bern ist vielfältiger als in unserer vorstellung

“Bern ist viel grösser als in den Köpfen”, schreibt benedikt loderer, der “andere stadtwanderer” aus bern, im nachwort zum buch “Bern baut“, das werner huber editiert und dominic uldry bebildert haben. gemeint ist damit, dass bern längst mehr als die altstadt ist, und ihr architektonischer stil gerade in den letzten 20 jahren kreativ weiterentwickelt worden ist.

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berner architekten seien selten über bern hinaus gekommen, sagt man. in bern seien sie durch ein reges politisches klima stets gefördert worden, und in zürich haben sich die entwicklungschancen durch die eth und fachpublikationen vergrössert.

die ausnahme sei die halensiedlung in herenschwanden, die 1960 vom atelier 5 gebaut wurde und national einen neuen stil mit verdichtetem bauen im grünen eingeleitet hatte. doch das ist nur die bekannteste der zahlreichen ausnahmen, schreibt werner huber. denn auf der suche nach weiteren sind die architekturkritiker vom “hochparterre” in bern auf 84 beispiele guter und interessanter architektur gestossen.

berichtet wird in ihrem nachschlagewerk nach quartieren vor allem über innovationen im jüngeren wohnungsbau, aber auch von prägenden bauten aus dem letzten hundert jahren. das ganze ist in einer allgemeinen sprache gehalten und so reich bebildert, dass man es fast schon als populäres wanderbuch durch bern betrachten kann.

in der tat: der baldachin, die welle, der bundesplatz, der bärenpark, das zentrum paul klee, das westside haben in den letzten jahren einen markanten und vielfältigen gegenpunkt zum magnet altstadt gesetzt, der durch seine einheitlichkeit bernisches bauverständnis prägte. doch nicht nur das: neue siedlungen sind im gefolge des tscharnergutes aus dem jahre 1959 beispielsweise in brünnen, schönberg ost und weissenstein entstanden. und ein areal wie das der ehemaligen wander-fabrik ist architektonisch massiv verändert worden. ohne dass man das bisher genügend gewürdigt hätte!

bern ist nicht nur grösser als in unseren köpfen, es ist auch vielfältiger als in unserer vorstellung, füge ich dem bonmont des stadtwanderer-kollegen loderer bei und empfehle das blättern im buch mit 216 seiten und 130 abbildung zum anhaltenden und kurzweiligen vergnügen für leute, die gerne immer wieder auf neues stossen!

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das geöffnete fenster der möglichkeiten

ich war heute in brünnen an einer tagung der berner agglomerationskonferenz. versammelt waren rund 50 interessierte aus der region bern, die sich aus erster hand über das projekt “hauptstadtregion schweiz” informieren liessen. mich haben die diskussionen inspiriert, eine neuartige wanderung für 2010 zu lancieren.

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die urbanen kräfte rund um bern herum bündeln und zum politikzentrum für die schweiz zu werden, empfahl geograf paul messerli der agglomerationskonferenz (Bildquelle)

im mai stimmten die rund 100 gemeinden der region bern der agglomerationskonferenz zu. gestern nahm sie ihre aufgabe auf.
im juli gaben stadt und kanton bern bekannt, gemeinsam aktiv zu werden, um die hauptstadtregion schweiz zu fördern, die auf die ebene der metropolregionen zürich, arc lémanique und basel gehoben werden solle.
und ende august wurde der verein “bern neu gründen” aus der taufe gehoben, der zusammenschlüsse in kern der agglo bern fördern will.

genau das nannte paul messerli, pensionierter professor für wirtschaftsgeografie, eines der seltenen festern der möglichkeiten. gemeint ist damit, dass sich miteinander verschiedene entwicklungen ergeben, die sich gegenseitig befruchten könnten. nach ansicht des geografen gibt es nämlich mindestens drei herausforderungen im raum bern:

erstens, der agglomerationskern bern muss mehr gewicht bekommen. er wächst zwar wieder, aber es muss sich auch durch organisatorischen neugestaltungen klarer in die erster liga der kernstädte in den schweizer agglomerationen spielen.
zweitens, in der agglomeration bern muss das bewusstsein der behörden gestärkt werden, eine gemeinsame region zu bilden. eine basis für vermehrte kooperation hat sarz, die reorganisation des kantons, eine voraussetzung geschaffen.
und drittens, stadt und kanton müssen kooperativer werden, einen überkantonale städtekranz bilden zu können, der die grossen agglomarationen bern, thun, solothurn, biel/bienne, neuenburg und fribourg umfassen soll.

unbestreitbar war für paul messerli heute, dass sich die hauptstadtregion als politikzentrum profilieren sollte. regierung, parlament, verwaltung auf drei ebenen, universitäten, forschung&beratung, medien und kommunikation müssten darauf ausgerichtet und speziell gefördert werden, um zu einen neuartigen cluster heranzuwachsen, das die aufgaben für sich besser und dienstleistungen für andere vermehrt anbieten könnte.

in der diskussion stiessen die die ausführungen zur koordination der möglichkeiten im fester, das sich mitte 2009 plötzlich aufgetan hat, auf grosses interesse. zwar gibt es da und dort skeptiker, doch standen ihnen auch absichten gegenüber, in den zentralen herausforderungen wie dem bahnhof bern, den zubringerstrassen in die agglomeration, der förderungen von höheren schulen resp. der spitallandschaft in der hauptstadtregion gegenüber.

mich hat das zur spontanen idee verleitet, in diesem fester der neuen möglichkeiten auch eine neuartige stadtwanderungen anzubieten. für alle, die an der neuen identität der hauptstadtregion mitarbeiten wollen, , will ich 2010 einen neuartigen rundgang anbieten, ganz nach dem motto: wer wandert, begibt sich unterwegs, ohne schon genau zu wissen, wo er enden wird!

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die marke bin ich

ich war gestern erstmals am berner marketingtag. das thema lautete: “die marke bin ich!” das war nicht nur ein anleitung für verkäuferinnen von rezepten, es war auch ein lehrgang für kommunikatoren, wie blogschreiberInnen!

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adolf ogi, der stadtwanderer mit felix spahr, und hanspeter danuser an der tagung “die marke bin ich”.

welche grippe auch immer es gewesen sein mag, am morgen des grossen tages des berner marketings fielen gleich zwei referentInnen aus. beim gegebenen tagungsthema war das doppelt problematisch, denn man verhandelte über “die marke bin ich”. und genau dieses “ich” kann man kaum ersetzen, wenn authentisch über diese form des marketings geredet werden solll.

am interessantesten tat das gestern der frühere kurdirektor von san moritz, hanspeter danuser. er hat den skiort im engadin zu dem gemacht, was es in unseren köpfen ist. ein ort mit sonne, wo man immer braun wird. ein ort der high society, wo man englisch spricht. und ein ort, der selbstbewusst seinen namen als marke erkannt und ihn vor allen anderen auf der schützen liess.

menschen, die so etwas leisten wollen, müssen integer sein. ohne kompetenz geht nichts. und ohne einfühlungsvermögen für andere auch nicht mehr. wichtiger noch ist ihre energie, mit der sie andere anstecken wollen. und der mut, etwas zu tun, was noch niemand gemacht hat! charisma nannte danuser das – und fügte, vielleicht ehrlich, aber ungeschickt – killerinstinkt bei. er habe im richtigen moment am richtigen ort das richtige gemacht, während die hoteliers pathologische demokraten sein, die es nie zu dem gebracht hätte, was sie heute seien. solch überhebliche selbstdarstellungen sind wohl der grund, warum wir ich-verkäufern gegenüber ambivalent reagieren. denn ihr ego fasziniert und kann den auftrag überschatten.

an diesem tag war viel von selbstdarstellern für eine sache die rede: von barack obama natürlich, von madonna auch, und von selbst von roger federer. nicht gefehlt haben auch mohammed, jesus und buddha, die stifter von gemeinschaften, für die sie über jahrtausende unverwechselbare markenzeichen geblieben sind.

das beste lebende beispiel hierfür auf der bühne des kursaals war adolf ogi, der nur wenige worte brauchte, um sich in erinnerung zu rufen. in unserem geistige auge sahen wir den meiringer verkäufer nochmals erfolgreichster skidirektor werden, für die svp in den bundesrat einziehen, und als schweizer zum geachtete uno-botschafter für sport aufzusteigen. seine art, etwas zu sagen, war so prägnant und inszeniert zu gleich, dass wir heute noch wissen, zu viel strom zu verbrauchen, wenn wir eier kochen. unvergessen ist auch der tannenbaum während der neujahransprache von ogi, der sie speziell machte, obwohl immer das gleiche gesagt wird. und eingraviert in unser kollektivgedächtnis hat sich die begegnung des bundesrates mit raumfahrer nicollier, als der oberländer druckreif aus dem globi-buch zitierte: “freude herrscht!”. das alles gehört zur eigeninszenierung, die aber nicht nur für sich selber erfolgt, sondern für eine sache. bei ogi unzweifelhaft für die neat, die er gegen alle widerstände durchgebracht hat.

genau das ist es, was den botschafter als marke ausmacht, habe ich gestern gelernt: die gemeinschaftsbildung durch selbstdarstellung, die sich kräftiger symbole bedient, um die aufmerksamkeit des publikums zu gewinnen, um etwas zu verkaufen. sei es eine religion, ein produkt, eine dienstleistung – oder einen blogbeitrag.

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die rückkehr von mutzopolis

dieser tage war ich viel unterwegs, unter anderem beim neuen berner bärenpark. natürlich, das finanzielle desaster bei der stadtbauten bern lastet schwer über dem neuen bärenpark. der aber gefällt. vor einigen tagen sah man erstmals bären, wirkliche bären, wie sie den hang hoch kraxelten, von ganz oben ausschau hielten, mit dem gewicht ihre körpers über gefällte stämme rutschten, ja, und wie sie sich, noch etwas scheu zwar, mit den (gestauten) aarewasser anfreundeten. das gefiel nicht nur, das machte freude! den zahlreichen touristInnen, die schon auf der nydeggbrücke stehen blieben, um zu schauen und fotos zu machen, den schulklassen, die schon zuhauf angereist kamen, aber auch den ersten bärenparkbesucherInnen, welche die bären nun von halbnah in der halbfreiheit sehen können. ganz so, dass man nur eines sagen konnte: mutzopolis ist zurück!

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gefreut hat mich auch die rückkehr des bären von carlo e. lischetti. der tanzende bär, der vormals auf dem bahnhofplatz direkt vor der heiliggeistkirche über den leitungen der städtischen busbetriebe stand, mit dem bau des baldachins aber aus der öffentlichkeit verschwand, ist nun (gleich wie kopflos) zu den wirklichen bären, den bernerInnen und ihren besucherInnen zurück gekehrt. hoch über dem alten bärengraben tanzt er nun, gekonnt wie eh und je, und lädt zum besuch der neuen parkanlage ein. ermöglicht wurde die montage durch eine neue stiftung bärenpark bern, eine neue trägerschaft, die sich nachhaltig für den erfolg des bärenparks einsetzt. initiiert wurde die stiftung von der berner burgergemeinde, erster präsident ist stadtpräsident alex tschäppät.

doch auch das gehört zu den eröffnungsfeierlichkeiten: die stiftung musste eilends festhalten, sich weder am bau noch am unterhalt des bärenparkes beteiligen zu wollen. doch auch das wird mutzopolis noch eine weile beschäftigen.

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besuch auf der glungge – dem unsterblichen hof der schweizer filmgeschichte

eigentlich wollten wir nur einen gemütlichen ausflug ins emmental machen. heimiswil war unser ziel. ein zeitungsartikel zum 80. geburtstag von liselotte pulver hatte uns inspiriert. denn so, wie sie vor gut 50 jahren das “vreneli” in den filmen über “ueli den knecht” spielte, bleibt sie unvergesslich.

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doch kam es, wie wenn man einen schalter kippt und es unvermittelt hell wird. denn wenn ich nur schon das wort “ueli” höre, kommen mir hannes schmidhauser und liselotte pulver unweigerlich in den sinn. die filmbilder sind wie eingraviert in meiner erinnerung. zum beispiel wie das traumpaar der schweizer kinowelt auf dem hof, auf dem ueli pächter ist, zu einander finden; wie vreneli, das nicht wusste, wer ihr vater war, eines sonntags erfährt, dass sie vom hagelhans abstammt, der auf einer gant den hof gekauft hat und das paar pächtersleuten macht; wie der alte joggeli, dem das anwesen einst gehörte, durch dümmliches intrigieren mit den grössen des dorfes seinen musterhof ins elend stürzte; und wie seine frau, die wie damals üblich, keinen namen hatte, zu vreneli hält und deren zuneigung zu ueli unterstützt, bevor sie bei einer tasse kaffee über das leben philosophiert und kurz darauf verstirbt.

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in heimiswil kehrten wir auf unserem ausflug im “löwen” ein. im stattlichen gabs auf unserem ausflug eine kleine stärkung – pastetli mit plizfüllung und pommes waren bei mir angesagt. wunderbar herbstlich war es, aber sicher nicht so oppulent, wie damals, im jahr 2000, als die sieben bundesräte mit ihren entouragen den löwen während ihres bundesratsreislis durch die heimat von adolph ogi, ihrem damaligen präsidenten auf zeit, füllten. doch dafür hatten wir in den sieben sälen des hauses mehr auslauf und stiessen auf ein buch von walter senn und mario cortesi, das ganz einfach “ueli” hiess und uns auf unserer prisch nach den alten drehorten gerade recht kam.

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jeremias gotthelfs erzählungen sind ein zeitdokument aus der mitte des 19. jahrhunderts. aus der gutväterlichen optik schildert der pfarrer aus lützelflüh, wie die traditionelle bernerwelt aus dem ancien régime sich öffnet, die bürgerlichen schichten in basel mit ihren brieftaschen voll von scheinbar vielversprechenden handelsbeziehungen angeben, um die töchter der bauersleute aus dem emmental zu verführen, die rechnung aber ohne die eifersüchtigen söhne machen. denn die wollen keine änderung – nur warten wollen sie, bis sie ihre väter beerben können, um von der arbeitskraft ihrer knechte zu leben. dabei lobt und tadelt gotthelf in seinen büchern eifrig, um die werte des protestantismus zu inszenieren. er lässt es regnen und hageln, wenn die menschen nicht gehorsam gegenüber gott und arbeitsam gegenüber sich sind, und freut sich liebvoll, wenn zwei menschen zueinander finden und bald schon der nachwuchs ins haus steht.

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im buch, das wir auf in heimiswil aufstöbern, gibt es eine beschreibung des legendären hofes der filme von franz schnyder, der “glungge”, auf der die eindrüpcklichsten szenen von “ueli dem pächter” gefilmt wurden. in brechershüseren stehe sie, die glungge. in der fünften generation werde sie, lesen wir, durch die reinhards bewirtschaftet, die familie, die den hof, auf dem sie selber arbeiteten auf einer steigerung in wynigen erwerben konnten, genauso wie im film. auch die probleme sind auf dem unsterblichen bauernhof ähnlich geblieben: das dach bereite sorge. der amtsschimmel wiehere unentwegt, und nur die spärlichen bioprodukte würden noch geld abwerfen, lesen wir, bevor wir nach brechershüseren gehen.

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es war mir, wie wenn ich einer alten bekannten begegnet wäre, als wir vor der “glungge” standen. das hohe dach, die engen fenster, die auffahrt zum tenn, der brunnen vor dem hof, alles war mir so vertraut, obwohl ich noch nie da war. ich musste rasch ein paar fotos machen, fast so, als würde ich von den ueli-filmen screenshots ziehen. die älteren wandersleute, die an uns vorbei gingen, merkten, was in welchem film wir waren. vreneli sei auf einen schwatz unten an der strasse, riefen sie uns zu. ganz so, als würde liselotte pulver gerade unter uns weilen.

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natürlich war dem nicht so, denn die berühmte schauspielerin lebt heute in burgdorf, führt ein bürgerliches leben und verbreitet ideen, die nicht immer die meinigen sind. und doch prägte sie wie keine andere mein frauenbild aus der zeit in der ich geboren wurde. filme, folgere ich, sind nicht nur eine kräftige quelle der vergangenheit, sie sind auch eine starkes medium, das unsere vorstellungen der welt prägt und erhält. das nehme ich von diesem ausflug mit, als wir die “glungge”, diesen unsterlichen hof der schweizer filmgeschichte, verlassen. als ich im buch von regisseur franz schnyder blättere, sehe ich, wie symbolisch der ort schon zu drehzeiten war. denn charlie chaplin, die filmlegende par excellence, besuchte das einzige mal während seines schweizer exils die produktion eines schweizer filmes auf der “glungge”.

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ausgerechnet: bern hat einen bären aufgebunden bekommen!

jemandem einen bären aufbinden, ist gar nicht so einfach. denn ein bär wiegt schwer. jetzt ist es ausgerechnet der bauherrin des neuen bärenpark gelungen, der stadt bern sogar einen dicken bären aufzubinden. der könnte sogar sehr schwer wiegen! eine politische wie auch semantische analyse des falls!

baeren_aufbindenquelle: rowillus blog

vorgesehen war, am 25. oktober den neuen bärenpark am aare-hang beim alten tramdepot feierlich zu eröffnen. doch jetzt könnte es ein fest bei trübem aarewasser und hartem brot werden. denn beim bärenpark zeichnet sich eine deftige kostenüberschreitung ab. 9,7 millionen franken hätte der bau kosten sollen, als man 2007 darüber abstimmte. barbara hayoz, die zuständige gemeinderätin, hat diese summe bei unternehmen und privaten in der stadt gesammelt, und ein bärenstarkes versprechen abgegeben: die stadt werde ein geschenk bekommen, versprach sie und nutzte die gunst der stunde, um als stadtpräsidentin zu kandidieren.

sie schaffte es dann nicht, denn bald schon wurde klar, dass der bau 14,5 million franken veschlingen werden. und seit heute ahnt man, dass daraus gar 23,6 million werden könnte. dass die sponsoren das nötige klein nachschiessen würden, hörte man heute nicht. und so zeichnet sich ab, dass die berner und bernerinnen für das geschenk wohl 15 million nachzahlen müssen.

“skandal!”, hat rotgrün am nachmittag verkündet. selbst die fdp hat das vertrauen in die bauherrschaft verloren. die schuldigen hat man schon gefunden. bei der stadtbauten bern ag, welche der hang gehört und die den bau realisiert. ihr ceo gab zwar heute schon mal fehler zu; zurücktreten will er nicht. vielmehr hat er bei der stadt eine administrativuntersuchung in eigener sache eingeleitet. denn die stadtbauten bern ag ist zwar eine selbständig handelnde firma mit verwaltungsrat und geschäftsleitung, doch ihr ganzen kapital hat sie von der stadt, deren zahlreiche liegenschaften sie verwaltet und unterhält.

wie nur also liess sich bern – ausgerechnet bern! – beim bärenpark – ausgerechnet beim bärenpark – eine solchen bären aufbinden? genaues weiss man noch nicht. doch eine spur, die sagt, was dabei geschieht, legen die sprachforscher: “einen bären anbinden” sagen jäger, wenn sie die zeche nicht bezahlen wollen, also schulden machen. und jemandem etwas aufbinden, heisst ja überall nichts anderes als “anlügen”. demnach meint der spruch, “jemandem einen bären aufbinden”, haarscharf: jemanden anlügen, wenn man das geld nicht zahlen will, das man schon verprasst hat …

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eine wenig mattenenglisch

heute spricht man viele sprachen in der berner matte. thailändisch, zum beispiel, auch serbokroatisch. denn nach den veschiedenen überschwemmungen ist das wohnen und arbeiten im quartier unten an der aare schwieriger geworden. so geht das berndeutsche zurück. doch wer weiss: vielleicht vermischt sich das alles einmal zu einer neuen sprache, so wie an diesem ort das schon mehrfach der fall war.

pa101845ligu” kommt aus dem griechischen, “lehm” aus dem hebräischen und “take away” aus dem amerikanischen. anders als die beiden ersten wörter haben sich die beiden letzten im mattenenglischen noch nicht assimiliert. (foto: stadtwanderer)

denn eine berühmt geheimsprache machte das berner quartier unterhalb der altstadt weltbekannt: das mattenenglische. mit der gehobenen sprache, die man oxford oder cambridge lehrt, hat das aber nicht zu tun. man sagt nämlich fälschlicherweise “englisch”, genauer wäre “engisch”. und das ist die sprache, die man nur dann versteht und spricht, wenn man durch die enge der häuser am eingang der matte eintritt, um in eine welt für sich zu gelangen.

heute feiert der mattenänglischclub sein 50jähriges bestehen mit einem strassenfest. das ist ein teil seiner aktivitäten, um den untergang der quartiersprache zu verhindert, wie er immer wieder vorausgesagt wird.
entstand ist das mattenenglisch wohl in hamburg, im 14. jahrhundert, als flössersprache, die man auf den grössen strömen sprach, welche in die norsee münden. das prinzip der sprache ist einfach. es funktioniert genauso, wie wenn kinder etwas untereinander besprechen wollen, welche die eltern nicht verstehen sollen. um die kleinen geheimnisse zu bewahren, führt man in eine bestehende sprache neue wörter, die bekanntes bezeichnen. im mattenenglisch werden die neuen wörter (vereinfacht) wie folgt gebildet:

. die erste silbe bis einschliesslich erstem vokal wird an den schluss des wortes gestellt.
. fängt die erste silbe mit einem Vokal an, wird ein h eingeschoben und erst dann die silbe ans Ende gestellt.
. an den Anfang des neue wortes wird ein i gestellt.
. der letzte vokal des neuen wortes wird durch ein e ersetzt.

aus bärn wir so zuerst rnbä, dann irnbä und schliesslich irnbe.

die referenzsprache ist dabei weder die schriftsprache noch das berndeutsche. vielmehr geht man der sprache aus, die man in der matte spricht. dieses dorf, das anfänglich neben der stadt bestand, hatte seine blütezeit während des baus der plattform vor dem heutigen münster zu beginn des 14. jahrhundert. dieser zog viele handwerker und händler aus nah und fern an, die alle auch ihre sprache mitbrachten, die sich in der folge zu einer eigenen sprache vermischten.

“ligu lehm”, das take away restaurant in der matte mit dem typischsten ausdruck aus der der mattensprache ist aus dem griechischen und hebräischen abgeleitet. oligon wäre in athen ein wenig und mit lechem meint man in jerusalem brot. so ist ligu lehm “ein wenig brot”.

und dieser beitrag ein wenig sprachenkunde. alles klar? dann, euer

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der geschichte wiederkehrender ausweisungen ein ende setzen

bern und die juden ist kein einfaches thema. eine anschrift am bundeshaus ost macht auf die vier vertreibungen im mittelalter aufmerksam, welche erst die franzosen in der neuesten zeit rückgängig machten und so die voraussetzungen für die heutige jüdische gemeinde in bern schafften.

topelement15rote mauer: stadtmauer der savoyer von 1256, blau: jüdischer friedhof im 13. jahrhundert, rote kirche: insel-kapelle der domini-kanerinnen, im 14. jahrhundert erbaut

nach ihrer ausweisung aus jerusalem waren die juden vorwiegend im mittelmeerraum ansässig. von da aus kamen sie mit den savoyer grafen 1254 nach bern. wie sie lebten weiss man nicht, nur dass sie einen friedhof auf dem areal hatten, auf dem heute das bundeshaus ost steht, ist archäologisch nachgewiesen.

im mittelalter vier mal vertrieben

1294 – bern unterstand wieder dem deutschen könig – kam es zur ersten ausweisung der jüdischen bevölkerung aus bern. anlass war der vorwurf eines rituellen knabenmordes. mit der vertreibung verbanden die berner aber auch andere interessen. die kriegskosten, die ihnen der deutsche könig nach der eroberung auferlegt hatte, beglichen die berner mit jüdischem geld. mit deren vertreibung wurden ihre schuldscheine wertlos.

der mechanismus sollte sich im 14. und 15. jahrhundert wiederholen. emil dreifuss, der die geschichte der juden in bern nachgezeichnet hat, nennt drei wellen von wiederkehr und ausweisung der juden: 1349 war die jüdischen glaubensgemeinschaft am ausbrechen der grossen pest schuld, und wurde sie vertrieben. dennoch holte man die juden 1370 in die stadt zurück, nicht zuletzt, weil sie als ärzte wirken sollte. 1405 legte man ihr den verheerenden stadtbrand, der in einer nacht einen drittel der stadt zerstört hatte, nahe, und verjagten die bern die juden erneut. 1427 kommt es zu vorerst definitiven ausweisung der spärlich zurückgekehrten bevölkerung jüdischen glaubens. vorangegangen war der papstbesuch von martin v., der den christen uneingeschränkt erlaubte, zins für geldleihe zu nehmen, womit die notwendigkeit, jüdische geldhändler in der stadt zu haben, deutlich zurückging.

rückkehr in der helvetik, anerkennung erst unter französischem druck
die vierte ausweisung sollte am längsten dauern. das änderten die franzosen 1798, als sie das ancien régime stürzten, die ideen der französischen revolution an die aare brachten, und die religiösen trennmauern einrissen. unter ihrer herrschaft wanderten vor allem elsässische juden in bern ein, ohne jedoch ein bethaus und einen friedhof zugestanden zu erhalten.

1848 gründeten die elsässischen juden in bern die jüdische gemeinde. 8 jahre später weihten sie die synagoge an der heutigen genfergasse ein. 1871 kam ein eigener freidhof hinzu. 1866 wurden die juden in der schweiz auf druck von frankreich per verfassungsänderung schweizer bürgern fast, 8 später ganz gleichgestellt. die heutige synagoge an der kaellenstrasse wurde 1906 eingeweiht.

informationstafel an bedeutsamer stelle
heute würde niemand mehr an die ausweisung der juden aus bern denken. françois loeb, der jüdische warenhändler, hat eines der führenden kaufhäuser in bern eröffnet. doch mit der gemeinsamen geschichte vor ort tut man sich unverändert schwer. einen schritt dagegen unternahmen gestern die stadt bern und die jüdische gemeinde mit einer tafel, welche die leidvolle geschichte der berner juden im mittelalter zusammenfasst.

aufgehängt wurde sie am westflügel des bundeshauses ost. denn da, wo später die dominikanerinnen ihre kapelle für die kranken hatten und heute doris leuthard die rahmenbedingungen für volkswirtschaft der schweiz erlässt, lag der erste jüdische friedhof in bern.

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abgrundtiefes misstrauen über den tod hinaus

meine erste tätigkeit in der stadt besteht häufig aus zeitungslesen in einer der quartierüblichen kaffeecken. doch heute blieb mir dabei das gipfeli fast im hals stecken.

inserattages-anzeiger vom 30. september 2009

herbert karch, der sekretär der kleinbauernvereinigung, der wie ich häufig im cafe glatz am hirschengraben seinen kaffee nimmt, wechselt den tisch und streckt mir eine zeitung hin. “was soll das?”, denk ich mir, denn es ist die seite mit den todesanzeigen.

ja, was soll das! ein jux? ein manifest? oder was auch immer …

fakt ist, dass ein pedro justitz, auslandschweizer, auf bali wohnend, als erstgeborener sohn eine todesanzeige für seinen verstorbenen vater heinz (yehuda) justitz platziert hat. fakt ist auch, dass es ein facharzt mit entsprechendem namen, wohnort und jahrgang gelebt hat, und gemäss schweizerischer ärztezeitung dieses jahr auch verstorben ist.

umso merkwürdiger mutet es an, dass fünf monate nach dem tod der person zur keiner guten erinnerung aufgerufen, sondern zum 100. geburtstag des verblichenen ein frontalangriff auf den bundesrat lanciert wird, dem, als “bundes-bern-lobby” apostrophiert, gravierende führungsschwäche vorgeworfen wird.

und so bleibt mir, als ich das cafe glatz verlassen, um mich den geschäftigen dingen des tages zuzuwenden, nur die frage, was passiert sein muss, dass man ein solch persönlich-politisches pamphlet auf der seite der todesanzeigen veröffentlicht? und auch, ob eine solche geschmacklosigkeit in einer zeitung wie dem tages-anzeiger an besagter stelle überhaupt erscheinen darf?

stadtwanderer

unser schwarzenegger

in schwarzenegg ist es ruhig. die berge rings herum sind sanft. ein echo erwartet man da vergebens. und der zulgbach liegt zu weit unten im tal, sodass man sein plätschern ins aaretal nicht hört. wäre da nicht das postauto, das einmal die stunde auf dem plateau hält, würde man sich ganz im abseits wähnen.

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schwarzenegg heute, mit dem bären, wo vater ochsenbein wirt war, und dem bauernhaus, wo ulrich aufwuchs, bevor er in bern als begründer der modernen schweiz geschichte schreiben sollte (fotos: stadtwanderer)

das leben von ulrich ochsenbein

trotzdem ist man eigentlich mitten in der schweiz. denn das stattlichste bauernhaus am kirchplatz auf dem höchsten hügel von schwarzenegg trägt das schild, das mich ins berner oberland gelockt hat. es markiert das geburtshaus von ulrich ochsenbein, “dem tagsatzungspräsident, dem divisionär im sonderbundskrieg und dem ersten berner bundesrat”.

die liste der titel hätte man fast beliebig verlängern können, denn ochsenbein (1811-1890) war auch berner regierungsrat und vorsitzender verfassungskommssion, welche die erste bundesverfassung ausarbeitete. er wurde auch zum ersten nationalratspräsidenten der schweizerischen eidgenossenschaft gewählt, und er setzte durch, dass bern und nicht zürich bundesstadt wurde. in jedem anderen land ginge das glatt als staatsgründer durch.

der kleine ulrich wuchs die ersten sieben jahre seines lebens in schwarzenegg auf. sein vater war wirt im bären, wo man auch pferde wechselte, wenn man von reformierten thun ins katholische luzern wollte. das ferne ziel der reisen scheint den jungen ochsenbein geprägt zu haben. denn der spätere fürsprecher machte in der regenerationszeit militärische und politische karriere und avancierte zum radikalsten scharfmacher gegen die jesuiten an der reusstadt.

dass der kämpfer ochsenbein höchst persönlich die freischärler nach luzern führte, warf man ihm vor, als er statt henri dufour general im sonderbundeskrieg werden wollte. immerhin, als mitglied der folgenreichen ersten bundesratsequipe übernahm er das militärdepartement, führte 1849 die allgemeine wehrpflicht für junge schweizer ein und gab damit dem militärwesen in der schweiz seinen schliff.

doch im jungen staate schweiz begann, sollte bald ein jähes ende finden. 1854 geriet er in der eigenen partei zwischen die fronten, wurde als nationalrat nicht wiedergewählt, sodass er als erster bundesrat überhaupt bei der wiederfall durchfiel. enttäuscht schloss sich ochsenbein kaiser napoléon III. an. der machte ihn zunächst zum brigadegeneral über die fremdenlegion, und im deutsch-französischen krieg von 1870/71 wurde ochsenbein gar divisionär und platzhalter in bourg-en-bresse und lons-le-saunier. mit dem vermögen, das er so machte, liess er sich in der folge als gutsherr im seeland nieder. erneut versuchte er, in die politik einzusteigen, nun auf seiter der bernischen konservativen, was ihm aber misslang.

die biografie zu ulrich ochsenbein

die erste umfassende biografie über ulrich ochsenbein hat der journalist rolf holenstein vor wenigen tagen vorgelegt. 374 briefe, die im nachlass lagen und von keinem historiker beachtet wurden, dienten ihm als neue bewertungsgrundlage. denn anders als es der volksmund will, zeichnet holenstein weder ein heldenportrait, noch beteiligt er sich am bashing, das über ochsenbein noch zu lebzeiten hereingebrochen war.

denn bei seinem versuch, politisch wieder fuss zu fassen, durchlitt der vormalige volksheld eine eigentliche rufmordkampagne. zu allem übel kam hinzu, dass er seine frau emily mit dem eigenen gewehr erschoss, was ihm den rest an ehre kostete. ochsenbein – diese mischung aus tatkräftigem staatsmann und rücksichtlosem terminator – fiel danach das grosse schwarze loch des historischen vergessens.

wer einen schönen herbsttag geniessen will, dem kann ich nur empfehlen, in thun das postauto in die voralpen zu nehmen, um auf dem kirchplatz unter einem baum aus früheren zeiten angesichts des geburtshauses unseres schwarzeneggers das spannende buch von holenstein zu lesen und sich zu fragen, ob die rehabilitierung des erfinders der modernen schweiz gelingen wird oder nicht.

stadtwanderer

brenodurum – das ur-bern

wer in bern von der alt-stadt spricht, glaubt zu wissen, wovon er oder sie zu reden hat. von der mittelalterlichen stadtanlage in der aareschlaufe, welche auf die herzöge von zähringen zurückgeht. doch das ist bei weitem nicht der ursprung der stadt bern.

250px-brenodor die engehalbinsel nördlich der berner altstadt ist der ort des ur-bern, im volksmund “brenodor” genannt

in berns altstadt haben nur die strassenzüge haben mittelalterlichen ursprung. die meisten häuser entstanden zwischen dem 16. und 18. jahrhundert. ihr heutiges gepräge bekam die altstadt also nicht im mittelalter, sondern in der frühen neuzeit.

doch damit nicht genug. denn die altstadt von bern ist nicht die ur-stadt von bern. die ältesten gebäude der stadt bern befinden sich in der engehalbinsel, wo die antike stadt bern lag.

ihren namen kennt man seit dem 1984. “brenodurum” nannten die römer das erste urbane-bern, das sie im 1. bis 3. jahrhundert bevölkerten. noch älter ist übrigens eine keltische siedlung, die man im bereich der heutigen tiefenau lokalisiert hat. dort gab es ein einfaches oppidum aus holz, einem vorläufertyp der römischen stadt. diese entstand dann mit noch heute sichtbarem bad, theater und tempelresten im engefeld.

ein geschichtsbewusstsein für das antike bern, das mit dem vergleichbar wäre, das die berner von ihrer “mittelalterlichen altstadt” entwickelt haben, gibt es, obwohl die römer in unserer gegend wohl die ersten waren, die geschichten nicht nur erzählen, sondern auch aufschreiben und so zur historie formen konnten.

der mangel an siedlungskontinuität dürfte der hauptgrund hierfür sein, dass sich das heute geschichtsbewusstsein um bern wohl erst im 14. jahrhundert in der zähringerstadt entwickelt hat, deren bewohner glauben, als erste an diesem ort gewesen zu sein. denn nichts ist gesichert, dass es in bern dauerhaft eine städtischen siedlung gab, seit die römer hier waren.

es sei schade, dass man sich dem ursprung von bern als urbanes gebiet so wenig annimmt, beklagt jüngst auch werner stöckli, direktor des instituts für ur- und frühgeschichte an der universität bern bei einer führung auf der engehalbinsel. die renaissance muss hier erst noch stattfinden, füge ich dem bei …

stadtwanderer

das mag couchepin wirklich nicht …

das herrliche herbstwetter verleitet mich, über mittag meiner beliebtes tätigkeit nachzugehen. dem stadtwandern, in der berner altstadt. da wird es unvermittelt hoch politisch.

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in der münstergasse treffe ich auf pascal couchepin. man grüsst sich freundlich. “l’expert”, nennt er mich mit vielsagendem lachen und beginnt gleich mit mir über wahlen und abstimmungen zu sinnieren. “une belle victoire”, fasst der abtretende bundesrat den letzten mittwoch zusammen, als seine nachfolge in der schweizer regierung bestimmt wurde. als sich das gespräch vorsichtig dem nächsten sonntag nähert, werden die worte

… (zensur fdp generalsekretär) …

zum spassen ist dem walliser, als wir schliesslich die deutschen wahlen besprechen. ich zeige ihm “den spiegel”, den ich eben gekauft habe. das titelblatt ist vielschichtig: es kommt so … (merkel) … oder so … (steinmeier) … aber bitte nicht wieder so (steinkel)! “ce n’est pas bon pour le pays”, sagt mir der magistrat gegenüber, und meint die verwechslung von politikerInnen bis zur unkenntlichkeit in der grossen koalition.

und da endet unsere kleine fachsimpelei, denn couchepin muss zum staatsempfang, für dmitri putin …

stadtwanderer

mischu – ein bote ergründet bern

mischu möchte, wie es in seiner familie tradition ist, bote des berner schultheissen werden. seit der schlacht von murten wacht adrian von bubenberg über die geschicke der aufstrebenden stadt. und genau zu ihm muss der jüngling, um einen mysteriösen brief abzugeben. hierfür eilt er so schnell, dass er seiner zeit vorausrennt, bis er in der gegenwart landet. als er innehält, merkt er, dass ihm vieles fremd ist: die metzger ums rathaus herum sieht er nicht mehr, dafür hat es fahrräder an hausmauern, von denen er nicht weiss, was man damit machen kann. und auch der stadtbach, der überall zugedeckt wurde, fehlt ihm so arg.

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vreni, eine alte frau an der brunngasse, der man nachsagt, eine hexe zu sein, weiss in dieser trostlosen situation rat. den brief, den er dem schultheissen bringen solle, möge er ohne furcht öffnen, rät sie mischu. da staunt dieser nur noch. denn er ist vom schultheissen unterschrieben und an mischu gerichtet. dem strebsamen botenkandidaten wird geraten, das tor der zeit zu suchen, um in das bern der bubenbergs zurückzukehren.

matthias zurbrügg spielt in diesem speziellen stadttheater für jugendliche nicht nur den mischu und das vreni. nein, er schlüpft in der folge auch in alle anderen rollen, wie er das schon beim “scharfrichter” und beim “totengräber” gekonnt machte. doch diesmal wendet er sich nicht an beliebige stadtwanderer und stadtwandererinnen, die sich eine oder zwei stunden von ihm durch berns altstadtgassen führen lassen, um sich der katastrophen der berner geschichte zu erinnern. denn die neueste inszenierung von mes:artrichtet sich an schulklassen. “gut ist es, wenn sie schon etwas von der geschichte berns gehört haben”, sagt christine ahlborn, die skriptverfasserin. im einmanntheater, wo sie auch regie führt, sollen sie nun einblicke in den mittelalterlichen alltag bekommen, fügt sie mir vor der aufführung bei, die letzte woche probeweise stattfand und 2010 für klassen in und um die hauptsadt angeboten werden soll.

wer sich entscheidet mitzuwandern, bekommt anschauliches geboten: der narr unter dem erker am haus von bartholomäus may wird zum leben erweckt, um ein hauch der renaissance in die münstergasse zu zaubern. die plattform neben dem münster findet zu ihren ursprünglichen verwendungszweck zurück, um als letzte ruhestätte nach der pest zu dienen. und unten an der junkerngasse wird man in das treiben des marktes verwickelt, der die junge siedlung an der aare erst zu eigentlichen stadt machte. das alles wird durch menschen erzählt gemacht, die ihr leben und sterben vor fünf- und mehrhundertjahren aufleben lassen, und den zuschauerInnen so mit einfachen worten, kleinen gesten und angedeuteten handlungen an authentischen orten einen kurzweiligen eindruck von stadt bern in der geschichte vermitteln.

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fotos: stadtwanderer

der schluss des stadttheaters ist fast schon geschichtsphilosophisch. denn die suche nach dem tor der zeit kommt nie an ihr ziel. geschichte ist immer erzählung, und diese hat immer auch eine vorgeschichte, die ihrerseits erzählt werden kann. und so weiter. doch das stück findet sein ende – und was für eines möchte man beifügen: der wer die geduld aufbringt, sich auf sein historie einzulassen, lernt seine kultur von grund auf kennen. das erfahren die staunenden zuschauer bei der nydeggkirche, dort wo heute die büste von berchtold v. von zähringen steht und wo einst seine mächtige burg über die aare wachte. mischu erzählt hier von der stadtgründung 1191, bevor der bote in spe zum noch viel grösseren erstaunen der anwesenden in den erhaltenen burgbrunnen stürzt, um bern definitiv zu ergründen …

stadtwanderer

werte bernerzeitung …

seit monaten gibt es in ihrem blatt fast nur ein thema, wenn es um bern geht: bashing für den wirtschaftlich rückständigen kanton, bashing für die stadt, die mit anderen metropolen nicht mithalten kann.

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mit kanonen auf spatzen schiessen, für die man selber futter gestreut hatte …

nun ist diese woche via die konkurrenz vom “bund” die absicht ruchbar geworden, am kommenden montag werde der verein “bern neu gründen” aus der taufe gehoben. recht positiv wurde dabei berichtet, ziel werde eine diskussion sein, wie das zentrum des kantons gestärkt werden könnte.

dabei soll es darum gehen, verschiedenen modelle, welche bern stärken könnten, zu diskutieren, auszuarbeiten und gegeneinander abzuwägen, um den politischen prozess voranzubringen.

nun bringt ausgerechnet ihre redaktion in der heutigen online-ausgabe eine breitseite gegen die absicht. 5 gemeidepräsidenten wurden aufgefordert, zur fusion ihrer gemeinde mit dem zentrum stellung zu nehmen. “klares nein der vorortsgemeinden” fassen sie das zusammen, werte bernerzeitung, ohne dass eine öffentlichen diskussion zum vorhanden des vereins resp. zu sinnvollen reaktionen in einer dieser gemeinden auch nur ansatzweise stattgefunden hätte.

das macht mich schon stutzig: soll die blume, die sich so sehnlichst gewünscht hatte, umgemäht werden, bevor sie ihre knospe überhaupt öffnen konnte? mit verlaub: das ist einem gedeihlichen wachstum von pflanzen in einer rauen umwelt nicht eben förderlich.

vergessen sie das nicht, wenn sie sich das nächste mal über mangelnden bürgersinn und ziviligesellschaftliche initiative im raum bern beklagen.

ihr stadtwanderer

gar kein bettmümpfeli …

makaber aber wahr: gehängte warf man in bern mit noch gefesselten händen achtlos in gruben unter den galgen. ihnen wurde verweigert, mit dem kopf im westen und dem blick nach osten zu liegen, wie es für ehrbare menschen nach dem tode sitte war.

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blick auf die neue entdeckten skelette an der berner hinrichtungsstätte untenaus auf dem schönberg

der archäologische dienst des kantons bern stellte heute die grabungsergebnisse in der neu entdeckte hinrichtungsstätte “untenaus” auf dem schönberg vor. dies war einer der drei ort, wo das leben von zum tode verurteilten endete. die richtstätten obenaus war im westen vor der stadt, und auf dem schwellenmätteli nahm man verbrennungen und ertränkungen vor.

die neu ausgegrabenen männer scheinen alle jung, vielleicht noch nicht einmal erwachsen gewesen zu sein. insgesamt hat man knochen von schätzungsweise 20 hingerichteten freigelegt.

vollzogene todesstrafen sind in bern zwischen dem 13. und dem 19. jahrhundert bekannt. seit 1415 hatte der schultheiss das recht, das hohe gericht zu sprechen und todesurteile zu fällen. vorher war das das recht des königs, das auch von eine gesandten vollzogen werden durfte.

ausgesprochen wurden verurteilungen mitten in der stadt, wo sich gerechtigkeits- und kreuzgasse schneiden.

grüüselig, dieser beitrag so spät am abend, sagt sich der

stadtwanderer

mein schlüsselerlebnis

zuerst meinte ich, ich bliebe während den ferien da, weil bloggen keinen ort kennt. jetzt weiss ich, ich bin noch gar nicht zurück, weil ich wirklich weg war.

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der eine wäre richtig gewesen, der andere war vielsagend (foto: stadtwanderer)

der heutige morgen war schrecklich. kein aufstehen in ruhe, kein erster kaffee am verstellten küchentisch, kein see, der einen nochmals träumen liess.

nein, ich stand an meinem ersten arbeitstag nach den ferien mit dem wecker auf, um das postauto in die stadt nicht zu verpassen, überhaupt, um nirgendwo zu spät zu kommen.

und ich kann sagen: es gelang mir! und danach war alles halb so schlimm. wäre mir dabei nicht ein vielsagender lapsus unterlaufen!

als ich unser haus in hinterkappelen verliess, bemerkte ich, dass an meinem schlüsselbund, den ich während den ferien ausgeliehen hatte, mein büroschlüssel fehlte. klar doch, den brauchte niemand und so hatte ich ihn sicherheitshalber abmontiert.

ich eilte zurück ins haus, sah die zeit, griff am schlüsselbrett nach dem vertrauten ding und eilte schnurrstraks aufs poschi.

als ich den schlüssel montieren wollte, wurde mir indessen klar, dass ich den falschen erwischt hatte. doch es kam nicht irgend einer mit, – nein, unsern schlüssel vom haus in schweden nahm ich mit.

ich will jetzt gar keine psychoanalytische auslegeordnung machen, was dieses schlüsselerlebnis alles ausdrückt, sondern hoffe, morgen auf anhieb den richtigen bund zu erwischen!

stadtwanderer

die hauptstadtregion schweiz stellt sich den herausforderungen

nun ist es soweit: der grossraum bern ist heute unter dem namen “hauptstadtregion schweiz” offiziell aus der taufe gehoben worden. sie soll die drei metropolitanräume der schweiz in zürich, basel und im arc lémanique ergänzen.

stadt und kanton bern haben sich gefunden, um sich gemeinsam als hauptstadtregion schweiz zu positionieren, wie regierungsrat christoph neuhaus und stadtpräsident alex tschäppät heute vor der presse ausführten.

MK zu Metropolitanraum Bern
regierungsrat neuhaus und stadtpräsident tschäppät: “nicht gleichartig, aber gleichwertig” ist die begründung von stadt und kanton bern für die hauptstadtregion schweiz.

die zentrale botschaft lautet: ein gut funktionierendes politisches zentrum ist unabdingbar für den wirtschaftlichen erfolg eines jeden landes. davon profitieren vor allem die anderen wirtschaftszentren, die auf stabile rahmenbedingungen angewiesen sind.

die hauptstadtregion empfiehlt sich deshalb als partner der metropolitanräume, die sich primär wirtschaft und gesellschaftlich ausgerichtet sind. diese sichtweise will man mit der hauptstadtregion um die dimensionen “politik” und “kultur” erweitern. die kooperationsformel lautet: nicht gleichartig, aber gleichwertig!

um die seit geraumer zeit stattfindende diskussion hierzu zu versachlichen, wurden vor kurzem zwei fundierte expertisen erstellt; sie sind heute der öffentlichkeit, verbunden mit einer politischen bewertung, präsentiert worden.

die jetzigen stärken der grossraumregion bern ist demnach der sitz von regierung, verwaltung und parlament der schweizerischen eidgenossenschaft. bern ist zudem standort für viele national ausgerichtete organisationen, verbände und lobbynetzwerke. schliesslich spricht die gute erreichbarkeit berns von allen landesteilen aus für die bildung der hauptstadtregion.

die heute offiziell lancierte region ist für weitere verbündete offen. angestrebt werden kooperationen mit benachbarten kantonen, städten im kranz rund um bern, aber auch unternehmen und vertreterInnen der gesellschaft in diesem raum.

nun ist zu hoffen, dass eine diskussion, die vor eineinhalb jahren erstmals die politischen behörden erreichte, anfänglich nur zaghaft geführt wurde, dann immer konkreter wurde – und auch den stadtwanderer intensiv beschäftigte – zu ihrer blüte kommt und viele früchte tragen wird.

stadtwanderer

meine berichte in dieser sache:
züri west organisiert sich
10 thesen zur zukunft des berner grossraumes
die städte als stiefkinder der nation wehren sich
bern als hauptstadt der metropolitanen schweiz
bundesrat: bern ist hauptstadtregion, kein metropolitanraum
auch der regierungsrat will die aufwertung der grossregion bern
aufruf zu metrobern
bewusste provokation, damit man merkt, was es geschlagen hat
die neue dynamik der städtregionen auch in bern entfachen
die definitionsmächtigen
völker hört die signale!
bern grollt
städtenetzwerke vs. metropolitanregionen
das beginnt ja schlecht

bern wieder kopflos

stets war sie meine lieblingsskulptur in bern. früher begegnete ich ihr regelmässig auf dem weg zum bahnhof. dann musste sie dem umbau des vorplatzes zur grossen schienhalle weichen und verschwand. bern für immer kopflos, dachte ich mir schon!

Casinoplatz Kunstwerkseinweihung Kopflosluciano andreani, der schöpfer von kopflos, mit dem kopf der stadt, stadtpräsident alex tschäppät!

doch jetzt ist sie wieder da. so elegant wie eh und je: es sind nur zwei füsse, die stadtwanderern. und das unverändert mit je vier zehen. zwischen den füssen ist fast nichts. nur eine geschwungene verbindung. kein körper, keine arme und kein hals. da stellt sich die frage nach dem kopf gar nicht mehr.

ja, kopflos, die charaktervollste bronzeskulptur der berner gegenwart, geht seit neuestem wieder durch die stadt: momentan auf dem casinoplatz, – genau dort, wo das blaue bähnli aus worb in bern endet.

bern ist wieder kopflos, welche eine freude!

stadtwanderer

züri west organisiert sich

die konturen der metropolitanen schweiz zeichnet sich durch die bildung zwer starken wirtschaftsregionen im osten und im westen ab. eine spannende umgestaltung der grundlagen der schweiz wird greifbarer!

das lies aufhorchen: andreas rickenbacher, regierungsrat des kantons bern, wurde als vertreter der romandie in den vorstand der volkswirtschaftsdirektorenkonferenz gehievt. zwar ist bern zweisprachig, und andreas rickenbacher kommt aus dem seeland, das eng mit der zweisprachigen stadt biel/bienne verbunden ist. doch überraschte die meldung. denn sie nährt die spekulation, dass sich züri west nun ernsthaft organisiert.

topelement10mögliche ausgestaltung von wirtschaftsräumen in einer schweiz der metropolen: zeichnet sich ein starker osten und westen ab?, wie der “sonntag” heute suggeriert?

fakt ist, dass im kanton bern der “espace mittelland” in auslösung begriffen ist. dieser gross angelegte kantonszusammenschluss funktionierte nie richtig; und auch der verein, an dem die kantone bern, solothurn und wallis die letzten jahre als ersatz partizipierten, kam nie ganz auf touren. anfang juni fiel denn auch der auflösungsentscheid. beabsichtigt wird, ein neues gebilde zuschaffen, das sich voll und ganz auf den aufbau eines städtenetzes rund um bern und der stärken der kernagglomeration bern konzentrieren wird.

fakt ist auch, dass am 2. und 3. juli die nächsten konturen der metropolitanen schweiz gezeichnet werden. denn dann treten die beiden grossprojekte im westen und im osten der reihe nach an die öffentlichkeit. ziel ist es, überkantonale wirtschaftsräume zu schaffen, um interessierten investoren im in- und ausland abgestimmte wirtschafträume anbieten zu können.

spekuliert wird in der heutigen sonntagspresse, wohin der kanton bern bei dieser wirtschaftsförderungsmassnahme geht. dem vernehmen nach hat man sich für das westschweizer projekt entschieden, zu dem auch die kanton genf, waadt, neuenburg, fribourg und wallis zählen. informieren will man offiziell noch nicht; doch pierre-françois unger bestätigte der bz-online, dass eine weit fortgeschrittenes projekt in den kommenden zwei wochen den interessierten kantonsregierungen zugestellt werde. erwartet wird auch, dass “greater zurich aera“, das seit 1998 besteht, durch einen wirtschaftsraum der kantone zürich, aargau, luzern, zug, schwyz, schaffhausen, st. gallen und thurgau aufgewertet werden könnte.

der historiker in mir wäre nicht allzu überrascht, wenn es dazu käme. denn unterhalb des bundesstaates mit dem bund, den kantonen und den gemeinden wirken die städte mit ihren verkehrsverbindungen zu wasser und zu land sichtbar weiter. zu zeiten der kelten, der völkerwanderung, der klöster und des adels zeichneten sich immer wieder zwei grössere gebildet ab, je eines im westen und eines im osten, die unter einander stärker kooperierten als mit übrigen partnern.

erst mit der reformation und der daraus folgenden spaltung zwischen konfessionell geprägten räumen trat das in den hintergrund. bis die franzosen und österreicher den eidgenossen erklärten, dass sie auf der basis von kantonen mit ihren kulturellen probleme sprachlicher und konfessioneller natur umgehen lernen müssen. und genau seit dann entwickelten sich durch konkordate ungefähr jene beiden grossräumen wieder heraus, die anfangs juli präsentiert werden dürften.

man kann gespannt sein, wie sich das gefüge der schweiz weiter entwickelt.

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der totengräber (von bern)

fragt man nach den grossen momenten in berns geschichte, erhält man wohl die wahl berns zur bundesstadt der schweizerischen eidgenossenschaft im jahre 1848 oder die besatzung der stolzen patrizierstadt durch die franzosen von 1798 als typische antworten. vergessen gehen dürfte aber der wohl wichtigste einschnitt in der stadtgeschichte überhaupt: die pest von 1349. das könnte sich jetzt ändern.

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nach verschiedenen erfolgen mit historischen themen, die sie in berns gassen als grosse stadttheaterbühne aufführen, haben sich christine ahlborn (skript und regie) und matthias zurbrügg (schauspiel) von mes:arts nun an dieses bedeutsame thema heran gemacht. und eines kann man jetzt schon sagen: trotz des diffizielen themas tod, schaffen sie auch diese aufgabe mit bravour!

ihr “totengräber”, wie ihre neueste szenenfolge heisst, ist als stück abwechslungsreich und spannend, denn als person hat er in den eineinhalb stunden der aufführung alle hände voll zu tun: 60 personen starben in den schlechtesten tagen des jahres 1349 alleine innerhalb der stadt bern, die damals knapp 10’000 einwohnerInnen zählte.

dass es mitte des 14. jahrhunderts seit menschengedenken erstmals wieder soweit kommen konnte, hatte mit der pest aus dem chinesischen kaiserreich zu tun, die sich über handelswege ausbreitete, das schwarze und das mittelmeer erfasste, das rhonetal hinauf kam, zuerst genfs bevölkerung dezimierte, um sich danach in den städten und ländern des mittellandes ausbreiteten.

schneller noch als die bekannte katastrophe machte die kunde über die ursache der pest die runde, was zu vergessenen katastrophe führte: schuld seien die juden, glaubte man im adel und klerus von damals, denen die andersgläubigen stets ein dorn im auge gewesen waren. ausgewiesen wurden sie aus den städtischen gemeinschaften oder mit gewalt umgebracht. so steht das jahr 1348 unverrücktbar für einen judenpogrom, der zum bleibenden einschnitte im verhältnis der religionen hierzulande werden sollte.

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diese dramatischen umstände erlauben es matthias zurbrügg teils historisch abgestützt, teils frei fabulierend, die geschehnisse in der stadt bern behände in verschiedenen rollen schlüpfend als ein-mann-theater aufzuführen. famulus, der berater des schultheissen, die vieles über viele weiss, und einiges darüber hinaus für einige erfindet, ist seine zentrale figur. sie überredet den schultheissen, das geld der juden zu nehmen, um sich dann mit der verbrennung der kreditgeber und ihrer schuldbriefe auf dem scheiterhaufen von der pekuniären schuld zu befreien. sie ist es auch, die den leutpriester vom deutschorden anstiftet, gewalttätig gegen die andersgläubigen vorzugehen. doch sie ist es auch, die nach getanener arbeit miterleben muss, wie dieses sündenbockdenken die pest nicht verhindert, die durch die stadttore einzug hält und nun auch die christen sterben lässt, bis im wahrsten sinne des wortes alles am boden liegt.

matthias und christine wandern mit ihren zuschauerInnen vom berner rathaus auf den münsterplatz, durchziehen die herren- und münstergasse und enden nochmals auf dem münsterplatz. derweil tobt ein kampf zwischen gevatter tod, dem totengräber, den sterbenden, den lebenden und den überlebenden in der berner altstadt, dass es einen als zuschauer immer wieder schauert.

am ende der aufführung kommen alle ritter aus der stadt bern und ihrem umland, die vor angst geflohen waren, in die stadt zurück, um zu feiern, auf ermattete landbwohner überfälle zu verlangen, um sich nach der katastrophe wieder herrschaftlich zu behaupten.

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an diesem mittwoch war die urauffühungen des stückes. die herrliche abendstimmung trug zum guten gelingen bei, das vor allem durch die bewusste themenwahl und ortsangepasste umsetzung überzeugt. von nun an hoffen regiesseurin und schauspieler, jeden mittwoch um 8 soviel publikum wie bei der premiere zu haben.

und der stadtwanderer hofft, dass der schluss bis dann noch etwas verbessert wird. so gelungen die prägnante einführung des schrecklichen ereignisses in die stadtgeschichte unter der statue von herzog berchtold von zähringen im untersten stadtteil ist, so unvermittelt endet die erzähung auf dem münsterplatz. zu gerne hätte ich gehabt, dass man hier einen ausblick gewagt hätte …

… auf das spitalwesen der stadt, das nach der pest beispielsweise durch anna seiler entsteht und mit der “inseln” bis heute in direkter folge weiterlebt;
… auf die (vorübergehende) vertreibung der bubenbergs als schultheissen und die friedensschlüsse im westlichen mittelland, die eine annäherung der nun (vorübergehend) bürgerlichen stadt an die eidgenossenschaft im ganzen voralpengebiet erlaubte;
… auf die vom kaiser beförderte rückkehr des alten stadtadels, der sich mit wirtschaftsförderungsmassnahmen wie dem kaufhaus für die händler spofort und den lauben für das gewerbe etwas später wieder festsetzt und bis jetzt das stadtbild prägt;
… auf die öffnung der stadt für auswertige, lombarden, basler, schwaben, welche die gründerstadt wieder aufblühen lassen, sie kulturell beleben und mit den ideen der renaissance, der bautechnik und des buchdrucks in verbindung bringen
… auf den zerfall der autorität der katholischen kirche, die schutz versprochen, dafür juden umgebracht und trotz alledem die pest nicht verhindern konnte, bis dass die gärung in der kirche in der reformation endete,
… kurz, auf die entstehung der stadtkultur an der schwelle der neuzeit.

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