#Beizentour: Wie die frühe städtische Oeffentlichkeit mit dem traditionellen Gastgewerbe entstand

Ich habe meine ersten Probeführungen für die neue Beizentour gemacht. Sie fanden durchwegs Anklang. Sie haben mir auch gezeigt, was ich noch verbessern sollte. Vor allem wurde mir klar, dass ich die Begriffe zum Gastgewerbe für den historischen Ueberblick im Voraus klären muss.


Das Janusgesicht des Wirts. Aquarell von Hieronymus Hess, 1830, Quelle: HLS

Vom Kloster zum Gasthäuser und Schenken
Heute dominieren das Restaurant und das Hotel als Begriffe. Doch sie stammen bei uns beide aus dem 19. Jahrhundert. Davor unterschied man primär zwischen Gasthäusern und Schenken.
Das Historische Lexikon der Schweiz schreibt, erstere hatten ein Beherbungsrecht für Mensch und Pferd, durften Speis und Trank ausgeben, und sie übten öffentliche Funktionen aus, die man dank obrigkeitlicher Konzession betreiben durfte. Zweitere durften kein Nachtlager anbieten, waren bei den Speisen meist auf kalte Platten beschränkt und hatten seltener öffentliche Funktionen.

Beginn der städtischen Oeffentlichkeit
Mit Gasthäusern entsteht in der mittelalterlichen Welt ein Ort der Oeffentlichkeit, der nicht mehr wie in der Antike an einen zentralen Platz mit Tempeln und Markthallen gebunden war. Nun entsteht sie verteilt mit speziellen Gebäuden.
“Ehaften” ist der alte Begriff dafür. Gemeint sind damit obrigkeitlich Oertlichkeiten mit öffentlich relevanten Aufgabe. Dazu gehörten Mühlen, Bäckereien, Metzgereien, Gerbereien und Schmieden. Und eben Gasthäuser.
Ueber die neue, mittelalterliche Oeffentlichkeit bestimmten die kirchlichen oder weltlichen Grundherren resp. die Städte. Ein Eid der konzenssionierten Inhaber band sie an die Obrigkeit.
Gasthäuser garantierten die kontrollierte Unterbringung in Friedenszeiten von Auswärtigen, aber auch von Geiseln, Häftlingen und Verwundenten in Kriegszeiten. Sie waren waren verpflichtet, alle aufzunehmen, die bar bezahlen konnten und nicht rechtens ausgeschlossen waren wie Unehrliche, Geächtete oder Randständige.
In der frühen Neuzeit waren Gaststätten auch bevorzugte Orte für Gerichte. Denn die Beratung über Recht und Unrecht verlagerte sich markanten Orten im Freien in Gasthäuser, die dafür Gerichtsstuben einrichteten.
Das Gesellschaftshaus zu Distelzwang war in der Stadt Bern ein typischer Ort dafür.
Wer eine öffentliche Aufgabe wahrnahm, zahlte eine einmalige Gebühr resp. eine jährliche Abgabe. Konzessionsnehmer waren verpflichtet, ihnen bekannte Rechtsverstösse zu melden.
Ein besonderer Fall ist Bern war der Falken, später das Gesellschaftshaus zu Mittellöwen, das heute vom C&A bevölkert wird. Bern nahm ihn nach der Reformation dem Bischof von Lausanne ab und förderte ihn zum vorherrschenden Gasthaus, wo die hohen Gäste vom Kaiser bis Schriftsteller abstiegen.
Aehnliche Aufwertungen geschahen auch mit der Krone und dem Schlüssel. Damit wollte man dem Wildwuchs an Schenken, die gasthausähnliche Aufgaben übernommen hatten, Einhalt gebieten.

Wirtshäuser und Stuben ohne öffentliche Aufgaben und eingeschränkten Rechten
Die aufgeführten öffentlichen Aufgaben unterschieden Gasthäuser nicht nur von Schenken, sondern auch von Trinkstuben der Zünfte oder Gesellschaften, die im 15. Jahrhundert meist aus Privathäusern heraus entstanden und nur für Mitglieder bestimmte Gruppen wie Kaufleute oder Handwerker und Gesellen zugänglich waren. Sie bilden den zweiten Strang, aus dem heraus traditionelle Gasthäuser entstehen. Die Zünfte und Gesellschaften bildeten eigene Gemeinden, und die Zunftmeiste oder ähnliche Organe mit der niederen Gerichtsbarkeit ausgestattet.
Besonders erwähnen muss in Bern auch die Weinkellereien, die häufig zu einer Schenke gehörten. Gereicht wurden hier einfache Platten und vor allem viel Wein. Denn Bier war in die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend unbekannt. Und Kaffee- oder Teehäuser gab es im alten Bern nicht.
Der Wein kam zuerst aus den Untertanengebiete am Bieler- und Murtensee. Nach der Eroberung der Waadt wurde das Gebiet entlang dem Genfersee zur Quelle der Weinversorgung. Parallel dazu wurden die Weinkellereien zahlreicher, ja zur vorherrschenden Form der einfachen Wirtshäuser.
Einer der wenigen Nachkommen davon ist in Bern der städtisch betriebene “Klötzlikeller”. Denn die meisten Weinkellereien sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingegangen.

Lage und Person als Erfolgsfaktoren
Der ökonomische Erfolg der Gasthäuser hing sowohl von der Person des Wirts als auch vom Standort ab: Geschäftsfördernd waren Lagen an Transitrouten, an Wallfahrts-, Markt- und Messeorten, in städtischen und dörflichen Zentren nahe von Kirche und Markt sowie die Verbindung mit Bädern.
In Bern kennt man eine Häufung entlang der alten “Märitgasse” (heute Gerechtigkeits- und Kramgasse), aber auch der Aarbergergasse. Zudem gab es in der Matte mehrere Gasthäuser, die zum Badbetrieb gehörten.
Der Wirt entsteht als markante Figur zwischen Obrigkeit und Bevölkerung. Beide waren Männer. So wie die Wirte und die Wirtshausbesucher auch,
Geschlafen wurde in Herbergen lange in eigens eingerichteten Sälen. Gegessen in der Gaststube an langen Tischen. Gereicht wurde für alle das gleiche Essen.

Vom Busch zum Schild
Zur Kennzeichnung von Gasthäuser und Schenken schmückte man sie mit Büschen, Kränzen oder Reifen, was sich bei Schenken lange hielt, bei Gasthäusern durch Schilder und Namen abgelöst wurde. Beliebt waren Namen Kirchenpatrone, aber auch Wappen der Landes- oder Stadtherren.
In Bern ist hier insbesondere der Adler bekannt, der nach dem Neubau ein prächtiges Wirtshausschild bekam.
Aber auch die “Wäbere” gehört dazu. Schliesslich fällt eine auch die Gesellschaft zu Mittellöwen ein, die den Falken übernahm mit mit einem Roten Löwen versah, den es heute noch gibt.

Claude Longchamp

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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