svenska rallyt (schweden rally)

wenn bärbi mit sicherer hand durch die wälder von holzhausen braust, entsteht bei mir schon mal das gefühl, bei der schweden rally dabei zu sein.

es ist bekannt. mit meinen autofahrkünsten ist es nicht weit her. umso mehr bewundere ich jeden und jede, die dieses handwerk gründlich beherrscht.

zum beispiel bärbi, meine kundige führer- und fahrerin über die strassen von holzhausen.

im normalfall fährt sie ganz normal. für unsere hauptstrecke zum einkauf braucht sie dann etwas weniger als 30 minuten. wenn sie auf die tube drückt, kann es schon mal sein, dass wir in gut 20 minuten am ziel sein.

bisweilen hebe ich mit ab, wenn bärbi mit schuss über die landstrassen rollt. geteert sind die die waldverbindungen nur ganz nahe der ortschaften. der rest ist schotterstasse. wo diese durch die vielen lastwagen wirklich flach gedrückt ist und keine schlaglöcher hat, kann man schon mal mächtig in fahrt kommen.

im abfallenden gelände braucht es nicht einmal das gaspedal. der leerlauf genügt, um auf gerader strecke schnell 60, 70 oder auch 80 sachen drauf zu haben. dann flitzen die bäume nur so an uns vorbei. schaut man weit nach vorne, kann man sie einzeln fixieren und das tempo an ihrer wachsenden nähe ablesen. blickt man dagegen auf die seite, sieht alles unbestimmt aus, einfach dunkelgrün, selten durchsetzt mit etwas sonnenlicht.

ich mag es, mit offenem fenster zu fahren. Wahrscheinlich würde ich sogar ein cabriolet schätzen. Ausser bei regen. so ziehe ich unseren mietopel mit dach vor. mit vorliebe spiele ich aber bei heruntergelassener scheibe mit der ausgestreckten hand im wind. da spürt man, wie es wäre, ein flügel zu sein, dessen flossen der pilot im cockpit minutiös steuert.

alles, was flügel hat, kann auf den schwedischen waldwegen zum problem werden. die waldtauben sind bei solchen fahrten die grösste gefahr. Vom wagenlärm erschreckt, fliegen sie vom boden auf, können aber nicht steil aufsteigen. so nutzen auch sie die strasse als flugraum, bisweilen nicht viel höher als ein auto. einmal flog eine der waldtauben hunderte von meter vor uns her; erst als die nächste abzweigung kam, bog sie sauber nach links ab und machte uns so den weg frei.

wenn es geregnet hat, sind tempofahrten in holzhausen fehl am platz. dann ist es besser, ganz vorsichtig die holprige strasse zu meistern, denn die pfützen können sich innert tagesfrist bemerkenswert tief in die strasse einfressen.

vorsicht ist auch in den kurven angesagt, denn nicht überall kann man problemlos ausweichen, sollte mal gegenverkehr sein. immerhin, alle 100 meter ungefähr hat es ausbuchtungen der wege, die es erlauben, gefahrenlos zu kreuzen. da lernt man den charakter der anderen fahrerInnen am besten kennen. denn die rücksichtsvollen halten in den ausweichstellen ihrer seite an, wenn sie einen erblickt haben; die rücksichtslosen blochen ohne zu zögern vorbei und zählen ohne gruss darauf, dass das gegenüber ganz nahe ans strassenbord geht.

das kann schon mal ins auge gehen, denn da kann der weg unterspült sein, abrutschen, im schlimmsten fall schon mal einbrechen. an einer stelle mitten im wald erinnern wir uns bis heute bei jeder durchfahrt, einem bedrohlich schräg in der landschaft stehenden laster begegnet zu sein.

wenn die fahrer der grossen holztransporter mit ihren gefährten abgeladen durch die gegen fahren, erreichen sie bald einmal geschwindigkeit am oberen ende des erlaubten.
das laute scheppern der anhänger und der ladebrücken kündigt sie jedoch schon weit im voraus an; und die staubwolke, die sich hinter ihnen bildet, lässt einen sicher sein, dass da erst gerade einer war.

zu unserem glück ist der verkehr in holzhausen gering. als durchgangsstrasse taugt der weg nicht wirklich. es sind die zubringerfahrten der holzarbeiter, die zählen. selten verirren sich töffahrer – genagelte schmetterlinge, wie wir sie nennen – hierher. einmal, als wir an einem tag mehrere passanten auf vier rädern zählten, beklagten wir uns lauthals, der verkehr nehme unerträgliche ausmasse an! und lachten über uns selber …

in unserer weiteren umgebung findet immer im februar die svenska rallyt statt. ihr zentrum ist hagfors. ein grossen plakat mitten in der kleinstadt kündigt das main event aller autofans in värmland an. wenn bärbi ihrem wagen freie fahrt gewährt, kann es schon mal sein, dass auch ich meiner fantasie freien lauf lasse, und unsere fahrt durch die schwedische wälder wie ein radioreporter an der lokalen strassenrundfahrt kommentiere.

in bern würde ich mich dafür schämen!

stadtwandere

von der sog. schönheit in der politik

mein letzter “essay” vor der sommerpause.

die letzte email vor meinen sommerferien erkundigte sich zum thema schönheit in der politik. es ging um eine stellungnahme zuhanden eines tagesmediums.
ganz berufen fühlte ich mich im thema zwar nicht, der temperatur der tage aber erschien mit eine direkte antwort auf das unübliche aberdurchaus angemessen.

3

“guten abend

eigentlicher trendsetter bei den männern war wohl christoph eymann, der frühere liberale basler nationalrat, mit viel sexapeal. das sorgte parteiübergreifend für erregte aufmerksamkeit. auf der frauenseite begeisterte doris leuthard mit dem anmut einer prinzessin jedenfalls der männerherzen. beides brachte glamour in die bisweilen triste realität der schweizer politik.

im ihrem windschatten ist ein neuer typ politikerInnen auf die bühne gelangt. denn mit der generation bruderer hat sich, sagen wir mal, einiges verändert. die jüngste nationalrätin musste damals nicht lange warten, bis sie reden durfte und in den zeitungen kam. sie war medialisiert, bevor sie sich in der fraktion etabliert hatte. es störte sie nicht, aufgrund ihres attraktiven äusserlichen bewertet zu werden. für die gestandenen linken frauen war das ein fürchterlicher tabubruch. indes, er war nötig und seither haben wir zahlreiche bruderer und schwesterer in der politik.

das alles ist toll!. denn es spricht für ein gesteigertes selbstvertrauen unserer politikerInnen. das ist im härter gewordenen nationalen und internationalen wettbewerb auf jeden fall ein neuer standortvorteil. die veränderung steht auch für einen der wichtigsten kulturwandel der gegenwart: jede(r) darf oder muss sich jederzeit selber erfinden. es lebe der erwartungshorizont der möglichst schönen!

den männern fällt das noch schwerer. parfüm und schmuck zur veredelung des körperlichen ist seit der französischen revolution verpönt. seither muss man etwas nach miststock riechen, karrenschmiere an den händen haben oder bürgerlich gekleidet sein. alles adelige, das vom edlen käme, ist ja seit 1789 anrüchig.

alle versuche, beispielsweie das so begründete nachrevolutionäre kleidungsritual im parlament von liks her zu überwinden, sind gescheitert. der pullover über den schultern von andy gross schrieb nicht wirklich geschichte. und das patriotische schweizer kreuz auf der brust von anita fetz ist auch recht rasch verschwunden.

trotzdem, hier haben es die frauen einfacher. wer politikerin werden wollte, muss mit der tradition von kirche-küche-kinder gebrochen haben. individualisierung gehört da quasi zum politischen programm. deshalb drückt es sich auch leichter im eigenen schmucken kleiderstil aus, wie bundesrätin sommaruga das zeigt, entspricht das gesicht schneller dem einer miss schweiz wie bei nationalrätin nathalie rickli oder folgt der ganze habitus dem der gängigen schönheitsideale der gegenwart wie bei nationalrätin isa-belle moret.

dahinter steht der medienwandel mit dem pictural turn, der mit dem strengen politkultur der nzz im geiste zwinglis (“es gilt nur das gesprochene wort”) brach und die vorreformatorische bildlichkeit des heiligen wieder aufleben lässt. denn das fernsehen lebt vom bild, das internet auch. (selbst mein blog funktioniert so, denn ohne icons fehlt den text die rahmen in unserer vorstellungswelt.)

das gute dabei: die aufmerksamkeit steigt. das schlechte: das bild wird zum kommunikationskern, das bild der politikerInnen auch, was nicht unproblematisch ist.

denn jetzt geht es um die gretchenfrage: was schönheit ist, ist kaum zu definieren. selbst umberto eco brauchte zwei bücher dazu, eines über schönheit in der geschichte und eines über hässlichkeit. demnach ist schönheit seit der griechischen antike idealisierte körperlichkeit, inszenierte kleidung und ausstrahlung nach mass. in der moderne kommt hinzu, dass alles eine folge des geschmacks wurde, wie wir seit den analysen von jürgen habermas über den strukturwandel der öffentlichkeit wissen.

die gegenwärtige postdemokratische wende der politischen schönheit stammt aus italien. denn aussehen steht hier vor ideologie, ohne zu verstecken, vielmehr um sie zu kommunizieren. seit längerem weht da ein hauch von dolce vita, sexueller eruptionen und fatalen skandalen nicht nur durch die regierungsgemächer von silvio berlusconi bis mara carfanga, nein, das alles dehnt sich auch über die alpen auf halb europa aus.

die rezeption in der schweiz erfolgte sprachkulturell differenziert: marina masoni gehörte im tessin zu den frühen nachahmerinnen, und francine jeanprêtre in der romandie war in einer vergleichbaren prionierrolle. hauptgrund für die rasche adaptation: das flair der lateiner für das urban-modisch-bewusste, das sich in der rural-unauffällig-gleichgültigen deutschen schweiz nur mit bedacht nachvollzogen wird.

immerhin, selbst die wissenschaft beschäftigt sich zwischenzeitlich mit fragen der schönheit in der politik: regula stämpfli, die einzige in der politologInnen-gilde, die über die dreiecksbeziehung von sex-macht-politik philosophiert, ist, wie man erwarten konnte, angewidert vom zerfall der der politischen kultur. ihr antipode, georg lutz, steht dagegen auf schönheit. er hält sie für wichtiger bei der wahl, als es die internationale literatur eigentlich zulassen würde. denn in der us-amerikanischen wahlforschung gilt vorteilhaftes aussehen als genau ein von 49 erfolgskriterium für die politikerInnen. lady deut-piece aus alaska ist ja der beste beweis dafür.

denn es gilt: allem erotic capital von typen wie sarah palin in der politischmedialen kommunikation zum trotz bleibt politik politik. und das ist ein wenig mehr als show. das weiss man sogar bei der vergabe des swissawards im leutschenbach, und man sollte es in den redaktionsstuben nicht ganz vergessen!

ich bin überzeugt, dass ihre fragestellung typisch ist für die gängige mediengesellschaft. deshalb bin ich auch nicht ganz sicher, ob das diskutierte phänomen ausserhalb der virtualität wirklich real ist. ausser ein paar hübschen blumen bleibt viel äusserlicher durchschnitt im parlament. ganz nach dem motto, unkraut verdirbt nie! das ist auch gut so, denn es beweist bei aller luftigkeit der medialen politik die bodenhaftung der politik vor ort.

so, gehe jetzt nach schweden. anna lindt war nicht nur eine tolle frau, sie war auch eine starke persönlichkeit und herausragende politikerin. das ist mir immer noch lieber. bin halt noch älter als sie (54). leider ist mit ihr auch mein schönheitsvorbild (aus)gestorben!

claude longchamp
alias stadtwander

20 minuten für ein bild und einen text

zuerst war ein plakat. dann ein spannungsaufbau. und jetzt die lösung. mit exklusivem bericht beim “stadtwanderer”.

topelement
offizielle version der rätsellösung gemäss 20 minuten – die inoffizielle gemäss stadtwanderer folgt …

seit einigen tagen hängt an bester lage beim berner hauptbahnhof ein plakat. gezeigt wurde ein mann – von hinten. die gepflegte frisur, das dunkle haar mit wenig grau meliertem dazwischen erinnert einen – an einen bildschnitt aus dem “club”. doch auf dem plakat findet sich kein name. dafür reichlich politisches. “spannungsaufbau” nennt man das in der politwerbung.

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das seien seine kernbotschaften im nationalratswahlkampf, erklärte gestern mittag matthias aebischer dem reporter von “20 min“. der wollte über den unbekannten auf dem bild berichten, denn heute soll das rätsel aufgelöst werden. kandidat aebischer will sich um 180 grad drehen (nicht politisch) und seinen wählerInnen inskünftig direkt in die augen sehen.

mit dem stadtwanderer haben die beiden kommunikationsfachleute jedoch nicht gerechnet. aufgefallen war mir das plakat ende letzter woche, und es war mir klar, dass ich daraus eine geschichte machen werde. schliesslich ist meine “ali kebap” geschichte immer noch die meist gelesenste auf dem stadtwanderer.

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“früh, sehr früh” starte die kampagne, gebe ich dem fragenden reporter zur antwort. denn personenentscheidungen würden in der regel erst im herbst fallen, “in den 6 wochen vor der wahl.”

er habe nur ein kleines budget zur verfügung, kontert aebischer, deshalb wolle er auffallen, bevor es alle anderen auch versuchen, begründet er seinen auftritt wider den mainstream.

“hält er das durch?”, will der reporter wissen.

sicher bin ich mir nicht. werberisch wäre das nur mit einer grossten stange geld möglich. doch das schafft nicht einmal c.b. aus h. publizistisch kann man es mit einer ereignishaften wahlkampagne versuchen, die früh aufmerksamkeit erheischt, und das interessen dann journalistisch hoch hält.

dass man das risiko eingeht, hat wohl mit der situation auf der sp-liste zu tun: andre daguet tritt vorzeitig zurück, macht damit platz für seinen wunschnachfolger. lumengo, der ausgetretene, kandidiert wieder, aber auf einer eigenen liste. und auf der männerliste der berner sp hat es drei promis, die einsteigen wollen: alex tschäppät, der stapi, jacques de haller, der ober-arzt, und eben matthias aebischer, der mann, den man vom tv kennt.

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ich habe verschiedene tv-mitarbeiter kennen gelernt, die ihre bekanntheit für eine politische karriere nutzen wollten. der erste war toni schaller, in den 90er jahren chefredaktor. er verrechnete sich, als er der wählerschaft kurz und bündig mitteilte, “ich bin kandidat”. weder wurde er für den landesring zürcher regierungsrat, noch scahffter er es in nationalrat. sein scheitern begründete gar das ende des ldu. besser machte es filippo leutenegger, ebenfalls chef der leutschenbach-redaktionen, als er sich für ein nationales parlamentsmandat bewarb. er hatte bemerkt, dass es nicht nur um bekanntheit, sondern auch um positionierung geht, wenn man gewählt werden will. vermutet hätte man, dass er für die svp antreten würde, effektiv fand man ihn auf der fdp-liste wieder. um sein liberales credo zu kommunizieren, erzählte der quereinsteiger allen von seinem privat initiierten kinderhortprojekt. familie ja, aber ohne staatsknete, kam da rüber.

äbischer, heute bekanntlich nicht mehr beim fernsehen, dafür lehrbeauftragter für tv-journalismus in freiburg und winterthur und hausmann, setzt noch deutlicher auf themen: familie, bildung, öv und erneuerbare energien sind seine schwerpunkte. rhetorisch fragt er, wer sich dafür einsetze. er und sein sp kann man ab heute auf dem gewendeten plakat nachlesen.

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übrigens, mein überraschender kurzauftritt während der fotosession sorgte für eine kleine aufregung. spätestens mit meinem schnapschuss aus meiner kamera wurde allen klar, dass ich hierzu bloggen werde. eigentlich ganz gut in einer ereignishaften kampagne, dachte ich mir. doch dem berichterstatter von der geschriebenen presse wurde sofort klar, dass ich schneller sein könnte, der primeur damit futsch sein könnte. denn mehr als 20 minuten brauche ich nicht, um ein foto aufs web zu bringen, und einen text dazu zu stellen. damit die kirche im dorf und matthias im gespräch bleibt, einigte wird uns auf eine einvernehmliche publikationsabfolge …

stadtwanderer

tschäppäts tschäppu und metzlers frisur

heimfahrt im poschi. 12 personen in meinem blickfeld. 7 davon mit dem blick am abend. ich muss unweigerlich mitlesen. informiert werde ich über tschäppäts tschäppu und über metzlers frisur. was das mit politik zu tun hat, frage ich mich, während ich die treppen nach hause hochsteige.

gut, die lentikularkarte von alexander tschäppät erinnert auch ein wenig an spasswahlkämpfe. denn tschäppäts tschäppu besteht aus der renovierten kuppel des bundeshauses. je nach winkel der karte, wackelt der hut. mal sitzt er gerade, mal schepps auf dem haupt des berner stadtpräsidenten. ganz ernst kann man das nicht nehmen.

nehmen können wird man sie im herbst als giveaway im strassenwahlkampf des stadtpräsidenten, denn im oktober möchte er als volksvertreter auf bundesebene gewählt werden. von facebook hält nichts. interaktion findet nicht im nirwana des www statt, sondern in der direkte begegnung in berns gassen, lässt er verlauten.

tschäppäts wahlkämpfe haben etwas eigenes bewahrt. auf sein lebenszentrum bern ausgerichtet, häufig spontan konzipiert und immer mit humor durchsetzt, fehlt es ihnen nicht an themen. die stadtentwicklung gehört dazu, und es ist dringend nötig, hier weiteres zu deblockieren. mit dem westside hat man akzente gesetzt, offene läden in der altstadt zu ungewohnten zeiten harren noch der behördlich nötigen dinge. geklappt hat es letzten november dafür mit dem ausstieg aus der kernenerige. im letzten moment hat tschäppäts bern die richtige perspektive angepeilt.

ich weiss, bisweilen ist tschäppät leutselig, dann wieder eckt er an. vor allem wenn es um christoph blocher geht, kann der sp-stapi die facon verlieren. das spricht sich dann schnell herum, und findet so eingang in die klatschpresse, sodass der magistrat sich gebührlich entschuldigen muss. weil er gerne über fussball redet, verübeln ihm viele solche ausfälle nicht. denn alle erinnern sich an die holländer in bern, und tschäppäts eingreifen, um dem unerwarteten anstrum herr zu werden. seine wendigkeit in fast auswegslosen situationen hat er mit seiner schlagfertigkeit in satiresendungen wie die von giacobbo bewiesen mehrfach bewiesen – und national applaus erhalten. ganz anders, als wenn er in bern zu tief ins glas guckt und vielsagend den mädchen nachschaut.

die amerikanische politologin pippa norris hätte ihre helle freude an tschäppät. vor 14 jahren veröffentlichte sie einen seither viel zitierten wissenschaftlichen aufsatz über die entwicklung von wahlkämpfen. vieles von dem, was sie damals über “pre-modern campaigning”, vormoderne kampagnen also, schrieb, kann man beim berner stadtpräsident noch heute miterleben. vom politischen leader selber getragen, seien solche wählkämpfe lokal verwurzelt, um freiwillige aktivisten vor ort zu gewinnen, hielt sie für alle zeiten fest. typisch sei, dass sie stark der eigenen partei angepasst seien, was schliesslich zu machen sei, letztlich aber spontan entschieden werde. poch würde man auf anlässe mit viel volk, denn das spreche sich mit der mund-zu-mund-propaganda am besten herum, was wirke und keine wahlkampfkosten verursache.

ganz anders beschreibt die harvard professorin den postmodernen wahlkampf. er sei teuer, auf website und tv-sendungen ausgerichtet, mit denen man zielgruppenspezifisch kommunizieren könnten. getrieben würden sie nicht mehr von den politikerInnen selber, sondern von politikberaterInnen im hintergrund, die einen permanenten wahlkampf für die mandantInnen führen würden. zu diesen consultants zählt seit neuestem auch ruth metzler, die abgewählte justizministerin der schweiz, die 2003 den zweiten bundesratssitz der cvp nicht mehr halten und ihn an die svp abgeben musste. danach hatte sie sich von der politik verabschiedet, während sie sich gestern mit einem politischen statement, wie der “blick am abend” schrieb, wieder vorwagte.

typisch für den postmodernen journalismus ist, dass man ausser dem titel nichts inhaltliches erfährt. so weiss ich zwar, dass es um “konkordanz in der umbruchphase” ging. wohin das führen werde, ist zwar die einzig relevante frage, doch das blatt berichtet darüber mit keinem wort. dafür las ich viel über die neue frisur der appenzellerin, das elegante kleid, das die wahlbaslerin beim vortrag trug, und den ubs-banker, mit dem sich das unschuldslamm von einst neuerdings in der öffentlichkeit zeigt. gereift sei sie, meint das boulevardblatt im pr-artikel von irene harnischberg, der für für mich wie kaum ein anderer die entleerung der politik steht.

echt, da sind mir lentikularkarten lieber.

stadtwanderer

geniale intervention

das laute handyphonieren im öffentlichen raum ist schon so oft beklagt worden ohne wirkung zu zeigen. jetzt erlebte ich eine geniale intervention, die wirkung zeigt.

es war laut heute abend im postauto. nicht, dass alle übermässig gesprochen hätten. nein, eine junge frau handyphonierte ungeniert vor sich hin.

wie meist in solchen situationen ging es um belangloses. man sprach über den sonntagsbraten bei den eltern und organisierte das zügeln am monatsende.

mehr vom inhalt blieb mir nicht. jedoch erinnere ich mich gut, dass die lautstärke typisch unanständig war.

dann griff sich der postautochauffeurs ans herz und mahnte via mikrophon: “Bitte sprechen Sie nicht so laut, jemand ist am Telefon.”

augenblicklich war es ruhig im poschi. die junge dame verringerte ihre stimme hörbar, die anderen nickten wortlos zu ihrer erleichertung. genial die wirkung der blosstellung, dachte ich mir.

die szene erinnerte mich unweigerlich an einen auftritt in berlin. es war die ethik-kommission des deutschen bundestages. ich sprach in einem workshop über die stammzellenforschung in der schweiz.

mitten in der verhandlung ertönte ein handy. schon das nervte. mehr noch ging mir und anderen auf den kecks, dass die angerufene person abnahm, ohne den saal zu verlassen und seelenruhig zu verhandeln begann.

hans-jochen vogel, der ehemalige spd-justizminister, eine alter, weiser mann, der auf dem podium sass, fackelte nicht lange. zum ungebeten sprechenden sagte er mit bestimmter stimme: “soll ich den raum verlassen? ich störe so ungerne!”

nun halte ich fest: in beiden situationen machte die intervention betroffen. sie wirkte. das unheil verstummt.

ich werde sie mir merken, und ich werde sie anwenden, wenn ich mich das nächste mal in dieser sache die haare raufe!

stadtwanderer

der cousin von ivan s.

die plakate zur volksabstimmung über die initiative “für den schutz vor waffengewalt” erobern den öffentlichen raum. zeit, genauer hinzusehen – und über den bisher unbekannten staatspopulismus nachzudenken.

waffengewalt

eigentlich ist es ein widerspruch ins sich: der populismus definiert sich dadurch, dass die interessen der einfachen leute durch vertreter der betuchten schichten vertreten werden, weil die politik, genauer die mehrheit im staat, das nicht mehr mache. demnach wäre der staatspopulismus die form des populismus, wo der staat die interessen des kleinen mannes und der kleinen frau vertritt, weil der staat das nicht mehr macht …

wenn ich mir die werbung für und gegen die anstehende volksabstimmung über die volksinitiative zu gemüte führe, komme ich zum schluss, dass genau das der fall ist. der reihe nach.

zuerst: die initiantInnen, mehrheitlich links, nehmen mit dem erschossenen teddybären die ängste der familien auf, die das drama erlebt haben, dass ein vater die mutter und die kinder mit der ordonnanzwaffee bedroht, verletzt oder umgebracht hat. sie politisieren das gefühl der unsicherheit in der gesellschaft, weil sich der staat aus ihrer sicht vernünftigen lösungen jenseits von mythen um den wehrhaften bürger im land verweigert. das kann man auch als “klassischen” populimus kritisieren.

sodann: die gegner der initiative haben zwei aussagen auf ihre plakate gebracht: einmal die bedrohte tradition der schweiz als schützengesellschaft, die im 19. jahrhundert die politische kultur der schweizerischen eidgenossenschaft mitaufbauten; sodann der illegale waffenbesitz durch ausländisch wirkende typen. mit letzterem kontert die gegnerschaft direkt, dass ihre widersacher die sonst typisch rechte thematik der sicherheit im alltag aufgenommen haben. die botschaft dazu: nicht unsere soldaten sind gefährlich, sondern die cousins von ivan s. aus der abstimmung über die ausschaffungsinitiative.

nun ist das nicht nur die fortsetzung des gebrauchs von stereotypen, wie sie die nationalkonservative opposition in den letzten 10 jahren entwickelt und werberisch verfestigt hat. es ist die kampagne der bürgerlichen parteien, die den standpunkt der mehrheit in den behörden vertreten.

für mich jedenfalls ist es neu, dass die behördenseite sich des misstrauens der bürgerInnen bedient und damit wirbt. denn ihr weltweit übliches geschäft ist es, vertrauen in die eigene sache zu fördern, welche das funktionieren des staates auch in schwierigen situationen ermöglichen soll. wenn einzelnen regierungsparteien oppositionelle stile in ihrer werbung gebraucht haben, setzte es üblicherweise eine defitige kritik ab. dass man nun genau das im namen der mehrheit von regierung und parlament macht, kann man das – bei aller semantischen problematik – eine bisher unbekannte form des staatspopulismuses nennen.

stadtwanderer

die schweizer medien – les médias suisses

ein thema – zwei bücher, eine recherche – zwei perspektive, eine buchvernissage – zwei preise!

0-3413478richard aschinger spricht leise. die worte kleben ein wenig an seinen lippen. seine augen sind fest auf das manuskript gerichtet, das er in seiner recht hand hält. mit der linken gibt er, wenn es ihm wichtig wird, den takt vor. verhaltener protest eben. dann erhebt sich sein blick ein wenig über den brillenrand hinaus, sucht das publikum, um es etwas verdeutlicht anzusprechen. wenn er dabei seinen kopf leicht bewegt, fallen die ungekämten haare etwas weniger auf.
viele jahre hat der gestandene und gealterte journalist über und für die schweiz berichtet. aus new york, aus zürich und aus bern. internationales, nationales und lokales hat ihn stets interessiert. für letzteres ist der redaktor des “tagi” und des “bund” sogar mit einem preis ausgezeichnet worden. seither wirkt er als freier autor – vor allem über die entwicklungen der medienlandschaft schweiz. das ist nicht nur selbstbeschäftigung, das ist auch eine grundfrage zur zeit.
das buch, das aschinger verfasst hat, heisst “Die News-Fabrikanten. Schweizer Medien zwischen Tamedia und Tettamanti”. vielleicht ist das dem verlag schon etwas peinlich, weil diese news nur wenige tage nach dem druck schon etwas antiquiert wirkt. deshalb listet der europa-verlag das buch unter “Schweizer Medienmachen. Schleckzeug statt Information”. so wird wohl die zweite auflage heissen, um etwas zeitloser gültig zu sein.

eclectica_infopop_couv250dieser titel ist auch deutlich näher an der französischen version. geschrieben hat sie christian campiche. benannt wird sie “Info-Popcorn. Enquêtes au coeur des médias suisse”. das trifft das projekt genauer, denn entstanden ist, nach vielen jahren der absenz, wieder einmal eine kritische gesamtschau zum stand der schweizer medien.
campiches auftritt bei der vernissage ist eleganter als der von aschinger. das beginnt schon beim grau melierten haar, das der riese fast zwei meter über dem boden trägt. seine worte ans berner publikum sind auch gewählter, aber nicht minder deutlich. dafür hat auch welsche journalist ein manuskript mitgebracht, und er hält es fest in beiden händen, genauso wie er seinen gegenstand zupackend vor augen hatte.

recherchiert haben die beiden medienkollegen gemeinsam. ihr thema: der zerfall der medien angesichts der konkurrenz auf dem werbe- und medienmarkt, die neuorganisation der presse in form von konzernen und die fragile rolle der öffentlichen meinung in der mehrsprachigen demokratie der schweiz. wahrlich, zwei bücher zur zeit, und vorteilhaft, dass wieder einmal ein thema nicht nur aus zürcher oder genfer optik behandelt wird und das verfasste das als schweizerisch gilt, sondern ein bilingues projekt realisiert wurde.

getextet haben die beiden aber unabhängig von einander, nur gegengelesen haben sie die manuskripte, die es seit dieser woche zu kaufen gibt. ich bitte nach der buchpremiere beide um ein autogramm. je eines, dass die medien auf der anderen seite des röschtigrabens beschreibt. richard aschinger ist ganz verlegen, braucht ein weile, bis er die situation rafft, um dann in berndeutschem französisch sich über die liebe zwischen den landesteilen auszulassen, die blüht, weil man sich nicht immer mit der nötigen deutlichkeit verstehe. christian campiche kommt ohne verzug zur sache. deutsch meidet er aber, dafür schreibt er in sauberem französisch, tamedia (und tettamanti) seien alleweil besser als hersant aus frankreich.

was in ihren büchern steht, weiss ich noch nicht. die buchankündigungen und die ersten buchbesprechungen versprechen viel. zum beispiel eine analyse zur lage der nation. denn ohne medien gäbe es keine gesellschaft mehr. und genau diese medien unterlägen einem rassanten wandel. das alles nehme ich mal zur kenntnis, mit vorsicht jedoch, denn schon im klappentext lese ich, wie die pr in den journalismus vordringt, wie die der markt alles verändert, was um wichtig ist. das ist wohl auch im buchmarkt so.

a propos buchmarkt: 38 francs bezahlt man für die version von campiche, 26 franken für die von aschinger. nur während der buchvernissage in der münstergasse-buchhandlung waren beide noch gratis …

stadtwanderer

die macht verlagert sich zu den medien, und der journalismus wird durch pr ersetzt.

die kette der krisenbefunde zum zustand der mediendemokratie schweiz reisst nicht ab. jetzt hat sich auch andreas blum, historiker, politiker und journalist im ruhestand, pointiert zu wort gemeldet. zustimmung und widerspruch sind absehbar.

__1_588209_1195726654andreas blum, historiker, früherer schauspieler, ehemaliger sp-nationalrat und vormaliger direktor von radio drs.

wer andreas blum kennt, weiss dass er ein brillianter rhetoriker ist, dass er etwas zu sagen hat, und dass er das unmissverständlich vermitteln kann. nun hat er sich in luzern an einer medientagung in die laufende debatte über den zustand der medien, und daraus abgeleitet, der politik, geäussert. und das tönte so, und liesst sich so:

die verantwortungsgemeinschaft von medien und demokratie ist ernsthaft gefährdet. die medien diktieren die politische agenda. die information steigt, gleichzeitig schwindet der diskurs, denn die gesteigerten nutzungsmöglichkeiten lösen die öffentlichkeit in ihrem komponenten auf.

den faszinierenden innovationen durch die digitalisierung von wort und bild stellt blum das bedrohungspotenzial der demokratie durch medien gegenüber. die diversifizierung des angebots gehe mit einer nivellierung des angebots einher. und der wirtschaftliche überlebenskampf gefährde die medienvielfalt.

alles in allem hält blum einen substanzverlust der politik fest. die macht verlagere sich zu den medien, und der journalismus werde seinerseits durch pr ersetzt. das alles störe die balance vom macht und verantwortung erheblich. “Politische Entscheidungen werden käuflich”, rief der referent aus.

wenn blum bei der analyse durch vielen zeitgenossen zustimmung finden dürfte, ist mit widerspruch bei den schlussfolgerungen zu rechnen. denn blum fordert eine neue staatliche medienordnung, unter einbezug des internet. und er schlägt vor, die gebührengelder der srg so umzuverteilen, dass qualitativ anspruchsvolle tageszeitungen gestützt werden. der srg rät er, die grundversorgung in allen sprachregionen sicherstellen, darüber hinaus einen publizistischen wettbewerb ermöglichen.

wird das zur wahrheit in den medien etwas beitragen, frage ich als kleines medium meine leserschaft?

stadtwanderer

mein erstes date in bern

es war der 1. august 1980, als ich nach bern zog. die stadt war mir damals alles andere als vertraut. der grüngraugelbe sandstein der häuser prägte den ersten eindruck – und die langen, langen gassen der altstadt, die alle gleichgerichtet von osten nach westen zeigten.

stadtplanbern1_4endlich hatte ich nach einigen wochen auch mein erstes date. eine nette kollegin, die ich seit dem gymnasium nicht mehr gesehen hatte, erwartete mich in der aarbergergasse. ich freute mich, putzte mich ein wenig heraus und ging erwartungsfroh in die stadt.

doch um himmels willen, welches war denn nun die aarbergergasse? – die in der mitte? die im süden? oder die im norden? schlimmer noch, ich wusste nicht einmal wo norden und süden war. denn alle sahen sie gleich aus, eng, verwinkelt, fast so wie in einer orientalischen stadt!

so wartete ich – an der falschen kreuzung. eine viertelstunde. eine halbe stunde. eine ganze stunde! bis ich merkte, dass ich gar nicht am abgemachten treffpunkt stand, die falsche strasse erwischt hatte, und mein date schon längst verspielt war.

damals gab es noch keine handies, über die man sich hätte verständigen können. es gab nur ein leicht vorwurfsvolles telefonat, spät abends, wo ich denn geblieben sei, die enttäuschung sei gross gewesen, und ich müsste mir nun schon was spezielles einfallen lassen, dass es zu einer weiteren verabredung komme.

der banause, der ich damals war, entschied sich: entweder die stadt umgehend zu verlassen, oder aber sie kennen zu lernen. ich entschied mich zu letzteren. nach vielen jahren des unbewussten bewohnens von bern begann ich mich auch aufzumachen, die stadt bern bewusst zu entdecken, unter anderem deshalb, dass ich nie mehr ein date verpassen würde.

mehr über diese und andere geschichten in bern gibt es auf der neuen website “bern – der film” zu sehen, die der berner filmemacher daniel bodenmann mit seinem team gemacht hat, um auf die spezialitäten der bärenstadt und ihres bärenparkes aufmerksam zu machen.

es berichten der stadtpräsident alexander tschäppät, barbara hayoz, reto nause, bernd schildger, urs berger, heinz stämpfli, walter bosshard über ihr gänz besonderes bern, genauso wie der

stadtwanderer

debattieren will immer wieder gelernt sein

ende monat mache ich einen ausflug ins oberland. zu den debatten an den nationalen konferenz der jugendparlamente. danach will ich im berner oberland auch wandern gehen.

2-1die debatte von elżbieta woźniewska

sicher gab es in meiner jugendzeit gelegentlichen streit mit meinen eltern. doch das war letztlich alles tand. denn die prägende auseinandersetzung hatten wir eines sonntags in einem restaurant nach dem herrlichen braten, als es um religiöse toleranz ging. ich war ein junger gymnasiast, der eben das theaterstück “nathan der weise” des aufklärers gotthold ephraim lessing gelesen hatte, und ich trug die ideen des dramas meiner mutter und meinem vater mit verve vor.

meine eltern, beides katholikInnen, die im sinne des ökumenischen konzils lebten, waren zunächst überrascht. denn meine härteste aussage war, dass keine religion die wahrheit für sich beanspruchen könne, vielmehr alle grossen religionen ausdruck einer kulturellen entwicklung der menschheit seien, die vor gott gleich seien.

mit dieser debatte emanzipierte ich mich zugleich von der kirche wie auch von meinen eltern. mit ihr lernte ich aber auch, dass selbst harte debatten, die tiefe wurzeln der überzeugungen berühren, respektvoll geführt werden müssen, wollen sie nicht einfach kampf mit siegern und besiegten sein, sondern auseinandersetzungen, die alle weiterbringt, im idealfall auf einer neuen stufe der erkenntnis zu einigkeit führt.

nun wurde ich vor einigen wochen angefragt, an der nationalen konferenz der jugendparlamente teilzunehmen. motto der dreitägigen veranstaltung ende oktober, die im berner oberland ausgerichtet wird, ist, “auf dem gipfel debattieren zu lernen”. das hat mich an meine eigene jugendzeit erinnert und angesprochen. erwartet werden 200 jugendliche, die in lokalen jugendparlamenten der schweiz aktiv sind. treffen werden sie sich in interlaken, grindelwald und auf der jungfrau. das wird hoffentlich nicht nur in höhenmetern eine steigerung der debatten geben, die jugendliche selber führen sollen, um die wohl grundlegendste form der politik zu erlernen. mit ihr geht es darum, das pro und contra in einer sache herauszuarbeiten, im wechselspiel der argumente vorzutragen, um das ergebnis von dritten beurteilen zu lassen. denn die weisheit soll aus dem urteil der vielen, die sich so eine meinung bilden, entstehen.

adolf ogi, der ewig junge und zuversichtliche, wird die konferenz wie immer gekonnt eröffnen. dann sind die jugendlichen in zahlreichen arbeitsgruppen an der reihe. ich werde versuchen, im abschliessenden plenum die debatte über die zukunft der politischen schweiz zu bereichern. ich denke, über grundlegende überzeugungen der schweizerInnen zu sprechen, über das politische im alltag und im parlament, über die aktuelle regierungsreform, und über die voraussetzungen, dass die hoffnung angesichts aller polarisierungen, die wir in den letzten 20 jahren erlebt haben, nicht stirbt. denn es geht mir mit dem auftritt darum, dass sich junge menschen, die so eigen sind, bewusst bleiben, jede und jeder einzelne träger der kollektiven weisheit zu sein, an der wir teilhaben, wenn wir uns demokratisch mit uns selber auseinandersetzen …

… und eine tollen ausflug in die natur nicht vergessen!

stadtwanderer

ordnung und fortschritt – die leitbilder aus dem 19. jahrhundert neu aufgelegt

brasilien, das diese nacht einen präsidenten oder eine präsidentin wählt, übernahm sein motto “ordnung und fortschritt” in die flagge. und ohne ihn hätte die soziologie ihrem namen bekommen. eine kleine hommage an auguste comte, den grossen, umstrittenen, vergessenen und wiederentdeckten wissenschafter aus dem 19. jahrhundert.

DSC00431statue von auguste comte, vor der pariser sorbonne, im gedenken an den begründer des positivismus, was mitte des 19. jahrhunderts noch starkes, wissenschaftliches denken mit wirkungsabsichten meinte.

1815 war in der europäischen geschichte ein wendejahr. kaiser napoléon verlor die schlacht von waterloo. die sieger, der russische zar, der österreichische kaiser und der preussisch könig erklärten die revolution für beendet. basierend auf gerechtigkeit, liebe und frieden leiteten sie die restauration der verhältnisse ein.

august comte, ein junger mathematiker aus montpellier, war mit der schroffen gegenüberstellung nicht zufrieden. er begann eine gesellschaftlehre zu entwickeln, welche die anarchie der moderne heilen sollte, ohne auf die konservativen rezepte zurückgreifen zu müssen: ordre et progès wurde zu seinem lebensmotto.

seine ersten schriften verfasste comte für den radikalen sozialreformer henri de saint-simon. sie setzten auf industrielle – unternehmer und arbeiter – und auf wissenschafter. neue arbeit brachten sie dem jungen mathematiker indessen nicht. denn der alte aristokrat publizierte sie unter seinem eigenen namen.

erfolgreicher war comte zweites werk. 1830 erschien der erste band des “cours de philosophie positive”, innert 12 jahren folgten fünf weitere bände. in ihnen rekonstruierte er drei stadien der menschheitsgeschichte: im ersten, dem theologischen, stellten sich die menschen fragen nach dem grund ihrer existenz; zu ihrer antwort schufen sie gottheiten, die gewissenheiten vermittelten. im zweiten, dem metaphysischen stadium, versuchten die menschen, ohne rückgriffe auf außerweltliche instanzen antworten auf die gleichen fragen zu finden. ins positive stadium treten sie, wenn das warum in den hintergrund rückt, dafür die funktionszusammenhänge entscheidend werden. comte glaubte damit, den leitfaden für den übergang in die höchste phase der menschheitsgeschichte gefunden zu haben.

der führenden wissenschaft für die dritte phase hat er den namen gegeben: er nannte sie soziologie, und er definiert ältere vorstellungen von gesellschaftslehren in seinem sinn um. soziale tatbestände sollten sich auf wissenschaftliche fakten stützen. und wissenschaft sollte stets anwendungsorientiert sein. soziale physik und soziale technik hätte man das auch nennen können. später ging comte noch weiter. im 1851 erschienen “système de politique positive” begründete er die theokratie oder gottesherrschaft neu, denn seine wissenschaft wurde nun zur religion – allerdings mit dem menschen und ohne gott an der spitze der schöpfung.

mit dieser wende spaltete comte seine anhängerschaft: die republikaner, meist französische linke, hielten dem modernen rationalisten comte aus den 1830er jahren die treue. soziologie war und ist für sie die disziplin, die der prognose künftiger gesellschaftlicher entwicklungen dient und politik so auf eine sichere basis stellt. die rechten konservativen wiederum feierten den comte der 1850er jahre, der die soziale harmonie mit hilfe eines neuen glaubens, befreit von alter wissenschaftsgläubigkeit, herstellen wollte.

noch heute steht die statue von auguste comte vor dem eingang zur pariser sorbonne. der umstrittene soziologe ist allerdings weitgehend in vergessenheit geraten. neu gelesen hat ihn jüngst wolf lepenies, der ehemalige rektor der berliner wissenschaftskollegs. er schildert ihn als mischung aus dem griechischen philosophen aristoteles umd dem christlichen apostel paulus. die versuchte klammer über all seine gegensätzlichkeiten habe comte zwischen stuhl und bank fallen lassen, auf denen die gesellschaftstheorien der linken und rechten bis heute ruhten.

régis debray, der frühere mitstreiter von che guevara, hat comte zu seinem 150. todestag wieder auferstehen lassen. anders als marx, meinte er zu seiner hommage an den grossen franzosen in filmform, habe comte das kernproblem der moderne vorausgesehen: die gefährliche illusion, “der Mensch könne sich ohne religiöse Bindungen in der Welt halten.” lepenies selber arbeitet an der zweiten wiederentdeckung comtes: den zeichen, die für die vermittlung von wissen in die massen unabdingbar seien, denn das wort alleine schaffe das nicht.

brasilien weiss das nur zu gut. es hat comtes motto in die nationalflagge übernommen. und brasilien lebt zwischen der hoffnung aus religiöser ordnung und aus materiellem fortschritt. wohl auch diese nacht, wenn der oder die präsidentIn neu gewählt wird, sodass lula da silva für höhere weihen in der weltpolitik aufsteigen könnte. auguste comte hätte es mit sicherheit gefreut.

stadtwanderer

nomophobie

schweden, värmland, ekshärad, moccacino: im café an der zentralen strassenkreuzung des privonzstädtchens bekomme ich einen starken kaffee. und ich nehme mir den “spiegel” zur hand. der leitartikel ist dem neuen ferienproblem (der deutschen) gewidmet: “off” zu sein.

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vorbildlich: meine schwedischen kühe von nebenan verdauen in aller ruhe gemeinsam, was sie eingenommen haben, um im weitestens sinne (wieder) wieder aufnahmefähig zu werden – eben musse haben (foto: stadtwanderer)

von einem neuen menschheitsphänomen ist im deutschen wochenblatt für intelligente die rede: “nomophobie” (no mobile (phone) phobia) heisst sie, die angst, nicht mehr “mobil zu sein”. gemeint ist aber nicht die angst, sesshaft zu werden. nein, es geht darum, angst zu haben, online nicht mehr erreichbar zu sein. beispielsweise, weil man sein handy verloren hat. oder im funkloch sitzt.

natürlich ertappe ich mich, wie ich diese woche im schwarzen loch der mobilfunkgesellschaften dieser welt sitzend, gefragt habe, warum ich keinen anruf aus der schweiz bekomme, nicht einmal eine sms erhalten habe.

bin ich etwa deconnected und verpasse etwas? oder bin ich einfach ganz out? die prüfung der sachverhalte erleichterte mich: ich war stets on, und meine bekufskollegen und familienmenschen kamen ganz einfach eine woche lang ohne mich aus.

bin ich nun krank?, frage ich mich ich denke nein, werde auf jeden fall keinen computerpsychiater aufsuchen. das heisst für mich aber nicht, dass die these des spiegel-essays gar nicht stimmt!

denn maschinen, deren signale eindeutig sind krempeln unser aufmerksamkeitsempfinden nach dem reiz-reaktions-schema um, dass unsere denken ausser kraft setzt und unsere gefühl arg einengt. gefahren blitzschnell wahrnehmen und interpretieren zu können, ist in der wildnis sicher überlebensnotwendig. und chancen intuitiv zu erkennen, mag im alltag von nutzen sein.

doch kündigt nicht jede sms-klingel eine gefahr an, und auch nicht jedes mail ist eine einladung zum spass. deshalb verführen uns die maschinensignale, genauso wie sie uns warnen. gelernt sein will, auszukommen, wie wenn es sie nicht gäbe.

gelernt sein will auch die musse. die römer nannten sie otium. sie meinten damit das dösen, das schmusen und das spielen. das gegenteil davon ist negotium, die arbeit. dabei ist das sprachspiel selber erhellend: der ursprungszustand ist die musse, die durch die arbeit überlagert wird.

wenn, so schliesse ich, die arbeit die musse ganz verdrängt, ist das das problem. und es wird durch die maschinen verstärkt, welche und dabei helfen, ohne das wir uns damit beschäftigen. das lässt dann nomophobie aufkommen: die krankhafte angst, weder geliebt noch gebraucht zu werden, von dem die grosse stille der handys und computer scheinbar künden.

es ist zeit, meinen kaffee im moccacino auszulöfeln, den gedankengang zu beenden und wirklich spazieren zu gehen …

stadtwanderer

desozialisierung

nun bin ich seit dem wochenende in den schwedischen wäldern. und musste heute erstmals wirklich überlegen welcher wochentag es war.

die ersten tage unserer nordlandferien sind voll gepackt mit dem dringendsten: ausschlafen nach der reise, stromversorgung sichern, basiseinkauf tätigen, kommunikation ins internet sichern. dann beginnt schon das wahlprogramm: wiese mähen, sauna instand stellen oder wasser aus de boot schöpfen.

ein wirkliches programm dafür gibt es nicht. und so macht man, was einem wichtig erscheint oder wozu man lust hat.

und so lösen sich arbeitspläne, familienverpflichtungen und medienkonsum langsam aber sicher auf. desozialisierung könnte man das auch nennen.

dazu zählt, dass die zeit sich verändert. In der schweiz glaubt man zwar, dass die zeit etwas physikalisches ist, das sich genau messen lässt. Doch das täuscht. Natürlich bestimmten lebenszeiten und jahresrhythmen unser äussere umgebung, auf die wir nicht viel einfluss haben. Man kann auch den monat hinzu nehmen, der die nächste misste, und die sonne, welche den tag einteilt. doch dann ist fertig.

die wochen, die stunden, vielleicht sogar die minuten sind in erster linie soziale kosntrukte. sie helfen uns die tage der arbeitswoche zu planen, die treffen mit anderen genau einzuhalten, den zug und den bus nicht zu verpassen. Doch ohne das werden sie schnell bedeutungslos.

nirgends erlebt man das so klar wie im wald. was eine woche ist, weiss hier letztlich keine mensch. ich glaube auch nicht, dass der sonntag hier wirklich eine rolle spielt. denn er ist dem montag, dienstag, mittwoch, donnerstag, freitag und samstag so gleich. genauso, dass ich nachzählen musste, welcher wochentag heute ist.

noch bevor ich dazu kam, war mit klar, dass das nur ein restposten meiner sozialisation aus der lebens- und arbeitsschweiz ist.

stadtwanderer

“schreien nützt nichts!”

sie hielt das beste referat, obwohl sie kein wort sagte. denn helene jarmer, die grüne abgeordnete zum nationalrat aus wien, hörte nichts, spricht nichts, und führte den versammelten politberaterInnen europas trotzdem vor, wie man wahlkämpfe führen und gewinnen kann.

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helene jarmer, gehörlose politikerin in österreich, am kongress der eapc in wien

“ihre angelobung im nationalrat geriet zu vielbeachteten lektion in der gebärdensprache”, sagte helene jarmer am kongress “emotions in politics and campaigning” durch ihre interpretin. vorher habe man im österreichischen parlament das problem der gehörlosen ignoriert. doch seither würden alle sendungen aus dem nationalrat mit gebärdensprache übersetzt. bingo!

“schreien nützt nichts”, war damals ihr slogan. er hat die politikerin landesweit bekannt. dass kommunikation mehr als reden ist, weiss die tempramentvollen sonderpädagogin gut zu vermitteln. den verblüfften politberatern aus ganz europa zeigt sie ohne wenn und aber: ihr standort auf der bühne ist nicht hinter dem rednerpult, sondern mitten im geschehen, was die referentin souverän macht. für den bericht aus ihrem leben braucht sie auch kein manuskript, was gerade nach abgelesenen vorträgen durch professoren erfreut. und schliesslich setzt politikerin jarmel bilder auf der leinwand genauso wie ihre körpersprache viel bewusster als die meisten anwesenden ein, um sich mitzuteilen.

die gebärdensprache, die ihr hilft zu verstehen, was andere sagen und mit der sie geübten interpretinnen mitteilt, was sie andern sagen möchte, ist dabei alles andere als international. vielmehr kennt sie nationale eigenheiten – und sogar dialekte. besondere probleme ergeben sich mit namen, etwa im parlament. wolfgang schüssel, der frühere övp-chef und dann ministerpräsident, habe sie stets mit dem “mascherl” gleichgesetzt, das er früher trug und ihn unverwechselbar gemacht habe. und so zeigte ihre gebärde für ihn schnell mal die form einer fliege. für viele der anderen politikerInnen habe sie aber neue zeichen erfinden müssen, was man sehr geschätzt habe.

“schauen sei gehörlosen ins gesicht, wie allen anderen menschen auch”, gibt die 39jährige wienerin allen anwesenden auf den weg. ohne übersetzung verstehe sie zwar nichts; ohne ihre person müsste man aber auch nichts übersetzen. und so könne sie wenigstens einen teil ihrer emotionen in diskussionen direkt vermitteln. das fällt einem auch nicht schwer zu verstehen. denn: “genauso wie es unter menschen mit gehör langweiler gibt, finden sie solche auch unter gehörlosen.” dass helene jarmel nicht gehört, wird einem rasch klar, wenn man ihr zusieht um zuzuhören.

jarmels botschaft bleibt einem nach dem referat tief sitzen. und trotzdem macht man einen dummen fehler, wenn man herzhaft klatscht. denn auch das hört die gehörlose politikerin nicht. mit den händen in der luft wackeln, bedeutet sie dem publikum, und als es das macht, nimmt sie es mit sichtbarem dank mit auf ihren weg.

stadtwanderer

emotionen in der politik: von enthusiamus, angst und wut

es muss anfangs der 90er jahre gewesen sein, als ich vom wiener magistrat eingeladen war, über möglichkeiten der bürgerInnen-beteiligung in der stadtplanung nachzudenken. erwogen wurde damals, direkte demokratie im der hauptstadt auszubauen. ohne erfolg zog ich mich damals zurück, und kehrte heute an den ort des geschehens zurück.

Emotion-Masks-760100das experiment scheiterte schon in den ansätzen. eine vorbereitende akadamische tagung verlief animiert-artig. die anschliessende öffentiche tagung war dann ebenso animiert, aber gänzlich unartig. sie geriet zur eigentliche behördenbeschimpfung, bei der die junge moderatorin ohnmächtig wurde, und es mir als podiumsmitglied erst nach etwa einer stunden heftigem streit, die minimale spielregeln in der auseinandersetzung zwischen dem roten stadtrat und den protestierenden zu sorgen.

als ich lass, dass heute in wien über emotions in politics and campaigning debattiert werde, entschloss ich mich kurzerhand, nach wien zu reisen. vielleicht würde ich jemand eine erklärung geben können, was damals den vulkan zum explodieren brachte.

eine erste interessante annäherung bracht susanne glass, politologin aus deutschland, die als ard-korrespondentin aus wien berichtet. sie glaubt, dass der umgang mit emotionen in der politik gerade in kleinen gesellschaften schwierig ist. sie zeigte bilder, als bundespräsident klestil die erste schwarz-blaue regierung vereidigt. die entaffektierung des staatsaktes war perfekt. dafür lebten die emotionen in kärtnen auf, von wo jörg haider aus die österreichische politik aus der opposition heraus aufputschte, bis er an seinen eigenen emotionen zerbrach. journalistin glass zeigte sich selbstkritisch aufzuzeigen, dass gerade in der auslandberichterstattung der bewegten medien emotionen eine zentrale rolle zukommt. brechen sie aus, lassen sie sich gut vermitteln, wenn sie vorurteile gegenüber dem fremden bestätigen. und sie fördern vor allem die vermittlung der rechten oppositionellen.

nicht alle beiträge am heutigen tag waren so selbstkritisch. einige der redner an der konferenz europäischer politberater verwechselten ihren auftritt mit dem vor einem parteitag, warben mit eindringlichen bilder und drastischer sprache für ihre sache.

den erhellendsten beitrag in der sache lieferte ted brader, politologe an der renommierten michigan university. drei emotionen interessierten besonders: den enthusiamus, die angst und die wut. enthusiasmus entstehe, wenn es gut gehe. sei dies nicht der fall, entstünden angst oder wut. ersteres weckt zwar kurzfristig die aufmerksamkeit, wirkt sich aber eher apathisch, denn mobilisierend aus. letzteres kennt umgekehrte vorzeichen, denn die wut sei es, welche parteiisch kriegerbürgerInnen forme.

und so erinnere ich mach an die veranstaltung aus den 90er jahren zurück. denn hier kam ein früheres zeichen der wut, die es gegenüber der politik, ihren repräsentantInnen und institutionen gibt, zum vorschein. dafür fürchtete man sich unter den etablierten politikerInnen damals noch, weshalb man auch gegenüber jeder form der direkten demokratie skpetisch war. heute weiss man in wien wie in österreich, dass sie sich die wut nicht einfach negieren lässt. und wird sie bewusst unterdrückt, mobilisiert sie erst recht politischen potenziale von ungeahnter kraft.

stadtwanderer

rom. ist nicht mehr

es war sicher kein zufall, dass monika rosenberg in der nzz unter dem kürzel “rom.” publizierte. denn die tochter des legendären cvp-generalsekretärs martin rosenberg entstammte dem politischen katholizismus, der sich in den bundesstaat integrierte. nun ist rom. nicht mehr.

monikakennen gelernt habe ich monika rosenberg erst, als sich die nzz-bundes- hausredaktorin ende 2006 anschickte, ein porträt von mir zu schreiben, das im “folio” zum thema politberater erschien. doch das war nicht alles. denn monika rosenberg war die erste, welche meine leidenschaft als stadtwanderer beschrieb und die passion mit teilnahmen an rundgängen auch überprüfte.

so habe ich eine gleichzeitig wache, informierte, kritische und respektvolle journalistin kennen gelernt, die ihre arbeit schätzte, aber auch die anderer. was sie schrieb, stimmte, und doch wusste sie, dass geschriebenes verschiedene, ja bleibende eindrücke hinterlässt, die nicht immer bei allen gleich gut ankommen. so liess sie mich das porträt integral gegenlesen. wir beide waren uns einig, dass es stimmig sei und wunderten uns gemeinsam, als dann eine fassung erschien, die wir beide nicht gesehen hatten.

“ich bin edel, im denken und handeln”, hiess einer der merksätze für das leben, an monikas schwester lydia, heute als kloster baldegg lebend, aus ihrer gemeinsamen zeit im blauring erinnerte. versammelt hatte man sich dafür in berns dreifaltigkeitskirche, wo alle kinder der familie rosenberg getauft worden waren, und die meisten von ihnen kirchlich aktiv waren. aufgewachsen waren sie alle in der parterrewohnung des generalsekretariats, wo der vater, martin rosenberg aus bünzen im freiamt hauste und familie und partei in einem führte. politisch sozialisiert wurden die kinder, als die cvp noch die kk war, aber unter führung des hausherrn die zauberformel für die wahl des bundesrates begründete und mit leben füllte.

das brachte die gelernte historikerin nach ihrem studium zuerst in die konservative parteipolitik, dann in den liberalen journalismus. “ich habe im ständerat dilettiert”, sagte rene zeller, heute inlandchef der nzz, in der würdigung der journalistin rosenberg. “monika hat als unbestechliche berichterstatterin im nationalrat reüssiert”. das klang so ohne umschweife, dass allen klar wurde, wer im gespann das sagen hatte. und es machte auch klar, dass sich die generation von monika rosenberg vom politischen katholizismus des 19. jahrhunderts verabschiedet und ganz in die moderne des bundesstaates zur jahrtausendwende integriert hatte.

letzten sommer erfuhren alle, die monika rosenberg kannten oder lassen, dass sich die damals 62jährige ruckartig aus dem beruflichen leben abmelden musste. und so sah man die weitgereiste immer weniger am türkenstand “meze” in der berner markthalle ihren mittagimbiss einnehmen. eingeweihte wussten um ihre schwere krankheit, der sie jetzt erlegen ist; andere erführen es am letzten samstag aus der zeitung.

“herausgegriffen” hiess die liebste kolumne der jounalistin rosenberg, mit der sie das schräge in der ordnung des bundeshaus auf ihre art herauszugreifen und ironisieren wiederzugeben pflegte. nun ist monika rosenberg selber herausgegriffen worden – aus dem leben. “der tod ist nichts”, sagte ihr bruder felix rosenberg an der abschiedsfeier. er ist nur der seitenwechsel nach dem irdischen leben – einer edlen journalistin füge ich bei, in einer zeit, in der die meisten ihrer berufskollegInnen die feine klinge der sprachmacht mit der lauten polemik der medienmacht tauschen.

rom. ist tatsächlich nicht mehr.

stadtwanderer

der bärenstadt einen bärendienst erwiesen

oswald sigg, pensionierter regierungssprecher der schweiz, greift die profilierung berns hauptstadtregion in der nzz am sonntag – und begründet seine kritik mit der grossen bärenliebe. ein bärendienst, den er da bärenstadt erweist, füge ich an.

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oswald sigg beobachtet die tägliche abstimmung mit füssen und macht sich gedanken dazu. denn in bern pilgern täglich einheimische und auswärtige in grosser zahl zum neuen bärenpark.

gut so, sag ich da, genauso wie der in bern lebende zürcher kolumnist. doch kann ich den politischen lehren, die er daraus zieht, überhaupt nicht folgen.

denn der doktor der sozialwissenschaften sieht in der bärenliebe den beweis, dass die berner zu bärentypischer gemütlichkeit, politischem beamtentum, und behäbiger bundesstadt fähig sind, – zu mehr nicht. punkt!

stadtpräsident tschäppät, sonst vernünftig, habe sich in dieser frage von falschen beratern einlullen lassen und kämpfe nun auch für bern als aufgewertete hauptstadt.

und das mag sigg scheinbar nicht. dafür greift der früher erfolgreiche kommunikator in die unterste schublade der rhetorik-mottenkiste. bern wollen mit europäischen zentren wie paris, london oder berlin gleichziehen, unterstellt er. obwohl das deklarierte ziel der hauptstadtregion ist, den anschluss an die schweizerischen metropolen zu finden.

dafür bekommt der sonntagsschreiber der nzz den lacherpreis. genau für die von ihm selbst gewählte übertreibung wird der pensionär nämlich in 20 minuten zitiert. weil bern in den zürcher medien schlecht redet.

einen bärendienst erweist sigg damit dem land und der stadt.

stadtwanderer

bilder unseres alltags

wer bloggt, kommuniziert. nicht nur mit den mitteln des textes, sondern auch des bildes. grund genug, sich einem herausragenden bebilderer unserer gegenwart zu widmen.

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kulturmix vor dem bundeshaus – vor lauter patriotismus nichts mehr sehen – tour de suisse (wie im fernsehen, aber echt)

yves maurer, der berner fotograf, um den es hier geht, beschreibt sich selber so: “Kritiker, Nörgler, Grübler. Vernarrt in Bilder.” er ist autodidakt, wenn es ums bildermachen geht, denn berufe hat er viele, aber andere. seinen charakter fasst er in der kürzestform wie folgt zusammen: “Kaffeeliebhaber, Beobachter, Freigeist, – reisewütig.” die ersten drei eigenschaften sprechen mich direkt an, das vierte müsste ich mit “wander-wütig” übersetzen. verbindend wirkt wiederum: “Stets bereit den unbekannten Weg einzuschlagen!” das habe ich mir für 2010 notiert.

yves maurers bilder kennen wir teilweise aus den medien. zum beispiel das nach dem unfall im bärenpark, als der angefallene mann von der ambulanz auf der bahre abtransportiert wurde. betroffenheit auslösen, ohne sensationen zu produzieren, das ist das motto des bebilderers.

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nach dem zibelemärit – berner moderne und tradition – bubenstreich in der pfadi

und genau das ist es, was mir am besten gefällt. und ein triple a verdient: aufmerksam, aussagereich, aber nicht aufdringlich sind die momentaufnahmen maurers. sie alle sind aus seinem alltag, manchmal dem aus aller welt, häufig aber aus dem in bern. denn sein point of view – auf dem internet dokumentiert – spricht an, was im konfliktreichen jahr 2009 in der schweiz jenseits des lauten geschrei geschah.

genau deshalb setze ich es als weihnachtsstern über die feiertag, und empfehle die bebildungern meiner leserschaft ganz herzlich.

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game over für das finnding


“Wir haben das Online-Spiel entfernt. Es tut uns leid, wenn wir damit die Gefühle der einen oder anderen Person verletzt haben sollten.”

diese entschuldigung steht seit heute auf der website des games “finnding”. denn das geschmacklose spiel ist zwischenzeitlich von der bildfläche verschwunden. nicht ganz unfreiwillig, vermute ich.

die spendenbuttons, die das spiel zum test von sympathien zu tier und mensch hochstilisierten, waren ohne einwilligung von “wwf” und “denk an mich” aufgeschaltet worden. das ist schon ziemlich fies. der wwf drohte mit rechtlichenschritten, und die behindertenorganisationen distanzierten sich von der spendenmöglichkeit.

gewusst haben beide organisationen nichts von ihrem glück, und geld bekommen haben sie auch keins. denn allfällige spenden ging gleich aufs konto der herstellerfirma. übel, nenn ich das.

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spannender als jedes game: finn in natura beobachten (foto: yves maurer)

bernd schildger der berner tierparkdirektor bringt die sache einmal mehr auf den punkt: wie man aus einer tragödie geld- oder marktingmässigen vorteil schlage wolle, sei für ihn schlicht nicht nachvollziehbar, sagte er dem berner lokalfernsehen.

ich kann nur anfügen, dass finn gestern gemütlich im park sass, sich ein wenig im neuschnee wälzte, und allenfalls nach einer taube schnappte, wenn sie ihn reizte.

finn ist weder ein teddybär, noch jagt er menschen, damit sich gamer daran ergötzen können!

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das finnding ist ein unding

geschmacklos: jetzt wird das drama vom bärenpark sogar als computergame vermarktet.

am 21. november 2009 stürzt sich ein geistig behinderter mann in den bärenpark, um einen fallengelassenen plastiksack zurück zu holen. er wird von finn überrascht und überwältigt. der bär lässt vom mann erst ab, als er von der polizei angeschossen wird. mensch und tier müssen notfallmässig verarztet werden, haben aber glück und überleben.

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die aufmerksamkeit und sympathie für finn, den unschuldigen bären war riesig. honig und glückwünsche wurden gespendet. der mann wird erst dann unschuldig, als man erfährt, dass er geistig behindert ist. die medien in stadt und kanton, national und international waren aufgewühlt und berichteten tagelang.

genau von dieser aufmerksamkeit will nun ein die internet-firma profitieren. ich nenne sie aus ärger absichtlich nicht namentlich.

“dasfinnding” hat sie heute lanciert, ein computer-game, das den kampf um plastiksäcke im bärenpark virutell nachstellt. die spielanlage ist einfach: wenn der mann nicht schnell genug ist beim einsammeln, wird er gepackt, dass die fetzen nur so fliegen. sensationshascherei pur.

natürlich ist alles nur ein virtuelles spiel, wird man sagen. und deshalb bekommt man so viele leben, wie man will. im besten fall ist man am ende sogar der held: ganz oben auf der gamer-liste.

“doch halt!”, muss ich da erwidern. der vorfall dahinter ist real! tierischer und menschlicher ernstfall, der um ein haar zur totalen tragödie geworden wäre!

hätte das internetspiel pädagogischen wert, könnte man noch diskutieren. zum beispiel weil man als spieler den mann hindern müsste, ins gehegt zu springen. oder weil die gamer lernen würden, dass angriffige bären mit steinen zu beschmeissen diese nur aggressiver macht.

davon jedoch nichts davon! das spiel ist auf nerverkitzel und fingerfertigkeit, nicht auf lernprozesse aus. und auf geschmacklose aufmerksamkeit. selbst der vergleich ist stossend. der man im park war in realität nicht cleverer als der bär, sondern geistig behindert.

bernd schildger, der tierparkdirektor, hat jede zusammenarbeit mit dem game abgelehnt.

da können auch spendenkonti für den “wwf” und die aktion “denk an mich” am ende des spiels nicht ablenken.

ein finn-un-ding ist das!

stadtwanderer