#Beizentour 12. Station: Volkshaus, Arbeiterhotel und der (unbekannte) Redner

Die 1890er Jahre waren aus bürgerlicher Sicht die Belle Epoque. Aus der Perspektive der Arbeiterschaft war es die Zeit des Klassenkampfs. Zwischen beiden gesellschaftlichen Gruppen entwickelte sich in Bern ein Zwist zur Benutzung der Heilig-Geist-Kirche als Versammlungsraum.

1893 hatten die Berner Arbeiter genug. Sie eröffneten an der Zeughausgasse das erste Volkshaus der Schweiz. 1914 baute man das heutige Gebäude an gleicher Stelle. Genannt wird es ein „Palast aus Dreck und Eisen“. Seither wurde es mehrmals renoviert. Doch es ist der Treffpunkt der gewerkschaftlichen Linken geblieben.

Im Ersten Weltkrieg war es ein Zentrum der internationalen SozialistInnen. Lenin war da, auch Leo Trotzky und Carla Zetkin kamen. Man bereitete die Weltrevolution vor, die in Russland beginnen sollte.
Die Berner Sozialdemokraten unter Robert Grimm bevorzugten einen anderen Weg. Sie waren reformorientiert. Sie wollten die bürgerliche Demokratie erweitern. 1918, mitten in der Spanischen Grippe, wurde ihre Volksinitiativen für das Proporzwahlrecht angenommen.
1919, war es soweit. Die FDP verlor ihr absolute Mehrheit im Nationalrat. Die Konservativen, die Sozialdemokratie und die Bauern&Gewerbepartei erstarkten und bereiteten so den Systemwechsel von der freisinnigen Mehrheits- zur Konkordanzdemokratie vor.

Das Volkshaus eröffnete seine Tore nach einer finanziellen Krise am Ende des Zweiten Weltkriegs erneut. Ein Hotel mit Hallenbad und Kino entstand. Alles für das Wohl der Arbeiter, Volkshaus zu Volkspreisen, war das Motto!
Verschiedene SP-BundesrätInnen gingen hier ein uns aus. Micheline Calmy-Rey wohnte im Volkshaus, als sie Aussenministerin war. Otto Stich jasste mit seinen Getreuen aus der SP-Fraktion in der Kurrierstube, egal was politisch gerade anbrannte.

Berühmt ist das Bild des Redners vor dem (Männer)Volk im Innern des Hauses. Ich habe Volkshaus-Verwaltungsrat Corrado Pardini gefragt, wen es darstelle. Er wusste es nicht, meinte aber, die Wetten lauteten auf Lenin, Grimm und Pardini!

Stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert