marco polo in mir

die aquavitflasche ist seit vorgestern leer, der ferienschnauz wurde gestern rasiert. und den rasen haben wr heute ebenso glatt geschnitten. denn es ist zeit, holzhausen für 2011 auf wiedersehen zu sagen – und sich auf das nächste mal zu freuen.

macopolo1die letzten tage waren warm, sehr warm. bis zu 30 grad zeigte das termometer am schatten. und doch änderte sich etwas. das licht ist fahler geworden, und der wind kräuselt die birken immer häufigen. das alles sind untrügerische zeichen, dass sich der spätsommer in holzhausen ankündigt.

auch unsere schwalben scheinen den wechsel zu merken. Sie schwirren nervöser durch die lüfte, sind weniger auf futtersuche für die jungen aus, davor halten sie ausschau nach anderen familien, die mit ihnen die grosse reise in den süden antreten werden.

das gilt ja auch für uns. in weniger als 24 stunden versammeln wird uns mit anderen auf dem flughafen – vor oslo. fragen stellen sich, zum beispiel, man im airport gardermoen etwas von der traurigkeit spürt, die das land erfasst hat, nachdem es einen teil seiner kinder verloren hat. zu gerne würde man auch wissen, ob mit der jugend 2011 eine neue generation entstehen wird, die radikaler ist, sei es in sicherheits- integrationsfragen angeht.

von der schweiz habe ich nicht viel, aber einiges via internet und die gelegentlichen mails meiner leute mitbekommen. es scheint mir, gespannte ruhe vor dem wahlherbst zu herrschen. niemand will sich zu früh exponieren oder gar vorausgaben, doch merkt man, wie die parteien in den startlöchern sitzen.

was ich mir für die kommenden monate, ging mir heute beim finalen rasenmähen durch den kopf. „nichts!“, war meine erste antwort, denn in meinem alter weiss man: gute vorsätze sind gut, doch werden sie selten eingehalten. dann viel meine innere befragung inhaltsreicher aus: mehr auf die gesundheit achten. nach dem langen winter geht es meinem linken fuss deutlicher besser, jedoch liegt mir der bauch wörtlich auf dem magen, und ich muss meine ohren kontrollieren lassen. unübersehbare stresssymptome, sagte die nette ärztin aus österreich, die ich in hier einmal aufsuchte. mehr musse haben, weniger essen, und alles ein wenig verlangsamen, empfahl sie mir. Typsisch schwedische lebensweiseheiten, dachte ich mir, und ich werden mir diesen rat zu herzen nehmen. Ein paar pfunde habe ich ja bereits abgenommen.

wenn ich mein traumbuch während den ferien durchgehen, merke ich, der jetzigen schweiz ziemlich ambivalent gegenüber zu stehen. ich brauchte gut zwei wochen, um mich zu lösen. heftig träumte ich von bern und freiburg. schlüsselfiguren waren regula stämpfli, die umtriebige kolumnistin, aber auch lukas golder, einer meiner führenden mitarbeiter. immer wieder war ich an sitzungen, wo wichtiges entschieden wurde. roger de weck, der generaldirektor der srg, und heinz däpp, der pensionierte berichterstatter aus dem bernischen grossen rat, haben mich am meisten beeindruckt. überrascht war ich, dass auch cindy craford vorkam, die einen werbejob für die angeschlagene bundesverwaltung übernehmen sollte. und selber marco polo tauchte aus seiner versenkung in venedig in meinen träumen auf.

überhaupt vieles drehte sich um bahnhöfe, zugfahren und reise in ferne länder. fast macht es den eindruck, ich bereit mich innerlich auf einen umbruch vor. königsberg, die stadt des aufklärers immanuel kant, aber auch peking, der ort des grossen aufbruchs ins 21. jahrhundert, und L.A., wo die amerikanische dekanz unveränderte ihre geniale produktionsstädte hat, würde mich reizen. vorerst bleibe ich aber auf dem bisweilen harten, immer wieder aber abwechslungsreichen boden der berner pflastersteine. ein wenig freue ich mich schon auf das leben in hinterkappelen, die arbeit in bern, zürich und st. gallen, und das stadtwandern, wo auch immer es sich ergibt.

mit gelassenheit haben wir heute gepackt. die traditionelle pizza zum frühstück am reisetag steht schon bereit, und der filter im trichter, um kaffee zu brauen, warten bereits auf seinen einsatz. bis dann feiern wir mit den kindern, die auf besuch waren, einen vorgezogenen 1. august mit feuerwerk über dem see.

stadtwanderer

der loppis von tyngsjö und der wandel der generationen

unser heutiger besuch galt dem loppis von tingsjö – dem trödlermarkt am alten versammlungsort am see, wie man das ganze auf deutsch nennen würde.

der loppis von tingsjö ist fast schon legendär. einer der abwechslungsreichsten, eine vielfalt an möglichkeiten und ein bijou an gefühlen, sagt ich nur. letztlich ist er auch eine reichhaltige informationsquelle über die konstanz und den wandel des schwedischen familienlebens.

der raum zum handeln ist nicht gross, vielleicht misst er fünf mal sechs meter. in der mitte ist ein grosser tisch, rund herum hat kleine ausstellungsbänke und -gestelle. die beiden fenster auf den seiten und die ausgangstüre am ende geben ein wenig licht in den dunklen, dafür umso spannenderen raum.

meine höchste aufmerksamkeit geniesst die werbung aus den 50er jahren des 20. jahrhunderts in der hinteren ecke rechts. email-plaketten, wie sie auf dem land so typisch waren, verkünden den lebensstils der frühen nachkriegszeit. es dominiert das aufkeimende freiheitsgefühl der amis im schwedischen bauernsozialismus. ein leicht vergilbter zeitungsartikel über das neueste bei chrylser und dodge bringt einen in stimmung. dann geht es um vespas und mopeds, um jünglinge, die bei ihrer verehrten vorfahren, um geburtstagsgeschenke, vielleicht zur volljährigkeit, die den staunenden jungfrauen überreicht werden. den etwas gereifteren frauen empfiehlt man, in septischen tönen, lange, elegante abendroben, wie man sie in schweden auf dem land kaum gesehen haben dürfte. da passt das prächtige schild für den väterlichen herrn zu neuartige jagdpatronen deutlicher besser in die landschaft. nicht vergessen wurden die kinder von damals, für die cacao aus übersee angeboten wurde.

die praktiker unter den besuchern verweilen in der ecke hinten links, wo sich gerätschaften aller art findet. hammer, klein und gross, zangen für jeden zweck, aber auch harte sachen wie schwere beile oder holzklemmen bekommt man hier. mehr fürs feine sind die holzschnitzer fürs birkenholz oder die pinsel zum lackieren. was dann fertig ist, kam vielleicht in einen der kupferkessel oder wurde auf der messinggplatte mit stolz gezeigt.

wäre da nicht das alte radio, würde man sich in der steinzeit wähnen. denn in dieser ecke bekommt man den eindruck, dass sie eigentlich nie etwas geändert hat. das radio mit seinen hunderten von vorprogrammierten stationen setzte dem ein ende. jetzt konnte man modern sein, die nachrichten aus halb europa hören, oder aber traditionell bleiben, und auf einen schwatz in die küche gehen, die im loppis von tingsjö in der ecke vorne links repräsentiert wird.

da überragen die gewürztöpfe alles. der für kardamom steht thronend zuoberst. es folgen im zweiten tablar die für schwarz-, weiss- und kräuterpfeffer. nicht fehlen dürfen diverse behälter für nüsse, muskat und nelken im dritten rang. die getränkeauswahl erschliesst sich einem aus den sets daneben. ohne zweifel kostete man bereits viel tee, aber auch kaffee gab es. der bierkrug wiederum, ein wenig germanisch wirkend, ist in seiner form unverkennbar, während in den einfachen gläsern saft, wohl aus waldbeeren, gereicht wurde. die kleinen gläser mit ständer und umgekehrtem zylinder präsentierten den aquavit mit sicherheit gleich wunderbar wie heute. und wer gut gegessen und getrunken hatte, der rauchte wohl noch eine selbstgedrehte zigarette, deren tabak man in einer der reich verzierten dose aufbewahrte.

der tisch in der mitte ist eine welt für sich. über allem eine kleine, wohlgeformte lampe – wer weiss, vielleicht aus glas, das man in venedig geformt hatte. sicher ist, dass das grosse gschirrset aus china kommt. da können figuren aus allen herren länder nicht fehlen. ein elephant aus schwarzem holz findet sich, genauso wie ein elegantes pferd aus glas, zwischen allem. und es sieht dich ein bittender neger wie in der sonntagsschule an, während die balettänzerin aus porzellan vor dir durch die lüfte zu schweben scheintt. leichtigkeit vermitteln auch die schüsseln aus grünem glas, das bemalte teeset und die blumenvase, die in die höhe schiesst wie langstilige rosen.

zu guter letzt ist man in der rechten vorderen ecke angelangt, wo man zahlen kann. irgend etwas zwischen 20 und 200 kronen wird der einkauf schon kosten. das sind dann 3 oder 30 schweizer franken. was man dafür bekommt, ist auf jeden fall mehr wert. denn im loppis zählen nicht nur die erstandenen gegenstände, es sind die lebenswelten und –stile, die man hier genauso mitnimmt wie vergessen geglaubte erinnerung und melancholische gefühle.

für realitäten sorgen die beiden damen zum schluss. sie könnten mutter und tochter sein, so sind ihre gesichter ähnlich. nur, dass die ältere viel sanfter wirkt, die jüngere viel härter. die zeigt dir schon mal die kalte schulter mit dem tattou, wenn sie einpackt. wärmer wirkt ihr tiefer ausschnitt, denn er gibt ihren busen mit dem feuerzeug in der mitte frei, während sie leicht gebeugt das gewünschte in zeitungspapier rollt, in eine blaue tüte steckt und mit einem coolen lächeln überreicht. fürs schlicht pekuniäre ist die schicke dame im landlichen lock vergangener tage zuständig, welche die geldscheine fast schon streichelt, bevor sie sie in die kasse versorgt.

so ändern sich generationen, denke ich mir beim hinaustreten – und sage: beybey whiskeyglas, tschüss ambos, au revoir waschbrett und hejda loppis.

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svenska rallyt (schweden rally)

wenn bärbi mit sicherer hand durch die wälder von holzhausen braust, entsteht bei mir schon mal das gefühl, bei der schweden rally dabei zu sein.

es ist bekannt. mit meinen autofahrkünsten ist es nicht weit her. umso mehr bewundere ich jeden und jede, die dieses handwerk gründlich beherrscht.

zum beispiel bärbi, meine kundige führer- und fahrerin über die strassen von holzhausen.

im normalfall fährt sie ganz normal. für unsere hauptstrecke zum einkauf braucht sie dann etwas weniger als 30 minuten. wenn sie auf die tube drückt, kann es schon mal sein, dass wir in gut 20 minuten am ziel sein.

bisweilen hebe ich mit ab, wenn bärbi mit schuss über die landstrassen rollt. geteert sind die die waldverbindungen nur ganz nahe der ortschaften. der rest ist schotterstasse. wo diese durch die vielen lastwagen wirklich flach gedrückt ist und keine schlaglöcher hat, kann man schon mal mächtig in fahrt kommen.

im abfallenden gelände braucht es nicht einmal das gaspedal. der leerlauf genügt, um auf gerader strecke schnell 60, 70 oder auch 80 sachen drauf zu haben. dann flitzen die bäume nur so an uns vorbei. schaut man weit nach vorne, kann man sie einzeln fixieren und das tempo an ihrer wachsenden nähe ablesen. blickt man dagegen auf die seite, sieht alles unbestimmt aus, einfach dunkelgrün, selten durchsetzt mit etwas sonnenlicht.

ich mag es, mit offenem fenster zu fahren. Wahrscheinlich würde ich sogar ein cabriolet schätzen. Ausser bei regen. so ziehe ich unseren mietopel mit dach vor. mit vorliebe spiele ich aber bei heruntergelassener scheibe mit der ausgestreckten hand im wind. da spürt man, wie es wäre, ein flügel zu sein, dessen flossen der pilot im cockpit minutiös steuert.

alles, was flügel hat, kann auf den schwedischen waldwegen zum problem werden. die waldtauben sind bei solchen fahrten die grösste gefahr. Vom wagenlärm erschreckt, fliegen sie vom boden auf, können aber nicht steil aufsteigen. so nutzen auch sie die strasse als flugraum, bisweilen nicht viel höher als ein auto. einmal flog eine der waldtauben hunderte von meter vor uns her; erst als die nächste abzweigung kam, bog sie sauber nach links ab und machte uns so den weg frei.

wenn es geregnet hat, sind tempofahrten in holzhausen fehl am platz. dann ist es besser, ganz vorsichtig die holprige strasse zu meistern, denn die pfützen können sich innert tagesfrist bemerkenswert tief in die strasse einfressen.

vorsicht ist auch in den kurven angesagt, denn nicht überall kann man problemlos ausweichen, sollte mal gegenverkehr sein. immerhin, alle 100 meter ungefähr hat es ausbuchtungen der wege, die es erlauben, gefahrenlos zu kreuzen. da lernt man den charakter der anderen fahrerInnen am besten kennen. denn die rücksichtsvollen halten in den ausweichstellen ihrer seite an, wenn sie einen erblickt haben; die rücksichtslosen blochen ohne zu zögern vorbei und zählen ohne gruss darauf, dass das gegenüber ganz nahe ans strassenbord geht.

das kann schon mal ins auge gehen, denn da kann der weg unterspült sein, abrutschen, im schlimmsten fall schon mal einbrechen. an einer stelle mitten im wald erinnern wir uns bis heute bei jeder durchfahrt, einem bedrohlich schräg in der landschaft stehenden laster begegnet zu sein.

wenn die fahrer der grossen holztransporter mit ihren gefährten abgeladen durch die gegen fahren, erreichen sie bald einmal geschwindigkeit am oberen ende des erlaubten.
das laute scheppern der anhänger und der ladebrücken kündigt sie jedoch schon weit im voraus an; und die staubwolke, die sich hinter ihnen bildet, lässt einen sicher sein, dass da erst gerade einer war.

zu unserem glück ist der verkehr in holzhausen gering. als durchgangsstrasse taugt der weg nicht wirklich. es sind die zubringerfahrten der holzarbeiter, die zählen. selten verirren sich töffahrer – genagelte schmetterlinge, wie wir sie nennen – hierher. einmal, als wir an einem tag mehrere passanten auf vier rädern zählten, beklagten wir uns lauthals, der verkehr nehme unerträgliche ausmasse an! und lachten über uns selber …

in unserer weiteren umgebung findet immer im februar die svenska rallyt statt. ihr zentrum ist hagfors. ein grossen plakat mitten in der kleinstadt kündigt das main event aller autofans in värmland an. wenn bärbi ihrem wagen freie fahrt gewährt, kann es schon mal sein, dass auch ich meiner fantasie freien lauf lasse, und unsere fahrt durch die schwedische wälder wie ein radioreporter an der lokalen strassenrundfahrt kommentiere.

in bern würde ich mich dafür schämen!

stadtwandere

die hölle und das paradies

gemäss den letzten verfügbaren informationen sind dabei 91 menschen ums leben gekommen, 84 alleine im sommerlager der sozialdemokratischen jugend.

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aus dem paradies sei die hölle geworden, sagte heute morgen jens stoltenberg, der norwegische ministerpräsident, im radio, als er zum schrecklichen doppelattentat im regierungsviertel von oslo und auf einer vorgelagerten insel stellung nahm.

nach augenzeugenberichten ist der attentäter kurz nach der bombenexplosion in der norwegischen hauptstadt als polizist verkleidet und mit gesicherter waffe auf die insel mit dem camp gefahren. dort gab er vor, einen sicherheitscheck vornehmen zu müssen. die rund 600 jugendlichen wurden gerade versammelt, um über die tat in der hauptstadt informiert zu werden, als der attentäter unvermittelt in die menschenmenge schoss. es scheint, dass der erste anschlag nur dazu genutzt wurde, die stimmung herzustellen, welche die eigentliche tat erst ermöglichte.

obwohl örtlich so nahe, sind wir hier in holzhausen so fern den schrecklichen ereignisse. das internet verbreitet sie zwar in windeseile; nur eine halbe stunde nach dem ersten anschlag waren wir über das wichtigste informiert. Auch über das radio bekommt man etwas von der erschütterung des nachbarlandes mit, die in der nachkriegszeit ihresgleichen sucht.

doch wirkt dies alles so unrealistisch: „ausgerechnet norwegen!“, denkt man sich. so reich, so zivilisiert. ausgerechnet die sozialdemokratische jugend, die sich für eine besser welt versammelte, könnte man nachschieben. und man muss sich fragen, warum das ganze?

antworten sind schwer zu finden. natürlich, man weiss um die attentate auf olof palme und anna lindh in schweden. doch die galten sozialdemokratischen politikerInnen, deren einfluss auf die welt nicht allen passten. das setzte die bekannte kritik an der linken politik ab, die für die mehrheit politisch bleibt, bei extremisten aber batürliche hemmschwelle gegenüber gewalt senkt.

dennoch, das ganze hat eine bis gestern unbekannte dimension. betroffen ist das friedliche norwegen. getroffen hat es junge menschen, voller ideale, aber ohne macht. wahllos wurden sie erschossen, einfach, weil sie da waren.

zuerst hiess es, es seien islamistisch motivierte anschläge, um den rückzug norwegens aus afghanistan zu erzwingen. ganz unplausibel wirkte diese hypothese nicht, denn nach der liquidierung von osama bin laden durch die usa hatte man immer wieder gehört, die neue al quaida werde sich rächen. doch passt der hergang des geschehen sowenig zu den ereignissen.

passender wirkt da, die multikulturelle politik der linken norwegischen regierung sei der auslöser. in rechtspopulistichen kreisen gilt sie als schandtat, als verrat am eigenen land. zwar gehört, so liesst man, der attentäter nicht zur norwegischen neonazi-szene. doch habe er über facebook konservative, christliche und nationalistische kritik betrieben, bevor er zur eigenen tat schreitet.

anomie nennen das die soziologInnen: orientierungslosigkeit angesichts des auseinanderfallens von zielen und normen, von wünschen und verhältnissen. die kann politisch verschiedene, auf jeden fall unüblich folgen haben. dazu gehört das ausrasten, als einzelner, als kleine gruppe. eine politische gemeinschaft ist defür nicht einmal nötig.

doch wie gesagt, dass geschehene ist real, erleben kann man es hier nicht. so bleibt, dass der bericht vor allem ein virtueller ist, bei dem vorsicht angesagt bleibt. denn im paradies von holzhausen wirkt das an sich sehr, sehr irreal.

stadtwanderer

sunrise in the nature

lange schon wollte ich wissen, wie sie stimmung ist, wenn elche ins bett gehen. und so stehe ich heute ganz unüblich früh aus meinem auf.

es ist vier uhr, als ich die kanadagänse störe, die ganz in unserer nähe übernachtet haben. als sie mich erspähen, zieht die leitgans ohne zu zögern davon, und die anderen acht tiere folgen ihr in einer eindrücklichen v-formation. die bilden sie automatisch, ohne einen laut von sich zu geben. bald schon werden sie darauf angewiesen sein, dass der verbund klappt, um gemeinsam über den atlantik zu fliegen.

so früh am morgen ist es im schwedischen urwald ganz still. dazu passt, dass der himmel in grauen schwaden schläft. genauso wie die beiden boote, die man vor langer zeit hier parkiert hatte. das eine war noch gewendet worden; sein bauch ist schon mit moos überzogen; dass andere versinkt im schweren wasser, dass sich in eben diesem bauch sammelt, stück für stück.

erst wenn die sonne ihre ersten strahlen schickt, erwacht der himmel in allen farben. direkt über über den hügeln dominiert weiss, dann folgt fahles hellblau, schliesslich glänzendes blau. die wolken der nacht haben sich aufgelöst, was bleibt, wirkt wie der letzte schlaf im gesicht eines kindes.

über dem see bilden sich die ersten nebelschwaden. sie steigen auf, vielleicht einen meter hoch. es ist, als würden sie auf der bühne aus wasser tanzen. so bleibt nur ein schluss:

der tag ist da!

jetzt schimmert das erste gelb der sonne vom horizont. die leuchtende kugel geht direkt über einer baumgruppe auf einer kleinen insel im see auf. sie wirkt unheimlich kräftig, scheint ganz güldern.

es will mir scheinen, dass die seerosen ihre köpfe recken. auf dem schilf funkeln die tropfen des taus, und die birkenblätter glitzern im ersten wind.

der see gleicht einem erleuchteten spiegel. jeden baumwipfel sieht man in ihm verdoppelt. und jede wolke bekommt ihr geschwister. selbst einen zweiten mond hat die erde jetzt. nur das holz, das im wasser schwimmt, findet sich am himmel nicht. das ist gut, denn so weiss man unverändert, was oben und unten ist, wenn die natur einem den kopf verdreht.

von den alten völkern im norden sagt man, sie glaubten, die toten vorfahren im wasser würden in solchen momenten auferstehen und nachsehen, was ihre nachfahren aus dem wald gemacht haben. wenn es gut war, schickten sie wärme, luft und regen, sodass alles weiter gedieh. wenn es jedoch schlecht war, zogen stürme, blitze und donner auf, vor denen niemand sicher sein konnte.

heute glaubt man nicht mehr an solche geschichten. mystisch ist die stimmung während der geburt eines neuen tages trotzdem. unweigerlich streckt man die arme in die höhe, um die kraft des morgens in sich aufzunehmen!

doch fährt das erste auto voll von waldarbeitern vor, sodass die waldtauben erschreckt davon fliegen. für mich ist es zeit, ins hüttchen zurückzukehren. eine schale ekologiskt cornflakes aus dem ica mit frischer milch samt banane gibt es noch, bevor ich wieder unter die decke krieche.

genauso wie sich die elche in ihre büsche zurückziehen, bis sich das spektakel unter dem sonnenlicht wieder legt.

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zum beispiel ekshärad

stadtwandern in värmland: zum beispiel in ekshärad im klarälvtal. ein porträt aus zuneigung.

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wenn man in die stadt rein fährt, könnte man sich ein wenig im mittleren westen der usa wähnen. linker hand bietet ein grillkoch steaks, würste, hamburger in einer umgebauten flachdach-garage zwischen einfamilienhäusern an. und auf der rechten seite findet sich, zwischen tankstelle und tante-emma-laden eine grosszügige pizzeria, deren eingang inszenierte gemeinschaftliche stimmung verheisst.

wären da nicht die auffahrtrampen für behinderte, welche die eigene vorstellungswelt einholen und einen unweigerlich nach schweden zurückführten, wo man gesellschaftlichen diskriminierungen gegenüber besonders sensibilisiert ist.

ekshärad ist ein landstädtchen in vrämland, das ganz und gar von durchgang bestimmt wird. weiland waren es die pilger auf dem weg nach nidaros, dem heutigen trondheim in norwegen, die der mächtigen klarälv gen norden folgten. heute sind töffahrer mit schweren monturen, welche die reise in die weiten landschaften wagen, oder touristen aus dem süden, die in den naturgegenden der umgebung fischen, wandern oder radeln wollen.

die einen kreuzen eksährad in wenigen minuten, die andern bleiben, bisweilen tage, aber auch jahre. holländer waren trendsetter im tourismus; deutsche, vor allem aus dem osten, sind in der holzwirtschaft und im gewerbe tätig, während schweizerInnen wie wir im abgelegenen holzhausen eine stuga, ein sommerhäuschen, haben.

ekshärad ist auf diese erneuerung dringend angewiesen. seit 1970 verliert der ort einwohnerInnen. bedrohlich nahe an der 1000er grenzen sei man ende 2010, hiess es in einem bericht der värmländischen zeitung. die eigenständigkeit als kommun hat man schon länger verloren; heute wird man von hagfors aus verwaltet.

mit folgen: selbst die angesehene gemeindebibliothek wurde vom gemeindehaus im zentrum ins schulhaus an der peripherie verfrachtet. vom kommunhuset, wie das ehemalige gemeindehaus heute angepriesen wird, ist nur noch die rote hülle geblieben. Innen haben die kaufleute des ortes das sagen: sie haben hier ihre büros für buchhaltungen und sonstigen schriftverkehr eingerichtet, ohne dass viel geschäftigkeit entstanden wäre. die nordea bank beispielsweise kündet mit einem türschild an, bis ende september in der ferien zu sein. Das alles ist symptomatisch, denn ohne geld auch in der schwedischen provinz nicht viel, was man an der ökonomischen infrastruktur schnell erkennt.

geblieben ist ekshärad das kirchliche zentrum. die stattliche kirche stammt aus dem 17. jahrhundert, der aufbruchszeit schwedens als europäische grossmacht, und sie dient heute noch für taufen, heirat und beerdigungen. im friedhof finden sich zahlreiche eiserne lebensbäume, dem traditionellen kunsthandwerk des ortes. besichtigen kann man heute auch frühere kirchen, diejenige aus dem 16. jahrhundert, des wilden flusses wegen aufgegeben zeigt noch ihre grundrisse, ganz unten im tal, und die stabkirche aus der pilgerzeit ist oben, auf den weichen hügeln. das ist ist mehr für das gesetzte publikum, das jüngere zieht da den elchpark vor, der vor jahresfrist eröffnet wurde und gleich zum renner für ferienfamilien geworden ist.

eigentlicher star in ekshärad ist jedoch das ica, der grosse einkaufsladen im zeichen des kleinen bären. die lokalen produzenten bieten hier ihre frischwaren feil. bemerkenswert ist zudem die bäkerei mit spezialitäten aus dem donauraum. Interessent ist sind auch die ställe des heimatwerkes, gleich vis-à-vis, und selbstredend empfehle ich vor ort das moccacino, das cafe mit südlichem einschlag, das jacqueline und ralph aus leipzig hier seit einigen jahren führen.

wer ekshärad kennen lernen will, dem empfehle ein wenig mehr geduld, als man im mittleren westen der usa haben dürfte. denn die strasse von nord nach süd und umgekehrt ist nur der durchgang. auf dem hört man vor allem die lauten tucker. ein eigentlicher zugang zu den leisen radfahrerInnen ergibt sich so nicht. wer den sucht, muss sich etwas zeit nehmen, muss eintauchen wollen in den kleinod im nördlichen värmland, und darf sich ruhig beraten lassen. zum beispiel bei der sympathischen und kundigen josephine ba(ec)ker im örtlichen touristenbüro.

stadtwanderer

gegen den strom

in einer woche brechen bruno und elisabeth kaufmann zu einer grossen reise nach südostasien auf. sie feiern ihren zwanzigsten hochzeitstag mit einer grossen schiffahrt den mekong hoch. „gegen den strom“ lautet das vielsagende reisemotto, das auch ein lebensmotto sein könnte.

arboga. schwedische kleinstadt mit eigenem stadtwanderer. sommerresidenz der familie kaufmann. nichts fürstliches, aber frisch geräumtes, wohliges ferienhäuschen im wald. bruno, elisabet, wanja und nina und die beiden neuen meerschweinchen sind wie jeden sommer da.

indes, in wenigen tagen werden die weltbummlerInnen über den halben erdball verteilt sein. die beiden töchter fahren ins bündnerische s’canf in ein sommerlager für auslandschweizerInnen, und die eltern fliegen nach vietnam, wo sie ihren 20. hochzeitstag mit einer reise den mekong hinaus feiern wollen.

„gegen den strom“ ist nicht nur der titel der reise in südostasien, unter dem nordland-korrespondent bruno kaufmann für das schweizer radio drs 2 berichten wird. „gegen den strom“ ist auch eine art lebensmotto für den politikwissenschafter aus zofingen, der seit jahren in schweden lebt.

in der schweiz war er in jungen jahren aktivist bei der gsoa. dann machte er beim verlag eurotopia mit. schliesslich stiess er zum initiative&referendum institut, dessen europäischer ableger er heute präsidiert.

immer ging es um einen seiner träume, der noch nirgends verwirklicht war.
für eine schweiz ohne armee.
für eine europa mit einer transnationalen bürgerschaft.
und für eine partizipatorische demokratie weltweit.

in falun, wo die kaufmanns normalerweise wohnen, ist bruno zwischenzeitlich mitglied der stadtregierung. sein ressort: wahlen und verfassung. sein ziel: volksabstimmungen einführen in der traditionsreichen bergarbeiterstadt schwedens.

profitieren kann bruno nicht nur von der weltanschauung der grünen, die er im stadtrat vertritt, die ganz auf bürgerInnen-nähe der politik setzt. einen nutzen zieht er auch aus seinem weltweiten netzwerk mit förderen von volksrechten.

ich solle seine neueste broschüre kommentieren, sagt er zu mir, während er mit joe matthews in kalifornien skypt. und während ich ihm meine bemerkungen mitteile, streckt er mir einen leitfaden zur bürgerinitiative in der europäischen union entgegeben, und ein buch zu volksabstimmungen in schweden. an beiden publikationen hat er massgeblich mitgewirkt.

fast könnte man den eindruck gewinnen, der unermüdlich kämpfer für die demokratisierung der demokratien schwimme gar nicht mehr gegen den strom, sondern schon längst mit ihm. nicht weil er, bruno, seine richtung geändert hätte, er weil der strom nur bergauf fliesse.

doch dann führt er mich auf den punkt zurück,der ihm wichtig ist. seinen reisebericht über schwimmende dörfer am mekong, strahlt drs 2 am 23. oktober 2011 aus – dann wenn ich, wohl mit dem strom schwimmend, die wahlen ins eidgenössischen parlament kommentieren werde, wird seine stimme gegen gegen den strom ankämpfen.

stadtwanderer

die brücke von gümmenen – verhandelt am symposium von holzhausen

alles begann mit den ersten cantarelllen aus den värmländischen wäldern. dann kamen maiskolben dazu, ochsenfilet, erdbeeren und schlagsahne. zusammen ergab das schon am freitag nachmittag ein oppulentes sonntagsessen. und da konnte die gelehrte disputation nicht fehlen.

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die holzbrücke von gümmenen, aus dem jahre 1739. ihre vorläuferbrücke war von höchster imperialer bedeutung, ebenso wie für die die geschichte der eidgenossenschaft.

das heutige symposium im schwedischen holzhausen war verschiedensten themen gewidmet, vor allem aber der brücke der gümmenen. vor ort erscheint sie den bewohnerInnen als überkommene zeugin aus frühern zeiten, längst überholt durch die verkehrsrealität der gegenwart. aus der distanz ist sie ein wahrhaftes zeugnis imperialer politik, betrieben durch karl iv., ihm dienste der böhmischen kirche und mit nebeneffekten für die bernische und eidgenössische politik.

zu beginn flossen wisky und aquavit, importiert aus der duty free in zürich. Hinzu kam ein rotweis aus dem systembolaget in torsby. die hauptspeise bestand aus edlem fleisch aus dem ica, von wo auch die maiskolben kamen. zur nachspeise gab es erdbeeren aus ekshärad, und schlagsahne, geschwungen in holzhausen. da durften die vanillekekse aus der vorratsbüchse und der kaffee aus dem rot krug nicht fehlen.

der themen waren viele. eine spannende diskussion entstand jedoch über die eidgenossenschaft. einig war man sich, dass der prinzip gut sei. selbstverwaltung, verbunden mit selbstverteidigung im ernstfall, jedoch nicht ohne verbindungen mit dem umwelt.

bei der ergründung, warum es eidgenossenschaften ausserhalb der heutigen schweiz kaum gab, stiessen die standpunkte aufeinander.
der eine: das ist eine schweizerische erfindung, von hohem inneren wert, jedoch ohne bedeutung für andere (rechts)verhältnisse.
der andere: die ausdehnung von eidgenossenschaften als landfriedensbünde wurde von kaiser karl iv. gestoppt, weil er statt bündischen adelige verhältnisse vorzog.

die fakten:
erstmals anerkannt wurden eidgenossenschaften 1365 – durch kaiser karl iv. der war von hause aus luxemburger, mit den böhmischen premyliden verheiratet, französisch erzogen, mehrerer sprachen mächtig, der als könig in prag die stadt zur kaiserresidenz machte.

eines seiner politischen ziele war die anerkennung des bistums böhmens durch den papst, denn die abhängigkeit von regensburg und damit von bayern mochte man in prag nicht. dafür galt es, einen sicheren weg nach „rom“, sprich zum papst, zu haben. wäre dieser damals wie üblich in rom gewesen, hätten die eidgenossen in im mittelland zwischen jura und alpen keine rolle gespielt. da er aber in „exil“ in avignon herrschte, führte der weg zum papst mitten durch dieses mittelland. dem kaiser jedoch waren die landfriedensbünde, die an die kaiserlose zeit nach friedrich II. und vor rudolf I. erinnerten suspekt. nur widerwillen lernte er sie zu akzeptieren.

in jungen jahren hatte kaiser karl iv. auf die goldene bulle gesetzt. damit wollte er die rechtsvehältnisse im unüberischtlich geworden reich neu ordnen. denn die adelkriege hatten die ehemalige einheitlichkeit des reichs in die ferne rücken lassen.

zu den übergeordenten zielen der kaiserzeit von karl gehörte, prag, seine residenzstadt zum sitz eines eigene bistums machen zu können. denn die abhängigkeit von regensburg und damit von bayern mochte man in prag nie.

dafür galt es, einen sicheren weg nach „rom“, sprich zum papst, zu haben. wäre dieser damals wie üblich in rom gewesen, hätten die eidgenossen in im mittelland zwischen jura und alpen keine rolle gespielt. da er aber in „exil“ in avignon herrschte, führte der weg zum papst mitten durch dieses mittelland.

das bündnis der zürcher mit den waldstätten nach der pest hatte der kaiser mit krieg auf gelöst. das gleiche der berner akzeptierte er ein dutzend jahre später. denn auf dem weg nach avignon erschien ihm bern unumgänglich.

auf dem weg in die papststadt hauste karl ein erstes mal in bern. die krone diente ihm als absteige, doch kam es noch zu keinem verhandlungsergebnis. erst auf dem rückweg einigten sich die beiden parteien.

von bern verlangte der kaiser, dass die bürgerlichen kräfte, die nach der ersten pestwelle an die macht gekommen waren, den traditionsreichen junkern wieder platz machen würden. die von bubenbergs, zwischenzeitlich im könizer exi,l kehrten in die stadt zurück und übernahmen das amt des schultheissen erneut.

die stadt wurde mehrfach privilegiert. sie erhielt erstmals ein festes kaufhaus und wurde damit für den überregionalen handel attraktiv. um ihre stellung in der umgebung zu sichern, erhielt sie die rechte über die hoheitliche brücke bei gümmenen, im grenzraum zwischen dem alten schwaben und burgund.

kaiser karl der vierte anerkannt mit der übertragung der rechte über die brücke zu gümmenen nicht nur die reichsstadt bern, sondern auch ihre regionalen herrschaft. diese galt dem kaiser als garantin für die sichere wege durch die gegend, und damit für die verbindung von prag nach avignon.

das war für die stadt bern, ihre burgundische eidgenossenschaft und die verbindung zu jener der waldtstätte nicht ohne. denn erstmals akzeptierte ein kaiser die rechtsform, die sonst nur ausserhalb geregelter regierungszeiten gültigkeit gefunden hatte.

ausgedehnt haben sich eidgenossenschaft darüber hinaus aber kaum. den sie galten nach wie vor als unordentliche bündnissysteme, von minderem rang, und maximal in übergangszeiten zur rechtssicherung akzeptabel.

der alte aus holzhausen, der selber in der nähe der karlsbrücke in prag lebte, danach nach bern emigrierte und heute in den värmländischen wäldern cantarelle findet, bevor man sie irgendwo sonst bekommt, staunte nicht schlecht, als der die ausführungen vom stadtwanderer hörte. denn wie für jeden prager ist karl iv. für ihn ein vorbild an internationaler ausrichtung, staatsrechtlicher ordnung und lokaler verbundenheit in prag, bern und holzhausen.

in erinnerung an seine fischereiwege ins seeland erhob er in holzhausen seine arme. „ich bin karl der vierte, der weiss, wie wichtig der übergang bei gümmenen ist, wenn man in bern lebt“, rief er am essenstisch aus.

das alles mitten im holzhausener symposion bei cantarellen, ochsenfleisch und erdbeeren, das die juristische anerkennung der eidgenossenschaft am beispiel der holzbrücke von gümmenen klärte.

jetzt fehlen nur noch die karpen im teich und auf dem teller! vielleicht bekommen wir welche bis zu weihnachten in bern …

stadtwanderer

auf dem pilgerweg des nordens


der grössere teil der kapelle wirkt wie ein langhaus, dem versammlungszentrum der vikingersippen. spätestens die beiden drachen auf dem dach erinnern einen auch an eines ihrer legendären schiffe aus dem frühen mittelalter. den kleineren teil firmiert, genauso wie den eingang, ein kreuz, unzweifelhaft ein christliches. eine mischung, die typisch ist für alte kirchen am früheren pilgerweg des nordens.

stavkyrka heisst die kirche auf schwedisch, was auf deutsch stabkirche heisst. entstanden ist der name wegen der bauweise. denn die holzbalken werden nicht, wie in der blockbauweise waagrecht aufeinander gelegt, sondern senkrecht aneinander gereiht.

eingeweiht worden ist die stavkyrka von nygard bei ekshärad 2002 vom örtlichen bischof. erstellt haben sie handwerkern aus ekshärad – ein zimmermann und ein schmid waren dabei führend.

erbaut wurde sie nach traditionellen plänen der kirchen norwegens, die im 12. und 13. jahrhundert ihre blüte hatten. denn was rom für den süden, jerusalem für den osten, santiago de compostella für den westen war, das ist nidaros, das heutige trondheim, für den norden: der traditionsreiche sammlungsort für gläubige, die einmal im leben gott nahe sein wollten. und der weg hierzu war gekennzeichnet durch kleine gotteshäuser.

die stabkirche ist ganz aus holz gehalten, wie es sich für einen traditionellen treffpunkt auf dem land gehört. einzige ausnahme ist die platte auf dem altar, die aus einem seltenen stein der gegend geschlagen wurde. und der unterbau der kirche ist heute mit steinen unterlagt, damit das gebäude nicht fault.

die ausstattung im innern ist schlicht. drei kleine fenster geben ein wenig tageslicht, das während einer messe durch kerzen verstärkt wird. im hauptraum hat es genau drei bänke, eher für die touristInnen als für die gläubigen. denn die stehen während der ganzen dauer einer messen nach alter sitte. am imposantesten ist der dachstock. ein wenig luftigkeit kommt auf, wenn man ihn von unten erkundet. denn die baukunst des zimmermanns schwebt hoch über dem normalen besucher.

den oder die überrascht man in der umgebung der stabskirche mit einem kräutergarten, der ein wenig an eine frühchristliche präziose erinnert, wie sie in kontinentaleuropa von karl dem grossen gefördert wurden. da hat es alles, was einen erfreut, und im bedarfsfall auch wieder gesund macht(e). und es bereichert die örtliche biodiversität, was die zahlreiche schmetterlinge, hummel und bienen vor ort freut.

die guten zeiten der pilgerwege im norden waren zwischen dem jahr 1000 und 1500. die erinnerung an den heilig gesprochenen christlichen könig olav von norwegen bildete den anfang. mit der bildung des schwedischen nationalstaates unter könig gustav vasa kam dann jedoch das jähe ende. denn die seine lutheranisch gesinnten gottesleute hielten nichts mehr von dieser mittelalterlichen wanderungen. die meisten der kirchen in schweden verschwanden im 17. jahrhundert nach pestepidemien. heute entstehen sie neu, als teil einer europäisch verstandenen form der kulturbegegnung, eher touristisch als konfessionell ausgerichtet.

ein kleiner besuch, der es wert ist, auf den hügeln von nygard, hoch über der klarälv von ekshärad.

stadtwanderer

der sturz des königs der tiere

das erste buch, das ich meinen ferien im nordischen holzhausen gelesen habe, ist die grossartige kulturgeschichte zum verhältnis des menschen und des bären, die es bis in harvard-press geschafft hat, bei uns (in bern) bisher aber kaum wahrgenommen wurde.

xals im juli 1969 neil armstrong mit seinem apollo-team zur ersten erfolgreichen mondlandung aufbrach, hatte er einen bären dabei – keine leiblichen selbstredend, aber einen teddybären!

michel pastoureau, französischer spezialist für die geschichte der symbole des europäischen mittelalters, nimmt das „als Zeichen einer sehr langen Geschichte zwischen Mensch und Bär, die auf dem Mond, an der Schwelle zur Ewigkeit, fortgesetzt wird.“

2007 hat der pariser professor ein bemerkenswertes buch über eben diese kulturgeschichte herausgebracht. in de debatten der archäologie, ethnologie und religionswissenschaften zum bär als erstem gott der menschen mag sich der historiker nicht wirklich einmischen. für ihn ist aber klar, in europa war der bär lange zeit der könig der tiere, analog dem löwen in asien, dem elefanten in afrika und dem adler in amerika.

die anfänge dieser tradition sieht in griechenland. artemis (die zwillingsschwester von apollo), ist seine zeugin. in arkadien, dem „land der bären“, war sie nicht nur die göttin der jagd, sondern auch des mondes, des waldes, der berge und der wilden tiere. die mythologie, die um sie entstand, ist nach pastoureau durch die drei verhältnisse gekennzeichnet, die es bei jagenden völkern gegenüber dem bären gibt: durch die verwandlung von menschen in bären, durch die mütterliche bärin, die verloren gegangene kinder aufzieht, und durch den bär als monster, der jungfrauen verführt.

in unseren breitengraden galt der bär lange als unser nächster verwandter – als mensch im fell quasi. seine physiognomie gleicht dem den menschen, wie dieser kann der vierbeiner aufrecht gehen und nutzt er die ganze sohle, wenn er geht. doch nicht genug: er kann schwimmen, rennen, klettern, springen und tanzen, genauso wie wir menschen auch.

im hohen norden, wo es heute noch bärenkulte gibt, ist diese symbiose besser spürbar: nicht nur ist die verehrung des raubtieres im alltag der naturvölker fest verankert geblieben; in der geschichte dänemarks, norwegens und schwedens haben sich könige immer wieder als nachfahren des bären verstanden.

das hat sich in kontinentaleuropa ins umgekehrte gewandelt. pastoureau sieht im römischen historiker plinius dem älteren und im kirchenvater augustinus die frühen feinde des königs im tierreich. als eigentlichen übeltäter denunziert wird jedoch karl der grosse. während seiner feldzüge gegen die sachsen liess er nicht nur heilige bäume fällen, magische steine versetzen, nährendes quellwasser umleiten und traditionelle orte mit christlichen kapellen bebauen, um die heidnischen bräuche auszurotten, nein, er hatte es auch auf den bären als krafttier der besiegten völker abgesehen.

in seinem buch „Der Bär. Geschichte eines gestürzten Königs“ entwickelt passtoureau die these, dass mit der christianisierung zwei strategien zu vernichtung entwickelt worden sind: die treibjagd im wald und die hetzjagd in der literatur. der kulturelle kampf gegen den bären interessiert ihn besonders: denn da wird er im hochmittelalter in raten bekämpft, gezähmt und erniedrigt.

angefangen hat das in frankreich, von wo der bär schon früh verdrängt wurde, in die pyränäen, die alpen und den hohen norden. symbolisch nachgezeichnet werden kann diese nach dem heraldiker pastoureau anhand des aufkommens von wappen im 11. jahrhundert. Speziell mit den kreuzzügen setzte sich in europa die vorherrschaft des löwen als zeichen der macht und als könig der tiere durch.

wenn bern (wie berlin) bis heute dagegen hält, ist dies in diesem gelehrsamen buch ein zeugnis für germanische traditionen, die in gebieten, die erst im 12. jahrhundert erschlossen wurden, länger erhalten blieben, ja bis heute nachwirken. Knut, der weissbär, und finn, der braunbär sind beredete zeugnisse daf^ür.

andernorts setzte sich schneller durch, was im ausgehenden mittelalter allgemeingut wurde: der bär wird aus dem wald gezerrt, in den werdenden städten auf den marktplätzen angebunden und domestiziert im zirkus aufgeführt, um ihn letztlich zu verspotten.

seine ehrenrettung findet der bär seither in den fantasien der herrschenden, den museen der naturkundler und als teddybär im kinderzimmer. von wo er als rache bis auf den mond schaffte!

stadtwanderer

aquavit

sollte dir ein essen einmal nicht bekommen, gibt’s nur eines: einen aquavit trinken. im norden geniesst man die spirituose aber auch so, als getränk zum wohlbekömmlichen einheimischen essen.

xmas_janssonsder name sagt eigentlich alles. aquavit heisst auf deutsch nicht weniger als lebenswasser. weil es gut schmeckt, stark ist, und einen auch bewegt. ein wenig wie die lebenskräuter im lebkuchen, nur flüssig.

der alkoholgehalt des aquavit beträgt 40 prozent. das feuert einen schon mal kräftig an. verfeinert wird das getränk durch die beigemischten gewürze. allen voran kümmel – aber auch anis und fenchel. ersteres muss beim nordischen lebenswasser vorherrschend sein.

zuhause würde ich fencheltee trinken, wenn mit ein essen nicht bekommen wäre. in schweden kippt man einfach einen – oder auch zwei aquavit aus dem schnappsglas hinten nah.

anis erinnert mich unweigerlich an frankreich. nur schon in gedanken liegt ein hauch von pastis, einer bar und paris in der luft. die vorstellungen sind auch in holzhausen verführerisch.

doch damit nicht genug. aquavit ist der wohl beliebteste schnapps im norden. getrunken wird er von den einheimischen zu muscheln, räucherlachs und gereiften käse.

marktleader in schweden ist der aquavit von o.p.anderson. die marke gibt es seit 1891. das wasser dazu auch. neu auch mit bio-zutaten.

kaufen kann man den anderson vor allem in dutyfree shops an flughäfen oder in zollfreiläden in schiffen. das habe ich auch diesmal bei der anreise nicht ausgelassen, und ich werde mir auf der heimreise einen kleinen vorrat für die zeit in hinterkappelen anlegen.

skal!

stadtwanderer

den nordischen prachttaucher vor augen

nun bin ich wieder in holzhausen – meinem schwedischen sommerdomizil.

19251084unser flug ab zürich war schrecklich. eng, laut und stressig. ich merke, dass ich älter werde. an einem wochenende aus der arbeits- in die ferienwelt, ist nichts mehr für mich.

von oslo aus ging es nach schweden. in kongsvinger, der letzte grösseren stadt vor der grenze, gab es den ersten sonnenuntergang. im norden wirken sie anders als bei uns, weil sich die sonne nur langsam dem horizont nähert. der himmel wird durch das viel heller, eher gelb denn blau.

auf der fahrt durch die schwedischen wälder bestanden wir den elchtest schon am ersten tag. denn in der abenddämmerung begegneten wir gleich zwei mal den königstieren des nordens. einmal gaben sie sich von der scheuen seite, einmal von der interessierten. es tut gut, die prachtsviecher in der nähe zu wissen.

in holzhausen genossen wird die phänomenale nachtruhe. es macht schon etwas aus, keine durchgangsstrassen in der nähe zu haben. dafür begrüssten uns die möven – mit ihrem typischen gekreische. so wissen wird, dass uns die quartierpolizei des grossen naturreservates registriert hat.

die funkverbindungen in den värmländischen wäldern haben sich heuer deutlich verbessert. zwei bis drei striche sind die regel. da kann man nicht nur handyfonieren, es liegt auch einiges in sachen surfen und bloggen drin.

mit telia hatte ich indessen am montag meine probleme. das schwedische modem hat, so schien es, im winter den geist aufgegeben. ein ersatz musste her, in der pampa nicht ganz einfach zu organisieren. zwischenzeitlich habe ich ein neues. und wie man sieht, klappte es.

der erste tag war sonst zum kontakten da. zum beispiel im moccacino, unserer lieblingsbeiz in ekshärad, wo uns jacqueline und ralph schon mal herzlich begrüssten. auch bengt, unser autohändler, war erfreut, uns wieder zu sehen. für dieses jahr hat er uns einen kleinen weissen opel breit gestellt.

jetzt machen wir uns daran, holzhausen zu erkunden. die wälder, die wege, die seen, das boot und die tiere. ein seeadler jagte einen graureiher, der ihm sein revier streitig machen wollte. ausgang offen. am besten gefiel uns der nordische prachttaucher auf dem see vor holzhausen, mit seinen eleganten überwasserfahrten und seinen ausgiebigen tauchkünsten.

es sind sommerferien. werde bisweilen berichten.

stadtwanderer

soll ich nun für die weltwoche schreiben?

ich habe ein angebot, neuerdings für die weltwoche zu schreiben. hier das dispositiv meiner noch ausstehenden entscheidung.

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wie man ihn kennt: cr roger köppel. was man jedoch nicht weiss: er will den stadt- wanderer anheuern.

es ist bekannt: auf der redaktion der weltwoche mag man mich nicht wirklich. und ich bin kein freund des weltwache-journalismus, der auf alles schiesst, was ausserhalb der svp um einen kopf aus der menge herausragt.

umso erstaunlicher war es für mich, als mich nach der letzten “arena”-sendung, an der ich teilnahm, mein experten-nachbar und wewo-chef roger köppel ein angebot machte, über historische themen für seine gazette zu schreiben. verlockend für mich, einer meiner starken neigungen noch etwas mehr als bisher nach gehen zu können – verlockend aber auch für ihn, mich von der analyse der gegenwart abzuhalten.

für meine sommerferien im schwedischen holzhausen habe ich mir mal ein arbeitsthema gegeben: “axel ochsenstierna beitrag zur staatenbildung der schweiz”.

den meisten mag das gar nichts sagen. denn kaum jemand dürfte den namen des schweden während des 30jährigen krieges von 1618 bis 1648 je gehört haben, der sich bei den verhandlungen für den westfälischen frieden so tatkräftig gegen den kaiser und für die sache der reformierten hervor getan hatte. auf den französischen könig war in dieser sache nämlich kein grosser verlass.

meine these lautet: die reformierten in der schweiz haben ihre gleichstellung mit den katholiken nicht nur in den villmerger kriegen von 1712 erkämpft. die emanzipation der gläubigen in zürich, schaffhausen, basel, bern und lausanne von der vorherrschaft der katholischen orte wurde vom schwedischen reichskanzler tatkräftig vorbereitet. insofern ist der aufstieg der reformierten städte in der schweiz im 18. jahrhundert nur ein vorspiel ihrer isolierten stellung, die aus einer vernetzung mit dem ausland hervorging. der urbane protestantismus in der schweiz ist damit seit seiner gleichberechtigung aussenorientiert-europäisch, nur hat er das vergessen!

die formulierung gewagter thesen habe ich ja als kritischer wewo-leser gelernt. entweder kann ich sie nicht bestätigen, dann schicke ich roger köppel wohl nur eine postkarte aus den ferien. denn unbestätigte thesen gehören nicht in ein politmagazin. oder es gelingt mir der dialektische schritt, und dann schicke ich am 1. august 2011 mein ochsenstierna-manuskript an die chefredaktion der wewo.

mauluege was de sommer so aues brengt!

stadtwanderer

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von der sog. schönheit in der politik

mein letzter “essay” vor der sommerpause.

die letzte email vor meinen sommerferien erkundigte sich zum thema schönheit in der politik. es ging um eine stellungnahme zuhanden eines tagesmediums.
ganz berufen fühlte ich mich im thema zwar nicht, der temperatur der tage aber erschien mit eine direkte antwort auf das unübliche aberdurchaus angemessen.

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“guten abend

eigentlicher trendsetter bei den männern war wohl christoph eymann, der frühere liberale basler nationalrat, mit viel sexapeal. das sorgte parteiübergreifend für erregte aufmerksamkeit. auf der frauenseite begeisterte doris leuthard mit dem anmut einer prinzessin jedenfalls der männerherzen. beides brachte glamour in die bisweilen triste realität der schweizer politik.

im ihrem windschatten ist ein neuer typ politikerInnen auf die bühne gelangt. denn mit der generation bruderer hat sich, sagen wir mal, einiges verändert. die jüngste nationalrätin musste damals nicht lange warten, bis sie reden durfte und in den zeitungen kam. sie war medialisiert, bevor sie sich in der fraktion etabliert hatte. es störte sie nicht, aufgrund ihres attraktiven äusserlichen bewertet zu werden. für die gestandenen linken frauen war das ein fürchterlicher tabubruch. indes, er war nötig und seither haben wir zahlreiche bruderer und schwesterer in der politik.

das alles ist toll!. denn es spricht für ein gesteigertes selbstvertrauen unserer politikerInnen. das ist im härter gewordenen nationalen und internationalen wettbewerb auf jeden fall ein neuer standortvorteil. die veränderung steht auch für einen der wichtigsten kulturwandel der gegenwart: jede(r) darf oder muss sich jederzeit selber erfinden. es lebe der erwartungshorizont der möglichst schönen!

den männern fällt das noch schwerer. parfüm und schmuck zur veredelung des körperlichen ist seit der französischen revolution verpönt. seither muss man etwas nach miststock riechen, karrenschmiere an den händen haben oder bürgerlich gekleidet sein. alles adelige, das vom edlen käme, ist ja seit 1789 anrüchig.

alle versuche, beispielsweie das so begründete nachrevolutionäre kleidungsritual im parlament von liks her zu überwinden, sind gescheitert. der pullover über den schultern von andy gross schrieb nicht wirklich geschichte. und das patriotische schweizer kreuz auf der brust von anita fetz ist auch recht rasch verschwunden.

trotzdem, hier haben es die frauen einfacher. wer politikerin werden wollte, muss mit der tradition von kirche-küche-kinder gebrochen haben. individualisierung gehört da quasi zum politischen programm. deshalb drückt es sich auch leichter im eigenen schmucken kleiderstil aus, wie bundesrätin sommaruga das zeigt, entspricht das gesicht schneller dem einer miss schweiz wie bei nationalrätin nathalie rickli oder folgt der ganze habitus dem der gängigen schönheitsideale der gegenwart wie bei nationalrätin isa-belle moret.

dahinter steht der medienwandel mit dem pictural turn, der mit dem strengen politkultur der nzz im geiste zwinglis (“es gilt nur das gesprochene wort”) brach und die vorreformatorische bildlichkeit des heiligen wieder aufleben lässt. denn das fernsehen lebt vom bild, das internet auch. (selbst mein blog funktioniert so, denn ohne icons fehlt den text die rahmen in unserer vorstellungswelt.)

das gute dabei: die aufmerksamkeit steigt. das schlechte: das bild wird zum kommunikationskern, das bild der politikerInnen auch, was nicht unproblematisch ist.

denn jetzt geht es um die gretchenfrage: was schönheit ist, ist kaum zu definieren. selbst umberto eco brauchte zwei bücher dazu, eines über schönheit in der geschichte und eines über hässlichkeit. demnach ist schönheit seit der griechischen antike idealisierte körperlichkeit, inszenierte kleidung und ausstrahlung nach mass. in der moderne kommt hinzu, dass alles eine folge des geschmacks wurde, wie wir seit den analysen von jürgen habermas über den strukturwandel der öffentlichkeit wissen.

die gegenwärtige postdemokratische wende der politischen schönheit stammt aus italien. denn aussehen steht hier vor ideologie, ohne zu verstecken, vielmehr um sie zu kommunizieren. seit längerem weht da ein hauch von dolce vita, sexueller eruptionen und fatalen skandalen nicht nur durch die regierungsgemächer von silvio berlusconi bis mara carfanga, nein, das alles dehnt sich auch über die alpen auf halb europa aus.

die rezeption in der schweiz erfolgte sprachkulturell differenziert: marina masoni gehörte im tessin zu den frühen nachahmerinnen, und francine jeanprêtre in der romandie war in einer vergleichbaren prionierrolle. hauptgrund für die rasche adaptation: das flair der lateiner für das urban-modisch-bewusste, das sich in der rural-unauffällig-gleichgültigen deutschen schweiz nur mit bedacht nachvollzogen wird.

immerhin, selbst die wissenschaft beschäftigt sich zwischenzeitlich mit fragen der schönheit in der politik: regula stämpfli, die einzige in der politologInnen-gilde, die über die dreiecksbeziehung von sex-macht-politik philosophiert, ist, wie man erwarten konnte, angewidert vom zerfall der der politischen kultur. ihr antipode, georg lutz, steht dagegen auf schönheit. er hält sie für wichtiger bei der wahl, als es die internationale literatur eigentlich zulassen würde. denn in der us-amerikanischen wahlforschung gilt vorteilhaftes aussehen als genau ein von 49 erfolgskriterium für die politikerInnen. lady deut-piece aus alaska ist ja der beste beweis dafür.

denn es gilt: allem erotic capital von typen wie sarah palin in der politischmedialen kommunikation zum trotz bleibt politik politik. und das ist ein wenig mehr als show. das weiss man sogar bei der vergabe des swissawards im leutschenbach, und man sollte es in den redaktionsstuben nicht ganz vergessen!

ich bin überzeugt, dass ihre fragestellung typisch ist für die gängige mediengesellschaft. deshalb bin ich auch nicht ganz sicher, ob das diskutierte phänomen ausserhalb der virtualität wirklich real ist. ausser ein paar hübschen blumen bleibt viel äusserlicher durchschnitt im parlament. ganz nach dem motto, unkraut verdirbt nie! das ist auch gut so, denn es beweist bei aller luftigkeit der medialen politik die bodenhaftung der politik vor ort.

so, gehe jetzt nach schweden. anna lindt war nicht nur eine tolle frau, sie war auch eine starke persönlichkeit und herausragende politikerin. das ist mir immer noch lieber. bin halt noch älter als sie (54). leider ist mit ihr auch mein schönheitsvorbild (aus)gestorben!

claude longchamp
alias stadtwander