrhundert für sozialismus. ausser in den usa, wo es die farbe der republikaner ist (und von sarah palins kleidern war, bekanntlich keine sozialistin). die verbreitete einheitlichkeit der farbe rot hat mit der internationalistischen ausrichtung sozialistischer (und kommunistischer) parteien zu tun.

. schwarz hat parteipolitisch einen halbhistorischen parteienhintergrund. es ist die farbe des klerus’, der katholischen parteien. doch schwarz war auch die farbe der italienischen faschisten. und schwarz ist auch die farbe der anarchisten. die haben mit krichen nichts am hut. ja selbst der schwarzen block, der im schweizerischen wahlkampf 2007 eine zentrale rolle spielte, symbolisierte mit der farbe als gegengesinnung.

. viele der modernen parteifarben verraten marketingabsichten. typisch dafür sind die farben der cvp. um sich vom katholischen hintergrund abzukoppeln, wählte anfangs des 21. jahrhunderts eine neue farbe. orange ist ist frisch, aber nicht allen sympathisch. seit 2007 wird es in der cvp-wahlwerbung mit blau durchbrochen. und sieht da. 2003 verlor die cvp, 2007 gewann sie!

. blau ist die eigentliche farbe des friedens. und wieder der amerikanischen demokraten, obama sei dank! aber auch des freistaatlichen bayerns. und der freisinnig-liberalen in der schweiz. das hat mit den nationalen resp. regionalen ausrichtung vieler liberalen parteien zu tun. mit vereinheitlichungen tut man sich dabei schwer. siehe fdp.

. violett für feminismus und grün für ökologie sind die letzten farben, die aus einer sozialen bewegung herausgewachsen sind. grün hat es nicht nur als anspielung an die natur, sondern auch als marke in den parteinamen der grünen geschafft. in der schweiz ist es aber nicht die exklusive farbe der grünen. sie wird auch von der svp beansprucht. ihre gemeinsamkeiten sind eher gering. doch wollten beide oppositionspartein am 10. dezember in den schweizerischen bundesrat. bauerngrün war dabei besonders gefragt.

an diesem wahltag in der schweiz sah ich eigentlich wenige farben an kleidern, die politische bedeutsam waren. vielleicht waren die farben der krawatten der bundesräte, der politologen und der journalisten anspielungen auf politische aussagen, die sie kommunizieren wollten. ich zweifle aber. selber haben meine fliegen nie eine politische aussage. sie entspringen meist der farbe meiner träume in der vornacht.

farben haben in der politik eigentlich nichts verloren. denn sie haben keine eigene sprache. ihre politischen konnotationen entstehen in der politischen kultur. ohne die kenntnisse davon, verläuft man sich parteipolitisch olitisch genauso wie es die franzosen während der helvetischen republik in bern taten. deshalb gaben sie den quartieren farben. noch heute sind grun-geld-bordeau die farben der ober en stadtquartiere resp. strassenschilder in den quartieren.

und die farben der so ungeliebten helvetischen trikolore. gewusst? nicht? eben!
deshalb meine these: farben sind in der politik projektionen.

stadtwanderer

die entscheidende worte fielen beim stadtwandern

da sage noch jemand, stadtwandern in bern sei keine hochpolitische angelegenheit. der gestrige poker bei den bundesratswahlen wurde nämlich bei einer stadtwanderung (vor)entschieden.

wäre er von der bundesversammlung gewählt worden, hätte ihn das amt gereizt, sagt hansjörg walter in der heutigen “berner zeitung”. von seinem naturell her sei er ein eher ein exekutivpolitiker, ein ehrgeiziger dazu, bekennt der bauer aus dem thurgauischen.

dementsprechend blieb er vor der gestrigen bundesratswahl vage, als es um verzichtserklärungen bei einer allfälligen wahl ging. jetzt, wo er mit genau einer stimme ueli maurer unterlegen ist, sagt walter, wäre er am schluss vorne gewesen, hätte ersich eine bedenkzeit ausbedungen, um eine genau lageanalyse vorzunehmen. man weiss, was das heisst: er hätte versucht, sich der unterstützung der fraktion zu versichern, die grossmehrheitlich wieder bundesräte stellen will. denn der präsident des schweizerischen bauernverbandes hätte mit dem parteiausschluss rechnen müssen. diesen hätte nur die fraktion und der parteivorstand rückgängig machen können. ein rascher durchbruch unter den eigenen bundeshauskollegInnen wäre deshalb für einen fastbundesrat walter zwingend gewesen.

walter wusste am mittwoch morgen um den grossen druck der auf ihm lastete. deshalb erklärte er gleich zu beginn der sitzung, er würde eine wahl nicht annehmen. das hat seine chancen, im ersten wahlgang eine mehrheit zu erringen, die für sich gesprochen hätte, verringert. wahrscheinlich war das zwar nicht, ausgeschlossen nach den morgendlichen absprachen aber auch nicht mehr ganz. und im parlament wusste man um den präzendenfall: hans-peter tschudi, der vater der autobahnen und der ahv, wurde seinerzeit als gegenkandidaten der bürgerlichen zum sp-bundesrat gemacht, um den parteipräsidenten der sp in diesem amt zu verhindern. auch er erklärte vor der wahl, er werde eine wahl nicht annehmen. als sie aber vorlag, gewichtete er den entscheid der bundesversammlung höher.

entschieden wurde die sache auf einem spaziergang durch bern. gemeinsam mit fraktionschef caspar baader betätigte sich hansjörg walter in der nacht vor der wahl als stadtwanderer. irgendwo auf den vorweihnächtlich verschneiten gassen berns fielen wohl die entscheidenden worte. die svp müsse den willen der wahlbehörde über dem der partei stellen, dürfte walter argumentiert haben. aus der partei ausgeschlossen werde er, wenn seine persönlichen ambitionen über die ziele der partei stelle, wird ihm baader bedeutet haben. damit hätte walter das gleiche schicksal gedroht wie eveline widmer-schlumpf ein jahr zuvor.

per zufall habe ich an diesem abend hansjörg walter gesehen und gesprochen. ich habe ihm als freundliche geste angeboten, einen schirm zu tragen, sollte er bald im nassen stehen, wusste aber nicht um die bedeutung, die dieser satz bekommen würde.

stadtwanderer

stadtwanderer

(s)eine eigene stimme gab den ausschlag

nationalratspräsidentin ciara simonesci-cortesi eröffnet die wahl des 111. bundesrates der schweizerischen eidgenossenschaft – nach einer bewegenden abschiedsrede wird bundesrat samuel schmid als mitglied der landesregierung verabschiedet – der chefstratege der wahl, cvp-fraktionspräsident urs schwaller, erklärt das bekenntnis zur konkordanz, den respekt vor dem vorschlage der svp und den unmut über ueli maurers verhalten in der vergangenheit – hansjörg walter erklärt im wissen darum, sprengkandidat zu sein, er würde eine wahl nicht annehmen

ergebnis des 1. wahlgangs: walter vor maurer vor blocher – ein gereizter fraktionspräsident caspar baader ermahnt jansjörg walter – 2. wahlgang: die überraschung ist perfekt: walter führt vor maurer und liegt nur 1 stimme unter dem absoluten mehr – ueli maurer ist sichtlich überrascht – oskar freysinger erklärt in der wandelhalle bereits den neuen oppositionskurs der svp – georges wüthrich, blick reporter und thurgau, wirft sich für walter ins zeug – verteilung der entscheidenden zettel an die cvp-spitze – 3. wahlgang: gewählt ist ueli maurer mit 122 stimmen, nicht gewählt ist hansjörg walter mit 121 stimmen – ueli maurer spricht um parlament und erklärt annahme der wahl – bundesrat maurer wird als 111. bundesrat vereidigt – bundesratsbild vom 10. dezember 2008, dem 60. geburtstag der erklärung der menschenrechte durch die uno.

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bildquelle: eigene captures der live-sendung auf sf.tv

die nacht der kurzen messer

die bellevue-bar war heute abend der tummelplatz der nation. tout berne qui décidera demain était présent. der bericht aus dem epizentrum der politik.

vor und hinter der mattscheibe
wer die “10vor10” live schaltung aus der bellevue bar gesehen hatte, wusste schon einiges: die parteipräsidenten sehen ueli maurer in der favoritenrolle. die reintegration der grossen parteien in den bundesrat soll in angriff genommen werden. gegenüber ueli maurers art zu politisieren gibt es zwar viele bedenken, doch eine alternative ist nicht wirklich in sicht.

an der bar sind sind die meinungen weniger zugespitzt. der präsident der bauern, der thurgauer nationalrat hansjörg walter, wird in den kreisen von sp, cvp und fdp am meisten als sprengkandidat genannt. er selber weiss darum, schliesst nichts aus, fühlt sich aber unsicher. er fürchtet, isoliert zu werden. bei der svp hat man mehr angst, der berner kantonalpräsident, nationalrat rudolf joder, könnte ihnen einen streich spielen. andere namen tauchen kaum auf, und wenn, nur zur belustigung: carlo schmid, zum beispiel ist einer davon. den früheren cvp-ständerat aus appenzell innerrhoden könnte die svp nicht ausschliessen, obwohl er wie sie denke.

positiv und negativ nachgefragt
was den morgen wirklich passiere, ist die am häufigsten gestellte frage. christian miesch von der svp, keine freund von christoph blocher, macht schnell alles klar: im ersten wahlgang gibt es viele stimmen für den abgewählten bundesrat. dann erkläre der fraktionspräsiden blochers rückzug von der wahl zugunsten von ueli maurer. der erhalte in der folge alle stimmen der svp-fraktion im zweiten wahlgang. christine egerszegi, in der fdp als gegnerin von ueli maurer bekannt, glaubt, dass in ihrer fraktion 10 stimmen nicht auf maurer entfallen. in der probeabstimmung habe man offen entschieden, morgen sei die wahl geheim. bei der cvp mag man kaum mehr philosophieren. 23 stimmen hat ueli maurer heute erhalten, morgen wird es nicht anders sein.

addiert man das zusammen, gibt das 23+37+65=125 stimmen im zweiten wahlgang.

doch halt! christoph mörgeli, der unglücklich verunfallte, wird fehlen, das ist schon eine minus. und die möglichen sprengkandidaten, wie werden sie stimmen? ein oder zwei weitere stimmen weniger für ueli maurer könnten es schon sein. so gesehen ist vieles wieder unsicher.

unsicherer ist alles, wenn man umgekehrt nachfragt. wen wählen die anderen: geraldine savary von der sp mag die verantwortung für eine alternative nicht alleine bei ihrer partei sehen. man werde en bloc für einen sprengkandidaten stimmen. christophe darbelley wiederum kennt die 22 namen auf den stimmzetteln seiner fraktion, die nicht “maurer” lauteten, will sie aber nicht öffentlich nennen. das heisst auch viel. und hans grunder von der bdp weiss, dass er nur 5 stimmen beitragen kann. immerhin, meint er. die grünen wiederum sind kaum präsent, sie scheinen schon über über ihrer eigenen kandidatur eingeschlafen zu sein.

lange und kurze messer

damit ist eigentlich alles klar: die nacht der langen messer hat nicht stattgefunden. einen überraschungscoup im ersten wahlgang mit einer svp-kandidatur, die das absolute mehr schafft, aber weder maurer noch blocher heisst, gibt es am morgen nicht. damit ist und bleibt ueli maurer der favorit.

kurze messer wurden im bellevue heute abend schon gezückt. denn die neue definition der konkordanz lautet: obwohl es eng ist, jeder bekommt seinen platz an der bar, um ein bier zu kippen. ausser er gehöre zu den ganzganz schlimmen wadenbeissern!

stadtwanderer

auf impressionenfang zu den bundesratswahlen

ich war gestern in der stadt unterwegs. auf impressionenfang zu den bundesratswahlen. im “diagonal”, einem tollen cafe im regierungsviertel, wurde ich fündig.

das schauspiel
leicht verschämt in einer ecke sassen die meinungsmacher der sp. wenn vor wahlen andrea hämmerle mit anderen zusammensitzt, verweist das schon mal auf ein zentrum der meinungsbildung. doch das gespräch schien eher gemächlich zu verlaufen. dann, um 13 uhr, kam bewegung auf. man verliess ruckartig den tisch. um sich mit anderen opponenten zum svp-zweierticket zu treffen?

wenige sekunden später fast so etwas wie eine antwort. es strömte die spitze der grünen ins diagonal. man hielt ausschau nach einem plätzchen und setzte sich, angeführt vom parteipräsidenten ueli leuenberger an den genau gleichen tisch, an den vorher die sozis sassen.

dem publikum war das schauspiel in seiner ganzen symbolik nicht entgangen. es berät eine jede partei unter sich und wohl auch für sich. das verheisst keine koordinierte aktion für morgen.

die verarbeitung
an unserem tisch werden persönliche impressionen ausgetauscht. man rechnet mit einem störmanöver von links. man glaubt aber nicht an einen erfolg.

es fehlt die überragende alternative. furrer? germann? walter? es überwiegt die skepsis. andere namen fallen niemandem nicht ein.
und es fehlt der mut zum wechsel, wird am tisch verhandelt. ich wende ein: das dachte man vor einem jahr am vortag auch. die antwort kommt ebenso schnell: damals ging es um eine abwahl, die einigte.
jetzt geht es um eine eigentlich wahl, bei der der gemeinsame nenner unter den parteien fehlt.

damit sind ist unsere runde bei ueli maurer angelangt. natürlich sei er der svp-spitzenkandidat, ist lautet das weitgehend einhellige urteil. letztlich konnte er nicht überzeugend angegriffen werden. auch wenn sein stil verbreitet unbehagen auslöst. zu aggressiv wird er gesehen. zu wenig auf konkordanz ist er ausgerichtet. diese geht von eine generellen übereinstimmung aus, während man bei der svp eine fundamentale missstimmung zu allen anderen festhält.

allen bedenken zum trotz: maurer ist der favorit für die morgige wahl. denn von sog. fähigstens brauchten wir zu sprechen. durchgefallen, war das einhellige urteil der runde über den abgewählten bundesrat.

impressionen besser als analysen?

wie gesagt, nur eine eingefangene impression. keine eigentliche analyse. und doch will mir scheinen, sei sie so typisch, für den moment …

stadtwanderer

“bern und die schweiz brauchen eine neue qualitätszeitung”

peter ziegler war von 1989 bis 1995 chefredaktor des berner bundes. als die zeitung von riniger an die nzz überging, stieg er aus. doch das ist für den zwischenzeitlich 63jährigen, profilierten politik- und medienwissenschafter kein grund zum schweigen. laut und deutlich interveniert er via weltwoche in die rechenarbeit um sparpotenzial im tamedia-konzern.


fast so unverrückbar wie die berner trams ist die zukunft des berner bundes gemäss peter ziegler: seine drei forderungen an die tamedia als herausgeberin von bund und bz erhebt er in der wewo

es bestehe kein zweifel, schreibt peter ziegler selbstbewusst, dass “der bund” mit der “bz” fusionieren werde. einen zürcher tagi brauche es nicht, denn das käme der aufgabe des bundes gleich. die fortsetzung des berner modells, das charles von graffenried 2003 bei der übernahme des bundes von der nzz begründete, müsse vielmehr in der fusion von bund und bz fortgesetzt werden.

der gestrenge vordenker des liberalen journalismus übersieht nicht, dass beim zusammenschluss der beiden berner zeitungen die qualität leiden könnte. deshalb seine kecke these für die zukunft der berner medienlandschaft: bern und die schweiz brauchen eine neue zeitung, und die heisst “der bund”.

drei forderungen richtet ziegler deshalb an die tamedia:

erstens, es brauche eine verlegerisches bekenntnis zu qualität, vitalität und würde des journalismus. berns zeitungszukunft dürfte nicht nur unter gesichtspunkte der optimierung diskutiert werden. denn ein medienplatz bern sei zwingend.
zweitens, es brauche eine eigenständige publizistischen persönlichkeit, welche die neue zeitung führe, mit wirtschafts-, verwaltungs-, wissenschafts- und kulturstandort bern eng verbundes sei und diesen auch zur geltung bringen wolle.
und drittens, der standortvorteil der bundesstadt solle zum tragen kommen. die neue zeitung müsse bundespolitisch das erst- und bestinformierte tagesmedium sei, welches das politsichen bewusstsein für die gegenwart erneuere.

daraus ergeben sich für ziegler drei strategische ausrichtungen des neuen blattes: die nationale mit der schweizerischen eidgenossenschaft, die regionale mit dem espace mittelland und die lokale mit der stadt bern. das alles sei möglich, wenn man in zürich nwolle. deshalb schliesst er sein plädoyer für einen neuen “bund” mit den nicht scheuen worten: “.. es braucht verlegerisches Denken und verlegerischen Willen. Und Talent. Und staatsbürgerlicher Verantwortung. Sowie die Lust und die Freude, etwas publizistisch wahrhaft Neues zu schaffen – für Bern und für die Schweiz.”

ich wollte mich ja in dieser sache nicht engagieren, merke aber, dass auch dieses thema mit meinem aufruf zu metrobern vernetzt ist. den eine bern als raum in der schweiz, kann ohne eigenes sprachrohr keine ausstrahlung haben.

somit sei auch diese diskussion lanciert!

stadtwanderer

der bundesplatz voller esel

man sah sie schon von weitem: die vielen esel auf dem bundesplatz. das war absicht, denn es ging um eine spezielle st. nikolaus geschichte.


bilder von der heutigen spendenaktion auf dem verregneten bundesplatz (fotos: stadtwanderer)

seit jahren sammelt telethon weltweit und in der schweiz geld für menschen mit erbkrankheiten. die medizinische forschung und betroffene sollen damit gleichwertig unterstützt werden.

der 6. dezember eignet sich ganz besonders für die jahresaktion. denn wer an diesem tag in der stadt ist, hält automatisch ausschau nach samichläusen, schmutzlis – und eseln. und automatisch kommen einem kindheitserinnerungen hoch, wie es damals war, als st.nikolaus noch nach hause kam. momente des glücks, aber auch des schreckens werden wach.

das gilt auch für kinder und eltern, die mit erbkrankheiten wie muskelschwund umgehen müssen. ihnen galt die aufmerksamkeit auf dem bundesplatz, selbst wenn die mehrzahl von ihnen nicht anwesend sein konnte.

dafür aber hatte es richtige esel vor dem bundeshaus. wie ein magnet zogen sie jung und alt an. der samichlaus fesselte die blicke der kinder mit magischen kräften, und liess so die eltern einen moment inne halten, und über ihr glück nachdenken.

“das esch doch de ueli”, sagt mein nebenan. “ja”, antworte ich, “de schmetzer vom färnseh”, füge ich bei und lausche ein paar takten seiner musik.

stadtwanderer