fünf neue eidgenossInnen

es war ja so was von kalt an der gestrigen museumsnacht, dass man im freien kaum lange rumstehen wollte. umso mehr freute es einen, im alter 3er-tram durch die stadt fahren zu können, waren doch die holzbänke im wageninnern geheizt, und strahlte die bahn aus frühen jahren mehr charme aus, als alle heutigen trams zusammen.

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der kleine bund bringt heute die fünf prämierten kurzbiografien zu den neuen eidgenossInnen, die nie gelebt haben, aber so gut beschrieben werden, dass die beste davon ins historische lexikon der schweiz aufnahme finden wird.

witzig war gestern abend vor allem die preisverleihung für den besten “nihilartikel” im historischen lexikon der schweiz. 76 “nihilistInnen” reichten eine kurzbiografie zu einer nicht existierenden personen ein, die früher in der schweiz gelebt haben sollte. 5 davon wurden prämiert. der chefradaktor, marco jorio, machte damit aus der not eine tugend: denn er weiss, dass bei einem 13bändigen werk ein jux-artikel fast nicht zu verhindern ist. also rief er wohl als erster herausgeber der welt die öffentlichkeit auf, solche hochoffiziell einzureichen, wobei der von einer jury bestimmte, beste artikel, effektiv ins kollektive gedächtnis der schweiz aufgenommen wird.

die ehre, die beste biografie einer nichtexistierenden schweizerin erfunden zu haben, kommt nun tina maurer zu, die das leben der marie-thérèse zündapp erfand, einer gelernten hebamme aus dem aargauischen villmergen, die in liestal als fachlehrerin wirkte, bis sie, in den wilden 68er jahren, wegen umstürzlerische umtriebe, aus dem schuldienst entlassen wurde. die werdende feministin engagiert sich danach jedoch nicht in der aufweichung harter strukturen der patriachalen gesellschaft. vielmehr wird die leidenschaftliche töfffahrerin präsidentin des bundes gegen helmtragpflicht und engagiert sie sich in militanten aktionen gegen den kreiselverkehr. beim versuch, mit ihrem töff auf die a2 zu gelangen verunfallt sie 1997 in emmen jedoch tödlich. schon zu lebzeiten galt sie als ikone der motorisierten frauenfortbewegung. wey, eine sonst unbekannte autorin, hat 1992 ihr leben im werk “die frau ohne helm” gewürdigt.

davon stimmt zwar kein wort, doch bettet sich die biografie einfühlsame in die jüngste zeitgeschichte, sodass sie mit dem ersten preis, die gesamte ausgabe des historischen lexikons der schweiz, ausgezeichnet wurde. interessant war, dass auch die anderen vier auszeichnungen alle an autorInnen gingen, die bewegte biografien erfanden, so zu johann franz tscheulin, den vergessenen prionier der schweizer wanderwege, zu zigmund zyzowski, den auswanderer nach griechenland, der erfolglos die rotation des alfabeths propagiert hatte, zu hanns zark, den einwanderer aus österreich, der sich literarisch der bienenzucht annahm, und schliesslich zu alexia stoffel, der weinbäuerin aus visperterminen, die in die sozialistische sowjetrepublik kirgisien auswanderte, um dort den weinbau in rekordverdächtigen höhenlagen zu propagieren.

am ende der lesung war einem ganz warm ums herz, fünf neue eidgenossInnen in die gemeinschaft der verstorbenen aufgenommen zu haben, ohne dass sie je gelebt hatten. so warm sogar, dass man sich ganz gerne wieder in die kälte der nacht vom winter in den frühling stürzte, um weiter in echten, erfunden, wiederentdeckten, übetriebenen, inszenierten und persönlichen erinnerungen in und rund um bern zu schwelgen.

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