#Beizentour: Die grosse Modernisierung des Gastgewerbes

Die Geschichtsschreibung fasst die europäische Zeit zwischen 1750 und 1850/70 gerne als «Sattelzeit» zusammen und meint damit den Uebergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Jene war in Gruppen organisiert, dies via Individuen. Generelle Ursache des damaligen Wandels war die Industrialisierung mit Auswirkungen auf die Demografie, was sich in einer Verkehrsrevolution aber auch neuen Konsum- und Kulturformen ausdrückte.



Oben: Hotel de Musique im Saal des Cercle de la Grand Societé, unten Progr mit Helvetiaruft!

Typisch für den Uebergang ist in Bern ist das “Hotel de Musique” an der Hotelgasse, das auch “Du Theatre” genannt wird. Gebaut wurde es 1766 von einer Aktiengesellschaft, und es beherbergte von Beginn den Cercle de la Grande Societé. Das war noch ein gediegener und geschlossener Club mit den Eliten der Patrizier und Bürger, der als Ort der innen- und aussenpolitischen politischen Auseinandersetzung diente. Einer generellen Oeffnung, wie es die französischen Besatzer 1798 verlangten hatten, widersetzte man sich erfolgreich. Immerhin steht das heutige Restaurant “DüTü” allen offen, und es ist eine beliebter Treffpunkt für gehobene Politik.

Uebergang zur Gastgewerbefreiheit
1848 führte die erste Bundesverfassung die Handels- und Gewerbefreiheit ein. Doch setzte sich die nicht automatisch durch. Gerade für das Gastgewerbe war die zweite Bundesverfassung wichtiger. Sie brachten Marktöffnung und Diversifizierung. Dafür hatten die Gastwirtschaften keine amtlichen Aufgaben mehr, wurden aber von Inhabern eines Patentes mit minimaler Ausbildung betrieben.
Namentlich der Einfluss von Tourismus und Verkehr hatte das Aufkommen zweiter neuen Typen, der Hotellerie und dem Restaurant zur Folge. Von dieser Modernisierung lange nicht betroffen blieben eigentlich nur die Gastwirtschaften auf dem bäuerlich geprägten Land.
Der Begriff des “Hotels” wurde aus dem Vokabular der repräsentativen Bauten der aristokratischen Städte übernommen. Noch heute nennt man Rathäuser auf französisch “Hôtel de Ville”. Gemeint waren neu aber modernisierte Herbergen für die Uebernachtung neuer und alter Oberschichten oder ausländischen Gäste. Typischerweise hatten Hotels dafür Einer- und Doppelzimmer, Speisesäle für gepflegte Dinners und eine Bar mit Thekenausschank.
In der Stadt Bern löste die Wahl als Bundesstadt 1848 einen Hotelboom aus. Dazu gehörten namentlich der frühere Bernerhof oder das Bellevue Palace, wo sich nationale Politiker, Beamte und Diplomaten tummelten.
Vom “Restaurant” sprach man in Paris seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert, wenn Gäste tagsüber und auch des Abends kulinarisch bedient wurden. Es bürgerten sich kleine Tische für vier oder zwei Personen ein, die auf einer Menükarte auswählen konnten, was sie besonders begehrten. Besonderen Wert legte man darauf, dass sich die Gäste erholen und gesund weiterziehen konnten. «Restaurer» führte denn auch zum neuen Namen.
In der Schweiz dauerte es rund 100 Jahre länger, bis sich Begriff resp. Phänomen durchsetzten. Das Spektrum an Formen blieb gross. Denn Cafes oder Brasserien gab es seit dem frühen 19. Jahrhundert: Sie hatten die Vorherrschaft der Weinkeller abgelöst. Nun vermischte sich alles die mit den Speiseangebot in Restaurants. Restaurants haben sich eigentlich im ganzen Stadtgebiet, also auch in den Quartieren durchgesetzt.
Typisch für Restaurants dieser Zeit sind im Berner Zentrum der Aeussere Stand, das Zimmermania, das Café fédéral oder das Café de Commerce. Alle hatten sie eine ausgesprochen politische Vergangenheit.

Bürgerliche und proletarische Oeffentlichkeiten
Namentlich die industrielle Arbeitswelt mit Frauenerwerbsarbeit bedingte zunehmend auswärtige Verpflegung. Während Kosthäuser für Arbeiter einer bestimmten Fabrik eingerichtet waren, standen die Speisewirtschaften nach 1850 für alle offen.
Aus dem gemeinsamen Kampf der gemeinnützige Frauenorganisationen und der Abstinenzbewegung gegen den Alkoholismus entstanden ab den 1890er Jahren die alkoholfreien Gaststätten. Auch die alkoholfreien Soldatenstuben des Schweizer Verbands Volksdienst , die Kantinen, Wohlfahrtshäuser und vegetarischen Gaststätten waren der Volksgesundheit verpflichtet.
In Bern zählt namentlich die «Spysi» in der Altstadt dazu.
Die soziale Differenzierung in Bürgertum und Arbeiterschaft in den Städten führte im frühen 20. Jahrhundert zu Gastwirtschaften in Bürgerhäuser mit gutbürgerlicher Küche resp. zu Volkshäusern mit einfacher Küche zu Volkspriesen. In Bern stehen dafür exemplarisch das “Bürgerhaus” an der Neuengasse, wo es einst auch ein grosses Restaurant gab, resp. das “Volkshaus 1914”, das seit 1893 existierte, in seinem Konzept aber mehrfach geändert wurde. Für für sie war, dass es das Gastgewerbe in weitere gesellschaftliche Tätigkeiten integrierte. Bis heute gewährt sie politischen Organisationen wie der FDP resp. der SP Platz.

Konsumangebote an Verkehrsadern
Die Anbindung an den öffentlichen Verkehr war für die Wirtshäuser im 20. Jahrhundert stets eine Erfolgsgarantie, brachte aber auch neue Konzepte mit sich-. Mit der Eisenbahn resp. Bahnhöfen verbunden sind Buffets, Speisewagen, neu auch Bistrobars und zirkulierende Minibars.
An Nationalstrassen kamen ab den 1960er Jahren Raststätten mit leichten Mahlzeiten, Schnellimbissen und Selbstbedienung auf. Dank der zunehmender Motorisierung der Nachkriegszeit eerleben auch ländliche Ausflugsrestaurants eine (Wochenend)Blüte.
In den letzten 50 Jahren setzten einheimische und ausländische Verpflegungsketten wie Mövenpick und McDonald’s den Trend zum Fastfood fort. Neue Dienstleistungsangebote wie der Party-Service und der Take-Away-Betrieb kamen hinzu. Stets standen Konsumbedürfnisse im Vordergrund, politische Identitäten bildeten sich hier nicht mehr aus.
Ein Gang durch das Untergeschoss des Berner Bahnhofs reicht, um zu verstehen, was gemeint ist.

Die Repolitisierung der Gastronomie als Teil der neue politischen Kultur
Nicht Quantität, sondern Qualität prägt den jüngsten Trends mit Spezialitätenrestaurants, die Emotionen vermitteln. Einst für Fisch oder Fondue reserviert, bietet man heute südländische, europäische und fernöstliche Gerichte ab. Globalität geht hier durch den Magen und schärft das Bewusstsein. Sie findet sich in neuen Treffpunkten für Kultur und Kunst, wo, wie in der “Reitschule” oder dem “Progr”, wieder heftig Politik gemacht wird. Das kulinarische Angebot ist multikulturell und trifft auf ein diversifiziertes, teils auch genderspezifisches Publikum.

Stadtwanderer

#Beizentour: Wie die frühe städtische Oeffentlichkeit mit dem traditionellen Gastgewerbe entstand

Ich habe meine ersten Probeführungen für die neue Beizentour gemacht. Sie fanden durchwegs Anklang. Sie haben mir auch gezeigt, was ich noch verbessern sollte. Vor allem wurde mir klar, dass ich die Begriffe zum Gastgewerbe für den historischen Ueberblick im Voraus klären muss.


Das Janusgesicht des Wirts. Aquarell von Hieronymus Hess, 1830, Quelle: HLS

Vom Kloster zum Gasthäuser und Schenken
Heute dominieren das Restaurant und das Hotel als Begriffe. Doch sie stammen bei uns beide aus dem 19. Jahrhundert. Davor unterschied man primär zwischen Gasthäusern und Schenken.
Das Historische Lexikon der Schweiz schreibt, erstere hatten ein Beherbungsrecht für Mensch und Pferd, durften Speis und Trank ausgeben, und sie übten öffentliche Funktionen aus, die man dank obrigkeitlicher Konzession betreiben durfte. Zweitere durften kein Nachtlager anbieten, waren bei den Speisen meist auf kalte Platten beschränkt und hatten seltener öffentliche Funktionen.

Beginn der städtischen Oeffentlichkeit
Mit Gasthäusern entsteht in der mittelalterlichen Welt ein Ort der Oeffentlichkeit, der nicht mehr wie in der Antike an einen zentralen Platz mit Tempeln und Markthallen gebunden war. Nun entsteht sie verteilt mit speziellen Gebäuden.
“Ehaften” ist der alte Begriff dafür. Gemeint sind damit obrigkeitlich Oertlichkeiten mit öffentlich relevanten Aufgabe. Dazu gehörten Mühlen, Bäckereien, Metzgereien, Gerbereien und Schmieden. Und eben Gasthäuser.
Ueber die neue, mittelalterliche Oeffentlichkeit bestimmten die kirchlichen oder weltlichen Grundherren resp. die Städte. Ein Eid der konzenssionierten Inhaber band sie an die Obrigkeit.
Gasthäuser garantierten die kontrollierte Unterbringung in Friedenszeiten von Auswärtigen, aber auch von Geiseln, Häftlingen und Verwundenten in Kriegszeiten. Sie waren waren verpflichtet, alle aufzunehmen, die bar bezahlen konnten und nicht rechtens ausgeschlossen waren wie Unehrliche, Geächtete oder Randständige.
In der frühen Neuzeit waren Gaststätten auch bevorzugte Orte für Gerichte. Denn die Beratung über Recht und Unrecht verlagerte sich markanten Orten im Freien in Gasthäuser, die dafür Gerichtsstuben einrichteten.
Das Gesellschaftshaus zu Distelzwang war in der Stadt Bern ein typischer Ort dafür.
Wer eine öffentliche Aufgabe wahrnahm, zahlte eine einmalige Gebühr resp. eine jährliche Abgabe. Konzessionsnehmer waren verpflichtet, ihnen bekannte Rechtsverstösse zu melden.
Ein besonderer Fall ist Bern war der Falken, später das Gesellschaftshaus zu Mittellöwen, das heute vom C&A bevölkert wird. Bern nahm ihn nach der Reformation dem Bischof von Lausanne ab und förderte ihn zum vorherrschenden Gasthaus, wo die hohen Gäste vom Kaiser bis Schriftsteller abstiegen.
Aehnliche Aufwertungen geschahen auch mit der Krone und dem Schlüssel. Damit wollte man dem Wildwuchs an Schenken, die gasthausähnliche Aufgaben übernommen hatten, Einhalt gebieten.

Wirtshäuser und Stuben ohne öffentliche Aufgaben und eingeschränkten Rechten
Die aufgeführten öffentlichen Aufgaben unterschieden Gasthäuser nicht nur von Schenken, sondern auch von Trinkstuben der Zünfte oder Gesellschaften, die im 15. Jahrhundert meist aus Privathäusern heraus entstanden und nur für Mitglieder bestimmte Gruppen wie Kaufleute oder Handwerker und Gesellen zugänglich waren. Sie bilden den zweiten Strang, aus dem heraus traditionelle Gasthäuser entstehen. Die Zünfte und Gesellschaften bildeten eigene Gemeinden, und die Zunftmeiste oder ähnliche Organe mit der niederen Gerichtsbarkeit ausgestattet.
Besonders erwähnen muss in Bern auch die Weinkellereien, die häufig zu einer Schenke gehörten. Gereicht wurden hier einfache Platten und vor allem viel Wein. Denn Bier war in die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend unbekannt. Und Kaffee- oder Teehäuser gab es im alten Bern nicht.
Der Wein kam zuerst aus den Untertanengebiete am Bieler- und Murtensee. Nach der Eroberung der Waadt wurde das Gebiet entlang dem Genfersee zur Quelle der Weinversorgung. Parallel dazu wurden die Weinkellereien zahlreicher, ja zur vorherrschenden Form der einfachen Wirtshäuser.
Einer der wenigen Nachkommen davon ist in Bern der städtisch betriebene “Klötzlikeller”. Denn die meisten Weinkellereien sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingegangen.

Lage und Person als Erfolgsfaktoren
Der ökonomische Erfolg der Gasthäuser hing sowohl von der Person des Wirts als auch vom Standort ab: Geschäftsfördernd waren Lagen an Transitrouten, an Wallfahrts-, Markt- und Messeorten, in städtischen und dörflichen Zentren nahe von Kirche und Markt sowie die Verbindung mit Bädern.
In Bern kennt man eine Häufung entlang der alten “Märitgasse” (heute Gerechtigkeits- und Kramgasse), aber auch der Aarbergergasse. Zudem gab es in der Matte mehrere Gasthäuser, die zum Badbetrieb gehörten.
Der Wirt entsteht als markante Figur zwischen Obrigkeit und Bevölkerung. Beide waren Männer. So wie die Wirte und die Wirtshausbesucher auch,
Geschlafen wurde in Herbergen lange in eigens eingerichteten Sälen. Gegessen in der Gaststube an langen Tischen. Gereicht wurde für alle das gleiche Essen.

Vom Busch zum Schild
Zur Kennzeichnung von Gasthäuser und Schenken schmückte man sie mit Büschen, Kränzen oder Reifen, was sich bei Schenken lange hielt, bei Gasthäusern durch Schilder und Namen abgelöst wurde. Beliebt waren Namen Kirchenpatrone, aber auch Wappen der Landes- oder Stadtherren.
In Bern ist hier insbesondere der Adler bekannt, der nach dem Neubau ein prächtiges Wirtshausschild bekam.
Aber auch die “Wäbere” gehört dazu. Schliesslich fällt eine auch die Gesellschaft zu Mittellöwen ein, die den Falken übernahm mit mit einem Roten Löwen versah, den es heute noch gibt.

Claude Longchamp

Stadtwandern für ausländische ExpertInnen der Raumplanung

Das wird morgen eine Herausforderung: Für eine internationale Delegation, die sich im Bundesamt für Raumplanung trifft, mache ich eine Stadtwanderung. Wir werden gegen den Winter kämpfen!

Der Typ der Führung ist bekannt: Beleuchtet werden die drei Ebenen des schweizerischen Staatswesens mit je einer Station zum Bund, den Kantonen und den Gemeinden/Städten. Dafür Besuchen wir das Bundeshaus, das Berner Rathaus und den Erlacherhof.
Dazwischen gibt es spezifische Exkurse zur Geschichte der schweizerischen Staatsentwicklung resp. zu direkten Demokratie als herausragendem Merkmal des Politsystems. Sie finden am Eingang zur Berner Altstadt resp. über der Plattform beim Münster statt.
Ich hoffe, wir sehen so etwas auch von der Agglomeration, denn die Fachleute aus dem Ausland sind für das Studium der hiesigen Raumplanung da.
Angenehmer Nebeneffekt: Die Führung findet auf französisch statt, was mir Gelegenheit gibt, das Vokabular von “Hotel de Ville” für Rathaus bis “tendences centrifugales“ für den aktuellen Zustand der Politik zu memorieren.
Auf den Winter haben ich mich eingestellt. Und meine Gäste sind vorgewarnt! Schnee wird es auch morgen auf jeden Fall haben. Vielleich zeigt sich Bern im weissen Zuckerguss – oder dann halt im Grau der trüben Januartage.

Bern Tourismus

#Beizentour: spätmittelalterliches Stadtleben in Bern

Zu den Besonderheiten der mittelalterlichen Stadt Bern zählte das Fehlen eines eigentlichen Marktplatzes. Die Berner retten sich normalerweise mit dem Hinweis, stets eine breite Hauptgasse gehabt zu haben, die als Ersatz diente. Doch wo war das politische Zentrum?


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Quelle: Berns mutige Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt

Die Quartiere der Gründungsstadt
Die Gründungsstadt war perfekt in die Aareschlaufe eingepasst. 1218 ging sie bis zum heutigen Zytgloggenturm. 1255 reichte sie bis zum Käfigturm, und 1346 war sie mittelalterliche Stadt fertig gebaut. Sie endete beim westlichen Stadttor mit dem hl. Christopherus, im Bereich des heutigen Bahnhofplatzes.
Charakteristisch waren die Gassen in den Ost/West-Richtung, wobei die mittlere, damals durchgehend Märitgasse genannt, die markanteste war. Quer zu ihr war in der Gründungsstadt die Kreuzgasse. Beide zusammen begrenzten die vier ursprünglichen Stadtquartiere.
Die Kreuzung in der Gründungsstadt ist denn auch das eigentliche Zentrum, das die vier Enden verband.

Herrschaftszentrum im Kreuz
Im Kreuz stand seit 1433 der Kreuzgassbrunnen. Der heutige ist der vierte mit diesem Namen. Seit dem dritten Brunnen, also seit 1657, steht er leicht westliche der Kreuzung, davor leicht östlich.
Die Wichtigkeit des Kreuzes zeigt, was um den Kreuzgassbrunnen war. Auf der westlichen Seite stand der steinerne Richterstuhl, auf der östlichen der Schandpfahl, wo Verbrecher dem Spot der Passanten ausgesetzt wurden.
Beides waren höchste herrschaftliche Symbole, denn die Stadt Bern besass seit 1415 das Recht, selber über Leben und Tod zu entscheiden. Vollstreckt wurden die Todesstrafen ausserhalb der Stadt. Verurteilt wurden die Delinquenten in der Stadtmitte.
Das Rathaus, seit 1415 nur ein paar Schritte nebenan, ergänzte die Szenerie. Auch es hatte zu Beginn keinen Platz davor. Das wertete das Kreuz mitten in der heutigen Altstadt nochmals auf.

Kein Marktplatz aber eine Märitgasse
Die Märitgasse war nicht nur herrschaftlicher Sammelpunkt. Es fanden an mehreren Stellen auch spezialisierte Märkt statt. Am östlichen Stadtende der Ankenmarkt (Buttermarkt), gefolgt vom niederen Viehmarkt, dem unteren Kornmarkt, dem oberen Viehmarkt und dem Gemüsemarkt.
Die Märitgasse fasst das problemlos, denn sie war für eine mittelalterliche Stadt unüblich breit. Ursprünglich wurde sie auf 60 Fuss oder 26 Meter angelegt. Selbst nach dem Bau der Lauben im 15. Jahrhundert mass sie noch 20 Meter. 2 davon gingen an den Stadtbach. Damit blieben je 9 Meter links und rechts davon.
Mitten auf der Märitgasse standen über dem Stadtbach auch die Schal, an denen Brot und Fleisch verkauft wurde. Sie waren ummauert und ohne Dach. Im Innern waren Bänke, auf denen die Waren feilgeboten wurden. Weiter östlich gab es zudem noch die Gerberhäuser. Da wurde mit auf der Strasse Leder hergestellt.

Gentrifizierung des Stadtzentrums
Alle Handwerker schlossen sich seit dem späten 14. Jahrhundert entlang ihrer Tätigkeit zu Gesellschaften zusammen. Zuerst traf man sich in der Stube des wichtigsten Berufsmannes.
Im 15. Jahrhundert beteiligten verschiedene Gesellschaften an der repräsentativen Umgestaltung der Berner Hauptschlagader, indem sie spezielle Gesellschaftshäuser mitten in der Stadt eröffneten. Die Bäcker und Metzger dominierten die untere Stadt, die Gerber und Schmiede die oberen Quartiere. Sie lösten die alten Quartierverwaltungen unter einem Venner ab.
Man kann auch ab 1450 von einer Art frühen Gentrifizierung der Stadt sprechen.
Im Zentrum waren die Gesellschaften der Politik, peripheren die Handwerksorganisationen. Verdrängt wurde so auch der Markt, der sich nach Westen verlagerte, als die Verkaufsstellen für Fleisch und Brot zwischen 1468 und 1488 abgebrochen wurden und die Lederproduktion in die Matte verlagert wurden. Der Name Märitgasse änderte allmählich in Gerechtigkeits- resp. Kramgasse, getrennt durch die Kreuzgasse. Die Marktgasse ist heute ausserhalb der Gründungsstadt.
Speziell waren zwei weitere Gesellschaften: Der Gesellschaft zu Distelzwang, ursprünglich Narren und Distelzwang geheissen, gehörten ab 1420 vor allem der Stadtadel und der Klerus der Reichsstadt an. Und in der Gesellschaft zu Mittellöwen waren die Fernkaufleute organisiert, die im 15. Jahrhundert bis nach Spanien und Polen aktiv waren.

Auch keine Zünfte, sondern Gesellschaften
In Bern waren Zünfte Verboten, es herrschte die Stadtaristokratie alleine, ähnlich wie etwa in Lübeck oder Venedig. Die Junker, wie sich die besseren Stadtberner im Mittelalter nannten, standen den Handwerker skeptisch gegenüber. Ihre Zusammenkünfte galten als Orte der Unruhe, weshalb man sie streng kontrollierte und vom Regiment ausschloss.
So hatten die Gesellschaften keinen direkten Zugang zum Rat. Dch bildeten sie keine Einheit: Die Vennergesellschaften, der Distelzwang und der Mittellöwen organisierten nicht nur Berufsleute, sie waren auch für Menschen offen, die eine Behördenlaufbahn anstrebten. Denn der Posten des Venners, dem Quartiermeister in militärischen und polizeilichen Fragen, versprach auch einem Metzger, Bäcker, Schmied oder Geber eine politische Karriere. Schuhmacher, Weber und Schiffleute hatten dagegen kam Chancen.

Gesellschaftshäuser als Geburtsstätten der Weinschenken
Welche Rolle die Weinschenken spielten, die zuerst in den Gesellschaftsstuben entstanden, erzähle ich im nächsten Post. Vorerst nur so viel: Der Wein floss reichlich!

#Beizentour: eine kleine Geschichte der Wirtshäuser in und um Bern

1975 publizierte die «Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde» einen Abriss zur Geschichte der Berner Wirtschaften. Er war zwar schon 100 Jahre alt. Doch gab und gibt er eine geraffte Uebersicht über die Entwicklung der Gastgewerbes von 1415 bis zum Ende des 19. Jahrhundert, die ich als Basis für meine Beizentour hier gerne zusammenfasse.


Links: Restaurant Zum Aeusseren Stand Bern. Rechte Bären Münsingen
Quelle Wikipedia

Anfänge bis zur Reformation

Bern wurde 1415 Reichsstadt. Man war das unbestrittene Zentrum im Aaretal. Das Handwerk in der Stadt aufblühte auf. Organisiert war es in Gesellschaften (Zünfte), die sich Gesellschaftshäuser oder geschlossene Vereinigungsorte hielten.
In diesen Gesellschaftshäusern entwickelten sich die ersten Weinschenken. Sie war jedoch nicht zwingend an ein Lokal gebunden. Denkbar war auch ein Platz oder ein Veranstaltungsort. In aller Regel war damit verbunden, nebst Wein auch Brot und Fleisch feilzubieten. Ein solcher Ort war in der Stadt Bern am oberen Ende der heutigen Gerechtigkeitsgasse.
Für Reisende entstanden separat Herbergen und Tavernen, auch Gasthöfe resp. Gasthäuser genannt. Gasthöfe habe es in Bern im 15. Jahrhundert nur zwei, den abgegangenen Hirschen an der Aarbergergasse und die immer noch bestehende Krone an der Märitgasse (heute Gerechtigkeitsgasse).
Auf dem Land waren die adeligen Grundherren für die Bewilligung zuständig. In der Stadt machten das die Behörden, welche die Gasthöfe mit Privilegien förderte.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts nahm das Gastgewerbe raschen Aufschwung und entwickelt sich ziemlich unkontrolliert.

Die Reformation und ihre Folgen

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatte das Gastgewerbe raschen Aufschwung genommen und sich ziemlich unkontrolliert entwickelt. Damit macht die Reformation 1528 Schluss. Gasthäuser galten nun als Orte des Verderbens, wo Männer Hab und Gut verprassten und Frau und Kind in Not stürzten.
Der reformierte Staat baute die Wirtschaftspolizei aus, hielt bindende Tarife für Essen und Trinken fest und verbot gleich alle Neben- oder Winkelwirtschaften. Wer keinen Zins entrichtete, wurde geschlossen. Ausserhalb der Stadt beliess man in der Regel ein Wirtshaus je Dorf.
Ab 1546 verkaufte die Stadt ihre Wirtshäuser und Herbergen, so zum Beispiel den legendären Falken, der später zum Gesellschaftshaus zu Mittellöwen wurde, aber auch die Krone und den Schlüssel, damals führende Gasthöfe.
1628 und 1688 drohte man allen neu entstandenen Tavernen auf dem Land mit der Schliessung. Nur wer einen geregelten Betrieb garantieren konnte, hatte Bestand. 1628 waren das in der Republik 185 Tavernen, 4 Pinten und 4 Bäder. 1688 wiederholte man die Aktion, beliess 192 Tavernen, 41 Pinten und 13 Bäder. 50 Wirtschaften wurde geschlossen.
In der Stadt kam es von 1637 bis 1713 fünfmal zu Verboten vor allem von Gesellschaftshäusern, die wie Herbergen funktionierten und unerlaubt Mahlzeiten reichten, Reisenden Zimmer anboten und ihre Pferde unterbrachten.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts gab es die ersten zu Lockerungen der protestantisch geprägten Wirtschafsethik, allerdings verbunden mit neuen Zinszahlungen, die sich nun nicht mehr nur auf die Nutzung des Bodens, sondern auch der Wirtshäuser selber bezogen.

Die kurzlebige Helvetische Republik

Die Helvetische Republik brachte einen massiven Einschnitt in die gewachsenen Strukturen und langlebigen Traditionen. 1798 deregulierte man das Gewerbe in drei Schritten. Generell galt nun Gewerbefreiheit, auch Gastgewerbefreiheit-
Doch bereits im Herbst 1799 gab es eine hefitge Gegenreaktion gerade aus dem Gastgewerbe. Behördlich eingeführt wurden nun hohe Patentgebühren, welche die neuen Wirtshäuser zahlen, während die alten nur eine einfache Taxe errichten mussten.
Ein halbes Jahr später wurde die Zahl neuer Patente zuerst beschränkt, weitere sechs Monate wurde später ganz untersagt. Das rasche Wachstum der Branchen kam zu einem jähen Ende.

Neuordnung mit dem Kanton zu Beginn der Mediation

1804, bereits zu Zeiten der Mediation, ordnete der neue Kanton Bern das Gastgewerbe neu. Nun unterschied man Tavernen oder Gasthöfe (286), Pintenschenken/Weinkeller (111) und Bäder mit einer Wirtschaft (39). Das blieb bis Ende der Restauration 1831 so.
Doch stellte sich 1816 eine neue Herausforderung, als das Fürstbistum Basel (Jura) dem alten Kantonsteil angeschlossen wurde. Das brachte dem Kanton auf einmal 531 neuen Wirtschaften. Zudem waren sie in auberges, cabarets, bouchons, cafés et bains unterteilt. 291 davon hob man gleich auf, 240 Teile man den bestehenden Tavernen, Pintenschenken/Weinkeller und Bäder zu. Freunde verschafften man sich damit im neuen katholischen Kantonsgebiet nicht!

Der Durchbruch in die liberale Moderne
Der liberale Kantons Bern einigte sich 1833 auf ein neues Patentrecht für Wirtschaften. Zwar brauchte es noch eine längere Zeit, bis es sich gegen die alten Rechte und Strukturen durchgesetzt hatte. Aber es regelt das Wirtschaftsrecht neu.
Man kann es auch als Durchbruch in die liberale Moderne nennen. Denn das Angebot vervielfältigte sich. Das war die neue Einteilung mit den neuen Definitionen:

Gasthöfe: Gäste bewirten und beherbergen sowie Pferde und Fuhrwerke aufnehmen
Gesellschafts- oder Stubenwirtschaften: Gäste bewirten, egal ob sie auch beherbergt werden
Pintenschenken oder Kellerwirtschaften: Gäste mit kalten Speisen zu bewirten und Feste bedienen
Badwirtschaften: Badegäste während einer beschränkten Zeit bewirten oder beherbergen
Pensionshäuser: ordentliche Kostgänger bewirten und möblierte Zimmer vermieten
Leistwirtschaften: Mitglieder geschlossener Gesellschaften bewirten
Speisewirtschaften (Traitorien): ordentliche Tafel halten, Gäste zu allen Stunden des Tages bewirten
Kaffeewirtschaften: Kaffee, Schokolade, Tee, Erfrischungen, Flaschenweine, Bier und andere geistige Getränke ausschenken
Bierwirtschaften: Bier und gebrannte geistige Getränke ausschenken und verkaufen

Die erste Zählung auf dem Stadtgebiet von 1836-8 zeigte 260 Wirtschaften. 100 davon waren im Radius von 100 Metern rund um den Zytgloggenturm, viele von ihnen waren Weinkeller.
Doch sollte sich die Struktur mit der Moderne rasch ändern, denn bis am Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden fast alle der Weinkellereien in der Stadt. Entweder wurde aus ihnen eine Speisewirtschaft, oder sie gingen ein – bis auf den Kornhauskeller und den Klötzlikeller, welche die Stadt zur Erinnerung an eine typische Form der Berner Wirtschaften unterstützte.

Noch fehlten Restaurants und Hotels. Sie kamen mit dem Tourismus auf, und mit Bern als Bundesstadt. Dazu später mehr!

Stadtwanderer

Quellen:
https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=zgh-001%3A1975%3A37%3A%3A199
https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=zgh-001%3A1977%3A39%3A%3A168

#Beizentour: erste Caffees in Bern

Caffeewirtschaften, wie es das Amtsdeutsch nennt, kamen in Bern erst spät auf. Gasthöfe, Stubenwirtschaften, Weinkeller, Pinten und Badwirtschaften sind älter.
Wohl entstanden die Caffees unter französischem Einfluss während der Helvetischen Republik (1798-1803) oder kurz danach. Die erste städtische Übersicht über Wirtschaften mit einem Patent in Bern erwähnt für die Zeit 1836/8 gerade mal 10 Caffees auf 260 Wirtschaften.
Gemäss Gesetz von 183374 hatten sie das Recht, Kaffee, Schokolade, Tee, Erfrischungen, Wein (in Flaschen), Bier und geistige Getränke anzubieten.
Eines dieser Caffees war das der Witwe Thalmann an der Münsterhasse 22. Heute ist es ein Teil des traditionsreichen Restaurants Harmonie an der Hotelgasse, das Fritz (Jimmy) Gyger führt. Geblieben ist der Eingang mit der Türe der Harmonie zur Münstergasse.
Ich war da heute wie einmal Mittagessen. Ganz bewusst im alten Caffee-Abteil.
Es war, wie immer, fein!

PS:
Weitere frühe Caffeewirtschaften in Berns Altstadt: Das erste Verzeichnis der Wirtschaften in Bern, das ich bereits für den vorangegangenen Beitrag benutzt habe, erschließt einem nach dem Caffee Thalmann auch acht weitere Caffeewirtschaften, die Ende der 1830er Jahren Bestand hatten. Ob eine von ihnen die älteste ist, weiss ich nicht. Es könnte aber gut sein!
Das ist das Ergebnis meiner Recherchen zu den Fotos vor Ort.

Foto 1 Hotelgasse 10, damals Münstergasse 22, Caffee Ludwig Rouillet (Patent von 1836), heute Nebeneingang zum Restaurant Du Theatre.

Foto 2 Münstergasse 78, Caffee Rodolphe Jaccard (1836), heute Interieur Möbelgeschäft

Foto 3 Junkerngasse 58, Caffee Carl Zetzendeker (1838), heute Nebeneingang eniline GMbH, Restaurant, Bar, Styling Modeberatung

Foto 4 Gerechtigkeitsgasse 74, damals Caffee Fornallaz (1837, ab 1838 Speisewirtschaft F.)), heute Restaurant (Café) du Commerce

Foto 5 Rathausgasse 50, damals Caffee Abraham Neuhaus (1838), heute leer stehend

Foto 6 Kramgasse 26, damals Caffee Witwe Giudice (1836), heute O. Scherer Antiquitäten

Foto 7 Käfiggässlein 8, damals Caffee Gypsermeister Giobbe (1836), heute Hintereingang Restaurant Santa Lucia

Foto 8 Neuengasse 44, damals Caffee Friedrich Wagner (1838), heute Burger King Bern an der Genfergasse 4

Demnach sind mit dem Caffee Thalmann 6 im Gastgewerbe geblieben (wenn auch keines mehr als Caffee bezeichnet werden kann, 2 haben die Branche gewechselt und ein Lokal steht leer .

Die 10. Caffeewirtschaft, welche die städtische Statistik erwähnt, habe ich übrigens noch nicht gefunden. Sachdienliche Hinweise können gerne hier abgegeben werden!

Stadtwanderer

Spurenlese für meine neue Beizentour

Ein ganz normaler Recherche-Samstag …

Das schöne Januar-Wetter lockte mich heute auf eine Erkundungstour durch Bern. Mein Ziel war es, die Standorte der acht traditionsreichen Gasthöfe im Alten Bern (vor 1798) zu finden und zu dokumentieren. Ein Teil davon wird in meine neue Beizentour integriert werden, die im Frühling 2023 startet.

Eine handliche Geschichte der alten Gasthöfe Berns kenne ich nicht. Ich weiss nur, dass sie ausserhalb der Stadt als Herbergen und Orte für Speis und Trank schon seit dem 13. Jahrhundert Bestand hatten. In der Stadt war das noch lange Aufgabe der damaligen Klöster allen voran des Prediger- oder Dominikanerklosters bei der heutigen Französischen Kirche. Da sollen König Sigismund von Ungarn und Kaiseranwärter sowie Papst Martin V. gehaust haben, als sie das Rathaus einweihten resp. den Startschuss für den Münsterbau gaben.
Hilfereiche Spuren zu den Gasthöfen finden sich vor allem beim verstorbenen Berchtold Weber, der mit dem Historisch-topographischen Lexikon der Stadt Bern eine wertvolle, akribischer Kleinstarbeit geleistet hat.

Mein Fazit der heutigen Wanderung: Drei der traditionsreichen Gasthöfe findet man heute noch an bekannter Stelle und verwandtem Namen. Es sind dies die Krone (2), der Adler (vormals aber Weisses Kreuz, 4) und der Goldene Schlüssel (6), alle in der unteren Altstadt. Eine Altstadt-Herberge, den Wildemann (3), gibt es gar nicht mehr, es ist ein einfaches Wohnhaus.
Alle alten Gasthöfe in der oberen Altstadt sind verdrängt worden. Ein Standort, den Gasthof Hirschen, beherbergt heute noch die Casa Marcello, ein Treffpunkt für Aussenseiter. Der Gasthof Storchen (5) ist trotz Umzug ganz verschwunden, verdrängt durch den heutigen Globus. Auch der Gasthof Sternen (8) ist durch ein langweiliges Geschäftshaus für ICT-Berufsbildung abgelöst worden. Immerhin gibt es eine indirekte Nachfolge in Bümpliz. Der Gasthof Bären (7) schliesslich steht noch, wenn auch an einem anderen Ort.

Bis vor Kurzem war mir nicht klar, dass ich selber vom Verdrängungsprozess profitiert habe: Da, wo ich mein erstes Büro als selbständiger Politforscher hatte, dem heutigen “Vatter.Business Center” war der besagte Gasthof Bären. Mein Eingang zum Haus war aber am Bärenplatz 5, nicht wie früher an der Spitalgasse 1.

Hier schon mal der Stadtplan mit den acht Standorten und den Namen.

Bald kommt mehr!

Stadtwanderer