freiburger stadtgolfgeschichte(n)

am anfang war die stadt. 851 jahre nach ihrer gründung kam stadtgolf dazu. und weitere fünf jahre später werde ich freiburgs stadtgolfgeschichte(n) erstmals erzählen.

der anlass
während meinen schwedenferien fasste ich den vorsatz. meine stadtwanderungen, hauptsächlich auf bern konzentriert, sollen expandieren. neu hinzu kommen soll eine in freiburg, der anderen zähringerstadt.

immerhin bin ich im bürgerspital der stadt geboren worden; die katholische taufe habe ich der kirche st. pierre erhalten. selbst wikipedia führt mich als prominenter sohn der stadt. nur die schulen habe ich anderswo gemacht. ebenso ist mein arbeitsort seit langem bern, mit ablegern in st. gallen und zürich.

so ist zu freiburg distanz entstanden. das war nicht ungewollt, denn religiöse leben hat mir schon als jugendlicher nicht mehr zugesagt. ich war zwar mal ministrant, ja sogar chefmessdiener; doch gleichzeitig habe ich in aarau ein weltliches gymnasium besucht, wo man den aufklärer lessing las, der mich lehrte, dass religionen keine wahrheit vermitteln, sondern teile von kulturen sind – bewusst in der mehrzahl geschrieben. seither denke ich, bin ich ein konfessionelles patchwork – am ehesten ein atheistischer kulturkatholik mit einem protestantischen arbeitsethos.

raum und zeit freiburgs
heute nun war ich in freiburg recherchieren. denn der zeitstrahl der geschichte braucht den raum des ortes, um erfahrbar zu werden. das lehrte mich der römische rhetorikprofessor quintilianus vor jahren.

schnell hatte ich freiburg als zentrum der gegenreformation zusammen. der bischofssitz, die statue von pater canisius und das jesuiten kollegium st. michel liegen ja auf der hand und sind nahe beisammen. vom zähringischen und habsburgischen freiburg ist allerdings nicht mehr viel zu sehen. am ehesten noch stehen die die kirchen, die notre-dame und selbstverständlich st.nicolas, die heutige kathedrale. doch beide sind mehrfach renoviert worden. der wechsel von stadt und kanton hin zur eidgenossenschaft findet seinen ort mit der nurmehr repräsentierten murtenlinde, dem rathaus und der renaissancehäuser an der reichengasse. damit hatte ich die zeit vom der stadtgründung bis ins 18. jahrhundert schnell und gut beisammen.

schwieriger ist, für die moderne freiburg zentral gelegene, geeignete orte zu finden. zum beispiel für die helvetik. da ist einfach nichts. einfacher ist noch die zeit mediation, etwa mit dem rathaus der schultheissen louis d’affry, gleichzeitig erster landammann der schweiz (vorläüfer des bundespräsidenten) im jahre 1803. unbefriedigend sind bis bis jetzt die erinnerungsplätze zum sonderbundskrieg und zu den wirren bei der bundesstaatsgründung, ausgelöst durch die putsche der liberalen und konservativen. mit dem bahnhof als zeichen der industrialisierung und der universität als ausdruck der modernisierung des freiburger katholizismus sind die jahre 1860 bis in die vorgegenwart wieder einfacher zu identifizieren. im stadtkern wenig sichtbar ist, selbstredend, das heutige wachstum ins umland, die agglo fribourg, welche die aktuelle entwicklung prägt. da werde ich an der busstation improvisieren müssen.

stadtgeschichte und stadtgolf
der clou der neuen stadtwanderung ist der: seit 2008 bietet die stadt freiburg stadtgolf an. 18 stationen hat der parcours. gespielt wird nach den regeln des minigolfs, nur sind die löcher auf einem 8 kilometer langen rundgang durch freiburg verteilt. doch der passt überraschend gut zu meiner stadtwanderung. die ersten 15 stationen sind weitgehend in der unterstadt, die ich zuerst ausklammern wollte. doch so ergibt sich ein wunderbarer einstieg in die führung, der es erlaubt, die umgebung, vor allem mit ihren klöstern vor und unmittelbar nach der stadtgründung zu erläutern. das frauenkloster maigrauge, entscheidend für die deutschfribourgerinnen, ist damit voll im programm: die stadtmauer mit ihren türmen gegen die angriffe aus bern auf die habsburgerstadt auch. bei der 16., 17. und 18. golfstation, alle in der oberstadt, werde ich ein wenig umstellen, der anregende mix zwischen golflöchern und fundgruben der geschichte dürfte aber zum klappen kommen.

das ganze wird zweifelsohne anspruchsvoll. mit einer gruppe rechne ich einen tag für einen umgang. start wäre beispielsweise um 9 00 bei der touristeninformation. am morgen würde man entlang der sarine vor allem golfen, erste eindrücke zur stadt aus der ferne sammeln. dann gäbe es ein mittagessen, entweder noch unten im klein-st.johann-quartier beispielsweise, oder oben in der altstadt. das restaurant de l’ange und das st. gothard sind meine momentanen favoriten. der nachmittag wäre dann der historischen stadtwanderung in der oberstadt gewidmet, abgerundet durch drei löcher stadtgolf. schluss wäre wohl nicht vor vier nachmittags.

am ende könnte man die punkte zählen, beim stadtgolfen wäre sieger, wer am wenigstens hat. zur stadtwanderung könnte ich noch ein quiz erfinden, da wäre dann der oder die heroIn der stadtgeschichte, wer am meisten richtig hat.

der testlauf
im oktober ist start mit der neuen führung; bis dann werde ich das konzept ausarbeiten. die erste gruppe habe ich schon. es sind meine mitarbeiterInnen am gfs.bern, beim jahresausflug. wenn’s gut ankommt, kann ich mir vorstellen, das ganze nächstes jahr auf wunsch ein paar mal in der sommersaison anzubieten.

stadtwanderer

die imperfekte konkordanzdemokratie

wo steht das politische system der schweiz heute? eine woche des nachdenkens in den schwedischen schwedischen wäldern hat mich zur nachstehenden analyse inspiriert.

was meint konkordanzdemokratie?

pietro morandi, dessen doktorarbeit ich eben besprochen habe, stört sich regelmässig, wenn man für die zeit vor dem ende der 30er jahre von der schweiz als konkoranzdemokratie spricht. denn erst die überwindung der blockbildung von links und rechts rechtfertige es, unser land so zu nennen. der historiker in mir weiss, dass sich die haare vieler geschichtsschreiber sträuben, wenn man menschen und ihre taten nach kriterien bemisst, die sie gar nicht kennen konnten.dennoch, bezweifle ich seine feststellung, wie ich gängigen zeitdiagnosen der politikerInnen bezweifle, die vom ende der konkordanz handeln.
von concordia berichtet schon die römische mythologie, wenn sie von der göttin der eintracht spricht, die für einheit zwischen den bürgern roms sorgen sollte. im mittelalter verwendete man den term, wenn man, meist von oben zerstrittene adelsfamilien mittels heirat einte.
gebräuchlich ist konkordanz auch im zusammenhang mit demokratien. zwar propagierte die politikwissenschaftliche lehre in der nachkriegszeit anfänglich die reine mehrheitsdemokratie nach dem westminster-modell. doch seit ende der 60er jahre des 20. jahrhunderts spricht man auch von einem alternativen demokratiemuster, das nicht auf wettbewerb, dafür auf konsens ausgerichtet ist, gerade um innere spaltungen einer gesellschaft zu überwinden. von konkordanzdemokratie schreibt der niederländische politikwissenschafter arend lijphart, wenn politische kultur und politische institutionen auf eben diese suche nach übereinstimmung ausgerichtet sind. sechs eigenschaften der konkordanzdemokratie arbeitet er heraus: (über)grosse regierungsmehrheiten, kulturelle autonomie, proportionalität der repräsentation, minderheitenschutz, segmentierte teilgesellschaften und ausgeprägte elitekooperation.

von der frühen mehrheits- zur perfekten konkordanzdemokratie

man kann den begriff konkordanzdemokratie auf die ganze zeit der schweizerischen eidgenossenschaft anwenden, wie das beispielhaft der berner politikwissenschafter adrian vatter seit längerem vorschlägt. denn hervorgegangen ist der heutige bundesstaat aus den ideen im gefolge der französischen revolution einerseits, den institutionen der alten eidgenossenschaft anderseits. geprägt war die staatsgründung durch einen ausgesprochenen regionalismus, eben erst überwundene, tiefe religiöse spaltungen und sprachlich angegrenzte räume. das alles musste integriert werden. der freisinn bildete die einheitliche elite, die einfache, aber gemeinsame regeln schuf, um industrialisierung und wirtschaftliche entwicklung zu garantieren, gleichzeitig aber kulturelle autonomien zuliess. das seit 1848 gültige minderheitsveto sicherte den respekt der mehrheit vor der minderheit. so kennt der schweizerische bundesstaat seit seiner gründung ein ausgeprägtes zweikammmernsystem auf parlamentsebene, mit dem das volk oder die nation, aber auch die kantone resp. die stände im bundesstaat abgebildet werden. damit sind mindestens drei der sechs kriterien von lijphart seit beginn erfüllt.
weniger rasch setzte sich in der schweiz die proportionalität der behörden durch. dafür brachte es im wesentlichen den von links her organisierten generalstreik der arbeiter gegen das regime des bürgertums. denn erst seit 1919 wird der nationalrat nach dem proporzwahlrecht bestimmt, während man beim ständerat beim majorzwahlrecht verblieb. die proportionalität der regierungen blieb noch länger umstritten, weil es die staatstragende fdp bevorzugte, opponierende minderheiten in den bundesrat zu kooptieren, sprich sie unterdurchschnittlich einzubinden. als erstes profitierten die katholisch-konservativen davon, dann die bgb, die im bundesrat vertreten waren, bevor es es sie national gab. die sp musste am längsten warten, um regierungspartei zu werden, denn erst 1943 war es angesichts der äusseren bedrohung, aber auch innerer labilität des bürgerblocks soweit.
die eigentliche proportionalität für die bundesratszusammensetzung setzte sich 1959 oder 40 jahre nach dem nationalrat durch. mit der zauberformel wurde die parteienstärke unter den wählenden zum massstab, um die sieben sitze unter die vier grösseren parteien zu verteilen. eine wichtige rolle spielte dabei, dass die elitenkooperation namentlich in der aussenwirtschaft, aber auch in der parteienpolitik soweit gediehen war, dass entscheidungen von regierung und parlamentlten in der grossen mehrheit der fälle von den vier parteien mitgetragen wurden. spätestens seither kann man auch von übergrossen mehrheitsregierungen auf bundesebene sprechen, das war, wenn man so will, die vollendung der konkordanzdemokratie, häufig auch als paradigmatischer fall der integration und als vor an konsensfindung gepriesen.

unbewältigte herausforderungen schwächen die konkordanzdemokratie

wir schweizerInnen wissen es, die guten zeiten der konkordanzdemokratie sind vorbei. die bedeutung traditioneller teilgesellschaften auf der basis der konfessionellen bekenntnisse ist seit dem ökumenischen konzil rückläufig, womit eine voraussetzung verschwunden ist. geblieben ist die sprachliche teilung des landes. hinzu gekommen sind aber neue spannungen, sei es das aufflackern des konflikts zwischen kapital und arbeit oder der aktualisierte gegensatz zwischen stadt und land. mit dem postmaterialismus der 80er jahre, aber auch mit der öffnung der schweiz gegenüber dem ausland sind namentlich die konfikte entlang der siedlungsart zur mächtigen herausforderung geworden. dabei geht es nicht mehr um agrarfragen, sondern um interessen, die sich aus der aussen- gegen die binnenwirtschaft ergeben, aber auch um lebensstile, mit denen idealistische auffassungen gegenüber materialistischen an bedeutung gewonnen haben.
gerade in der vermittlung zwischen diesen welten gibt es keinen heute keinen konsens mehr. parallel dazu verringert sich die elitekooperation, und entsprechend ist die regierungsbildung auf bundesebene, teilweise auch in den kantonen und städten, aus dem ruder gelaufen. die schweiz, so eine unter politikwissenschaftern zunehmend verbreitete these, hat zwar weiterhin institutionen, die auf dem prinzip der konkordanz basieren; sie wird aber immer weniger durch eine kultur bestimmt, die auf dem gütlichen einvernehmen in wirtschaft und politik basiert.
mit anderen worten: überparteiliche regierungskonkordanz, wie sie pietro morandi in seiner dissertation zur entstehung der konkordanzdemokratie vor augen hatte, gibt es heute nur noch in ihren letzten zuckungen. eine strategische alternative dazu hat sich nicht herausgebildet, sodass man eher von einer übergangsphase mit einer imperfekten konkordanzdemokratie sprechen kann.

von der ausschau nach alternativen zurück zu den eigenen wurzeln
dennoch, vom konkurrenzsystem nach angelsächsischem vorbild sind wir weit entfernt. regieren in der schweiz ist nicht eine frage des gewinns von wahlen. es hängt auch von volksentscheidungen ebenso ab, genauso wie von der fähigkeit, das föderalistisch strukturierte land kohärent zu steuern. der ständerat bildet dabei seit dem 19. jahrhundert ein wirksames minderheitsveto; verfassungsänderungen brauchen ebenso seit langem das doppelter mehr des volkes und der kantone, und die drohung mit dem referendum erlaubt es verbänden und weiteren referendumsfähigen gruppierungen, sich auch als gruppen ohne wahlerfolge das nötig gehör zu verschaffen.
eine konsenspolitik, die auf einer starken verwaltung basiert wie in den parlamentarischen monarchien des nordens erscheint der schweiz angesichts ihres hanges zum kleinen raum und zur regionalen autonomie unangemessen. wenig verheissungsvoll strahlt auch die kombination von föderaler basis mit einer mehrheitsdemokratie aus, wie sie die usa darstellt. denn heftige innere spaltungen und politische polarisierungen lassen das land stagnieren. wenig ersprieslich sind zudem die erfahrungen, welche polit-kulturell vergleichbare länder wie italien und belgien jüngst machten, die angesichts medienpolitischer regimes resp. sprachregionaler identitätskrisen wirtschaftlich bedroht sind, politisch führungslos und rechtsstaatlich zerrüttet erscheinen. selbst die niederlande oder österreich, im einen oder anderen der schweiz nahestehend, sind nicht wirkliche vorbilder, denn sie sind zur interessenverteidigung als nationalstaaten gegenüber der eu gezwungen.
es bleibt die zuversicht, dass die schweiz eine ausserordentlichen output ihres politischen systems kennt, der wirtschaftlich, aber auch sozial und ökologisch zum besten oder bessern gehört. das ist bei allem verdruss über den stand der politik in der schweiz umso erfreulicher, als genau erfolgreiche systemleistungen die konkordanzdemokratie angestrebt wurden. es bleibt deshalb die hoffnung, dass sich das vorteilhaft auf die imperfekte konkordanzdemokratie der schweiz auswirkt, sodass sie mit der bewältigung neuer konflikte wieder zur perfekten entwickelt.

stadtwanderer

was das schweizer modell vom schwedischen unterscheidet

brauche ich ein wort für das schweden-modell, ist es “bauernsozialismus”. das pendant für das schweizer modell ist wohl “konkordanzdemokratie”. beides hat seinen ursprung in der zeit vor dem zweiten weltkrieg, meint verwandtes, und ist doch nicht das gleiche. eine klärung des schweizer ursprungs.

die vorgeschichte ist rasch erzählt: 1848 wird die schweiz ein bundesstaat, ausgestaltet mit einer repräsentativen demokratie. 1874 kommt das referendumsrecht hinzu, 1891 das initiativrecht. ganz unabhängig davon: der freisinn, die siegerallianz aus dem sonderbundeskrieg von 1847 gewinnt regelmässig die wahlen und regiert die schweiz. 1894 entsteht auf bundesebene die fdp, die diese rolle übernimmt. doch ist mit der fast uneingeschränkten vorherrschaft der fdp 1918 fertig: die arbeiterschaft führt den generalstreik durch, setzt das proporzwahlrecht für die wahl des nationalrats durch, womit die vorherrschaft der fdp aufbricht. seit 1891 ist die katholische volkspartei, die heutige cvp, an bord der regierung, 1919 wird ihre vertretung auf 2 von 7 sitzen erhöht, und 1929 wird die bgb, die heutige svp, in den bürgerblock aufgenommen, der streng gegen die sp und die arbeiterschaft politisiert. 1933 treten vorübergehend die fronten in erscheinung, und das regieren unter den bürgerlichen parteien wird erschwert; die gesetzgebung funktioniert nur dank dem dringlichkeitsregime, sprich der ausschaltung des referendums.

ausgangspunkt für die neue modellbildung, letzlich bis heute anhaltend, bildet die richtlinienbewegung. sie basierte auf dem gedanken des interessenausgleichs zwischen arbeitnehmern und bauern. zwischen 1936 und 1940 entwickelte sie mannigfaltige politische aktivitäten, die 1938 mit der erfolgreichen unterschriftensammlung für eine volksinitiative gegen das dringlichkeitsregimes ihren höhepunkte hatte.

vorerst umfasste die bewegung nur gewerschaftliche organisaionen aus dem komitee, welche 1935 mit der krisenintiative in der volksabstimmung unterlegen war, wirtschaftspolitische reformen aber weiter vorantreiben wollte, danach auch parteien wie die sps, kantonale sektionen der demokraten, die schaffhauser bauernpartei und jungkatholiken. die fdp interessierte sich zwar für die bewegung, blieb ihr gegenüber aber auf distanz.

der name der bewegung leitete sich von den richtlinien ab, betitelt mit “für den wirtschaftlichen wiederaufbau und die sicherung der demokratie”. 1936 von den gewerkschaften akzeptiert und popularisiert, verlangten sie nicht nur die abkehr vom dringlichkeitsregime, sondern auch wirtschaftspolitisch die beendigung des lohnabbaus für arbeitnehmer und der preisreduktionen für bauern, arbeitsbeschaffungen für das gewerbe sowie exportförderung für die industrie. hinzu kamen eine steuerreform sowie sozialpolitische unterstützung der arbeitslosen und die einführung der ahv. übergeordnete grundsätze waren die vorbehaltlose anerkennung der demokratie (weshalb man die mitarbeit der kommunisten ausschloss), die bejahung der militärischen, wirtschaftlichen und geistigen Landesverteidigung (für die sich die sps 1935 entschieden hatte) sowie religiöse toleranz (um nicht in die alte falle bürgerlichen politik zu tappen).

die richtlinienbewegung gilt als vorbote der konkordanzdemokratie, aus der äusseren bedrohung ende der 30er jahre entstanden, die 1943 mit der aufnahme des ersten sozialdemokraten in den bundesrat vorgespurt, 1959 mit der institutionalisierung der zauberformel durchgesetzt wurde. pietro maorandi, promovierter historiker und habilitierter politikwissenschafter, hat dem in seiner doktorarbeit zu eben dieser richtlinienbewegung widersprochen. nicht exogene gründe wie die weltwirtschaftskrise und die bedrohung durch nazi-deutschland reichten, um die spezifische form der verhandlungsdemokratie in der schweiz zu erklären; vielmehr müsse man auch endogene ursachen miteinbeziehen, um die eigenheiten der helvetischen konkordanz verstehen zu können.

die angestrebte lösung der demokratie- und wirtschaftskrise in den 30er jahren bestand demnach nicht, wie in schweden in einem breiten schulterschluss zwischen arbeitnehmern und bauern, der den wohlfahrtsstaat begründete; er folgte auch nicht dem weg der deutschen sozialdemokratie, die vom zusammenbruch des kapitalismus überzeugt, sich auf den sozialismus vorbereitete, dabei aber die machtergreifung der nazi übersah; nein, die lösung der krise bestand in der schweiz in einem mittelweg.

morandi fasst das so zusammen: die richtilinienbewegung habe die abkehr der arbeiterschaft in der schweiz von altsozialistischen vorstellungen bewirkt, mit ihrem ideal einer radikaldemokratischen, staatsinterventionistischen politik sich aber nicht durchgesetzt. denn 1938, in der entscheidenden phase im uebergang von der polarisierten politik kam nicht das projekt einer mitte/links-regierung, wie es die richtlinienbewegung vorsah, zum durchbruch, sondern die interparteiliche zusammenarbeit, im kanton bern bereits praktiziert, auf nationaler ebene von der fdp initiiert, von der sps akzeptiert, von aussenwirtschaftskreisen und der metallergewerkschaft smuv unterstützt. voraussetzung hierfür, aber auch stilbildend für die neue politik war friedensabkommen von 1937. es setzte nicht auf staatsinterventionismus gemäss keynesianischer wirtschaftspolitik, sondern auf übereinkunft in zentralen wirtschafts- und finanzfragen zwischen eliten der rechten und der linke, die 1938 exemplarisch zum erfolg der bundesfinanzreform geführt hatte. den spitzen aus unternehmen und gewerkscahften ging es nicht darum, fehlentscheidungen der behörden mittels volksinitiativen zu korrigieren, vielmehr um neokorporatistische arrangements, die direkt auf die entscheidungen des bundesrats zielten, in den verzögert die sp auch eintrat.

die dissertation von pietro morandi ist quellennah und materialreich geschrieben. sie erhellt, wie der prozess unter den arbeiterführern zustande kam, mit dem bündner andreas gadient und den bernern fritz marbach und max weber auf der seite der richtlinienbewegung, robert grimm von der sp, konrad ilg vom smuv, als den wichtigsten gegenexponenten. sie macht klar, dass sich seit 1933 zwei konzepte entwickelten, wie die krise der beschäftigung und demokratie zu überwinden sei, die sowohl die frage beantworten mussten, wie das verhältnis zwischen gewerkschaften und arbeitnehmerverbänden in der exportindustrie, seit dem generalstreik von 1918 in erheblichen schwierigkeiten, als auch die beziehung zwischen arbeiterschaft und altem mittelstand, den bauern und gewerbetreibenden, neu bestimmt werden sollte. die antwort der (alt)sozialistischen parteikader ging vom zusammenbruch des kapitalismus aus, wobei die arbeiterschaft ihr erbe antreten werde, auf das sie sich mit gewerkschaftlichen selbsthilfeorganisationen vorzubereiten habe. die version der volksbewegung war dagegen überzeugt, dass es eine integration der arbeiterbewegung in den bürgerlichen staat brauche, der sich allerdings vom laissez-faire prinzip zum staatsinterventionismus weiterentwickeln müsse, was arbeiterschaft wie bauersleuten und gewerbetreibenden die chance eröffnen sollte, ihre wirtschaftspolitischen forderungen gegen die interessen der exportindustrie einzubringen.

aus heutiger sicht weiss man um den kompromiss, der damals zustande kam. die exportindustrie setzte sich durch, jedoch ohne die interessen der mittelständischen betriebe und arbeitnehmenden auszuschliessen. damit öffnete man der staatlichen wirtschafts- und sozialpolitik, vor 1918 tabu, den weg, was den anfang der integration der arbeiterschaft in den staat machte. Das wirtschaftswunder der frphen nachkriegszeit trug das ihrige guerzu bei. den lead hatte aber nicht die richtlinienbewegung mit ihrem mittelständischen ideal, die ende 1938 in eine innere krise stürzte, sondern fdp und sp, die sich fanden, um die aussenwirtschaft zu entwickeln.

vom keynesianismus der 40er jahre ist heute nur wenig übrig geblieben, denn namentlich das gewerbe hat sich in der nachkriegszeit davon distanziert, und bauern- wie arbeiterschaft haben (unter schweizeriInnen) in der heutigen gesellschaft nicht mehr das gleiche gewicht wie in den 30er jahren. so bleibt der überparteiliche bundesrat das kernstück geschichte, das sich am längsten aus der überwindung der wirtschaftlichen und politischen krise von damals halten konnte – wenn auch nicht ohne Abstriche!

massgeblich hierfür waren äussere umstände, die auch auf inneren voraussetzungen basierten, zu denen die direkte demokratie wie auch die mitwirkung der wirtschaftsverbände bei der willensbildung zählte. 1874 unter freisinniger führung genz im liberalen sinne etabliert, wurde durch die politische und gesellschaftliche krise entkräftet, sodass es den bedrohungen von 1929 in wirtschaftlicher und 1933 in politscher hinsicht nicht mehr stand hielt.

das buch von pietro morandie zeichnet die zentrale umbruchphase hin zur konkordanzdemokratie nach. der weg hierzu verlief nicht linear und widerspruchslos, wie der autor hervorhebt. entscheidend war, dass der bürgerblock nicht mehr hinreichen funktionierte und die gängige alternative, eine regierung aus linke und mitte weder elektoral noch ideologisch und machtpolitisch stark genug war, um den wechsel zu erzwingen. in dieser Lage boten sich sozialpartnerschaft einerseits, innerparteiliche Kooperation anderseits als eigentlicher Zwischenweg an.

anders als in schweden, wo sp und agrarpartei eine historischen kompromiss eingegangen waren, der das rotgrüne modell im vergangenen sinne prägte, startete das schweizer modell nicht von links, sondern von rechts, folgte der freisinnige lehre, mittels integration relevanter politischer kräfte die eigene vormachtstellung auch in krisenzeiten zu bewahren.

stadtwanderer

Ps: beide “Modelle” sind in jüngster zeit relativiert worden. in Schweden ist die politische Umkehr radikaler ausgefallen. geblieben ist zwar das führen via zentralistischer Bürokratie, doch wird das Land seit 2006 von rechts her regiert, um es auf seine europäische zukunft einzustellen. bei uns sind sowohl die Kantone als auch die Volksabstimmungen wichtig geblieben, derweil die akteure kaum mehr konsensual handeln, womit regierungs- und europäische strategiebildung weitgehend dem Zufall überlassen werden.