#Beizentour: spätmittelalterliches Stadtleben in Bern

Zu den Besonderheiten der mittelalterlichen Stadt Bern zählte das Fehlen eines eigentlichen Marktplatzes. Die Berner retten sich normalerweise mit dem Hinweis, stets eine breite Hauptgasse gehabt zu haben, die als Ersatz diente. Doch wo war das politische Zentrum?


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Quelle: Berns mutige Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt

Die Quartiere der Gründungsstadt
Die Gründungsstadt war perfekt in die Aareschlaufe eingepasst. 1218 ging sie bis zum heutigen Zytgloggenturm. 1255 reichte sie bis zum Käfigturm, und 1346 war sie mittelalterliche Stadt fertig gebaut. Sie endete beim westlichen Stadttor mit dem hl. Christopherus, im Bereich des heutigen Bahnhofplatzes.
Charakteristisch waren die Gassen in den Ost/West-Richtung, wobei die mittlere, damals durchgehend Märitgasse genannt, die markanteste war. Quer zu ihr war in der Gründungsstadt die Kreuzgasse. Beide zusammen begrenzten die vier ursprünglichen Stadtquartiere.
Die Kreuzung in der Gründungsstadt ist denn auch das eigentliche Zentrum, das die vier Enden verband.

Herrschaftszentrum im Kreuz
Im Kreuz stand seit 1433 der Kreuzgassbrunnen. Der heutige ist der vierte mit diesem Namen. Seit dem dritten Brunnen, also seit 1657, steht er leicht westliche der Kreuzung, davor leicht östlich.
Die Wichtigkeit des Kreuzes zeigt, was um den Kreuzgassbrunnen war. Auf der westlichen Seite stand der steinerne Richterstuhl, auf der östlichen der Schandpfahl, wo Verbrecher dem Spot der Passanten ausgesetzt wurden.
Beides waren höchste herrschaftliche Symbole, denn die Stadt Bern besass seit 1415 das Recht, selber über Leben und Tod zu entscheiden. Vollstreckt wurden die Todesstrafen ausserhalb der Stadt. Verurteilt wurden die Delinquenten in der Stadtmitte.
Das Rathaus, seit 1415 nur ein paar Schritte nebenan, ergänzte die Szenerie. Auch es hatte zu Beginn keinen Platz davor. Das wertete das Kreuz mitten in der heutigen Altstadt nochmals auf.

Kein Marktplatz aber eine Märitgasse
Die Märitgasse war nicht nur herrschaftlicher Sammelpunkt. Es fanden an mehreren Stellen auch spezialisierte Märkt statt. Am östlichen Stadtende der Ankenmarkt (Buttermarkt), gefolgt vom niederen Viehmarkt, dem unteren Kornmarkt, dem oberen Viehmarkt und dem Gemüsemarkt.
Die Märitgasse fasst das problemlos, denn sie war für eine mittelalterliche Stadt unüblich breit. Ursprünglich wurde sie auf 60 Fuss oder 26 Meter angelegt. Selbst nach dem Bau der Lauben im 15. Jahrhundert mass sie noch 20 Meter. 2 davon gingen an den Stadtbach. Damit blieben je 9 Meter links und rechts davon.
Mitten auf der Märitgasse standen über dem Stadtbach auch die Schal, an denen Brot und Fleisch verkauft wurde. Sie waren ummauert und ohne Dach. Im Innern waren Bänke, auf denen die Waren feilgeboten wurden. Weiter östlich gab es zudem noch die Gerberhäuser. Da wurde mit auf der Strasse Leder hergestellt.

Gentrifizierung des Stadtzentrums
Alle Handwerker schlossen sich seit dem späten 14. Jahrhundert entlang ihrer Tätigkeit zu Gesellschaften zusammen. Zuerst traf man sich in der Stube des wichtigsten Berufsmannes.
Im 15. Jahrhundert beteiligten verschiedene Gesellschaften an der repräsentativen Umgestaltung der Berner Hauptschlagader, indem sie spezielle Gesellschaftshäuser mitten in der Stadt eröffneten. Die Bäcker und Metzger dominierten die untere Stadt, die Gerber und Schmiede die oberen Quartiere. Sie lösten die alten Quartierverwaltungen unter einem Venner ab.
Man kann auch ab 1450 von einer Art frühen Gentrifizierung der Stadt sprechen.
Im Zentrum waren die Gesellschaften der Politik, peripheren die Handwerksorganisationen. Verdrängt wurde so auch der Markt, der sich nach Westen verlagerte, als die Verkaufsstellen für Fleisch und Brot zwischen 1468 und 1488 abgebrochen wurden und die Lederproduktion in die Matte verlagert wurden. Der Name Märitgasse änderte allmählich in Gerechtigkeits- resp. Kramgasse, getrennt durch die Kreuzgasse. Die Marktgasse ist heute ausserhalb der Gründungsstadt.
Speziell waren zwei weitere Gesellschaften: Der Gesellschaft zu Distelzwang, ursprünglich Narren und Distelzwang geheissen, gehörten ab 1420 vor allem der Stadtadel und der Klerus der Reichsstadt an. Und in der Gesellschaft zu Mittellöwen waren die Fernkaufleute organisiert, die im 15. Jahrhundert bis nach Spanien und Polen aktiv waren.

Auch keine Zünfte, sondern Gesellschaften
In Bern waren Zünfte Verboten, es herrschte die Stadtaristokratie alleine, ähnlich wie etwa in Lübeck oder Venedig. Die Junker, wie sich die besseren Stadtberner im Mittelalter nannten, standen den Handwerker skeptisch gegenüber. Ihre Zusammenkünfte galten als Orte der Unruhe, weshalb man sie streng kontrollierte und vom Regiment ausschloss.
So hatten die Gesellschaften keinen direkten Zugang zum Rat. Dch bildeten sie keine Einheit: Die Vennergesellschaften, der Distelzwang und der Mittellöwen organisierten nicht nur Berufsleute, sie waren auch für Menschen offen, die eine Behördenlaufbahn anstrebten. Denn der Posten des Venners, dem Quartiermeister in militärischen und polizeilichen Fragen, versprach auch einem Metzger, Bäcker, Schmied oder Geber eine politische Karriere. Schuhmacher, Weber und Schiffleute hatten dagegen kam Chancen.

Gesellschaftshäuser als Geburtsstätten der Weinschenken
Welche Rolle die Weinschenken spielten, die zuerst in den Gesellschaftsstuben entstanden, erzähle ich im nächsten Post. Vorerst nur so viel: Der Wein floss reichlich!

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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