volksrechte nicht plebiszit

beim stadtwandern trifft man leute, zufällig oder willentlich. gestern waren es zwei vertreter des französischen staates. natürlich, sofort diskussionen über frankreich heute, aber auch über die vorteile der referendumsdemokratie bei der konfliktregelung.

die wenigstens wissen, dass die plebiszite in frankreich und die volksrechte in der schweiz gemeinsame wurzeln haben, wenn auch unterschiedliche entwicklungen genommen haben. ausgangspunkte sind rousseau, die erklärung der menschenrechte, und natürlich die jakobinerverfassung von 1793, selbst durch ein verfassungsreferendum angenommen. sie enthielt wesentliche kennzeichen der direkten demokratie heute, so die verfassungsinitiative, das verfassungsreferendum, selbst das gesetzesreferendum. die hürden der anwendung waren aber unrealistisch hoch, sodass das mehr theorie war, denn praxis wurde.

die reale entwicklung ging ab 1795 auch nicht mehr von den jakobinern aus, sondern war durch den aufstieg napoléons zum kaiser der franzosen gekennzeichnet. zwischen 1800 und 1804 liess er seinen aufstieg mehrfach durch volksabstimmungen, die er ansetze, absichern. das bildete in frankreich die tradition: zwischen 1851 und 1870 unter louis napoléon, dem neffen, des kaisers, 1962 durch charles de gaulle für die direktwahl des präsidenten, 1972 für die erweiterung der ewg durch georges pompidou. selbst mitterand setzte auf diese taktik, 1992 bei der masstricht abstimmung.

man könnte es so sagen, in frankreich haben die volksabstimmung schnell eingesetzt, aber als herrschaftsinstrument von oben, und sind stellvertreterwahlen geblieben. in der schweiz dauerte es ja eine weile, zwei generationen etwa, bis man volksabstimmungen einführte, dafür aber als steuerungsinstrumente von unten.

die plebiszite sind aus heutiger sicht selbst für die herrschenden gefährlich, wegen ihrer direkten verbindung von sach- und personenfragen. gehts gut, stärkt das plebiszitär die person, die die abstimmung verlangt hat, gehts schlecht, wirkt es sich umgekehrt aus. genau das ist aber in frankreich der fall.

wie wenig die franzosen zwischen beidem unterscheiden, wurde mir gestern auch in der stadt klar: die unterscheidung zwischen wahlen und abstimmungen, elections et votations fiel ihnen schwer. vielmehr sprachen sie dauern von elections, für die wahlen aber von elections générale!

da ziehe ich die klare unterscheidung zwischen einer eindeutigen personen- oder parteienwahl, und einer eindeutigen sachabstimmung vor. und, dass die sachentscheidung sachentscheidungen bleiben, sprich, dass die verbleib in der regierung nicht von volksabstimmungsergebnissen abhängt. deshalb sind abstimmungen, wie in der schweiz, sinnvollerweise volksrechte, nicht plebiszite. in bern geht dieses verständnis auf die radikalen zurück, wie jakob stämpfli, und natürlich auf die nassauer staatsrechtler snell, die in zürich und bern wirkten. ludwig snell, in burgdorf lebens, hat das staatspolitische denken hierzulande wesentlich geprägt, zum vorteil würde ich sagen.

demokratieverständnisse lassen sich also doch beim stadtwandern erschliessen. werde weiterhin genau hinhören.

stadtwanderer (mit offenem ohr)