Die Schlacht von Murten (Teil 5 meiner Stadtwanderung)

Es soll der 22. Juni 1476 zur Mittagsstunde gewesen sein. Und es soll fürchterlich geregnet haben.
Die versammelten Eidgenossen griffen Murten aus dem Wald oberhalb der Stadt her an. Direkt vor ihnen war der Grünhag. Dahinter befand sich der Hauptharst der burgundischen Kämpfer mit den Bogenschützen. Links war die Reiterei, und rechts stand die Artillerie.
Zur Ueberraschung der Burgunder überwanden die ersten beweglichen Eidgenossen den sog. Burggraben, ein Landschaftseinschnitt, der die Kanoniere schützen sollte. Plötzlich stand Feind nicht mehr nur vor ihnen, sondern auch hinter ihnen. Von da aus stiessen dies schnellsten Eidgenossen direkt bis zum belagerten Städtchen vor. Da spielte sich Gewohntes ab. Bern hielt Murten besetzt, die Burgunder und Savoyer belagerten es. Doch nun eilten eidgenössische Soldaten von hinter auf die Belagerer zu. Sie befanden sich im Zweifrontenkrieg.

Der überraschte Herzog Karl bliess zum Rückzug. Seinen Hauptharst trieben die Eidgenossen oberhalb Murtens vorbei Richtung Meyriez. Dort versenkten sie die Ueberlebenden Burgunder im See.
Die Schlacht war am Abend zu Ende. 25000 Eidgenossen und Verbündeten hatten 20000 Burgunder und Savoyer überwältigt. 10000 sollen an diesem Nachmittag den Tod gefunden haben.
Selbst das international ausgerichtete Handbuch «Schlachten, die unsere Welt veränderten», das mit der Gefecht von Marathon bei den alten Griechen beginnt und mit dem Desert Strom der Amerikaner im Irak endet, erwähnt die Murtenschlacht, – nicht zuletzt wegen des unerwarteten Ergebnisses – und seiner weitreichenden Folgen.

Im 15. Jahrhundert trat die mittelalterliche Welt aus ihren bisherigen Fesseln. Der Aufstieg des Herzogtum Burgunds gehörte dazu. Wir haben gesehen, dass das frühmittelalterliche Burgund im gesamten Rhonetal kein beständiges Königtum etablieren konnte. Im 10. und 11. Jahrhundert trennten sich die Wege. Der grössere Teil, darunter auch die Gebiete in der heutigen Schweiz, kamen zum Kaiserreich und zerfiel in Adelsherrschaften. Der kleinere Teil, Herzogtum Burgund genannt, schloss sich damals der französischen Krone und überlebte. Um diesen Teil von Burgund ging es nun.
Die Herzöge von Burgund aus der Valois-Dynastie emanzipierten sich im 15. Jahrhundert von ihrem König. Durch Erbschaft hatten sie grosse Gebietsgewinne in Flandern und Umgebung gemacht. Das Kernland um Beaune war jetzt die oberen Lande, während die neuen Gebiete die niederen Lande genannt wurden. Daraus entstand später die Niederlande.
Würde es gelingen, beide Teile Burgunds auch territorial zu vereinen, wäre ein wesentlicher Bestandteil des fränkischen Mittelreiches, in dem der Kaiser herrschte, wiederherzustellen. Zunächst fehlte Lothringen, dann das Schweizerische Mittelland, und schliesslich Italien.
Das wiederherzustellen war die tollkühne Idee von Herzog Karl. Bei uns heisst er Karl der Kühne, auf Französisch nennt man ihn «Charles le téméraire». Wörtliche übersetzt ist das eigentlich der Tollkühne.
Karl, vormals Graf von Charolais, wurde 1467 neuer Herzog von Burgund. Seine Pläne waren eine Kampfansage an den französischen König, einem Verwandten, dem er unterstand. Doch hatte er auch Kaiser Friedrich III., ein Habsburger, im Visier. Von ihm wollte er den Titel «rex romanorum», König der Römer, was dem Ticket entsprach, Kaiser werden zu können. Friedrich verlangte die Heirat seines Sohnes Maximilian mit Karls einziger Tochter Marie. Karl lehnte ab und führte Krieg gegen den Kaiser.
Auch die Eidgenossen, seit dem Ende des 14. Jahrhunderts in einem Bündnis aus Waldstätten, Zürich und Bern miteinander verbunden, bemerkten die Bedrohung. Sie einigten sich mit den Habsburgern. 1475 beschloss man die “Ewige Richtung”, der einem vorläufigen Friedensvertrag gleichkam. Das wiederum machte den Weg frei, den Burgundern die Stirn zu bieten.
Am 14. Oktober 1474 erklärten die versammelten Eidgenossen in Bern Burgund keck den Krieg. Es folgt ein Präventivschlag gegen das verbündete Savoyen. Unter anderem wurde auch Murten besetzt, wenn auch versehen mit dem Versprechen, die traditionellen Rechte unter den Savoyern bewahren zu können.
Herzog Karl griff von der anderen Seite des Juras an. Bern besetzte Grandson und weitere burgundische Städte im Savoyerland. Da belagerte der Herzog Grandson. Er gewährte den Bernern freies Geleit, würden sie sich zurückziehen. Das taten sie, nur hielt sich der Herzog nicht daran. Die vierhundert Besatzer wurden alle vor den Stadttoren an Bäumen aufgehängt.
Wenige Tage danach stürmten die Eidgenossen mit ihrem Gewalthaufen, einem Viereck aus Kriegern und Langspiessen, die wartenden Burgunder. Diese waren perplex, denn sie waren sich den edlen Kampf unter Rittern gewohnt, nicht aber, gegen grölende Bauernsöhne. Ohne nennenswerte Kriegshandlungen siegten die Eidgenossen und machten grosse Beute:Kanonen, Schmuck und Marketenderinnen nannten sie bald ihr Eigen.
In Morges rüstete Burgund mit Savoyen zum Gegenschlag. Ihr Weg nach Bern sollte sie durch das Savoyerstädtchen Murten führen. Die Burgunder belagerten es von Muntelier her. 14 Tage dauerte die Bedrohung. Die Versorgungslage wurde kritisch, die Mauern drohten angesichts der Katapultgeschosse einzustürzen.
Dann kam es zum Treffen oberhalb der Stadt, wie einleitend berichtet.

Der Schlachtensieg sollte die Tektonik Europas verändern. Die Niederlage in Murten läutete den Niedergang des Herzogtums Burgund ein. Nur ein halbes Jahre später starb Karl bei seinem Angriff auf Nancy. Dafür stieg Frankreich zur führenden Macht in unserem Westen auf. Im Osten waren es die Habsburger, welche die burgundischen Besitzung in den niederen Landen übernahmen. Im Frieden von Senlis 1493 regelt man die Verhältnissen nördlich der Alpen. Südlich ging der Wettlauf um die Macht in Italien erst richtig los.
Der Schlachtensieg katapultierte die Eidgenossen in die erste Reihe der gefragten Söldner. Das schnelle Geld lockte und bald verkaufte man die Jungs der Eidgenossen an den Vatikan, den Kaiser und die Franzosen. Wer dabei zu kurz kam, diente sich als Reisläufer an. 40 Jahre dauerte dies, bis die Reformation ihm ein vorläufiges Ende setzte.
Die politische Struktur der Eidgenossenschaft mit der Tagsatzung als einziger gemeinsamen Institution entsprach der Militärmacht, die man geworden war, nicht mehr. So kam es nach Murten zu keinen überragenden Gebietsgewinnen. Der französische König überliess den Eidgenossen die eroberten burgundischen Gebiete wie Grandson, Orbe und Echallens. Alles, was savoyisch war, mussten die Eidgenossen zurückgehen.
Behalten konnten die Eidgenossen nur Murten. Das ging zuerst an die Eidgenossenschaft, dann an Bern und Freiburg als gemeinsame Herrschaft. Alle fünf Jahre stellten sie abwechslungsweise den Schultheiss, der in ihrem Namen Murten regierte. Bis 1798 die Franzosen kam, und damit aufräumten.
Erinnert wird an die Schlacht mit dem jährlich durchgeführten Murtenlauf. 10000 rennen dabei wie es die Legende will nach Freiburg, um den Sieg gegen Burgund zu verkünden. Auch das folgt dem grossen Vorbild der Schlacht von Marathon, an die der Marathonlauf erinnert.

Murten brennt! (Teil 4 meiner Stadtwanderung)

Der 4. April 1416 gilt als tiefer Einschnitt in der Geschichte Murtens. Die Stadt ging am Vorabend in Flammen auf. Grosse Teile brannten in einer Nacht nieder. Häuser mehrheitlich aus Holz, enge Gassen und ein kräftiger Wind trugen massgeblich zur Katastrophe bei.
Stadtbrände waren in mittelalterlichen Städten keine Seltenheit. Sie begannen aus entweder Unachtsamkeit oder wurden bewusst gelegt. Was davon in Murten der Fall war, ist bis heute nicht abschliessend bekannt.

Das Brandjahr wird zum Umbruchsjahr. Denn die Zeit der Savoyer im Murten kann man in drei Phasen teilen: Die ersten 84 Jahre, von 1291 bis 1377, waren ohne grossen Einfluss der Grafen; dann folgten, bis 1416 39 Jahre mit savoyischer Führung; und schliesslich kamen 59 Jahren mit zerfallendem Einfluss hinzu. 1475 war Schluss.
Als Murten 1377 das savoyische Stadtrecht bekam, war das ein Abstieg. Denn nun regierten Kastlane als savoyische Amtsträger in der Murtner Burg. Sie hatten weitreichende militärische, aber auch für wirtschaftliche, finanzielle und administrative Kompetenzen. Das alles diente Savoyen, einen straff geführten Staat aufzubauen.

Der Stadtbrand änderte zuerst das Stadtbild: Denn nun bekam Murten nach der Steinmauer, der Burg auch ein Rathaus. Es war der Vorläuferbau des jetzigen an der gleichen Stelle. Nun setzte man auch auf Stein als Baumaterial. Damit wurden die Fassaden der Holzhäuser gesichert. Die neue Bauweise erlaubte es, systematisch Arkaden zu bauen und so das Gewerbe zu fördern.
Zudem erliess der Stadtherr die Abgaben für 15 Jahre, neu konnte man auch eine Steuer auf exportierten Wein erheben.

Auffälligster Vertreter Savoyens in dieser Zeit war Amadeus VIII., genannt «der Friedfertige». 1391 wurde er Graf und 1416 Herzog von Savoyen. Nur zwei Jahre später war er auch Fürst von Piemont. Seine beachtenswerte Karriere als weltlicher Würdenträger legte er allerdings bereits 1434 ab, um sich gemeinsam mit sechs Rittern im Kloster Ripaille südlich des Genfersees der gelehrten Einsamkeit zu widmen.
1439 wählte ihn das Konzil von Basel zum Papst. Das überraschte, denn Amadeus war nicht nur ein kirchlicher Laie; er war auch Witwer und mehrfacher Familienvater. In sein Amt eingeführt wurden er als Felix V. in Basel. Ein wenig konnte sich Murten so rühmen, nun auch Papst zu sein!
Anerkennung fand Felix V. allerdings nur in den Bistümern Basel, Lausanne und Genf, also Teilen des ehemaligen Königreich Burgunds, sowie in den Kirchen von Aragon, Bayern und Ungarn. Nach nur zwei Jahren kehrte der unglückliche Felix nach Savoyen zurück und trat 1449 mit Privilegien ähnlich eines Kardinals vom Amt des Papstes ganz zurück. Sein «Papsttum» galt nun nur noch in seinem Herzogtum Savoyen!
Mit Felix V. begann allerdings eine unrühmliche Geschichte: erstmals kamen Hexentheoretiker zusammen, um sich zu beraten. Hintergrund war die Kirchenspaltung, das sog. abendländische Schisma, das 1378 mit rivalisierenden Päpsten begann und erst 1449 ganz bereinigt werden konnte.

Der Umbruch um Murten nach dem Stadtbrand spiegelte sich nicht nur im Stadtbild. Man merkte ihn auch in Kriegen: Zuerst weigerten sich 1442 die Guggisberger die savoyische Weinsteuer zu bezahlen. Sie belagerten Murten. Bern und Freiburg mussten ordnend eingreifen.
1448 ging es um einen richtige Regionalkrieg. Bern, traditionell mit Freiburg verbunden, wechselte an die Seite Savoyens. Gemeinsam griff man das Freiburg an – und gewann. Hintergrund war hier, dass die Eidgenossenschaft mit der Eroberung des Aargau zur führenden Macht im Mittelland aufgestiegen war. Das hatte Freiburg regelrecht von den habsburgischen Besitzungen abgeschnitten.
Geregelt wurde der Frieden in Murten. Alles, was Rang und Namen hatte, kam: Selbstredend die Savoyer und die Berner, aber auch der Bischof von Basel und der Herzog von Burgund schickten Garantien für den Frieden. Gastiert hatte man im Schwarzen Adler.
Doch der Friede war nicht von Dauer. Denn einer der Beteiligten sollte sich mit seinen tollkühnen Träumen nicht an die Abmachungen halten.
Mit Folgen für halb Europa!

Bild: Rathaus von Murten
Foto: Stadtwanderer