die klosterstadt schaffhausen

mittelalterliche städte wie schaffhausen entstehen in der regel an verkehrsknotenpunkten. die traditionelle west/ost-achse, gegeben durch den rhein, und die neu aufkommenden nord/süd-achse gaben den ausschlag, dass schaffhausen im 11. jahrhundert als stadt entstand. ihre gründung hat jedoch nicht nur profane gründe; sie ist teil eines machtvollen aufschwungs der klosterbewegung des hochmittelalters.

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kleine und grosse zusammenhänge der stadtgründung

wer im 11. jahrhundert von basel nach konstanz oder anders gesagt von bischofssitz zu bischofssitz wollte, nahm mit vorteil die rheinroute. sie garantierte ein schnelles fortkommen, – ausser beim grossen und kleinen laufen, den beiden wasserfällen bei den heutigen städten schaffhausen und laufenburg. da musste man das schiff verlassen und die mitgebachten gäste und waren für einige kilometer auf dem landweg transportieren.

der ort der heutigen altstadt schaffhausen war diese umladestelle oberhalb des rheinfalls. im 11. jahrhundert existierte schon eine siedlung mit kleiner kirche genau an der stelle, an der heute die schaffhauser stadtkirche st. johann steht. doch sollte nicht diese die stadtwerdung schaffhausens bestimmen, sondern der überregionale weltliche und kirchliche zusammenhang.

1045 erhielt eberhard, seit 9 jahren graf im südlilch des rheins gelegenen zürichgau das münzrecht für den flecken schaffhausen. das sicherte ihm die herrschaft über den handel an der umladestelle. seinen sitz verlegte der graf nun in die nähe des handelsplatzes, genau genommen auf die nellenburg. hinfort nannte er sich graf eberhard I. von nellenburg.

könig heinrich iii. auf dem weg anch süden, der kaiserkrone entgegen

verliehen erhielt eberhard das münzrecht von könig heinrich iii. in köln. dieser hatte grosses vor: er wollte nichts geringes als, gleich wie sein 1039 verstorbener vater, kaiser des römischen reiches werden. dafür musste er nach rom, um gesalbt und gekrönt zu werden.

1045 ging heinrich daran, auf seine rechte als herzog von schwaben zu verzichten. wer, wie graf eberhard, vom könig privilegiert werden wollte, musste sich jedoch verpflichten, mit dem könig nach rom zu reisen.

die römische kurie befand sich, wieder einmal, in einem desolaten zustand. gleich drei römische adelige beanspruchten, papst zu sein. in der synode von sutri, nahe der stadt rom, die der kaiseraspirant am 20. dezember 1046 einberief, erklärte heinrich innert dreier tage alle drei römischen päpste für abgesetzt: ein einmaliger vorgang in der krichengeschichte. dafür liess er den mitgebrachten bamberger bischof suitger am weihnachstag zum neuen papst clemens ii. inthronisieren, und anderstags erhon dieser heinrich und seine frau agnes zum neuen kaiserpaar.

heinrich, hoch gebildet, tief religiös und von seltener tatkraft, nahm nun grundlegende reformen vor. kardinäle, von überall her kommend, sollten nach seinem willen die christen in rom vertreten und den papst wählen. kirchlicher ämterkauf sollte verboten sein, genauso wie die priesterehe.

der kaiser hat damit jedoch nicht auf anhieb erfolg. clemens ii. wurde als papst gestürzt, und damasus ii., heinrichs neuer favorit, war gerade 24 tage papst, bevor er starb.

papst leo ix. auf dem weg nach norden, den klosterweihungen entgegen

anfangs des jahres 1049 leitete heinrich erneut ein verfahren ein, das in der kirchengeschichte einmalig blieb: bruno, bischof von toul, den er seit langem kannte, sollte neuer papst werden. bestimmt wurde er für dieses amt jedoch nicht im unübersichtlichen rom, sondern in kaisers nähe in worms. doch verlangte bruno, dass er sein kirchenamt im lothringischen nur dann abgeben würde, wenn kurie und volk in rom ihn anerkennen würdem. das schaffte bruno auch, sodass er sich papst leo ix. nannte.

papst leo ix. pflegte eine ganzen neuen stil. dauernd war der germane unterwegs. in rom hielt es sich nur kurz auf. drei ausgedehnte reisen unternahm er in den ersten drei jahren als papst, – alle nördlich der alpen. dabei erwies er sich als herausragender prediger, der volksnah sprechen konnte. er versammelte die kirchenleute in synoden, die überall die grundsätze der kirchenreform des kaisers diskutierten. und er weihte zahlreiche stellen, an denen neue klöster enstehen sollten.

auf seiner ersten reise nördlich der alpen weihte papst leo ix. im jahren 1049 auch den ort schaffhausen. die nellenburger grafen sollten es stiften, bauen und bewachen 1064 wurde es eingeweiht. anfänglich führte dieses kloster den namen des salvatorenklosters, später wurde es allerheiligen genannt, dem namen, unter dem es auch heute noch bekannt ist, selbst wenn es seit der reformation von 1529 nicht mehr als kloster dient.

stadt- und weltpolitische bilanz zu den gründern von stadt und kloster schaffhausen

heinrich war 10 jahre kaiser, leo 5 jahre papst. beide waren damit nicht sonderlich lange im amt. doch hinterliessen sie nicht nur in schaffhausen bleibende spuren; sie sollten auch im kaiserreich unvergesslich bleiben: beide gelten als ganz bewusste förderer des gottesfriedens, der ersten friedensbewegung, die im 10. jahrhundert in der auvergne ihren anfang nahm und sich gegen die vorherrschende germanische selbstjustiz mit racheakte und bauernfehden wandte. 1495 wurde dieser gottesfriede in form des landfriedens geltendes recht des kaiserreiches, dem vorbild für das gewaltmonopol des heutigen staates. beide lancierten aber auch die hochmittelalterliche klosterreform, die 910 im burgundischen cluny ihren anfang nahm und in deutschen sprachraum. mit dieser setzte sich das bewusstsein durch, dass die führenden benediktiner-klöster nicht mehr von adeligen bestimmt, sondern nur noch vom stellvertreter gottes, dem papst, geleitet werden sollten.

mit den beiden erwähnten grössen des kaiserreiches im 11. jahrhundert verbindet man aber auch die definitive trennung der christlichen kirche in eine griechisch-orthodoxe und einer römisch-katholische. denn heinrich und leo verfolgten ursprünglich gemeinsam das ziel, die normanen aus süditalien zu vertreiben, um freien weg zum mittelmeer zu erhalten. doch half der kaiser schliesslich nicht mit, während leo setzte alles auf eine karte setzt – und verlor: die verhandlungen mit dem patriachen von byzanz, gemeinsame sache gegen die normanen zu machen, scheiterten derart gründlich, dass man sich im tiefen streit trennte und bis heute nicht mehr zueinander fand. leo wurde bei seinem krieg gegen die normannen gar verhaftet und verstarb 1054 nur kurz nach seiner freilassung. heinrich wiederum lebte noch bis 1056, ohne einen erwachsenden sohn zu haben, sodass die kleriker, deren selbstbewusstsein dank der kirchen- und klosterreform neu erwacht war, die macht nördlich der alpen übernehmen. als der designierte könig, heinrich iv. diese zurückverlangte, brach der berühmte investiturstreit aus, der papst und kaiser während 50 jahren entzweien sollte. zu den rückwirkungen davon auf schaffhausen später mehr!

(müder) stadtwanderer

bild: aus dem innern des münsters beim schaffhauser kloster allerheiligen (aufnahme: stadtwanderer)

gib e geiss!

da wollte ich unerkannt durch die stadt des schaffhauser-bocks. erfolgreich wich ich den vertretern der zottel-partei aus, die für ihre einbürgerungsinitiative warben, um direkt beim geissenpeters vom heks aufzulaufen.

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ruedi lüscher, meist negi genannt, kenne ich seit jahren, – noch aus meinen aarauer zeiten. später traf ich ihm bei seinem arbeitgeber, – dem heks. und jetzt sind wir uns auf dem schaffhauser fronwagplatz begegnet.

“gib e geiss!” ist das projekt, das ruedi für heks leitet. die sache ist einfach: man spendet für eine geiss, die einer verwitweten frau mit kindern zu gute kommt. die geiss gibt milch, was nährt. und sie produziert mist, was die böden düngt.

das ist gleich doppelt gut: “Die Ernte wird besser”, verspricht das hilfswerk der evangelischen kirche, “und es bleibt sogar etwas übrig, das die familie auf dem Markt verkaufen kann. Vom Erlös kauft die Frau Kleider, Salz, Seife, Waschmittel, Medikamente und vor allem Hefte und Stifte für ihre Kinder, damit diese zur Schule gehen können.”

doch damit nicht genug: eine geiss bringt mehrere jungen zur welt. “Nach alter Tradition”, so der geisspeter über die geissenbesitzer, geben diese “eines davon an eine andere Witwe weiter. So setzt sich der Geissenkreislauf fort: Die Geiss dient fortan weiteren Frauen und Kindern als Starthilfe für ein Leben ohne Hunger.”

also habe ich mich von als bezeugender geissenspender von ruedi ablichten lassen. war ganz schmerzlos: blauer hintergrund, eine geiss im vordergrund, und ich dazwischen.

den obulus von 30 chf. habe ich selbstverständlich entrichtet, – und so meine erste geiss als stadtwanderer gespendet!

und sie? wandern sie auch in städten? spenden sie auch für geissen?

stadtwanderer
(in schaffhausen)

 

die ausnahme von der regel, die ihrerseits die ausnahme von der regel ist, die die falsche annahme widerlegt

bild-391.jpgnatur, kultur und herrschaft sind komplizierter miteinander verhängt, als man denkt.

caesar teilte die ihm bekannte welt nördlich der alpen entlang des rheins in einen linken, romanischen und einen rechten germanische teil. doch er irrte mit der annahme, die natur alleine bestimme die kulturen.

die regel statt der annahme

widerlegt wurde caesar spätestens im 3. jahrhundert nach christus, als die germanischen völker über den rhein setzen. als sie blieben, wurden sie unterschiedlich stark in die römische welt aufgenommen: die burgunder im rhonetal ganz, die franken am unteren und mittlere rhein halb und die alamannen gar nicht. bis heute spricht man links des rheins überall deutsch, oder ist man im nahen stromgebiet zweisprachig

klöster und städte waren die zentren der römisch-germanisch-katholische brückenkultur, die im mittelalter als regelfall auf beiden seiten des rheins entstand. das kloster allerheiligen in schaffhausen gehört mustergültig dazu. fast 500 jahre sollte es die entstehende stadt schaffhausen am rhein prägen und den durchgang der kaiserlichen truppen von norden nach süden sichern.

die ausnahme von der regel

alle diesen leistungen zum trotz ist der oberrhein von basel an aufwärts heute weitgehend eine politische grenze. es gibt also eine ausnahme von der regel.

anfangen hat alles mit dem investiturstreit am ende des 11. jahrhunderts, der die anhänger des kaisers und jene des papstes im damaligen herzogtum schwaben spaltete. die zähringer organisierten die linksrheinischen gebiete schwabens im päpstlichen sinne, die staufer die rechtsrheinischen im kaiserlichen. nach ihrem aussterben 1218 griff der kaiser friedich II. nach den perlen in ihrem südwestschwäbischen erbe. städte wie bern und zürich, aber auch länder wie uri und schwyz wurden zu reichsstädten oder ländern erhoben, um sie dem zugriff des lokalen adels zu entziehen.aus dem verbund eben dieser perlen entstand im 14. und 15. jahrhundert die eidgenossenschaft als territorium, die nach dem friedensvertrag von 1450, der den ersten innereidgenössischen bürgerkrieg regelt und die nötige geschlossenheiten gegen habsburg brachte, um rhein als innerschwäbischen grenze grenze zu verlangen. und tatsächlich 1499 trennte man sich im schwabenkrieg entlang des rheins zwischen eidgenossenschaft und habsburg definitiv.

die ausnahme von der regel, die die ausnahme von der regel ist

nicht ganz, muss man beifügen, wenn man in schaffhausen über den rhein sieht. denn die stadt ist bis heute die prominente ausnahme von der ausnahme. denn spätestens mit der reformation, die 1529 auch schaffhausen erfasste und das ende des klosters allerheiligen bedeutete, fiel der neu entstandene stadtstaat schaffhausen aus dem schwäbischen he- und klettga, der katholisch blieb, heraus.

fortan sollte er den entwickeltesten eidgenössischen brückenkopf jenseits des rheins bilden, der sich jenseits des rheins nicht vermehren sollte.

schaffhausen ist also die ausnahme von der regel, die ihrerseits die ausnahme von der regel römisch-germanisch-christlichen regel ist, die der falschen annahme caesars über romanen und germanen am rhein widerspricht.

kapiert?

stadtwanderer

(in schaffhausen)

prediger auf dem fronwagplatz

der anfang in schaffhausen war krass. prediger beherrschten den fronwaagplatz und entsetzten die passantInnenp5160158.JPG.

ich bin heute abend an meinem ziel angekommen und wollte einen kleinen ersten erkundungsspaziergang machen. auf dem fronwaagplatz standen dann fünf herren im mittleren alter. vor ihnen lag ein kleiner koffer: “die bibel” war darauf zu lesen. jeweils einer der fünf herren trat reihum vor und begann zu predigen.

die moral der heutigen zeit sei tief ganz gefallen, war die laute anklage. die menschen würden sich nur noch ihrer gegenwärtig lust hingeben. die frauen von heute seien alles huren. sex vor der ehe sei der normalfall, eine sünde sei das. denn es sei natürlich, damit bis zur heirat zu waren. viele kinder würden so gezeugt, die dann abgetrieben werden müssten. mord sei das, schrieb der vorbeter gerade über den platz, als ich auf ihrer höhe war.

die meisten menschen, die passierten, hörten einige sekunden hin. dann wandten sie sich schockiert ab. nicht wegen dem erzählten, sondern wegen den erzählern. junge paare schauten sich an und schüttelten den kopf. einzelne frauen hielten sich beim vorübergehen gar die ohren mit beiden händen dicht.

auch ich ging vorbei, in den nächsten buchladen, um mich mit literatur über schaffhausen einzudecken. “der rheinfall” war mein thema. doch auch in der buchhandlung verhandelte man schon die bibelleute von nebenan.

“unsere religion ist doch durch prediger entstanden”, sagte meine nachbarin. ihre nachbarin auf der anderen seite wiederum war entsetzt:” ja”, antwortete sie, “aber sie predigten über das leben. die hier wollen uns das leben nur noch schwerer machen. ich kann da nicht mehr zuhören.”

ich habe meine bücher bezahlt und lief zum bahnhof zurück. wem man auf den fronwaagplatz jetzt noch begegnete, der oder beachtete die prediger nicht mehr. nicht wenige von ihnen schienen mit ihrem handy schwer beschäftigt zu sein. ob sie mit ihren lieben verbunden waren, in ihrer eigenen welt, die gerade beklagt wurde, kann ich nur vermuten.

stadtwanderer (erster abend in schaffhausen)

neues projekt: stadtwandern in schaffhausen

1223358951_033dd58e54.jpgich habe eine neue anfrage: stadtwanderung in schaffhausen. meine schwester, monique menk lädt ein. da werd’ ich nicht nein sagen!

zunächst gemischte gefühle

zuerst dominierte der schreck: ausgerechnet schaffhausen! mein verstorbener mittelalterprofessor in zürich, hans conrad peyer, war schaffhauser. er war der erste, der mich für stadtgeschichte zu begeistern sucht. doch er war nicht so überzeugt von mir und meiner arbeit. diejenige über die märkte am rhein, die ich bei meiner schwester in schaffhausen (!) getippt hatte, weil ich mir damals, etwa 1979, noch keine schreibmaschine leisten konnte, liess er gerade durchgehen …

doch dann erwachte ob der anfrage die freude in mir. eine “neue” stadt erwartet mich. eine neue kultur wohl auch: das rheinische, das alemannische, das kleinstädtische dürfte in schaffhausen stärker hervortreten als in bern, wo die mischung aus allem möglichen dominiert. für die geschichten aus der stadt wird das wichtig sein. und dennoch: alle europäischen städte aus dem mittelalter entwickeln sich nach vergleichbaren vergleichbar: man muss die verkehrslage studieren; man muss die kirchlichen und weltlichen verhältnisse im mittelalter kennen. und man muss die sozio-ökonomische entwicklung der stadt nachvollziehen.

orte und figuren gesucht

stadtwandern macht nur spass, wenn es markante plätze, schöne gebäude und auch ausdrucksstarke denkmäler hat. da bietet schaffhausen ja einiges: der wasserfall, das kloster allerheiligen, der munot, die erkerhäuser und die industrieanlagen der georg fischer ag kommen mir schon spontan in den sinn! und ich frage mich: sieht man noch spuren der bombardierung der stadt im zweiten weltkrieg durch die allierten?

für die vermittlung vor ort muss man nach personen fahnden, die eine geschichte erzählen könnten: könig heinrich III. und die nellenburger im hochmittelalter werde ich mir vornehmen, sebastian hofmeister, der reformator, muss vorkommen, genauso wie walther bringolf, der legendäre arbeiterführer und stadtpräsident. vielleicht sollte ich auch geri bührer, den wirtschaftsverbandsboss treffen, und werner minder, den trybol-patron anrufen, um zu verstehen, wie es ist, wenn die interessen des gross- und kleinkapitals in einer so geschlossenen welt wie der stadt schaffhausen aufeinander treffen. oder sollte ich zu meiner einstimmung mit der schriftstellerin isolde schaad ein interview führen, gerade weil sie schaffhausen verlassen hat?

auf der spur von tells geistigem grossvater

eines ist sicher: johannes von müller, den schaffhauser historiker aus der wende vom ancien zum nouveau régime, wird einen gebührenden platz in meiner führung erhalten. seine werke habe ich geschenkt erhalten, und ich werde sie sicher einbauen. denn ohne seine geschichte der schweiz hätte friedrich schiller in weimar seinen wilhelm tell nie hingekriegt, und hätten wir bis heute ein wohl anderes bild der schweiz.

ich sehe: schaffhausen, die stadt am rhein, die vermittlerin zwischen schweiz und deutschland beschäftigt mich schon mehr als ich zeit habe …

stadtwanderer

foto: moha-sh