Ochsentour, Teil 3: Die neue Bundesverfassung oder die Geburt des Bundesstaats

Die Vorgeschichte des Bürgerkriegs ist nun bekannt, die gewaltsamen Auseinandersetzung Ende 1847 ebenso. Nun beginnt die Aufbauarbeit am neuen Staat.

Zu den unmittelbaren Folgen des Bürgerkriegs gehörte die Machtübernahme der siegreichen Strömungen in den Kantonen des Sonderbunds. Bis auf Schwyz fand das auf Basis eines Diktats der Sieger statt.

Die Verfassungskommission
Die Sieger drängten, die beschlossene, des Krieges wegen aber nicht aktivierte Verfassungskommission einzusetzen. Um schnell handeln zu können, bildete man keinen Verfassungsrat, sondern eine Kommission mit 23 Vertretern. Sie repräsentierten alle Kantone außer Appenzell Innerrhoden und Neuenburg.
Oesterreich reagierte scharf, der Bundesvertrag von 1815 könne nicht abgeändert werden. Dass Sanktionen dann ausblieben, hatte vor allem damit zu tun, dass im Februar 1848 in halb Europa liberale und soziale Revolutionen ausbrachen, welche die Regimes stürzen wollten, die sich auf den Wiener Kongress beriefen. Der Sonderbundskrieg in der Schweiz war dazu ein Vorspiel gewesen.

Geheime Sitzungen noch geheimere Vorberatungen
Mitte Februar nahm die Verfassungskommission ihre Arbeit in Bern auf. Man tagte im Aeusseren Stand, dem ehemaligen Jugendparlament des Ancien Regimes. Doch war der Blick nicht mehr in die Vergangenheit, sondern an der Ausgestaltung der Zukunft ausgerichtet.
Die Sitzungen waren nicht-öffentlich. Ein Verhandlungsprotokoll gab es nicht, Indiskretionen an die Medien schon. Die Radikalen kritisierten die Geheimniskrämerei, denn sich fürchteten, es käme zu weitreichenden Kompromissen an die föderalistisch gesinnten Vertreter der ehemaligen Sonderbundskantone.
Zwar waren alle Abgesandten freisinnig, doch hatten sie unterschiedliche Legitimationen. Da waren Kantone, die schon während der Regeneration für einen Bundesstaat votiert. Doch waren da auch Sonderbundskantone, der Behörden man gerade abgesetzt hatte.
Entsprechend versammelten sich die katholischen Freisinnigen noch etwas geschlossener. Unter Führung des Oltner Vertreters Martin Munzinger, einem liberal gesinnten Kaufmann, bildeten sie einen inneren Kreis, der die Verhandlung jeweils am Vorabend vorwegnahm, um sie am Folgetag auch als Minderheit beeinflussen zu können. Dafür versammelte man sich regelmässig im Zunfthaus zu Schmieden.
Das Ganze sollte stilbildend für die Schweizer Politik bleiben. Denn die informellen Absprachen sind bis heute wichtig. geblieben.

Ausgestaltung von Regierung und Parlament
Zwei institutionell entscheidende Probleme mussten geklärt werden. Da war die Ausgestaltung des Parlaments resp. der Regierung. In beiden Fällen fand man sich in einer ausgleichenden Position.
Bei der Regierung war der Konsens noch größer. Durchgesetzt hatte sich die Variante mit 5 Bundesräten, gewählt vom Parlament. Mit 9:10 scheiterte ein Vorschlag ganz knapp, der vorgesehen hatte, dass je zwei Bundesräte von Repräsentanten- resp. Ständekammer gewählt werden sollten, während man den fünften in einer Volkswahl erkoren hätte.
Weniger einig war man sich bei der Ausgestaltung des Parlaments. Ursprünglich ging man von zwei Kammer mit asymmetrischen Rechten aus. Dominieren sollte die Repräsentantenkammer. Die Ständekammer sollte nur eine Einsprachemöglichkeit bei Fragen haben, die die Kantone direkt betrafen. Durchgesetzt hat sich aber ein symmetrisches Parlament, wobei sowohl die Beratungen wie auch die Abstimmung separat durchzuführen seien. Uebergeordente Aufgaben wie die Wahl des Bundesrats wurden in einer gemeinsame Versammlung entschieden. Dabei wurde die Ständekammer, die aus der 22köpfigen Tagsatzung hervorging, verdoppelt, um den Kantinen ein grösseres Stimmengewicht zu geben.
Die Mitglieder der Ständekammer bestimmten die Kanton nach freiem Ermessen, während es in der Repräsentantenkammer eine Stimme auf 20000 Einwohnern gab. Ein Bevölkerungswachstum sollte ihre Stimmkraft bei gemeinsamen Entscheidungen stärken. Gewählt wurden sie kantonal, wo kleinere Wahlkreise erlaubt waren. Bestimmt wurden die Repräsentanten nach dem damals üblichen Mehrheitswahlrecht.
Nach 31 Sitzungen in 51 Tagen war das Werk vollbracht. Unter Einflussnahme der katholischen Freisinnigen war es zu einem Kompromisswerk gekommen.
Nun sollten die Kantone darüber befinden. Modifiziert wurde nur wenig. Die beiden Parlamentskammern sollte National- resp. Ständerat heissen. Und er Bundesrat sollte 7 statt 5 Mitglieder haben. Drei Kantone, Bern. Zürich und Waadt, sollten einen festen Sitz bekommen. Die anderen Kantone sollten sich in die 4 verbleibenden teilen.

Der Ja des Kantons Bern
Noch mussten die Kantonsparlamente resp. das Männervolk endgültig entscheiden. Den strenggenommen war man immer noch ein Staatenbund, der auf der Basis des Bundesvertrags von 1815 handelte. Mit Spannung wartete man auf die Entscheidung im Kanton Bern. Denn es war damals der grösste und wichtigste Kanton. Bekannt war auch, dass die Protagonisten in der Regierung unterschiedliche Meinungen hatten. Regierungsrat Jakob Stämpfli, ein veritabler Radikaler, ging in die Opposition. Ihm waren die Kompromisse mit den Liberalen und Föderalisten zu weitreichend ausgefallen. Regierungspräsident Ueli Ochsenbein hielt dagegen. Er vertrat den Standpunkt der Verfassungskommission, die er ja präsidiert hatte, loyal. Doch entfernte er sich damit von den Radikalen.
Vor dem bernischen Großen Rat stießen beide Wortführer aufeinander. Die NZZ schrieb, das sei der Schicksalsmoment der Bundesverfassung. Man erinnerte sich an das entscheidende Nein des Kantons Luzern bei der ersten Revision von 1832/33.
Diesmal kam es anders. Bern stimmte zu, und zwar sowohl in der Abstimmung des Grossen Rates wie auch in den Bürgersammlungen in den Gemeinden.
Das neue Verfassungswerk war geboren.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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