Neue Stadtwanderung: Bern, der Barock und die Bourbonen

Ganz neue Stadtwanderung: Baustilgeschichte der Berner Altstadt – gespickt mit viel Börsennachrichten und Gesellschaftsklatsch.


Foto: Barbora Neversil

Spricht man von der Berner Altstadt, meint man entweder die (spät)gotischen Teile ums Rathaus resp. ums Münster. Oder es geht um die barocken Gebäude, beginnend mit dem heutigen Käfigturm und endend mit dem Zytgloggenturm, wie man ihn heute kennt. Dazwischen entstanden wichtige Häuser wie die Fischer-Post, das Béatrice von Wattenwyl-Haus, das Kornhaus, der Erlacherhof, die Burgerbibliothek oder das Hotel de Musique im barocken Stil.

Die Nachbarschaft Berns zu Frankreich
Der Berner Barock ist viel nüchterner als der europäische. Der Sandstein und die Reformation trugen das ihre dazu bei. Dennoch entwickelte er sich im 17. und 18. Jahrhundert prächtig. Er vereinte typische bernische und französisch inspirierte Architektur.
Das hat mit der Lage Berns und Frankreichs zu tun. Das Haus der Bourbonen stellte von 1574 bis 1792 ununterbrochen die König. Zuerst war es der einzige Calvinist auf dem Thron, dann die unerbittertsten Gegnern der Hugenotten. Dabei stiess Frankreich nach Osten vor, wurde Berns Nachbar und stieg mit einem gewaltigen Kolonialreich zu einer Weltmacht auf.
Die Beziehungen zu Bern sind in dieser Zeit sehr eng. Trotz unterschiedlichem Glauben ist man eng miteinander militärisch verbunden, staatsphilosophisch verwandt und via Geld vielfältig aufeinander anwiesen. Sei 1663 haben Frankreich und die Eidgenossenchaft eine erneuerten Staatsvertrag, der uns Zugang zu Märkten, Frankreich zu Soldheeren bringt.

Licht und Dunkel im Ancien Régime
Die ausgeschafften Hugenotten aus Südfrankreich sind die erste grosse Flüchtlingskrise in Bern mitten in der kleinen Eiszeit. Der Reichtum aus dem Soldhandel macht Teile des Patriziats so korrupt, dass der Aemterkauf durch die Vergabe durch das Los abgestellt werden muss. Der Spanische Nachfolgekrieg anfangs des 18. Jahrhunderts zwischen Frankreich und dem Kaiser bringt haufenweise Tote in bernische Familien, deren Jung an beide Seite verkauft wurden und sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Die Wirtschaftsblase von 1720, die in Paris (und London) platzt, führt zum abrupten Ende des blühenden Berner Privatbankenplatzes. Schliesslich lösen die Staatsschulden von König Louis XVI. die französische Revolution aus, die auch das Ende des Ancien Régimes in Bern bringt.
Trotz diesen jähen Einschnitten in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik der Stadt und Republik Bern blüht der Neubau der heutigen Altstadt mit zahlreichen, prächtigen Privathäuser, Stadtschlössern und Repräsentationsbauten, die bis heute das Bild der Altstadt erheblich mitbestimmen.

Die neue Stadtführung
Wie das alles zusammenhängt, erzähle ich in meiner neuen Stadtführung “Bern, Barock und Bourbonen”. Besonders geeignet ist sie für Interessierte in Baugeschichte, aber auch an Gesellschaftsklatsch aus dem Alten Bern.
Momentan übe ich fleissig, im Home-Office und vor Ort. Wenn die Pandemie einmal vorbei sein soll, starte ich mit dem jüngsten Spross in meiner Stadtwanderer-Familie.
Ich hoffe, es wird spätestens im April 2022 soweit sein.

Stadtwanderer

Meine Stadtwanderungen 2022

Das erwartete Interessierte an meinen Stadtwanderungen 2022 (sobald die Pandemie besiegt ist)!

Klimageschichte Berns
Von der Entstehung Alpen bis zum Oeschger Centre for Climate Change Research (2h)

Jugend&Politik
Die fünfhundertjährige Beziehung zwischen Rebellen, Schützlingen, aufgeklärten Damen, utopischen Studenten, Nonkonformisten und Jugendparlamentarierinnen und dem Staat in Bern (2h)

Bern, Barock und die Bourbonen
Licht und Schatten in Berns 17. und 18. Jahrhundert. Architekturgeschichte mit Gesellschaftsklatsch

Geschichte der (direkten) Demokratie
Wie aus der aristokratischen Patrizierhochburg die Bundesstadt der Schweizer Demokratie wird (1h 30)

Ueli Ochsenbein, unser Verfassungsvater
Die steile Karriere im jungen Bundesstaat und das jähe Ende des ersten Berner Bundesrats (1 h 30)

Lobbying im Bundesstaat
Wie die Interessenvertretung in den letzten 40 Jahren das Berner Regierungsviertel unterwandert hat (1 h 45)

Interessierte melden sich via DM bei mir. Keine Einzelanmeldungen. Nur Gruppen zwischen 6 und 24 Personen. Konditionen nach Absprache.

Besuch in meiner Heimatgemeinde

Ich war heute in Assens, Kanton Waadt. Das ist seit 2009 meine Heimatgemeinde, hervorgegangen aus einer Fusion. Damals löste sich das Nachbardorf Malapalud auf, mein eigentlicher Heimatort.


Bild links: Kirche aus dem 13. Jahrhundert, heute mit dem Hahn, Bild rechts: Kirche aus dem 19. Jahrhundert, heute mit dem Kreuz

Malapalud
Malapalud ist ein lateinischer Name, der sich aus “mala”und “palud” zusammensetzt und ausgedeutscht ein schlechter Sumpf ist. Und die Longchamps sind die Lengsfelder – ein Flurname, der für ein abgelegenes Feld verwendet wurde.
Hintergrund der beiden Namen ist die Aktion der Berner, die sie nach 1536 einführten. Unter Schultheiss Hans-Franz Nägeli waren sie bestrebt, die jungen Untertanen vom Solddienst für das päpstliche Italien abzuhalten. Dafür offerierten sie die Möglichkeit, ein Stück Land im Gros-de-Vaud zu bekommen, wenn man es davor entwässerte.
So entstand Malapalud, dem wohl schlechtesten Sumpf der Region, der von den Leute bewirtschaftet wurde, die man ohne grosse Identität Langfelder nannte.
Ich war vor 45 Jahren erstmals in Malapalud. Die Gemeinde hatte eben dem 20jährigen zur Volljährigkeit gratuliert, ihm aber gleichzeitig mitgeteilt, zu arm zu sein, um mich bei einer allfälligen Armengenössigkeit unterstützen zu können.
Ich beschloss, den Ort zu besuchen. Mit dem Auto angekommen, begrüsste man mich skeptisch. Man sei gegen Strassen, hiess es. Beim Syndic, der gerade auf einem Miststock stand, stellte ich mich vor: “Je m’appelle Longchamp!” – “C’est rien special ici”, erhielt ich barsch zurück. Wir fanden uns doch noch!
Das kleine Bauerndorf lebte damals von der Pferdezucht und einem Zugezogenen, der das Gemeindebudget alimentierte.
Heute zählt der Weiler Malapalud 100 EinwohnerInnen. Kaum jemand heute ein Pferd, dafür stehen viele Einfamilienhäuser entlang der Strasse.
Dennoch ist man keine selbständige Gemeinde mehr. Vielmehr gehört man administrativ zum benachbarten Assens.

Assens
Die Fusionsgemeinde Assens zählt heute rund 400 EinwohnerInnen. Das Auffälligste im Dorf sind zwei Kirchen, nur 100 m von einander entfernt.
Die ältere Kirche, im gotischen Stil gebaut, ist seit 1228 bezeugt und gehörte dem Bistum Lausanne.
Die bernische Reformation setzte sich in Assens kaum durch. 1619 entschied sich die Gemeinschaft, trotz verschiedenen Glaubensbekenntnisse eine paritätische Kirchgemeinde zu sein. Katholiken und Reformierte sollten die gleiche Kirche abwechslungsweise nutzen dürfen.
Selbst die Tagsatzung musste sich damit beschäftigen. Denn es war weit herum die einzige Institution dieser Art. Deshalb kamen sonntags selbst die Katholiken aus Lausanne ins 25 Kilometer entfernte Assens. Unter ihnen war auch kein geringerer als der Genfer Jean-Jacques Rousseau, der konvertiert war und, als er in Lausanne wohnte, regelmässig nach Assens pilgerte.
Die Einvernehmlichkeit der Konfessionen verschlechterte sich allerdings im 19. Jahrhundert, als Assens ein fester Teil des reformierten Kantons Waadt wurde. Der verstaatlichte die Kirchengüter vorerst rigoros.
Die Katholiken mussten nachziehen, weshalb heute zwei Gotteshäuser in der Gemeinde, das alte für die Reformierten, und eine neue für die Katholiken.
Soweit ich das beurteilen kann, ist das genau ein Gebäude mehr als es im Dorf für das einzige Restaurant braucht!

Echallens
Nun hat der katholische Hintergrund der Gemeinde Assens seine historische Bewandtnis. Denn das nahe gelegene Echallens, seit jeher ein Verkehrsknotenpunkt mit Strassen von Ost nach West und Nord nach Süd, war im 15. Jahrhundert burgundisch. Der Graf von Macon verwaltete es als Vasall für den Herzog von Burgund.
Als dieser im Burgunderkieg 1474-1477 gegen die Eidgenossen verlor, mussten die Berner und Freiburger Echallens und Umgebung wieder aufbauen, durften es aber als gemein(sam)e Herrschaft behalten. Die umliegenden Ländereien, die meist savoyisch waren, mussten sie aber zurückgeben.
Da setzten die Berner nach 1536 die Reformation erfolgreich durch. In den ehemalig burgundischen Gebieten rund um das katholische Echallens scheiterten sie allerdings weitgehend.
Nur die Befriedung der Bauern gelang ihnen, dank ihrem Entsumpfungsprojekt im Gros-de-Vaux.

Was (mir) bleibt
So blieben meine burgundischen Vorfahren bis heute katholisch. Auch ich bin es noch, wenn auch eher ein Kulturkatholik als ein überzeugter Kirchgänger.
Wirtschaftlich arrangierten sich meine Vorfahren schon früh mit dem reformierten Bern, das sie von der Leibeigenschaft befreite und sie zu Untertanen mit eigenem Land machte.
Das verteidigen die Leute mitten im Gros-de-Vaud noch heute selbstbewusst – als patriotische WaadtländerInnen, die sich aber nicht mehr umkehren, wenn man mit dem Auto und einem fremden Nummernschild vorfährt.

Besuch der Ruine Gerenstein (in Berns Nähe)

Am 2. März 1298 gewann die Reichsstadt Bern die Schlacht am Dornbühl gegen das habsburgische Freiburg. In der Folge zerstörte Bern die Burgen des feindlichen niederen Adels in ihrer eigenen Nähe, so auch die des Freiherren von Gerenstein auf dem Gebiet von Bolligen. Ortsbesichtigung und Geschichtsrekonstruktion.

Die Oertlichkeit
Zweigt man von der Hauptstrasse zwischen Bolligen und Krauchtal ab, um die Ruine Geristein, wie sie heute heisst, zu besuchen, steht man zuerst vor einem imposanten Felsen mit einem grossen Loch. Steigt man dann zur Ruine hoch, erkennt man den Sandstein, der den Felssporn bildet. Er ist porös ist und bröckelt, wo er nicht von Erde bedeckt wird. Der letzte Teil ist steil, übe eine nur schlecht gesicherte Treppe erreichbar.
Oben angekommen sieht man noch Teile eines ritterlichen Rundturms, die immer noch seine savoyische Gestalt verrät.


Was geschah nach den Zähringern
Wie kam es dazu, dass die Burg vor 732 Jahren geschleift wurde? Um das zu verstehen, muss man tief ins 13. Jahrhundert eintauchen. In der Geschichtsschreibung spricht man auch von der Zeit der “Anarchie der Adeligen”, weil sie gerade im Mittelland so häufig in wechselnden Koalitionen gegeneinander kämpften.
Alles beginnt mit Bern und Freiburg. Beide Städte waren von den Herzögen von Zähringen gegründet worden. Nach deren Aussterben 1218 entwickelten sie sich aber unterschiedlich. Das sollte man auch in Gerenstein zu spüren bekommen.
Freiburg, 1157 auf Zähringer Gebiet gebaut, gehörte zum herzoglichen Erbe, das an die Grafen von Kyburg (bei Winterthur) ging. 1277 kam die Stadt an die Habsburger, zwischenzeitlich Könige im Reich.
Bern war auf Reichsgebiet gebaut worden, das beim Aussterben der Herzöge an den Kaiser ging. Er machte Bern zur Reichsstadt, die ihm direkt unterstand. Doch verstarb Friedrich II. 1250, sodass Berns Status unsicher wurde,
Die Kyburger hätten Bern gerne eingenommen, doch die Grafen von Savoyen, mächtig aufgestellt in der Waadt, verhinderten dies, indem sie sich schützend über die verwaiste Reichsstadt stellten.

Berns burgundische Eidgenossenschaft
Zur ihrer weiteren Sicherung entwickelte Bern weitere Beziehungen, burgundische Eidgenossenschaft genannt. Dazu gehörten Bündnisse mit der Stadt Biel und dem Reichsland Hasli.
Genau das missfiel König Rudolf von Habsburg. 1288 versuchte er die Stadt Bern einzunehmen, blieb aber erfolglos. Erst ein Jahr später gelang dies seinem Sohn, ebenfalls Rudolf genannt.
Bern kam dennoch nicht zu Habsburg, musste aber dem König eine hohe Kriegssteuer bezahlen.
Das führte zu einer grossen Krise. Schultheiss Ulrich von Bubenberg wurde 1293 abgesetzt. Dafür stützte Bern den Grafen Adolf von Nassau, der 1292 zum Nachfolger von Rudolf von Habsburg neuen König gewählt wurde. Er bestätigte der Stadt den bisherigen Status.
Doch blieben die Habsburger die Rivalen im Reich. Im Lokalen erhöhte das die Spannungen zwischen Bern und Freiburg. Mittels Fehde kämpfte man um die Vormachtstellung im Sense-Saane-Raum, der mit den Reichsburgen Gümmenen, Laupen und Grasburg von hoher Bedeutung war.


Reichsgebiete und Adelsherrschaften um 1291 auf dem Gebiet der heutigen Schweiz (Quelle: Historischer Atlas der Schweiz, 2021)

Die Schlacht am Dornbühl
Daraus entstand die Schlacht am Dornbühl. Den Namen hat sie vom dornenhaltigen Hang, auf dem das Treffen stattfand. Es reichte von den Toren im Westen der Stadt bis ins heutige Oberwangen Richtung Flamatt.
Bern wurde bei der Schlacht von den Städten Solothurn und Biel unterstützt, auch von den Grafen von (Neu)Kyburg resp. von Aarberg. Selbst das Hasli stand auf ihrer Seite.
Ihr gegenüber waren die Stadt Freiburg, die Grafschaften von Neuenburg und Greyerz, die savoyische Waadt und zahlreiche deren Gefolgsleute, die sich teils kurzfristig auf die Bern-feindliche Seite begeben hatten.
Unbekannt ist die Zahl der Beteiligten resp. Toten. Nur Ulrich von Erlach kennt man als Heerführer der siegreichen Berner.

Die weiteren Folgen
Dafür weiss man, dass Bern nach der Schlacht in die Offensive ging. Sie zerstörte sofort drei Burgen von Kleinadeligen in ihrer nahen Umgebung: die
. des Freiherrn von Belp-Montenach und des Freiherrn von Gerenstein, die beide zu Savoyen gehalten hatten, und
. die des Ritters von Wangen, der zu Freiburg gestanden war.
Bern übernahm auch die Kirchenrechte in Muri, Bolligen, Stettlen und Vechigen. Damit sicherte man sich Verbindungswege nach Burgdorf und ins Haslital. Man kann das auch als Beginn der städtischen Territorialpolitik sehen.
Schliesslich verstärkte sich Bern mit einem kleinen Städtebund, das nun nebst Biel auch Solothurn und Murten umfasste.
Beendet waren die Spannungen mit Freiburg allerdings nicht. Denn König Adolf von Nassau noch 1298 mit Albrecht von Habsburg einen Gegenkönig und verstarb kurz danach. Bis weite ins 14. Jahrhundert blieb das ursprünglich freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Zähringerstädten kriegerisch.

Das Ende der Freiherren von Gerenstein
Ohne Burg fanden die Freiherren von Gerenstein ein rasches Ende. Sie sollen bereits anfangs des 14. Jahrhunderts ausgestorben gewesen sein.
Ihre Ruine wurde von Bolligen übernommen, später an weltliche und kirchliche Adelige verkauft, bis sie 1528 bei der Säkularisation durch die Reformation an Bern kam.
1975 wurde die Ruine restauriert, und seither ist sie ein beliebter Ausflugsort im Nahgebiet von Bern.
So auch für @neverbar und den @stadtwanderer_ am heutigen Bärzelistag 2022, wie man in Bern dem Berchtoldstag sagt. Er soll ja auch an den Stadtgründer Berchtold V. von Zähringen erinnern.