das geöffnete fenster der möglichkeiten

ich war heute in brünnen an einer tagung der berner agglomerationskonferenz. versammelt waren rund 50 interessierte aus der region bern, die sich aus erster hand über das projekt “hauptstadtregion schweiz” informieren liessen. mich haben die diskussionen inspiriert, eine neuartige wanderung für 2010 zu lancieren.

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die urbanen kräfte rund um bern herum bündeln und zum politikzentrum für die schweiz zu werden, empfahl geograf paul messerli der agglomerationskonferenz (Bildquelle)

im mai stimmten die rund 100 gemeinden der region bern der agglomerationskonferenz zu. gestern nahm sie ihre aufgabe auf.
im juli gaben stadt und kanton bern bekannt, gemeinsam aktiv zu werden, um die hauptstadtregion schweiz zu fördern, die auf die ebene der metropolregionen zürich, arc lémanique und basel gehoben werden solle.
und ende august wurde der verein “bern neu gründen” aus der taufe gehoben, der zusammenschlüsse in kern der agglo bern fördern will.

genau das nannte paul messerli, pensionierter professor für wirtschaftsgeografie, eines der seltenen festern der möglichkeiten. gemeint ist damit, dass sich miteinander verschiedene entwicklungen ergeben, die sich gegenseitig befruchten könnten. nach ansicht des geografen gibt es nämlich mindestens drei herausforderungen im raum bern:

erstens, der agglomerationskern bern muss mehr gewicht bekommen. er wächst zwar wieder, aber es muss sich auch durch organisatorischen neugestaltungen klarer in die erster liga der kernstädte in den schweizer agglomerationen spielen.
zweitens, in der agglomeration bern muss das bewusstsein der behörden gestärkt werden, eine gemeinsame region zu bilden. eine basis für vermehrte kooperation hat sarz, die reorganisation des kantons, eine voraussetzung geschaffen.
und drittens, stadt und kanton müssen kooperativer werden, einen überkantonale städtekranz bilden zu können, der die grossen agglomarationen bern, thun, solothurn, biel/bienne, neuenburg und fribourg umfassen soll.

unbestreitbar war für paul messerli heute, dass sich die hauptstadtregion als politikzentrum profilieren sollte. regierung, parlament, verwaltung auf drei ebenen, universitäten, forschung&beratung, medien und kommunikation müssten darauf ausgerichtet und speziell gefördert werden, um zu einen neuartigen cluster heranzuwachsen, das die aufgaben für sich besser und dienstleistungen für andere vermehrt anbieten könnte.

in der diskussion stiessen die die ausführungen zur koordination der möglichkeiten im fester, das sich mitte 2009 plötzlich aufgetan hat, auf grosses interesse. zwar gibt es da und dort skeptiker, doch standen ihnen auch absichten gegenüber, in den zentralen herausforderungen wie dem bahnhof bern, den zubringerstrassen in die agglomeration, der förderungen von höheren schulen resp. der spitallandschaft in der hauptstadtregion gegenüber.

mich hat das zur spontanen idee verleitet, in diesem fester der neuen möglichkeiten auch eine neuartige stadtwanderungen anzubieten. für alle, die an der neuen identität der hauptstadtregion mitarbeiten wollen, , will ich 2010 einen neuartigen rundgang anbieten, ganz nach dem motto: wer wandert, begibt sich unterwegs, ohne schon genau zu wissen, wo er enden wird!

stadtwanderer

die marke bin ich

ich war gestern erstmals am berner marketingtag. das thema lautete: “die marke bin ich!” das war nicht nur ein anleitung für verkäuferinnen von rezepten, es war auch ein lehrgang für kommunikatoren, wie blogschreiberInnen!

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adolf ogi, der stadtwanderer mit felix spahr, und hanspeter danuser an der tagung “die marke bin ich”.

welche grippe auch immer es gewesen sein mag, am morgen des grossen tages des berner marketings fielen gleich zwei referentInnen aus. beim gegebenen tagungsthema war das doppelt problematisch, denn man verhandelte über “die marke bin ich”. und genau dieses “ich” kann man kaum ersetzen, wenn authentisch über diese form des marketings geredet werden solll.

am interessantesten tat das gestern der frühere kurdirektor von san moritz, hanspeter danuser. er hat den skiort im engadin zu dem gemacht, was es in unseren köpfen ist. ein ort mit sonne, wo man immer braun wird. ein ort der high society, wo man englisch spricht. und ein ort, der selbstbewusst seinen namen als marke erkannt und ihn vor allen anderen auf der schützen liess.

menschen, die so etwas leisten wollen, müssen integer sein. ohne kompetenz geht nichts. und ohne einfühlungsvermögen für andere auch nicht mehr. wichtiger noch ist ihre energie, mit der sie andere anstecken wollen. und der mut, etwas zu tun, was noch niemand gemacht hat! charisma nannte danuser das – und fügte, vielleicht ehrlich, aber ungeschickt – killerinstinkt bei. er habe im richtigen moment am richtigen ort das richtige gemacht, während die hoteliers pathologische demokraten sein, die es nie zu dem gebracht hätte, was sie heute seien. solch überhebliche selbstdarstellungen sind wohl der grund, warum wir ich-verkäufern gegenüber ambivalent reagieren. denn ihr ego fasziniert und kann den auftrag überschatten.

an diesem tag war viel von selbstdarstellern für eine sache die rede: von barack obama natürlich, von madonna auch, und von selbst von roger federer. nicht gefehlt haben auch mohammed, jesus und buddha, die stifter von gemeinschaften, für die sie über jahrtausende unverwechselbare markenzeichen geblieben sind.

das beste lebende beispiel hierfür auf der bühne des kursaals war adolf ogi, der nur wenige worte brauchte, um sich in erinnerung zu rufen. in unserem geistige auge sahen wir den meiringer verkäufer nochmals erfolgreichster skidirektor werden, für die svp in den bundesrat einziehen, und als schweizer zum geachtete uno-botschafter für sport aufzusteigen. seine art, etwas zu sagen, war so prägnant und inszeniert zu gleich, dass wir heute noch wissen, zu viel strom zu verbrauchen, wenn wir eier kochen. unvergessen ist auch der tannenbaum während der neujahransprache von ogi, der sie speziell machte, obwohl immer das gleiche gesagt wird. und eingraviert in unser kollektivgedächtnis hat sich die begegnung des bundesrates mit raumfahrer nicollier, als der oberländer druckreif aus dem globi-buch zitierte: “freude herrscht!”. das alles gehört zur eigeninszenierung, die aber nicht nur für sich selber erfolgt, sondern für eine sache. bei ogi unzweifelhaft für die neat, die er gegen alle widerstände durchgebracht hat.

genau das ist es, was den botschafter als marke ausmacht, habe ich gestern gelernt: die gemeinschaftsbildung durch selbstdarstellung, die sich kräftiger symbole bedient, um die aufmerksamkeit des publikums zu gewinnen, um etwas zu verkaufen. sei es eine religion, ein produkt, eine dienstleistung – oder einen blogbeitrag.

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nüchtern bleiben, und doch ein wenig abheben können

kaffee trinken ist genuss, bei dem man nüchtern bleibt, aber gleichwohl etwas abheben möchte.

nespresso800 000 000 000 tassen kaffee trinkt die welt jährlich. nur tee ist noch etwas populärer, und natürlich das nicht aufbereitete wasser.

der wunsch zu geniessen, ist entscheidend, dass man zum kaffee greift. und das getränk hat den vorteil, nüchtern zu bleiben. kaffee regt an, kaffee bringt einen auf touren, kaffen verbindet, kaffee ist kultur. doch anders als wein und bier, bleibt die konsumierte menge in grenzen. und anders als der schnapps ist kaffee nicht hochprozentig. deshalb kann man kaffee eigentlich immer trinken. am morgen, bei der arbeit, zum nachtisch und in der freizeit. ja selbst am abend vertragen ihn gewisse menschen.

doch hängt der konsum auch von der präsentation ab. die grösste revolution der gegenwart im kaffeekonsum ist die portionierung. néspresso ist, in der tat, in aller leute mund. die kapseln erinnern uns ein wenig an einen gemini- oder apollo-mission in der raumfahrt, und beflügeln vor allem die kaffeetrinker mit unterdurchschnittlichem konsum. 12 milliarden tassen werden heute so konsumiert. 1,5 prozent des weltumsatzes ist das. selbst in meinem büro steht zwischenzeitlich eine solche maschine. die aussichten werden auf das 10fache geschätzt, wenn das erfolgsprodukt aus und in der schweiz die welt erobert haben wird.

der konkurrenzkampf beim kapselnkaffee wird durch das gewicht der hochwertigen verpackung entschieden. eben, wer zum mond will, muss ein stabiles gefährt haben, das möglichst wenig wiegt, denn nur das verringert den aufwand. jüngst habe ich gelesen, néspresse habe noch 5 jahre die nase vorn, doch dann kommt die leichtgewichtige konkurrenz, denn die arbeite konsequenter an neuen kapseln.

doch ist mir das, ganz ehrlich gesagt, eine zu nüchterne betrachtung der vermarkter. denn kaffee ist und bleibt genuss, um wenigsten ein bisschen abzuheben. heute morgen wieder ganz besonders ein wunsch von mir.

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die rückkehr von mutzopolis

dieser tage war ich viel unterwegs, unter anderem beim neuen berner bärenpark. natürlich, das finanzielle desaster bei der stadtbauten bern lastet schwer über dem neuen bärenpark. der aber gefällt. vor einigen tagen sah man erstmals bären, wirkliche bären, wie sie den hang hoch kraxelten, von ganz oben ausschau hielten, mit dem gewicht ihre körpers über gefällte stämme rutschten, ja, und wie sie sich, noch etwas scheu zwar, mit den (gestauten) aarewasser anfreundeten. das gefiel nicht nur, das machte freude! den zahlreichen touristInnen, die schon auf der nydeggbrücke stehen blieben, um zu schauen und fotos zu machen, den schulklassen, die schon zuhauf angereist kamen, aber auch den ersten bärenparkbesucherInnen, welche die bären nun von halbnah in der halbfreiheit sehen können. ganz so, dass man nur eines sagen konnte: mutzopolis ist zurück!

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gefreut hat mich auch die rückkehr des bären von carlo e. lischetti. der tanzende bär, der vormals auf dem bahnhofplatz direkt vor der heiliggeistkirche über den leitungen der städtischen busbetriebe stand, mit dem bau des baldachins aber aus der öffentlichkeit verschwand, ist nun (gleich wie kopflos) zu den wirklichen bären, den bernerInnen und ihren besucherInnen zurück gekehrt. hoch über dem alten bärengraben tanzt er nun, gekonnt wie eh und je, und lädt zum besuch der neuen parkanlage ein. ermöglicht wurde die montage durch eine neue stiftung bärenpark bern, eine neue trägerschaft, die sich nachhaltig für den erfolg des bärenparks einsetzt. initiiert wurde die stiftung von der berner burgergemeinde, erster präsident ist stadtpräsident alex tschäppät.

doch auch das gehört zu den eröffnungsfeierlichkeiten: die stiftung musste eilends festhalten, sich weder am bau noch am unterhalt des bärenparkes beteiligen zu wollen. doch auch das wird mutzopolis noch eine weile beschäftigen.

stadtwanderer

“ein modernes land hat keine minarette.”

das sagt svp-nationalrat lukas reimann, mitinitiant der anti-minarett-initiative im blog von nzz-votum. ich gebe ihm drei verschiedene antworten.

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bei den minaretten ein vordenker der moderne schweiz? – traditionalist lukas reimann aus wil, wo die lokale islamische gemeinde ein minarett plant, die bewilligung einer kontroverse wegen aber aussteht.

jawohl.
die säkularisierung religiöser werte und normen in der modernen gesellschaft ist wohl eine der wichtigsten folgerungen auf der aufklärung. diese betrieb eine gründliche religionskritik und erfand die menschenrechte. die französische revolution trennte zudem den laizistischen vom kirchlich-feudalen staat. und die europäischen kirchen vollzogen nach dem zweiten weltkrieg die wende zur ökumene, um gemeinsam seelsorge und nicht gesellschaftspolitik zu betreiben. das alles sind fortschritte, die wir der philosophie, der wissenschaft und der politik fernab von konfessionen verdanken. kirchen sind damit nicht verschwunden, haben aber keine leitfunktionen mehr. sie sind noch sichtbar, aber nicht mehr aufdringlich. jawohl, man sollte eigentlich noch weiter gehen. die kirchen sollten sich auf den privaten bereich ihrer mitglieder beschränken. kirchtürme bräuchte es da nicht mehr, – vielleicht ausser als erinnerung an die tradition. und minarette haben in der schweiz nicht wirklich tradition. ergo braucht es keine minarette.

jein.
den sozialwissenschaften ist der religiös-kulturelle wandel der im letzten vierteljahrhundert nicht entgangen. durch migration weichen sich die räumlichen grenzen von religionsgemeinschaften auf. die individualisierung der religion führt dazu, dass man sich die präferiert aussucht und ausübt, wo auch immer man ist. wanderungen und wahlreligionen haben zur viel zitierten pluralisierung der religiösen landschaften geführt. renommierte sozialwissenschafter halten fest, dass das aber keine fortsetzung der säkularisierung ist. vielmehr sind wir in eine post-säkulare phase eingetreten. religionen werden zur gemeinschaftsbildung wieder wichtiger. religiöse selbstdefinitionen nehmen zu, je vielfältiger das zusammensein von konfessionellen bekenntnisse ist. minarette kann man als ausdruck der pluralisierung religiöser lebenswelten sehen, genauso wie türme zu kirchen, säulen zu tempeln. die analytiker der religiösen gegenwart halten fest: es gibt zwei perspektiven der postsäkularen welt: die des friedlichen nebeneinanders von religionen unter veränderten bedingungen, und die des konfliktreichen gegeneinanders. darüber muss man in aller toleranz und aller verantwortung, die uns eigent ist, entscheiden.

nein danke.
was lukas reimann in seinem kolumne betreibt, ist kein vorschlag, wie wir angesichts der säkularisierung unserer gesellschaft leben sollen. es ist auch kein abwägen, wie man sich angesichts post-säkularer trends entscheiden soll. es ist bloss ein guter titel. wer den blogbeitrag liess, merkt schnell heraus, dass es ihm um einen kulturkrieg geht. und da sage ich klar: jeder kulturkrieg ist schädlicher als die vier minarette und zwei baugesuche, die es in der schweiz gibt. denn den kulturkriegern geht es letztlich nicht um minarette. vielmehr geht es ihnen darum, angst zu schüren, politische ambitionen zu unterstellen, und – feindbilder zu pflegen. “Das Minarett ist das Symbol des politischgesellschaftlichen Machtanspruchs des Islam”, ist die kürzestfassung des bloginhalts. und da füge ich bei: wenn es eine “politische islamisierung” in der schweiz gibt, dann muss diese diskutiert werden. wenn teile ausserhalb des rechts stehen, können diese mit dem bestehenden recht bekämpft werden. das ist die antwort der aufgeklärt-modernen schweiz. nicht das bauverbot von minaretten der kulturkrieger.

stadtwanderer

zeugen der glokalisierung: sakralbauten aus aller welt im kleinen raum

glokalisierung heisst, dass sich globale entwicklungen in lokalen verhältnissen spiegeln. die vermehrung von gotteshäusern verschiedenster traditionen in der schweiz sind ein treffender beleg dafür.

im bernischen zollikofen steht seit 1955 ein mormonentempel, in lugano seit 1959 eine jüdische synagoge, in zürich seit 1963 eine moschee, im zürcherischen riken seit 1968 ein tibetanisches kloster, im solothurnischen gretzenbach seit 2003 ein thai-tempel und in langenthal seit 2006 ein indisches sikh-tempel. seit diesem jahr zeugt im bernischen belp eine orthodoxe kirche von der pluralisierung der religionen in der schweiz, die mit ihren gotteshäuser sichtbar in die öffentlichkeit treten.

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prospekt der ausstellung “kuppel – tempel – minarett” des zentrums für religionsforschung an der universität luzern

die wanderausstellung “kuppel – tempel – minarett“, bis ende januar 2010 an verschiedenen orten der schweiz unterwegs, zeigt das langsame heimisch werden fremder gotteshäuser , dem sich eine offene gesellschaft nicht verschliessen kann. erstellt vom jungen zentrum für religionsforschung der universität luzern, werden so die sakralbauten dokumentiert, die nach dem zweiten weltkrieg mit der migration entstanden sind und für die schweiz vorerst ungewohnt waren.

alles in allem geht es um 24 bauten, die martin baumann, professor für religionswissenschaften, analysiert. er verweist darauf, dass ihre zahl erst in den letzten 10 jahren zunimmt, die hälfte unverändert in den stadträumen von zürich und genf steht, sich nun aber analoge veränderungen nun auch in den kleinstädten, ja auch auf dem land abzeichnen.

die meisten bauten kannten einen längeren planungsprozess, bei dem die bauherrscahft, die anwohnerInnen und denkmalpflege integriert wurden. ob es das in einen konflikt mündete, hängt nach ansicht der ausstellungsmacher von verschiedenen faktoren ab: “Der Charakter der Standortgemeinde und die soziale Struktur der Nachbarschaft spielen ebenso eine Rolle wie die bauwillige Religionsgemeinschaft, ihr Kommunikationsverhalten, die Art des Projektes und das Vorhandensein lokaler Fürsprecher und finanzieller Mittel”, halten die experten fest.

das alleine erklärt nicht, wie ein baugesuch beurteilt wird. denn die realisierung von sakralbauten ist nicht nur eine frage des baurechts und der baupraxis. es ist auch ein kultureller prozess, ein potenzieller konflikt der glokalisierung, füge ich bei. denn globale fragen spiegeln sich in ihr ebenso wie lokale umstände. und das hat mit dem wesen der religionen zu tun, die weitvernetzte gemeinschaften der überzeugungen sind, wo auch immer ihre gotteshäuser stehen.

stadtwanderer

besuch auf der glungge – dem unsterblichen hof der schweizer filmgeschichte

eigentlich wollten wir nur einen gemütlichen ausflug ins emmental machen. heimiswil war unser ziel. ein zeitungsartikel zum 80. geburtstag von liselotte pulver hatte uns inspiriert. denn so, wie sie vor gut 50 jahren das “vreneli” in den filmen über “ueli den knecht” spielte, bleibt sie unvergesslich.

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doch kam es, wie wenn man einen schalter kippt und es unvermittelt hell wird. denn wenn ich nur schon das wort “ueli” höre, kommen mir hannes schmidhauser und liselotte pulver unweigerlich in den sinn. die filmbilder sind wie eingraviert in meiner erinnerung. zum beispiel wie das traumpaar der schweizer kinowelt auf dem hof, auf dem ueli pächter ist, zu einander finden; wie vreneli, das nicht wusste, wer ihr vater war, eines sonntags erfährt, dass sie vom hagelhans abstammt, der auf einer gant den hof gekauft hat und das paar pächtersleuten macht; wie der alte joggeli, dem das anwesen einst gehörte, durch dümmliches intrigieren mit den grössen des dorfes seinen musterhof ins elend stürzte; und wie seine frau, die wie damals üblich, keinen namen hatte, zu vreneli hält und deren zuneigung zu ueli unterstützt, bevor sie bei einer tasse kaffee über das leben philosophiert und kurz darauf verstirbt.

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in heimiswil kehrten wir auf unserem ausflug im “löwen” ein. im stattlichen gabs auf unserem ausflug eine kleine stärkung – pastetli mit plizfüllung und pommes waren bei mir angesagt. wunderbar herbstlich war es, aber sicher nicht so oppulent, wie damals, im jahr 2000, als die sieben bundesräte mit ihren entouragen den löwen während ihres bundesratsreislis durch die heimat von adolph ogi, ihrem damaligen präsidenten auf zeit, füllten. doch dafür hatten wir in den sieben sälen des hauses mehr auslauf und stiessen auf ein buch von walter senn und mario cortesi, das ganz einfach “ueli” hiess und uns auf unserer prisch nach den alten drehorten gerade recht kam.

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jeremias gotthelfs erzählungen sind ein zeitdokument aus der mitte des 19. jahrhunderts. aus der gutväterlichen optik schildert der pfarrer aus lützelflüh, wie die traditionelle bernerwelt aus dem ancien régime sich öffnet, die bürgerlichen schichten in basel mit ihren brieftaschen voll von scheinbar vielversprechenden handelsbeziehungen angeben, um die töchter der bauersleute aus dem emmental zu verführen, die rechnung aber ohne die eifersüchtigen söhne machen. denn die wollen keine änderung – nur warten wollen sie, bis sie ihre väter beerben können, um von der arbeitskraft ihrer knechte zu leben. dabei lobt und tadelt gotthelf in seinen büchern eifrig, um die werte des protestantismus zu inszenieren. er lässt es regnen und hageln, wenn die menschen nicht gehorsam gegenüber gott und arbeitsam gegenüber sich sind, und freut sich liebvoll, wenn zwei menschen zueinander finden und bald schon der nachwuchs ins haus steht.

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im buch, das wir auf in heimiswil aufstöbern, gibt es eine beschreibung des legendären hofes der filme von franz schnyder, der “glungge”, auf der die eindrüpcklichsten szenen von “ueli dem pächter” gefilmt wurden. in brechershüseren stehe sie, die glungge. in der fünften generation werde sie, lesen wir, durch die reinhards bewirtschaftet, die familie, die den hof, auf dem sie selber arbeiteten auf einer steigerung in wynigen erwerben konnten, genauso wie im film. auch die probleme sind auf dem unsterblichen bauernhof ähnlich geblieben: das dach bereite sorge. der amtsschimmel wiehere unentwegt, und nur die spärlichen bioprodukte würden noch geld abwerfen, lesen wir, bevor wir nach brechershüseren gehen.

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es war mir, wie wenn ich einer alten bekannten begegnet wäre, als wir vor der “glungge” standen. das hohe dach, die engen fenster, die auffahrt zum tenn, der brunnen vor dem hof, alles war mir so vertraut, obwohl ich noch nie da war. ich musste rasch ein paar fotos machen, fast so, als würde ich von den ueli-filmen screenshots ziehen. die älteren wandersleute, die an uns vorbei gingen, merkten, was in welchem film wir waren. vreneli sei auf einen schwatz unten an der strasse, riefen sie uns zu. ganz so, als würde liselotte pulver gerade unter uns weilen.

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natürlich war dem nicht so, denn die berühmte schauspielerin lebt heute in burgdorf, führt ein bürgerliches leben und verbreitet ideen, die nicht immer die meinigen sind. und doch prägte sie wie keine andere mein frauenbild aus der zeit in der ich geboren wurde. filme, folgere ich, sind nicht nur eine kräftige quelle der vergangenheit, sie sind auch eine starkes medium, das unsere vorstellungen der welt prägt und erhält. das nehme ich von diesem ausflug mit, als wir die “glungge”, diesen unsterlichen hof der schweizer filmgeschichte, verlassen. als ich im buch von regisseur franz schnyder blättere, sehe ich, wie symbolisch der ort schon zu drehzeiten war. denn charlie chaplin, die filmlegende par excellence, besuchte das einzige mal während seines schweizer exils die produktion eines schweizer filmes auf der “glungge”.

stadtwanderer

keep it simple and stupid – bis zum geht nicht mehr!

keep it simple and stupid, oder eben: kiss, sagt alexander segert, der starwerber der svp, kurz und bündig. und verführt so regelmässig die massen. so erfolgreich, dass ihn jetzt auch die alternative liste zürichs nachäfft.

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diese gegenüberstellung sollen die zürcherInnen und winterthurerInnen nächste woche zu sehen bekommen.

das schon bekannt gemachte plakat wirbt für ein ja zur anti-minarett-initiative. die andere, neue affiche ist für den stopp von kriegsmaterial aus der schweiz. ersteres kommt aus dem umfeld der äusseren rechte, zweiteres der äusseren linken.

doch damit genug der spiegelbilder und spiegelfechterei! deshalb die unverblümte frage des stadtwanderers: was soll das?

sicher, der gag der linken ist geglückt. man hofft wohl, mit einem ähnlichen medienrummel die gleiche aufmerksamkeit zu erheischen. doch genau so sicher ist es, dass es sich um eine fantasielose kopie handelt, die mit den gleich stereotypen mittel arbeitet.

die darstellung des mannes mit schweizer herkunft ist noch das beste. denn sein böser blick in traditioneller kluft persifliert die frau muslimischen glauben, die auf dem minarett-plakatt völlig unnötig ist. und er ist ein wenig biedermann und brandstifter zugleich, das ist eine anspielung an die verantwortlichen des anderen plakates. eine schweiz, übersäht mit raketen ist aber ebenso lächerlich wie eine schweiz überfüllt mit minaretten. da wird hüben wie drüben schlicht überzeichnet.

sich nie auf das feld dessen zu begeben, den man bekämpft, ist die erste regel in der politischen kommunikation. denn damit transportiert man automatisch dessen botschaften weiter. das kennt man spätestens seit den schäfchen von 2007, die es plötzlich in allen formen gab. politik, die nicht durch werbung verkommt heisst: eine eigene arena aufbauen, auf die alle gebannt schauen müssen, ist die logische konsequenz daraus. der rest ist doch eine halbe kapitulation, vielleicht satire, aber kein politisches argument. und schon gar nicht aufklärung, die man in der aktuellen situation erwarten würde.

to simple and to stupid, sag ich da, und füge bei: keep both away!

stadtwanderer

ausgerechnet: bern hat einen bären aufgebunden bekommen!

jemandem einen bären aufbinden, ist gar nicht so einfach. denn ein bär wiegt schwer. jetzt ist es ausgerechnet der bauherrin des neuen bärenpark gelungen, der stadt bern sogar einen dicken bären aufzubinden. der könnte sogar sehr schwer wiegen! eine politische wie auch semantische analyse des falls!

baeren_aufbindenquelle: rowillus blog

vorgesehen war, am 25. oktober den neuen bärenpark am aare-hang beim alten tramdepot feierlich zu eröffnen. doch jetzt könnte es ein fest bei trübem aarewasser und hartem brot werden. denn beim bärenpark zeichnet sich eine deftige kostenüberschreitung ab. 9,7 millionen franken hätte der bau kosten sollen, als man 2007 darüber abstimmte. barbara hayoz, die zuständige gemeinderätin, hat diese summe bei unternehmen und privaten in der stadt gesammelt, und ein bärenstarkes versprechen abgegeben: die stadt werde ein geschenk bekommen, versprach sie und nutzte die gunst der stunde, um als stadtpräsidentin zu kandidieren.

sie schaffte es dann nicht, denn bald schon wurde klar, dass der bau 14,5 million franken veschlingen werden. und seit heute ahnt man, dass daraus gar 23,6 million werden könnte. dass die sponsoren das nötige klein nachschiessen würden, hörte man heute nicht. und so zeichnet sich ab, dass die berner und bernerinnen für das geschenk wohl 15 million nachzahlen müssen.

“skandal!”, hat rotgrün am nachmittag verkündet. selbst die fdp hat das vertrauen in die bauherrschaft verloren. die schuldigen hat man schon gefunden. bei der stadtbauten bern ag, welche der hang gehört und die den bau realisiert. ihr ceo gab zwar heute schon mal fehler zu; zurücktreten will er nicht. vielmehr hat er bei der stadt eine administrativuntersuchung in eigener sache eingeleitet. denn die stadtbauten bern ag ist zwar eine selbständig handelnde firma mit verwaltungsrat und geschäftsleitung, doch ihr ganzen kapital hat sie von der stadt, deren zahlreiche liegenschaften sie verwaltet und unterhält.

wie nur also liess sich bern – ausgerechnet bern! – beim bärenpark – ausgerechnet beim bärenpark – eine solchen bären aufbinden? genaues weiss man noch nicht. doch eine spur, die sagt, was dabei geschieht, legen die sprachforscher: “einen bären anbinden” sagen jäger, wenn sie die zeche nicht bezahlen wollen, also schulden machen. und jemandem etwas aufbinden, heisst ja überall nichts anderes als “anlügen”. demnach meint der spruch, “jemandem einen bären aufbinden”, haarscharf: jemanden anlügen, wenn man das geld nicht zahlen will, das man schon verprasst hat …

stadtwanderer

die aufklärung, die schweiz und das glück

heute vor hundert jahren verstarb carl hilty. ein vorbild vieler staatswissenschafter in der schweiz und ein zeitgenosse, der sich für das glück der menschen interessierte. eine würdigung.

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begegnet bin ich carl hiltys spuren während meiner zeit als politologe an der universität bern. mitte der 80er jahre schrieb ich am jahrbuch für schweizerische politik mit. damit hatten erich gruner und peter gilg, meine beiden lehrer in schweizer politik, in den 60er jahren des 20. jahrhunderts eine idee von hilty aufgegriffen. denn nach 1886 hatte auch dieser ein jahrbuch zur lage der nation herausgegeben.

doch hilty hätte unser publikation nicht begeistert. denn es waren nachschlagewerke für den moment, wo die erinnerung an das zeitgeschehen nicht mehr reicht. hilty war zwar realist, wenn es um umsetzungen ging, im grund seines herzens aber ein starker idealist.

hilty, der anwalt aus chur, der nationalrat der st. galler demokraten, der professor für staatsrecht in bern und richter am ständigen gerichtshof in den haag, war sich nicht zu schade, konkrete politische forderungen zu erheben und an ihrer realisierung zu arbeiten. so formulierte er eine verfassungsänderung, mit der das frauenstimm- und wahlrecht in der schweiz eingeführt werden sollte. und war einer der führenden köpfe in der abstinenzbewegung gegen die sozialen probleme, die mit dem alkohol entstanden.

auch wenn er damit bisweilen aneckte, für seine zeitgenossen war hilty eine hohe autorität. das gewissen der nation, nannten ihn seine zahlreichen studenten, die begeistert waren vom intellektuellen, der sich einmischte. selbst aktive bundesräte sahen sich dadurch veranlasst, seiner berner vorlesungen zu besuchen.

beseelt war hilty schaffens- und interventionskraft durch den geist der aufklärung. Die macht interessierte ihn nie wirklich. die ideen der menschheit schon. bedeutungsvoll werde, so war er überzeugt, in kleinen republiken geschaffen. denn hier realisiere der mensch, was seine freiheit wert sei. dabei war er kein verherrlicher der kleinen gemeinschaften, seien sie doch auch ort, wo herrschende in den imperien und kirchen seiner zeit unmittelbarste macht ausüben würden.

säkularisierung von staat und kirchen war eine der grossen ideen, die der aufklärer hilty verfolgte. denn das sind die voraussetzungen, das freiheit entsteht, toleranz möglich wird, und menschen mit überzeugungen auch für menschen mit anderen überzeugungen offen werden.

in werdenberg, der kleinsten stadt der kleinen schweiz geboren, wurde hilty so zu einem führenden politischen denker seiner zeit. was er wohl zu heutigen sagen würde?, fragt sich der

stadtwanderer

eine wenig mattenenglisch

heute spricht man viele sprachen in der berner matte. thailändisch, zum beispiel, auch serbokroatisch. denn nach den veschiedenen überschwemmungen ist das wohnen und arbeiten im quartier unten an der aare schwieriger geworden. so geht das berndeutsche zurück. doch wer weiss: vielleicht vermischt sich das alles einmal zu einer neuen sprache, so wie an diesem ort das schon mehrfach der fall war.

pa101845ligu” kommt aus dem griechischen, “lehm” aus dem hebräischen und “take away” aus dem amerikanischen. anders als die beiden ersten wörter haben sich die beiden letzten im mattenenglischen noch nicht assimiliert. (foto: stadtwanderer)

denn eine berühmt geheimsprache machte das berner quartier unterhalb der altstadt weltbekannt: das mattenenglische. mit der gehobenen sprache, die man oxford oder cambridge lehrt, hat das aber nicht zu tun. man sagt nämlich fälschlicherweise “englisch”, genauer wäre “engisch”. und das ist die sprache, die man nur dann versteht und spricht, wenn man durch die enge der häuser am eingang der matte eintritt, um in eine welt für sich zu gelangen.

heute feiert der mattenänglischclub sein 50jähriges bestehen mit einem strassenfest. das ist ein teil seiner aktivitäten, um den untergang der quartiersprache zu verhindert, wie er immer wieder vorausgesagt wird.
entstand ist das mattenenglisch wohl in hamburg, im 14. jahrhundert, als flössersprache, die man auf den grössen strömen sprach, welche in die norsee münden. das prinzip der sprache ist einfach. es funktioniert genauso, wie wenn kinder etwas untereinander besprechen wollen, welche die eltern nicht verstehen sollen. um die kleinen geheimnisse zu bewahren, führt man in eine bestehende sprache neue wörter, die bekanntes bezeichnen. im mattenenglisch werden die neuen wörter (vereinfacht) wie folgt gebildet:

. die erste silbe bis einschliesslich erstem vokal wird an den schluss des wortes gestellt.
. fängt die erste silbe mit einem Vokal an, wird ein h eingeschoben und erst dann die silbe ans Ende gestellt.
. an den Anfang des neue wortes wird ein i gestellt.
. der letzte vokal des neuen wortes wird durch ein e ersetzt.

aus bärn wir so zuerst rnbä, dann irnbä und schliesslich irnbe.

die referenzsprache ist dabei weder die schriftsprache noch das berndeutsche. vielmehr geht man der sprache aus, die man in der matte spricht. dieses dorf, das anfänglich neben der stadt bestand, hatte seine blütezeit während des baus der plattform vor dem heutigen münster zu beginn des 14. jahrhundert. dieser zog viele handwerker und händler aus nah und fern an, die alle auch ihre sprache mitbrachten, die sich in der folge zu einer eigenen sprache vermischten.

“ligu lehm”, das take away restaurant in der matte mit dem typischsten ausdruck aus der der mattensprache ist aus dem griechischen und hebräischen abgeleitet. oligon wäre in athen ein wenig und mit lechem meint man in jerusalem brot. so ist ligu lehm “ein wenig brot”.

und dieser beitrag ein wenig sprachenkunde. alles klar? dann, euer

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anatomie eines aufbrechenden politischen konflikts

am besten gefallen hat mir heute einmal mehr die karikatur von chappatte im le temps. denn er stellt angesichts des abstimmungskampfes zur minarett-initiative die frage nach dem stand der politischen kultur in der schweiz.

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vor sechs monaten schlug ich denkbar interessierten kreise vor, eine plattform zu schaffen, die probleme im zusammenleben zwischen menschen verschiedener religionen, kulturen und weltanschauung zu diskutieren. gemeint waren vor allem probleme mit und von muslimen in der schweiz. denn es war klar, das diskussionen über schwimmdispenzen im schulturnen, kopftücher von lehrerinnen, die zulassung der scharia in der schweiz oder burka-trag-verbot in der öffentlichkeit die schweizer und schweizerinnen stark verunsichert haben. doch hatte ich damit nicht durchschlagenden erfolg, weil selbst menschenrechtsorganisationen fürchteten, damit nur eine kettenreaktion auslösen zu können. dabei war genau das meine absicht: nicht die anstehende volksabstimmung zu ventil für unzufriedenheit werden lassen, sondern in einem forum ausbrechende emotionen zu sammeln, ohne dass politische scharfmacher sich der stimmungslage bedienen können.

nun ist ist der politische konflikt mit schwindelerregendem tempo ausgebrochen und hat er sich weitgehend unkontrollierbar ausgebreitet. das gestern vermutete patchwork der schweizer städte für oder gegen das plakatverbot ist zwischenzeitlich realität geworden. sympathien mit einem weitgehenden verbot äussert der bloggende medienminister. dankend nehmen vertreter der islamischen organisationen in der schweiz die unterstützung zur kenntnis. die initianten drohen wutentbrannt mit strafanzeigen. die weltwoche setzt das plakat aufs titelblatt und widmet ihre titelgeschichte dem wirken des rotgrünen wächterrates. cnn und eine ganze reihe von auslandszeitungen verbreiten das bild einer gespaltenen schweiz über die ganze welt, und in einem radio-duell zu den zürcher regierungsratswahlen verliert svp-kandidat stocker die nerven, als ihm sein herausforderer, sp-jositsch, seine irritierenden sinneswandel in sachen minaretten vorwirft.

in den letzten 48 stunden haben wir schon viel über den zustand der politischen kultur in der schweiz erfahren: wir wissen, dass sich befürworter und gegner der plakat auf die aufklärung berufen. uneingeschränkte meinungsäusserungsfreiheit ist den einen wichtig, garantie der menschenrecht steht für die anderen zuoberst. wir wissen auch, wer in zeiten des politischen sturms zum spin-doctoring fähig ist, und wer vom wirbelwind weggefegt ist. und wir wissen, dass wir das nicht nur für uns veranstalten, sondern im ausland ganz genau beobachtet werden. doch wissen wir kaum, was für oder gegen ein bauverbot von minaretten in der schweiz spricht. genau das fürchtete ich vor einem halben jahr: dass angesichts von spannungen, die spürbar sind, metadiskussionen aller art ausbrechen und dominieren werden, ohne, dass wir uns mit der frage beschäftigen, die uns bei der volksabstimmung gestellt wird.

ich bin froh, dass ich der einladung, in der morgigen arena-sendung zum thema nicht teilnehmen muss und kurt imhof den part der analyse übernimmt. denn zu mehr als zu einer anatomie-schau des ausgebrochenen konflikts über rassismus in der schweizer politik wäre ich zwischen georg kreis und christoph blocher nicht in der lage gewesen. und das kann ich beim stadtwandern imit der nötigen ruhe machen, die ich mir angesichts des eskalierenden konflikts auch für die öffentlichen debatte wünsche.

stadtwanderer

hauptstadtregion schweiz konkret

jetzt macht bern bei der hauptstadtregion nägel mit köpfen. aus der idee wurde im juli ein wille, und aus dem wille wird jetzt ein projekt.

swisspic20040921_5228215_2bern will sich einen teil der vergangenen grösse als politikzentrum der schweiz zurückerobern und wird deshalb als hauptstadtregion mit den metropolen, ihren kantonen und städten rund herum kooperieren.

stadt und kanton haben heute morgen ein projekt lanciert, das – analog zu den metropolitanräumen in zürich, genf und basel – eine intensivere kooperation mit den nachbarkantonen und den relevanten städten ausleuchten soll. dem raum bern soll damit eine entwicklungsperspektive als hauptstadtregion verschafft werden.

leiter der projektorganisation ist alexander tschäppät, stadtpräsident. andreas rickenbacher, volkswirtschaftsdirektor des kantons, ist sein stellvertreter. ferner gehören die regierungsratsmitglieder barbara egger-jenzer und christoph neuhaus sowie die gemeinderätinnen barbara hayoz und regula rytz dem gremium an.

die externe projektleitung geht an die arbeitsgemeinschaft ad!vocate/ecoplan. rudolf muggli und felix walter werden vorerst alle verhandenen informationen bündeln, dann das projekt aufbauen, das schliesslich in einen ordentlichen betrieb überfürht werden soll.

den stadtwanderer freut’s, dass damit der schritt von der entscheidung zur umsetzung unternommen wurde. er wird weiter aufmerksam zusehen, was in dieser sache geht, und die freundliche einladung, die er erhalten hat, als boje im mehr in verbindung zu fungieren, annehmen!

stadtwanderer

meine tagesbilanz zum plakat für die minarett-initiative

der abstimmungskampf zur volksinitiative, welche den bau von minaretten in der schweiz generell verbieten will, begann mit einem medialen paukenschlag zum möglichen verbot des plakates der befürworterInnen. eine erste tagesbilanz!

17am morgen stimmte mich professor kurt imhof via tamedia-zeitungen ein: “Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in allen Ländern stark diskreditiert. Die Schweiz war davon nicht in gleichem Masse betroffen. Um eine Rassismusdebatte kam sie damit herum.” zuvor hatte der soziologe die radikalisierung der svp-plakate analysiert. angefangen habe es mit dem messerstecherinserat, das sei als politische propaganda noch durchgegangen. dann habe ein asylant eine schweizer fahne zerrissen, womit die grenze erreicht worden sei. jetzt richte sich das plakat gegen eine ganze bevölkerungsgruppe. das gehe zu weit!

genau das nahm am heutigen nachmittag die eidgenössische rassismuskommission auf. von verschiedenen städten angefragt, erklärte sie, die plakate nährten vorurteile, seien pauschalisierend und stellten den islam als bedrohung dar. sie suggerierten, man müsse sich in der schweiz fürchten. das verunglimpfe alle, die in der schweiz friedlich leben wollten. den städten empfahl die kommission einen “sorgfältige Güterabwägung zwischen Meinungsfreiheit, Diskriminierungsschutz und dem Schutz der schweizerischen Gesellschaft vor Hass fördernder Agitation.”

den städten, die angefragt hatten, erschien das entsprechend nur bedingt hilfreich. basel hatte hatte die stellungnahme gar nicht abgewartet und entschieden, keine plakate aufzuhängen, da man sich verpflichtet habe, rassismus keinen vorschub zu leisten. st. gallen markierte den gegenstandpunkt: weil man mit einer bannung den befürworterInnen der minarett-initiative nicht in die hände arbeiten wolle, lasse man die plakate zu. lausanne und yverdon wiederum lasen die heutige stellungnahme der erk als aufforderung für ein verbot, während die stadt genf das gleiche dokument genau umgekehrt interpretierte. genau das ärgerte schliesslich berns stadtpräsident alex tschäppät. er intervenierte beim schweizerischen städteverband, für eine einheitliche regelung zu sorgen – wie auch immer die aussehe!

“Es wird wie immer in der Schweiz eine Patchworklösung geben”, hatte ich am morgen dem interview von imhof entnommen. einige städte und kantone werden das plakat erlauben, andere es verbieten, prognostizierte der zürcher professor. das problem sei, dass die schweiz, wie sie bundesrat und parlament in sachen minarett-verbots-initiative empfehlen, in eine “lose-lose”-situation geraten sei: im inland mobilisierten die parziellen verboten plakate die befürworterInnen, um sie gegen die zensur der meinungsfreiheit zu wehren. und im ausland werde man die aufgehängten erwähnen – als beweis für den rassismus, der in der schweiz salonfähig geworden sei.

vor knapp drei wochen hielt ich in meiner nachanalyse zu den parlamentswahlen im vorarlberg, wo ein viel harmloseres plakat unter anderem zu minaretten das land aufgewühlt und die bisherige konservativ-freiheitliche regierung gesprengt hatte, den mechanismus der wahlkampflancierung wie folgt: “Bilanziert man den Wahlkampf der FPOe, kann man vorerst festhalten: Sie setzte inhaltlich focussiert auf verdrängten Themen und kombinierte das stilmässig mit den Mitteln der Provokation. Das kostete ihr zwar die Reigerungswürdigkeit. Doch gelang es ihr, die angedrohte Verlagerung auf die Oppositionsbänke zu nutzen, um sich bei den bisherigen NichtwählerInnen massiv zu empfehlen, und der OeVP verärgerte WählerInnen abzunehmen. Die Partei hat damit nicht die Mehrheiten bekommen, aber mehr WählerInnen angesprochen als bisher, wie das die SVP in der Schweiz auch macht. Zuerst braucht es die Oberhoheit über die Oeffentlichkeit, um die eigenen Themen ins Zentrum zu rücken. Und dann dann setzt man voll auf Mobilisierung gegen das irritierte Establishment, womit sich das wählende BürgerInnenspektrum nach rechts bewegt.”

oder anders gesagt: worüber stimmen wir ab? über unsere alltagserfahrungen mit menschen muslimischen glaubens, über ihre skandalisierung, über die öffentliche suspendierung eines deplazierten plakates. oder über eine volksinitiative, die den bau von minaretten in der schweiz generell verbieten will. wenn ich meinen tag bilanziere, habe ich den eindruck, erstes finde statt, wenn ich auf die abstimmungsfrage schaue, ist nur zweiteres der fall.

zurück auf feld eins ist da meine antwort!

stadtwanderer

top lebensqualität!

was genau lebensqualität ausmacht, weiss letztlich niemand. weder theologen, noch philosophinnen haben eine verbindliche antwort geben können. dennoch kann man lebensqualität von städten und ländern messen. bei aller unzulänglichkeit der konzepte kommen dabei immer wieder ähnliche rangierungen zustande, die als ganzes sinn machen.

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bryggen, der hafen von bergen, ist der ort, wo ich mich in norwegen am wohlsten fühlte.

zürich, genf, bern. so lautet in der regel die reihung in der schweiz. was landesweit nur nach bronce aussieht, ist weltweit unverändert top. denn bern landete letztes jahr global auf dem 9. platz des renommierten mercier-ranking.

das ist kein zufall, selbst wenn die debatte in bern häufig anders verläuft. denn im innern einer stadt gibt es viele klagen über ihre unzulänglichkeiten. doch das ist nur die eine seite der medaille: sie subjektive nämlich. überwunden werden kann sie, wenn man nicht nur die binnensicht kennt, sondern auch die aussensicht dazu nimmt, die aus dem vergleich entsteht. denn das hilft, die kleinlichkeit der lokalen urteile mit dem globalen massstab zu überwinden.

genau nach diesem motto ist der uno-bericht verfahren, der heute die lebensqualität der staaten vorstellte. norwegen ist hier top. überrascht bin ich nicht, denn platz, sicherheit und reichtum stellen die menschen in norwegen in hohem masse zufrieden. überhaupt: der norden schneidet hervorragend ab: island liegt an dritter, kanada an vierter, irland an sechster und schweden an siebter stelle. nur australien, das gegenstück des teifen südens zum hohen norden, kann da ganz mithalten.

beurteilungskriterien solcher ranglisten sind in der regel die einkommenshöhe, der bildungsstandard und die lebenserwartung eines landes. wenn sie alle ausgeprägt hoch sind, stellt sich lebenszufriedenheit, das subjektive mass an lebensqualität, mit erhöhter wahrscheinlichkeit ein. meist geht das gegenteil mit naturzerstörung, kriegswirren und auswanderung einher.

die schweiz schneidet im ranking des uno-entwicklungsberichtes unverändert an neunter stelle an. auf dem kontinent sind nur die niederland und frankreich, der gewinner des jahres, lebenswerter.

ohne geld gibt es keine lebensqualität, mit geld alleine indessen auch nicht. lernen und sich entwickeln können, und das möglichst lange frei von krankheiten, gehört ohne zweifel zur lebensqualität. seien wir bedacht, dass die natur nicht kollabiert, kein bürgerkrieg die schweiz erfasst und menschen massenweise fliehen müssen, sagt sich auch der

stadtwanderer

die läuferInnen von heute sind die söldner von damals

schon von weitem konnte man lesen, dass die stadt für den verkehr heute noch passierbar sei. eine chance, ins innere zu kommen, hatten nur stadtwandererInnen, die unter den zahllosen läuferInnen des 76. gedenklaufes für die schlacht von murten unterzugehen drohten.

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murten 2009: wie an jedem ersten oktobersonntag von den laufhelden der gegenwart besetzt

dort, wo vor 535 jahren die burgundischen truppen unter ihrem marschall jacques de romont angegriffen hatten, standen heute die kolonnen der logista-wagen. wer am gedenklauf zum söldnergemetzel von 1476 mitmachen wollte, konnte hier seine taschen, trainer und turnschuhe, die er oder sie nicht selber ans ziel in fribourg mittragen wollte.

die meisten von ihnen machten sich danach ans aufwärmen, unten am see auf der pantschau. andere sonnten sich vor dem schulhause, genau dort, wo heute das kleine denkmal für adrian von bubenberg, dem besatzer der stadt während der schlacht, steht. sein kommando von damals haben die fitness-vorbilder von heute übernommen. laute musik peitscht die läuferinnen an, während junge frauen auf einer kleinen bühne vormachen, wie man seinen körper rechtzeitig in schwung bringt.

die innenstadt gleicht einer militärischen planzelle. die hauptgasse ist in sektoren eingeteilt, fein säuberlich mit buchstaben auf riesigen ballonen beschriftet. so weiss jeder und jede, die bald kämpfen wird, wo man er oder sie eingeteilt ist. jede pulk sieht aus, als wäre einer der legendären gewalthaufen, dank denen sich die eidgenossen durchsetzten.

viele sind in gruppen gekommen. ihre gemeinsamen dresses gleichen den uniformen von früher. bisweilen haben sie auch fahnen dabei, damit man sieht, für wen sie rennen. andere haben eine begleiterin bei sich, die einer marketenderin gleich für das psychische und physische wohl der laufhelden besorgt ist. da werden die beine nochmals mit dulix gemschmeidig gemacht, und dort gibt es einen kuss, bevor man sich einreiht. wer weiss, vielleicht ist es der letzte.

“noch 10 minuten”, tönt es aus den lautsprechern. die guggenmusik schmettert die gassen noch einmal mit ihren tönen voll. man wähnt sich in der umgebung einer militärkapelle, die mit dem alles durchdringenden marsch eine kollektive identität schafft. “noch 5 minuten”, hört man den platzspeaker sagen, und beifügen, man werde gemeinsam bald viermal um die erde laufen; jeder und jede der knapp 10000 läuferinnen trägt 17,17 kilometer dazu. “noch eine minute” und schliesslich “päng!”.

“hopp, hopp”, schreien nur noch die persönlichen fans, und “allez-y” fügen die zahlreichen zuschauerInnen bei, während es unter den läuferInnen schlagartig ruhig wird. wo noch vor kurzem verschiedenste dialekte der eidgenossen ertönten, französisch, italienisch oder spanischer parliert wurde, ist jetzt konzentration angesagt.

in den engen gassen murtens sind die kleinsten dieser multikulturellen truppe bevorteilt. wenn es dann ausserhalb der stadt hinaus zum schlachtfeld geht, werden die leichtesten die ersten meter zwischen sich und den übrigen legen. sprechen wird dann kaum mehr jemand, denn sie alle müssen zwar keinen feind mehr besiegen, aber sich selber auf der hügeligen strecke. doch den stadtwanderer erinnert es daran, dass die grössten und schwersten ritter damals die schlacht verloren, weil sie gegen die wenigen eidgenossen nichts zu bestellen hatten.

siegen wird heute, wie das letzt jahr schon john mwangangi, nur 1,58 meter grosse und erst 19 jahre alt, aber schon ein erfahrener auf allen schlachtplätzen der strassenläufe. zierlicher wirkt da nur noch die frauensiegerin, helen musyoka, ebenfalls auf der kenianischen truppe. nur ihre 37 kilo körpergewicht nimmt sie auf den gedenklauf nach fribourg mit.

stadtwanderer

aus dem gipfeltreffen wurde ein gipfelitreffen

die grossen des stadtwanderns in der schweiz trafen sich gestern zum ersten gemeinsamen treffen. in tina’s bar im zürcher niederdorf gabs gestern abend dazu kein matterhörner, sondern buttergipfeli.

pa021703-300x2251benedikt loderer, ur-stadtwanderer der schweiz am gipfelitreffen (foto: stadtwanderer)
benedikt loderer, wohnhaft in biel/bienne, architekturkritiker in zürich, erzählt: 1984 habe er vom “tages-anzeiger” ein angebot erhalten, im sommer über seine quartierbesichtigungen in schweizer städten eine sechsteilige reportage zu schreiben. städtewanderungen nannte er das, und es gefiel der damaligen redaktion. nur die spitzmarke war ihr zu kompliziert. und so machte sie das stadtwandern draus, ein titel der mitgeht, wenn journalist loderer beispielsweise in bern unterwegs ist, um für sein hochparterre über vorbildliches bauen zu berichten oder andernorts verschandelungen anzuprangern. dabei ist es ihm stets ein anliegen, die stereotypen stadtbilder, die wir haben, zu durchbrechen, um auf trouvaillen in der quartiergestaltung oder im hausbau der schweiz aufmerksam zu machen.

pa021706-300x2251urs bosshard, stadtwanderer von zürich, zeigt auf der karte alle wanderwege, die er schon beschritten hat (foto: stadtwanderer)

auch urs bosshard, kurz ubo, wurde via medien zum stadtwanderer. das zürcher “tagblatt” berichtete vor genau 10 jahren über ihn, wie er alle stadtzürcherwege erkundete. zwischenzeitlich hat er sei wandererrayon erweitert: voller stolz zeigt er uns die karten des kantons, auf denen er alle wanderweg mit leuchtstift markiert hat, die er bereits begangen hat. nur im tösstal fehlen noch zwei, drei katzensprünge, wie er es nennt, dann hat er die 2700 kilometer fusswege stück für stück durchschritten. notiz hat er gemacht, unterwegs, eher für sich als für ein buch, lässt ubo durchblick. aber: wenn es sein müsste, würde er das noch in diesem jahr schaffen. doch plant er, die letzten schritte zum eigentlichen event werden zu lassen. und der wird eher im kommenden frühling sein.

“ich werde auf jeden fall berichten, wenn’s soweit ist”, melde ich bei meinem kollegen mein interesse an. obwohl im “zweipunktnull” unter den stadtwanderern am präsentesten, bin ich der jüngste in der wanderer-gilde. zwar bin ich seit meinem unfall 1993 regelmässig in der stadt unterwegs, um mich ein wenig fit zu halten. doch bin ich erst seit 2004 ein wirklicher stadtwanderer. angefangen hat alles damit, dass ich über mittag frische luft schnappen und etwas über symbolisch wichtige orte erfahren wollte. hierzu nehme ich ja zwischenzeitlich bücher mit, bisweilen auch gäste, und berichte ich auf dem stadtwanderer-blog über meine beobachtungen zur politkulturelle verfasstheit meiner lieblingsstädte.

übrigens, die gipfeli waren längst gegessen, als das trio der stadtwanderer ins fachsimpeln über ihre jeweiligen wanderphilosophien geriet …

stadtwanderer