Burger, Barock. Bourbonen – 5. Station: Gesellschaft zum Distelzwang oder die Berner Elite

Wir stehen vor dem Gesellschaftshaus zu Distelzwang. Das war und ist ein Netzwerk der Berner Aristokratie, welches Führungsaufgaben wahrnahm.

Hermetisch abgeriegelter Keller
Das Haus ist von aussen gesehen nicht spektakulär. 1701 eröffnet, wurde es noch ganz im frühbarocken Stil gebaut. Die wichtigste Abweichung ist der riesige Aufsatz an der Aussenwand. Er zeigt an, dass hier Männer vereinigt sind, die einen Führungsansprach hatten. “Für Gott und Vaterland” steht eingraviert.
Von innen wäre das Haus schon spezieller. Tief im Keller ist ein grosser Versammlungssaal. Der ist durch dicke Mauern so hermetisch abgeriegelt, dass man nicht einmal handyfonieren kann.
Das passt! Denn auch die Berner Aristokratie riegelte sich im 18. Jahrhundert mehr und mehr ab!

Der Schultheiss
Die Stadt Bern wurde von den Herzögen von Zähringen im Jahre 1191 gegründet. 1293 bekam sie von König Adolf von Nassau eine Art Verfassung. Der war bis 1798 gültig. Diese bestimmte die Führung der Stadt durch einen Schultheissen. Umgeben wurde er vom Kleinen Rat, der wiederum wurde vom Grossen Rat ergänzt. Im Kleinen Rat nahmen die Stadtadeligen Einsitz, im Grossen Rat die Gewerbetreibenden.
Deren Gesellschaften waren die Pfister (Bäckern), Gerber, Metzger und Schmiede. Sie war für die Verwaltung der vier Stadtquartiere zuständig. Geführt wurden sie von einem Quartiermeister, Venner genannt. Zusammen sassen diese im Kleinen Rat.

Zunftverfassung mit der Reformation
Die Reformation erhielt Bern eine Art Zunftverfassung. Die gewerblichen Gesellschaften übernahmen von der Kirche die Fürsorge, bekamen dafür das Recht in jedem Quartier 50 Mitglieder des Grossen Rates selber vorzuschlagen. Zusammen bildeten diese den Rat der 200.
Auch die Schultheissen stammten jetzt in aller Regel aus den gewerblichen Gesellschaften. Am häufigsten kamen sie von den Bäckern und Gerber. Seit 1582 hatte man sogar zwei Schultheissen, die sich jährlich abwechselten. Alleinherrschaften sollten so im Namen einer republikanischen Gesinnung vermieden werden.
Sich wechselseitig ergänzende Räte
Doch Mit dem 30jährigen Krieg änderte dies wieder. Auf die jährliche Wahl der Behörden an Ostern wurde zunehmend verzichtet.
Der Grosse Rat konnte neu maximal 299 Mitglieder haben. Wenn 100 verstorben waren, fanden Wahlen statt. Dabei hatten die Venner das Vorschlagsrecht für neue Mitglieder des Grossen Rates. Der Grosse Rat wählte dann den Kleinen Rat. So komplementierte man sich wechselseitig.
Die Schultheissen waren im 18. Jahrhundert wieder vermehrt Adelige, nun Patrizier genannt. Ausdruck davon ist das Haus hier: 1701 bewusst ganz Nahe am Ort gebaut, wo die vier Quartiere zusammen kamen und der Richtplatz über Leben und Tod war.

Patriziat als Oligarchie
Insgesamt ging die Zahl der regimentsfähigen Familien durch Aussterben, Wegzug oder Verarmung zurück. 1650 waren es noch 500 gewesen, 100 Jahre später die Hälfte. Effektiv ein Amt inne hatten nach dem 30jährigen Krieg 150, ein Jahrhundert später die Hälfte. Zum Patriziat zählten nun noch effektiv regierenden Familien.
Das 18. Jahrhundert brachte auch eine innere Hierarchisierung der Burger. Sie unterschieden sich ab 1731 nicht mehr nur von den Hintersassen. Es gab auch innere Abstufungen: zuoberst die Wohledelfesten, dann die Edelfesten und die Festen. Ihnen nachgelagert waren die “Lieben und Getreuen”.
Das regelte den Zugang zu den höchsten Aemter in Stadt und Republik Bern. Wohledelfeste war vor der Reformation ansässige Adelsfamilien wie die von Erlach oder von Wattenwyl. Edelfeste waren aufgestiegene Burger wie die May, die wir noch kennen lernen werden, Feste meist vormalige Landvögte wie die Willadings.

Zu späte Reformen
Gegen die Ausgrenzungen rebellierte man vor allem im 18. Jahrhundert. Um die Beeinflussung von Wahlen zu unterbinden, integrierte man 1710 und 1721 Lossysteme ins Wahlverfahren. Damit wollte man der grassierenden Korruption Herr werden.
Bis 1749 sind mehrere Aufstände belegt, die weiterreichende Reformen verlangte. Die letzte davon wurde brutal unterdrückt. Wir werden noch davon hören.
Die grosse Krise kam gegen Ende des 18. Jahrhundert. Beinahe wäre das Patriziat ausgestorben. So hatte die Gesellschaft zum Distelzwang gerade noch ein Dutzend Mitglieder.
1783 vollzog das Patriziat der Not gehorchend eine Aenderung.
Nach einer Entscheidung mit 81 zu 80 erlaubte man allen burgerlichen Familien, dem Namen ein “von” voranzustellen.
Doch brauchte es auch in Bern die Ausläufer Französischen Revolution, damit es 1798 zu einer grundlegenden Reform des politischen Systems der Stadt kam.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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