rom. ist nicht mehr

es war sicher kein zufall, dass monika rosenberg in der nzz unter dem kürzel “rom.” publizierte. denn die tochter des legendären cvp-generalsekretärs martin rosenberg entstammte dem politischen katholizismus, der sich in den bundesstaat integrierte. nun ist rom. nicht mehr.

monikakennen gelernt habe ich monika rosenberg erst, als sich die nzz-bundes- hausredaktorin ende 2006 anschickte, ein porträt von mir zu schreiben, das im “folio” zum thema politberater erschien. doch das war nicht alles. denn monika rosenberg war die erste, welche meine leidenschaft als stadtwanderer beschrieb und die passion mit teilnahmen an rundgängen auch überprüfte.

so habe ich eine gleichzeitig wache, informierte, kritische und respektvolle journalistin kennen gelernt, die ihre arbeit schätzte, aber auch die anderer. was sie schrieb, stimmte, und doch wusste sie, dass geschriebenes verschiedene, ja bleibende eindrücke hinterlässt, die nicht immer bei allen gleich gut ankommen. so liess sie mich das porträt integral gegenlesen. wir beide waren uns einig, dass es stimmig sei und wunderten uns gemeinsam, als dann eine fassung erschien, die wir beide nicht gesehen hatten.

“ich bin edel, im denken und handeln”, hiess einer der merksätze für das leben, an monikas schwester lydia, heute als kloster baldegg lebend, aus ihrer gemeinsamen zeit im blauring erinnerte. versammelt hatte man sich dafür in berns dreifaltigkeitskirche, wo alle kinder der familie rosenberg getauft worden waren, und die meisten von ihnen kirchlich aktiv waren. aufgewachsen waren sie alle in der parterrewohnung des generalsekretariats, wo der vater, martin rosenberg aus bünzen im freiamt hauste und familie und partei in einem führte. politisch sozialisiert wurden die kinder, als die cvp noch die kk war, aber unter führung des hausherrn die zauberformel für die wahl des bundesrates begründete und mit leben füllte.

das brachte die gelernte historikerin nach ihrem studium zuerst in die konservative parteipolitik, dann in den liberalen journalismus. “ich habe im ständerat dilettiert”, sagte rene zeller, heute inlandchef der nzz, in der würdigung der journalistin rosenberg. “monika hat als unbestechliche berichterstatterin im nationalrat reüssiert”. das klang so ohne umschweife, dass allen klar wurde, wer im gespann das sagen hatte. und es machte auch klar, dass sich die generation von monika rosenberg vom politischen katholizismus des 19. jahrhunderts verabschiedet und ganz in die moderne des bundesstaates zur jahrtausendwende integriert hatte.

letzten sommer erfuhren alle, die monika rosenberg kannten oder lassen, dass sich die damals 62jährige ruckartig aus dem beruflichen leben abmelden musste. und so sah man die weitgereiste immer weniger am türkenstand “meze” in der berner markthalle ihren mittagimbiss einnehmen. eingeweihte wussten um ihre schwere krankheit, der sie jetzt erlegen ist; andere erführen es am letzten samstag aus der zeitung.

“herausgegriffen” hiess die liebste kolumne der jounalistin rosenberg, mit der sie das schräge in der ordnung des bundeshaus auf ihre art herauszugreifen und ironisieren wiederzugeben pflegte. nun ist monika rosenberg selber herausgegriffen worden – aus dem leben. “der tod ist nichts”, sagte ihr bruder felix rosenberg an der abschiedsfeier. er ist nur der seitenwechsel nach dem irdischen leben – einer edlen journalistin füge ich bei, in einer zeit, in der die meisten ihrer berufskollegInnen die feine klinge der sprachmacht mit der lauten polemik der medienmacht tauschen.

rom. ist tatsächlich nicht mehr.

stadtwanderer

der bärenstadt einen bärendienst erwiesen

oswald sigg, pensionierter regierungssprecher der schweiz, greift die profilierung berns hauptstadtregion in der nzz am sonntag – und begründet seine kritik mit der grossen bärenliebe. ein bärendienst, den er da bärenstadt erweist, füge ich an.

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oswald sigg beobachtet die tägliche abstimmung mit füssen und macht sich gedanken dazu. denn in bern pilgern täglich einheimische und auswärtige in grosser zahl zum neuen bärenpark.

gut so, sag ich da, genauso wie der in bern lebende zürcher kolumnist. doch kann ich den politischen lehren, die er daraus zieht, überhaupt nicht folgen.

denn der doktor der sozialwissenschaften sieht in der bärenliebe den beweis, dass die berner zu bärentypischer gemütlichkeit, politischem beamtentum, und behäbiger bundesstadt fähig sind, – zu mehr nicht. punkt!

stadtpräsident tschäppät, sonst vernünftig, habe sich in dieser frage von falschen beratern einlullen lassen und kämpfe nun auch für bern als aufgewertete hauptstadt.

und das mag sigg scheinbar nicht. dafür greift der früher erfolgreiche kommunikator in die unterste schublade der rhetorik-mottenkiste. bern wollen mit europäischen zentren wie paris, london oder berlin gleichziehen, unterstellt er. obwohl das deklarierte ziel der hauptstadtregion ist, den anschluss an die schweizerischen metropolen zu finden.

dafür bekommt der sonntagsschreiber der nzz den lacherpreis. genau für die von ihm selbst gewählte übertreibung wird der pensionär nämlich in 20 minuten zitiert. weil bern in den zürcher medien schlecht redet.

einen bärendienst erweist sigg damit dem land und der stadt.

stadtwanderer

wie es zu den berner bärenlebkuchen kam

man kennt die sage, wie die stadt bern zu ihrem namen kam. ich habe sie hier auch schon erzählt. nun bin ich auf eine fortsetzungssage gestossen, welche den bogen von der stadtgründung im zeichen der bären hin zur den berner lebkuchen schlägt. sie hat mir so gut gefallen, dass ich sie hier ungekürzt wiedergebe.

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“Unweit von der Stelle, an der der Herzog den Bären erlegt hatte, irrte eine junge Edelfreu mit einem Töchterlein im Arm durch das dornige Dickicht des Waldes. Ein schwerer Schlag hatte sie heimatlos gemacht.
Plötzlich krachte es im Unterholz. Sie erschraken bis ins Mark, denn eine grosse Bärin tappte daher. Das Tier aber zog freundlich brummend an ihnen vorbei und tat ihnen nichts zu leide.
Kaum hatten sie sich erholt, stand ein zähnfletschender Wolf vor ihnen. Kein Zweifel, er würde sie verschlingen. als sie vor Entsezten schrien, erschien die Bärin wieder.
Wer weiss, vielleicht hatte der Isegrim einmal eines ihrer Jungen gerissen, auf jeden Fall stürzte sich die Bärin auf den Wolf. Diese fügt ihr gefährliche Bisswunden zu. Schliesslich gelang es der Börin, ihm mit einem Prankenschlag das Genick zu brechen.
Das Schreien, Knurren und Brüllen lockte die Jäger aus der Burg Nydeck herbei. Beim Anblick der noch lebenden Bärin legte einer der Schützen einen Pfeil in den Bogen. Doch Mechthildis sprang dazwischen.
“Schonet den Bären, meinen Retter!”, rief sie.
Die Bärin, aus vielen Wunden blutend, schleppt sich fort. Wiederholt blieb sie stehen, richteten den Blick auf Mechthildis und brummte. Endlich verstand die Edelfrau.
Die Bärin wollte, dass man ihr folge. Bald darauf kamen sie an einer Börenhohle. Zwei niedliche Junge, die die Heimkehr ihrer Mutter erwarteten,. stürzten sich auf die Bärin. Sie konnten ihnen gerade nicht einmal das Gesicht lecken und Mechthildis zum allerletzten Mal in die Augen blicken. Dann verschied sie.
Die erstaunten Jäger finden die beiden Bärchen und nahmen sie zusammen mit der Frau und ihrem Töchterlein mit zur Burg. Als Herzog Berchtold vernahm, was geschehen war, war er zutiefst besorgt-. Sofort liess er sein Pferd sattel und ritt zur Höhle. Beim Anblick der tapferen Bürin, die da in einer Blutlache lag, hielt er einen Moment inne. Dann gelobt er:
“Du stabst, weil due Wehrlose mit deinem Leben verteidigt hast. Ich will dein Erbe sien! Hier will ich eine Stadt bauen zur Zuflicht der Bedrängten. Bern soll sie heisst, und ein schwarzer Bär soll ihr Wappen sein!”
Der Bau der Stadt mit dem Bären auf dem Wappen ging zügig voran. Ueber die Bärenhöhle wurde das Rathaus gebaut. Die Höhle selber wurde zur Schatzkammer der neuen Stadt. Die beiden Bärenwelpen wurde in der Burg aufgezogen und immer gut behandelt. Die Stadtbäckerei wurde damit beauftragt, ihnen besonders schmackhaftes Brot zu bakcen. Junge Ritter machten es sich zum Vergnügen, mit ihnen zu ringen und ihre Kräfte und ihren Mut an ihnen zu messen.
Als dann die Weihnachtszeit kam, buk die edle Mechthildis mit Honig und feinen welschen Gewürzen den ersten echten Berner Lebkuche. Auf dem Gebäck waren die Bärin und ihre Jungen abgebildet.”

stadtwanderer

(aus: wolf-dieter storl: der bär. krafttier der schamanen und heiler, AT Verlag, 2009, 3. Auflage)

vom bär, dem bärlauch und dem frühling

frühlingshafter waldspaziergang: der herrliche duft des bärlauches betört meine nase. und regt meinen geist zu nachfragen nach dem namen dieser zwiebel an.

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ein bär macht mit seinem erscheinen einem alt gewordenen winter den garaus. genauso vertreibt der bärlauch die winterleiden aus den gliedern. es sei das senföl, lese ich, dieser pflanze, welche magen und darm putzt, den darm entkrampft und ihn mit bäriger wärme füllt. besonders am vorabend von walpurgis davon reichlich zu essen. denn es feit einen vor übergriffen der hexen, die in dieser nacht hervor kommen.

der bärlauch gehört zu den ältesten kräuterpflanzen, die der mensch als medizin nützt. archäologische funde der letzten 5000 jahre verweisen regelmässig auf seine nutzung. vielleicht, so kann man wenigstens spekulieren, ist so auch der name entstanden: denn auch bären sollen im frühling nur zu gerne, dieses lauchgemüse verspeisen.

und so mache ich mich ans essen!

stadtwanderer

basler uni: vor 550 jahren mit placet des papstes gegründet

die kontroverse war heftig. es ging um die gründung der universität basel, und das gewicht, dass die kirche und die bürger dabei hatten. ein comic zur unigründung, die sich zum 550. mal jährt, trägt zur klärung bei.

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unimissverständliches titelbild der festschrift zur gründung der basler uni am 4. april 1460

unter meinen gästen bei der stadtwanderung vom 1. september 2008 waren zahlreiche vertreterInnen der schweizer hochschulen. wie üblich bei meinen führungen nannte ich die gründungen der universitäten zürich, bern und genf ein welthistorische neuheit, da anders als zuvor nicht kirchen oder adelige eine hochschule gründeten, sondern bürgerInnen. das rief beim vertreter aus basel heftigen widerspruch hervor. diese wertung stimme nicht, sei von der uni zürich zur deren 175 jahrfeier erfunden worden und missachte die gründungsgeschichte der basler universität.

in der tat ist die basler universität viel älter als alle anderen in der schweiz. sie geht nicht auf bildungseuphorien zurück, wie sie in den 1830er jahren und im letzten dritten des 20. jahrhunderts herrschten. vielmehr ist die entstehungsgeschichte der ehrwürdigen basler universität eng mit dem damaligen konzil in der stadt am rheinknie verbunden.

dieses tagte in der mitte des 15. jahrhunderts, um die ausrichtung der kirche zu bestimmen, die nach den pestwellen des 14. jahrhunderts stark belebt wurden, und um päpste zu wählen, die den verschiedenen strömungen an der basis der katholischen glaubensgemeinschaft entsprachen. der konfessionskrieg in böhmen war ein dauerthema, aber auch die richtige repräsentation im papstamt beschäftigte die teilnehmer.

das monopol basels, das entscheidende konzil zu beherbergern, brach allerdings bald auf, indem sich ein teil der teilnehmer nach pisa verlagerte und beanspruchte, das gültige konzil zu sein. denn in basel hatte man auf einen papst aus dem hause savoyen gesetzt, der nicht die allgemeine anerkennung fand.

mit der abreise der letzten konzilteilnehmer im jahre 1437 wurde klar: der vorteil der stadt aus den zahlreichen besuchen, der sich vor allem auf das basler gewerbe auswgewirkt hatte, war weg. die investitionen namentlich in das druckereigewerbe waren bedroht. und die übernachtungen in der stadt gingen drastisch zurück. findige bürgerInnen aus basel suchten den ausweg und beauftragten den grossen rat der stadt, eine hochschule zu gründen. herausgefordert fühlte man sich inbesondere durch das benachbarte freiburg, das an einem solche projekt arbeitete.

damit ging die initiative durchaus von basel und ihren bürgern aus. sie führte aber nicht zu einer eigenverantworteten universitätsgründung. denn diese nahm der angefragte papst vor. enea silvio piccolomini, der poet und frauenschwarm, der seinerzeit als sekretär des konzils in basel gedient hatte und nun papst in rom war, traf den massgeblichen entscheid: “Wir werden vom feurigen Wunsch geleitet, dass die Stadt Basel mit den Gaben der Wissenschaft geschmückt werde”, liess der heimweh-basler die warteten stadtbewohnerInnen wissen. erst danach nahm die schule ihren bildungsauftrag wahr.

in der innensicht mag es sein, dass die initiative aus der not nach dem konzil der basler uni pate stand. in der aussicht unterscheidet sich das gründungsverfahren der basler uni von den liberalen universitäten der 1830er Jahre aber unverändert gründlich. denn keinem zürcher, berner oder genfer bürger wäre es 1833 oder 1834 in den sinn gekommen, auf eine päpstliche bulle zu warten, um ihre kantonale universität zu eröffnen. der geist des liberalismus genügt, um eine innovation zu lancieren. genau das meine ich mit “welthistorischer neuerung”.

und so danke ich der uni basel, die einen interessanten comic zur
gründung der eigenen hochschule
herausgegeben hat. und zur klärung der kleinen kontroverse im meiner stadtführung für hochschulfunktionäre beigetragen hat.

stadtwanderer

der perfekte empfang

die reise von brig nach bern war beschwerlich. trotz schnellzügen im stundentakt, eurocity-kompositionen dazwischen und entlastungsfahrten der sbb war unser zug durch den lötschberg mindestens doppelt belegt. und alle hatten nur ein thema: vulkanausbruch in island und die folgen für die schweiz.

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freuen sich über die geglückte weltneuheit im teller: armin und myriam aus mund (foto: stadtwanderer)

für einen deutlich freundlicheren empfang nach unserer kleinen italienreise sorgten myriam und armin in den walliser bergen. sie luden uns zu einer degustationsreise durch exklusive einheimische weine und lokale spezialitäten ein. sogar eine weltneuheit gab es in (den) mund: safrankäse in alpenampfer.

den käse hatten unsere geniesserInnen von ihren nachbarn katrin und pius. den safran dazu mussten sie aber selber besorgen. die grünen blätter, in den das ganze eingewickelt und mit zahnstocher befestigt war, kamen von den weiden rund herum. leicht angedünstet schmeckte die überraschung hervorragend.

ohne wenn und aber empfehlen kann ich auch den himbertscha. das ist keine beerensaft aus dem wald, sondern aus fast ausgestorbenen rebsorten. chosy chanton in visp hat sie gerettet, und produziert daraus neuen spitzenwein in kleinen mengen. hergeleitet wird der name vom standort, an dem der himbertscha reift: der pergola.

bei abendlichem sonnenschein genossen wir beides, und die auch die geschichte von alexia stoffel, der legendären önologin aus den walliser alpen, die nach kirgistan ausgewanderte, um dort auf fast 3000 meter walliser rebsorten anzubauen, bevor sie via irrfahrt durch halb asien wieder in die heimat zurückkam. bergvogel armin, im hauptamt jursit am bundesgericht, machte sie zum seinem prüfungsstoff als wanderleiter, ohne mit der wimper zu zucken, obwohl die geschichte frei erfunden ist.

ganz anders als in den zügen durch die alpen hat in luftiger höhe über der rhone noch viel platz für geschichte zu wein und käse!

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die grafen von habsburg und ananas

venezia ist nicht nur die stadt des carnevale. es ist auch die stadt der träume. das habe ich während meinem aufenthalt in der lagunenstadt zum nennwert genommen und meine träume in venedig aufgeschrieben. hier der kuriososte.

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kaiser rudolf II. aus dem hause habsburg, der einzige aus der familie, der meinen träumen nahe kommt.

ich besuche einen kleinen hof am rande der berge. der weg dorthin führte durch einen wald mit grünen bäumen und wenig sonnenlicht. das passt, denn ich hatte im dunkeln der vorgeschichte einer der bedeutendensten europäischen familien eine wichtige entdeckung gemacht.

ich habe die wirkliche stammburg der habsburger gefunden. sie liegt auf einer riesigen ananas. rudolf von habsburg, der familienbegründer der herzöge von österreich, deutschen könige und kaiser im heiligen römischen reich deutscher nation hiess eigentliche rudolf von ananas.

doch das ist nicht alles an ueberraschung. auf der ananas selber gibt es bis heute einen bauernhof, der schon vor der burg dort stand. das wussten die herren von ananas, als sie sich als habsburger in die europäische geschichte einmischten, und versprachen den bauersleute nie teil ihrer untertanen sein zu müssen, wenn über die wahre herkunft der vermeintlichen adeligen schweigen würden. denn hätten sie aufgemuckt, wären die habsburger gleich doppel gefoppt gewesen. einmal als usurpatoren ihrer heimat, dann als adelige aus exotischen früchten.

nach meiner entdeckung gab ich ein fest. es kamen ein dutzend guter freunde, einige davon stadtwandererkollegen. wir assen an einem kleinen tisch, tranken ein wenig wein, und spielten auf dem hof gesellschaftsspiele. das fest war ein voller erfolg. aber es wollte kein medium von meiner entdeckung berichten. dafür verbreitete sich die neuigkeit von mund zu mund im lauffeuer. ein jahr später kamen 14000 besucher an das zweite fest. der hof war natürlich viel zu klein. es war sehr eng, und es gab drei schulterbrüche.

das kam dann im radio. für die wahre geschichte des falschen adels aus den südfruchtsäften auf dem morgenbuffet interessiert sich aber unverändert niemand.

stadtwanderer

venezianische familiengeschichten a gogo

du läufst und läufst und läufst den geschichten über die familie zeno aus venedig nur so hinten nach. am schluss erweist sich alles als gute unterhaltung, ohne dass allzuviel stimmt. und das wiederum passt zu venezia

P1010466P1010426heruntergekommener palazzo der familie zeno, mit dem schild zur pionierhaften nordatlantikfahrt der abkömmlinge nicolo und antonio

giordani und giordano paolo sind nicht zu verwechseln. letzter ist italiens erfolgreichster schriftsteller der gegenwart. und der schreibt schon mal über die einsamkeit der primzahlen. derweil verfasste giordani paolo den speziellsten reiseführer zu venedig. 30 spaziergänge beschreibt er als entdeckungsreise durch venedigs quartiere. jedes fondamenti, je jede gasse, jeder nebenarm und jeder platz bekommt so ein porträit, und hüllt die wanderer in die betriebsamkeit von familiengeschichtsfälschungen ein!

auf den normalen stadtplänen findet man den fondamento zen nicht, sodass man der wegbeschreibung in giordanis stadtführer minutiös folgen muss, um weder im benachbarten (aufgehobenen) gefängnis des quartiers zu landen, noch in der jesuitenkirche, deren bewohner nicht wirklich freier waren.

doch dazwischen ist sie, die ersehnte plattform des zenons-geschlechte. der palazzo stammt aus dem 16. jahrhundert. francesco, ein abkömmling der familie hat ihn erbaut. seit 1538, dem jahr der einweihung, sind aber einige jahre ergangen, und die sieht man dem palast heute auch merklich an.

dafür ist die familiengeschichte der zenons pompös: denn man wähnt sich, nachfahren der oströmischen kaiser leon II. resp. dessen nachfolgers zenons zu sein. äusserlich passt das gut. die stadt der löwen an der adria war stets um vermittlung zwischen römischer und griechischer kultur bemüht. und die namen stimmen überein. doch die belege für die nachfahrenschaft sind nicht wirklich wasserfest: nach padua seien die kaiserkinder gezogen, und von dort auf die insel burano, bevor sie sich im venedig des 9. jahrhunderts niedergelassen hätten. die historiker sehen das trockener, denn zenon hinterliess keine leiblichen söhne, welche hätten auswandern können.

unbestreitbar zenoner sind dagegen die gebrüder nicolo und antonio aus dem späten 15. jahrhundert, zu deren ehren noch heute eine tafel am zen-palazzo zu sehen ist. sie segelten weit hinaus, von der adria ins mittelmeer, und von da in den atlantischen ozean. dabei entdeckten sie nach langer überfahrt labrador.

nur kurz nach dem bau des zeno-palazzos auf der familienplattform veröffentlichte ein nachfahre der segler die sogenannte zeno-karte des nördlichen atlantiks samt briefen aus dem familienarchiv. sie sollten beweisen, dass weder vespucci noch columbus die ehre zugefallen sei, amerika entdeckt zu haben. sondern den venezianer aus dem geschlecht der zenos.

716px-Map_by_nicolo_zeno_1558zeno-karte mit der erfundenen inselgruppe “frisland” aus dem jahre 1558

doch auch hier räuspern die zeitge- nössischen historiker vielsagend. denn die angeblichen reiseberichte erzählen auch vom aufenthalt der zenos auf “frisland”, einer inselgruppe nördlich schottlands, aber südlich grönlands, die etwa gleich gross wie island sei. dabei handelt es sich, wie man heute weiss, um eine fantominselgruppe, die im 16. jahrhundert auf vielen karten verzeichnet ist, so auch auf der zeno-karte. und so gilt diese nicht als autothentisches dokument aus dem 15. jahrhundert, sondern als fake, gebastelt als komilation aus fantasieberichten des 16. jahrhunderts.

bleibend ruhm haben diese familiengeschichten dem zeno-geschlecht in venedig nicht eingebracht. der palazzo ist verfallen, und wird auf den stadtplänen schon mal vergessen. die klingeln klingen auch nicht mehr nach berühmten herrschern und seefahrern. “eberle2 ist auf dem schild zu lesen, was eher nach thurgauischen einwanderern in venedig tönt.

und so mache ich mich auf den heimweg zum hotel ai mori del oriente. das waren berühmte tuchhändler aus vorderasien, welche die geburt jesus christi entdeckt haben und dafür während carnevale stadtherren auf dem campo dei mori sein dürfen …

stadtwanderer

auf dem thron attilas

meine beine erreichten den boden nicht, als ich auf dem legendären thron attilas in torcello sass.

P4150389ader stadtwanderer in torcello

anfangs des 5. jahrhunderts änderte das weströmische reich seine strategie für die nördlichen gebiete, indem es dem wanderungsdruck germanischer völkerschaften nachgab. die westgoten alarichs und die hunnen unter attiala drangen von osten her selbst in die gebiete südlich der alpen ein. für die römer an der adria waren die raubenden und sengenden reiterheere ein fluch. mit vorliebe zogen sie sich auf die inseln in der lagune zurück, die mehr schutz boten als das flache, nur schwer zu verteidigende land.

venedig verdankt so seine entstehung. doch das gilt auch für andere städte, die es heute nicht mehr gibt. dazu gehört altinum auf der insel torcello im adria-archipel. bis zu 30’000 einwohner soll die stadt in ihren besten zeiten gezählt haben. und selbst ein eigener bischof ist hier in frühen jahren nachgewiesen. im 13. jahrhundert trug man die stadt indessen ab, vor angst aus malaria. geblieben ist nur noch das kirchliche zentrum aus dem frühen 11. jahrhundert. das langhaus ist gar das ältestes gebäude der lagune, das heute noch steht. nebenan befindet sich ein campanile, ein mischung aus orientierungspunkt und kirchturm, und eine kapelle ist erhalten geblieben. byzantinische mosaike im boden und an den kirchwänden kann man bis heute besichtigen.

attila, der berüchtigte anführer eines reiterheeres aus asien, verbündete sich abwechseln mit dem ost- und weströmischen kaiser, verlangte so tributzahlungen oder reichsteile, die sich der hunnenkönig selber nahm wenn er sie nicht bekam. so plünderte er den balkan, griff er gallien und schliesslich auch italien an.

die kirchengeschichte vermerkt gerne, dass papst leo I. der brutalen kämpfer aus asien entgegen getreten sei, und so die einnahme italien verhindert habe. die geschichtswissenschaft ist das schon vorsichtiger; sie hebt hervor, attila sei nach den kämpfe auf den katalaunischen feldern um gallien so geschwächt gewesen, dass an eine einnahme roms nicht mehr zu denken gewesen sei.

wie auch immer, in der bevölkerung der lagune ist attila als phantom unverändert präsent. und so heisst der aus stein gehauene thron in alten zentrum von torcello attila thron, auch wenn er eher dem örtlichen bischof oder stadtherrn gehört haben dürfte.

ein wenig erhaben sitzt man auf ihm schon, und für normalsterbliche wie mich, ist er sogar ein wenig zu hoch, sodass man gerne den boden unter den füssen verliert und geschichten erfindet …

stadtwanderer

kaiser im tetrapack

italia, venzia, san marco, augusti, caesari … im tetrapack!

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tetrarchie: symbol für die vier-kaiser-herrschaft zu beginn des spätrömischen reiches

als ich noch ein kleiner junge war, gab es die milch im tetrapack. das sind vier dreiecke, die so miteinander verklebt sind, dass ein innenraum entsteht. in diesen fuellte man die milch, und wie auch immer man das tetrapack abstellte, es stand mit hoechster sicherheit.

in venedig gibt es kaiser im quasi-tetrapack. wenigstens als statuen. rechts der kirche von san marco befindet sich das kleine denkmal. galerius, constantinus, diocletianus und maximianus bildeten nach der grossen reichsreform von 285 die spitze des reiches. die beiden ersten trugen den titel eines caesars, waehrend die beiden anderen augusti waren. diese waren sie ranghoechsten in ost und west, jene ihre stellvertreter und designierte nachfolger. die doppelte doppelspitze war noetig geworden, denn am rhein lag man mit den germanischen staemmen im permanenten krieg und im alten perserreich hatten die parther die macht uebernommen und schnitten sie die roemer von welthandel ab.

die interpretation des denkmals in venedig unterschied zu meinen schulzeiten staerker zwischen ost und west. die beiden linke kaiser, die sich umarmen, waren, genauso wie die beiden rechten, die repraesentanten der reichtsteile, lernte ich im gymnasium. heute sieht man das anders, denn die vier symbolisieren gemeinsam das reich, und so umarmten sich die beiden augusti genauso wie die beiden caesari.

die vielen besucherInnen auf dem zentrale platz von san marco scheint das nicht gross zu kuemmern. sie ziehen die souvenirstaender moderner art vor, sie lauschen dem piano unter den arkaden, und sie trinken den suendhaft teuren cafe in einem der platzrestaurants. allenfalls fotografieren sie den dogenpalast, oder schauen ihren kindern zu, wie sie im hof von san marco tauben jagen.

dabei geht vergessen, dass die episiode, an die hier erinnert wird, fuer die entstehung venedigs von hoher bedeutung ist. denn die neuorientierung des roemischen reiches, urspruenglich auf rom konzentriert, veraenderte die einw welt, die man vormals war, grundlegend. der oestliche teil sollte den westlichen nicht nur ueberholen, weil er naeher am fernhandel aus dem osten war: er sollte ihn auch ueberleben, sodass das kaiserreich im osten bis zum osmanenanstrum im 15. jahrhundert hielt, waehrend es im westen angesichts der voelkerwanderung im 5. jahrhundert unterging. und an venedig war es, solange das mare nostrum das zentrum der welt war, den handel zwischen ost und west durch das mittelmeer zu organisieren. ohne diese aufgabe waere der reichtum am ende der adria , der san marco, aresenale, rialto und die 500 palazzi am canale grande schuf, nicht denkbar gewesen.

diocletianus, der schoepfer der reichsreform, war uebrigens aus der gegend. 305 trat er als kaiser zurueck, und ging er in seine geburtsstadt split an der adria. seine reform war durchaus als modernisierung im sinne der wirtschaftlichen erholung von den militaerischen bealstungen gemeint gewesen. denn die stellvertreter der erhabenen in ost und west sollten nach seiner reform keine verwandeten sein, sondern besonders befaehigte.

man weiss es, auch im tetrapack haelt die milch nicht ewig, und so geschah es auch mit der reichsreform an der wende vom 3. zum 4. nachchristlichen jahrhundert. denn kaum war der erste der kaiser im osten, diocletian, der dem sonnengott sol anhing, weg von seinem amt, startete constantinus, der sohn des christlichen statthalters in britannien, einen eroberungsfeldzug durch das westreich, der ihn an die spitze des spaetroemischen reiches brachte. sichtbarstes zeichen davon war, dass constaninus konstantinopel am bosporus gruendete und mit seinem soehen zum neuen rom auch fuer die christliche kirche machte. als byzanz sollte diese stadt ausgerechnet fuer venedig zur wichtigsten referenz werden. uns so macht es durchaus sinn, dass denkmal, das heute kaum jemand mehr erkennt, in der lagunenstadt an der adria steht.

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keine autos!

in venedig hat es keine autos. was fuer eine wohltat. doch heisst das nicht, dass die stadt keine probleme mit dem verkehr haette.

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venedigs altstadt, im mittelalter entstanden, bis auf dem letzten meter platz ausgenutzt, bietet einblicke in einen stadt ohne automobile.

der erste eindruck in venedig ist untruegerisch: es hat keine autos! keine parkplaeze! keine tankstellen und keine garagen! das steuert auch die aufmerksamkeit der menschen erheblich, denn strassenschilder mit vorschriftscharakter sind seltern und werbung fehlt mancherorts.

die stadt der 118 inseln in der lagune am ende des adriatischen meeres wuerden den strassenverkehr gar nicht zulassen. die allermeisten der zahllosen gassen sind zu eng, die hoefe ueberall haben keinen ausgang, und die seitenarme vielerorts sind nur da, um entlegene haeuser zu erreichen. an autos, die hier zirkulieren koennten, ist nicht zu denken. das gilt auch fuer velos. die bruecken mit treppen machen selbst ihnen die fortbewegung schwer. und es trifft notabene auch fuer kinderwagen, rollstuehle und schubkarren aller art zu.

die koenige des wassers sind heute die vaporetti, motorbote, welche den verkehr auf dem kanalsystem der stadt venedig steuern. 100, in stosszeiten vielleicht 150 menschen haben auf ihnen platz. wer glueck hat, sitzt auf einem gruenen plastikstuhl, und wer den sechser im lotto gezogen hat, kann sogar aus einem der kleinen fenster auf die palazzi am canale grande sehen. die meisten stehen in der schiffsmitte dicht gedraengt, schauen sich gegenseitig auf die schuhe und zaehlen die stationen und erwarten ihren abgang aufs festland. wer es schneller und privater mag, der oder die ruft nach einem taxi, selbstredend auch ein schiff, nur einiges kleiner als die vaporetti. die unveraendert elegantesten, gleichzeitig aber auch die langsamsten und teuersten schiffe sind die gondole. letztlich sind sie heute nur fuer die touristInnen, fuer den eigentlichen personentransport taugen sie nicht.

ein fuerchterliches gewussel ist es auf den kanaelen, wenn sich schiffe aller art kreuzen, und dennoch sieht man kaum jemals einen unfall. mit autos, toeffs und velos waere das kaum der fall. ein klarer vorteilt. doch wer meint, dank des einfacheren strassenunterhaltes habe venedig weniger ausgaben sieht sich getauescht. denn das wasser sitzt der stadt foermlich in nacken. und bedroht sie taeglich, 1 milliarde schweizer franken gibt man in venedig fuer den wasserschutz, die kanalisation und den erhalt der fundamenti im jahr aus. in zeiten der finanznot eine unsumme, an der stadt fast symbolisch zugrunde geht …

stadtwanderer

die frühlingssaison des stadtwanderers

seit tagen tollen die bären in ihrem neuen park. und so hält es auch den stadtwanderer kaum mehr hinter dem computer: die neue frühlingssaison des stadtwanderers beginnt.


die speziellsten stadtwanderer dieses frühlings …

hier die highlights mit meinen wanderpartnern:

21. mai: uvek und kantonale umweltdirektoren:
thema “glas verkheit, bern besteiht: nachhaltigkeit in bern”

13. juni: us-amerikanische expertInnen für direkte demokratie (in zusammenarbeit mit iri europe):
thema “die entstehung der direkten demokratie in der schweiz”

30. juni: redaktionsstab bulletin der credit suisse:

thema “der bundesplatz ganz pragmatisch: weder der place de la république noch der bankenplatz”

3. juli: redaktion arena des sf:
thema “von der arena bis zum bernerhof – tv-ungerechte geschichten aus berns geschichte”

terminlich noch offen sind drei weitere wanderungen:
. russisch-kurs der schweizer armee: thema “das russische bern”
. mitglieder bern neu gründen: thema “bern immer wieder neu gründen”
. mitbewohnerInnen der siedlung aumatt/hinterkappelen: thema “von hinterkappelen nach bern – streifzug einer nachbarschaft”

zuerst gehe ich aber noch nach venedig in die ferien. werde berichten, als

gondoliere

das ende der reformation in der schweiz?

mitte des 20. jahrhunderts waren mehr als 50 prozent der bewohnerInnen der schweiz reformiert. zur jahrtausendwende war es noch ein drittel. jetzt spricht eine neue studie davon, mitte des 21. jahrhunderts würden die reformierten weniger als 20 prozent der einwohnerschaft ausmachen.

die religionssoziologen jörg stolz und edmée ballif haben für den schweizerischen evangelischen kirchenbund eine breit angelegte, religionssoziologische untersuchung über den stand und die aussichten der reformierten in der schweiz erarbeitet. jüngst haben sie sie dem auftraggeber abgeliefert, und in diesen tagen beginnt die interne diskussion. die mediale öffentlichkeit hat an ostern davon erfahren.

die zahlen selber sind eindrücklich. keine konfessionsgemeinschaft verliert so rasant mitglieder wie die reformierte. überalterung ist die erste folge davon. die bestattungen bleiben konstant, die taufen gehen massiv zurück. und die austritte sind weit gewichtiger als die eintritte.

die radikalisierte entflechtung der kirche vom staat ortet die studie als hauptgrund. degressiv ist auch der einfluss der reformierten kirche auf die schulen. spiritualität wird heute kaum mehr in der kirche gesucht. wellness, esoterik und selbsterfahrungen bieten sich eher an. und selbst wenn es um informationsverbreitung geht, haben die kirchen kaum mehr ein privileg. wie alle andern akteure ringen sie um das knappe gut der aufmerksamkeit. profilierung der eigenen identität, aufwertung von gottesdiensten, modernes kirchenmarketing und vermehrte öffentlichkeitsarbeit sind die stochworte. die bündelung der diesbezüglichen kräfte steht aber noch weitgehend aus.

jörg stolz, der hauptverfasser der studie, sass mir schon mal gegenüber, als er für die studie recherchierte. eine seiner these ist, dass die reformierte kirche ähnlich wie die römisch-katholische klarer sichtbare repräsentanten brauche, um in politischen fragen intervenieren und auf gesellschaftliche entwicklungen einwirken zu können. insbesondere vermutet er, dass das koordinierte kommunikationspotenzial der römisch-katholischen kirche mit der klaren hierarchie grösser ist. charismatiker johannes paul II., der verstorbene papst, faszinierte den professor für religionssoziologie.

wie schnell sich solche lösungsansätze ins gegenteil kehren können, erleben wir am jetzigen papst, der mit seiner geschichte aneckt, mit seinen stellungnahme andere glaubensgemeinschaften provoziert, und die zeitgemässen herausforderungen der eigenen institution am liebsten unterdrücken und aussitzen möchte.

gerade deshalb widersprach ich dem studienverfasser auch: kirchen machen nur dann sinn, wenn sie getragen werden, und getragen werden sie nur, wenn die religiöse botschaft zwischen beliebigkeit und fundamentalismus von den menschen verstanden und aufgenommen werden. diese vermittlung kann man mit kommunikation sicherlich verbessern, ersetzen kann man sie aber nicht.

entweder macht die reformation im 21. jahrhundert sinn, oder sie wird in diesem saeculum in der schweiz ihr ende finden.

stadtwanderer

huttwil – die stadt des übergangs

wir sitzen im garten eines stattlichen restaurants, nahe der hauptstrasse durch huttwil und trinken eine ovo, bevor die erkundungsreise durch den ort im obersten langetental beginnt, die um das werden, das aufbegehren und das wachsen der 5000 einwohnerInnen zählenden kleinstadt zeigt.

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stationen einer stadtwanderung: das huttwil von 1834, die krone, schauplatz des streits im bauernkrieg, und leuenberger denkmal im stadtpärkli von huttwil (fotos: stadtwanderer)

rasch entpuppt sich unser “hotel krone” als früherer sitz des schultheissen nach dem 30jährigen krieg im 17. jahrhundert. niedergebrannt wurde es 1653 bis auf die grundmauern, da der schultheiss zu “huttu” zur stadt bern hielt, während sich die stadtbewohner den bauern anschlossen, die landauf, landab aufbegehrten. “klaus leuenberger” steht noch heute unter der statue im kleinstpark bei der gewerbeschule, “obmann der bauern”. im volksmund war niklaus leuenberger der “könig der bauern”.

während des krieges hatten die bauern im emmental gute geschäfte gemacht, doch nach dem friedensschluss fielen die preise und die armut auf dem land nahm zu. in wolhusen schlossen sie ihren bauernbund, verfassten einen bundesbrief wie seinerzeit die innerschweizer gegen die habsburger vögte, und forderten die patrizier in den städten als neue “habsburger” heraus. doch waren diese nicht zu konzessionen gewillt, unterdrückten den aufstand gewaltsam und richteten die anführer, unter ihnen held leuenberger, hin.

bern und luzern bestimmen das schicksal der kleinstadt im übergang seit der landadel in huttwil nichts mehr zu sagen hat. die im 9. jahrhundert waren es die adalgoze, von den man nicht viel weiss, dann die grafen von fenis, schliesslich die grafen von rheinfelden, eigentliche vorläufer der herzöge von zähringen. bei deren aussterben 1218 wurde huttwil kyburgisch, geriet im grafenkrieg zwischen savoyen und kyburg in den strudel der widersacher. deshalb wurde der flecken mit einer mauer befestigt und erhielt er einen schultheiss.

in der schlacht von laupen 1339 war man auf geheiss des adels auf österreichisch-burgundischer seite, gegen bern, verlor mit den herrschaften aber den krieg. huttwil wurde von berner truppen aus rache im jahr darauf vollständig zerstört, später wieder aufgebaut. der guglerkrieg um das kloster st. urban, destabilisierte die herrschaft der kyburger nur zwei generationen später erneut. huttwil wurde 1378 an die freiherren von grünenberg verpfändet, und gelangte über einen mittelsmann 1408 an die stadt bern, die ihr territorium kräftig ausdehnte. huttwil kam so zum amt trachselwald, ohne aussicht, selber einmal ein regionales verwaltungszentrum zu werden. das interesse der stadt bern an huttwil beschränkte sich nach der reformation auf einen sicheren ort nahe der kantonsgrenze zu luzern und damit auch an der scheidelinie zwischen den konfessionen.

seinen eigentlichen aufschwung erlebte huttwil im 19. jahrhundert. 1834 brannte der ort nach der liberalen revolution im kanton nun zum dritten mal nieder, und wurde er im spätklasizistischen stil wieder aufgebaut. die strassenführung im kern verläuft seither geometrisch, einzig die reformierte kirche widersetzt sich den geraden. die vorherrschende länge des städtchens im oberen langetental wird durch die eisenbahn, deren station leicht ausserhalb des zentrums liegt, verstärkt. die verbesserten verbindungswege liessen am ende des 19. jahrhunerts neben dem traditionellen gewerbe vor allem die möbelfabriaktion aufkommen, die bis zur krise am ende des 20. jahrhunderts die meisten arbeitsplätze stellte. seither stagniert die bevölkerungszahl bei knapp 5000 einwohnern. nicht alle, die in huttwil aufwachsen, wollen bleiben!

huttwil, wird mir nach einem aufenthalt klar, ist eine kleinstadt des übergangs zwischen ehemals burgundischem und alemannischem gebiet, zwischen adelherrschaften im südosten und nordwesten, zwischen bern und luzern. die topografie prägt diesen raum des transits, der durchgang zu fuss, zu pferd, mit kutsche, bahn oder auto verstärkt in. für einheimische wie der einheimische gross- und gemeinderat adrian wüthrich genauso für zaungäste, wie den vorbeibloggenden

stadtwanderer.

der königsmörder von altbüron

ein thema der schweizer geschichte, das wir nicht gerne haben. die beteiligung des niederen adels aus dem aargau am mord an könig albrecht I. eine spurensuche im luzernischen hinterland.

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blick von fern, von nah und hinunter: der geschichtsträchtige felsen von altbüron wo einst das schloss stand (und heute bärbi miterkundet) (fotos: stadtwanderer)

am briefkasten steht heute ein bürgerlicher name mit bindestrich. das staatliche haus selber wirkt nicht sehr bewohnt. doch auf dem dorfplan von altbüron steht an der stelle, an der es steht, “schlössli”. und wer das rottal hinunter wandert, erkennt es hoch über dem felsen als eines der ersten noch vor der dorfkirche.

die freiherren von altbüron und ihre erben

die mittelalterliche burg, die der wanderer auf dem fels vermutet, wurde 1309 abgetragen. die burgbewohnerInnen wurden zuvor hingerichtet, und die ländereien, die ihnen gehörten, gingen an die kommende des deutschordens in hitzkirch. und seither gibt es in altbüron keine freiherren mehr.

das ursprüngliche geschlecht derer von altbüron starb 1269 aus. es hatte die urbarmachung des rottales durch die zisterziensermönche von st. urban auf der rechten seite des rottales begleitet; auf der linken seite kümmerten sich die freiherren von grünenberg, die klostergründer, darum. die erben waren die freiherren von balm, zu deutsch, die vom felsen. sie übernahmen die burg in luftiger höhe und herrschten in der zeit des interregnums ziemlich selbständig im grenzgebiet zwischen schwaben und burgund, was der historische aargau damals war.

die revindikation des reichs

1273 wurde graf rudolf von habsburg römischer könig, kaiserantwärter und herrscher über die deutschen herzogtümer. das reich, das die staufer fast 20 jahre zuvor hinterlassen hatten, war weitgehend zerfallen, und so bildete die revindikation, die zurückführung des königsgutes in die händes des ursprünglichen eigners, die hauptaufgabe seines königtums. zuerst griff er nach osten aus, wo sich der böhmische könig ottokar verselbständigt hatte. alle er die machtfrage auf dem schlachtfeld an der march entschieden hatte, setzte er seine beiden söhne, albrecht und rudolf, als herzöge von österreich ein. doch albrecht mochte nicht teilen, versprach seinem bruder das herzogtum schwaben, erweitert um das elsass und den aargau. und eine auszahlung seiner rechte in österreich.

zwischenzeitlich hatte könig rudolf seinen blick nach westen gewandt, ins burgundische. das königreich aus dem 10. jahrhundert war fast ganz zerfallen. das stärkste übrig gebliebene geschlecht in unseren breitengraden waren die savoyer, von jeher die rivalen der habsburger, denn während des interregnum herrschten sie als stellvertreter des königs, richard von wales, der die britische insel nie verlasse hatte. eine wirkliche wiederherstellung des zerfallenen im königreiches im westen gelang ihm aber nicht. so könnte er seinen sohn rudolf nicht als burgundischen herrscher einsetzen, wie er es sich erhofft hatte.

rudolf, der herzog, starb noch vor seinem vater rodolf, dem könig, sodass albrecht 1291 alleine regierte. und sich an keine abmachungen mehr hielt. in schwaben herrschte johann, der sohn des herzogs, doch ohne für die entgangenen rechte in österreich von seinem onkel ausbezahlt worden zu sein. deshalb schmiedete johann mit unzufriedenen freiherren namentlich aus dem aargau, welche die harte hand des königs auf ihre güter fürchteten, einen adlesaufstand.

der königsmord

1308 war es soweit. in winterthur war man familiär versammelt, als der könig den gästen zum abschied blumen überreichte. “ich lasse mich nicht mit blumen abspeisen, ich will, was mir gehört”, soll johann von schwaben das geschenk kommentiert haben. am andern tag ritt der könig nach rheinfelden zu seiner frau. doch als er im wasserschloss die flusslandschaft passieren wollte, lauerte ihm johann mit vier seiner vasallen auf, und erschlugen sie gemeinsam ihren eigenen könig.

rudolf von balm, der herr über altbüron, gehörte zu den treuesten anhängern von johann, die beim morden mithalfen. dafür büsste er wie die anderen verschwörer mit dem leben, und ihre ländereien wurden in der folge eingezogen. die witwe des königs liess an der stelle, an der ihr mann ermordet worden war, das kloster königsfelden errichten. von da aus regierte sie in der folge die unbotmässigen untertanen im aargau mit strenger hand.

das verdrängte thema und sein weiterleben

in altbüron erinnert heute nichts mehr direkt an den königsmord und an die beteiligung ihres freiherrn. selbst der briefkasten am steolen weg zum schlössli ist mit scotch zugeklebt, fast so als wollte man sagen, lasst uns in ruhe. in der dorfgeschichte, zwischen post und raiffeisenkasse aufgestellt, hält man sich mit diesbezüglichen informationen ebenfalls zurück, sodass niemand von aussen auf die idee eines königsmörders aus altbüron kommen würde. “parricida” nennen die chroniken die mörder, was noch schlimmer ist, denn es heiss so viel wie “vatermörder”.

wenigstens dieses wort hat in der politsprache der schweiz überlebt. in der zeitung, die ich auf der fahrt lese, ist die rede von vatermördern in der grünen partei, welche den präsidenten leuenberger stürzen sollen, weil die partei zwischenzeitlich wahlen verliert.

stadtwanderer

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im mittelpunkt des mittellandes im mittelalter

bevor sich die eidgenossenschaft etablierte, hatte das mittelland des mittelalters einen herrschaftlichen mittelpunkt: den schlossberg von melchnau, von wo aus die herren von langenstein-grünenberg ihre tätigkeiten zwischen den habsburgern und bern entwickelten, bis sie zerrieben wurden.

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impressionen von der ruine langenstein-grünenberg im bernischen melchnau (fotos: stadtwanderer)

auf dem melchnauer schlossberg sollen frührer durch burgen gestanden sein. von der schnabelburg sieht man heute nichts mehr. die burg langenstein erkennt man nur noch in umrissen. denn der sandstein, in den sie gebaut worden war, wurde bis ins 19. jahrhundert gebrochen. dafür sieht man die grundmauern der burg grünenberg mit burgfried, zwei palassen und einer kapelle noch recht gut. bericht vom rundgang durch die verbliebenen ruinen, di im mittelalter mittelpunkt des mittellandes waren.

gruenenberg_rekonstruktion_kleindie herren von langenberg stammten aus dem oberaargau. ihr sitz war die auf der burg ob melchnau. ihre grosse tat war die stiftung des klosters st. urban, unten im benachbarten rottal. das war 1194. doch nur wenig später sterben sie aus. die grünenberger, eigentlich ministeriale der konstanzer bischöfe, begüterte freiherren im mittelland, markgräflerland und elsass, traten das prominente erbe an. 1218, bei der heirat zwischen den grafen von kyburg und savoyen, amtet ihre ulrich gar als trauzeuge.

geschickt platzierten sich die grünenberger in der gefolgschaft der grafen, herzöge und könige von habsburg, ohne ihre selbständigkeit zu verlieren. das gelingt unter anderem auch dadurch, dass sie mit den schultheissen von bern, insbesondere den von bubengergs, heiratspolitik betrieben. ihren eigentlichen höhepunkt hatten die grünenberger 1375 im guglerkrieg, geführt von angeblich erbberechtigten nachfahren der habsburger aus der champagne, die einen verheerenden feldzug ins mittelland unternahmen, das kloster st. urban besetzten, dann aber von den bauern der gegend unter führung der grünenberger geschlagen und von den berner aus dem mittelland vertieben wurden.

doch nur 8 jahre später, im burgdorfer krieg, standen die freiherren erstmals auf der falschen seite, und verloren sie mit den kyburgern gegen die ausgreifende stadt bern. 11 jahre später wiederholte sich das gleiche in der schlacht von sempach, wo sie auf habsburgischer seite kämpften und gegen die ebenso expansive stadt luzern unterlagen. das ist typisch für die eidgenossenschaft dieser zeit: der adel wird durch die städte verdrängt, deren stadtherren und gewerbetreibende zur neuen herrschaftlichen und ökonomischen oberschicht auch im oberaargau avancieren und die streitsüchtige adelsherrschaften durch verwaltungsmässig geführte territorialherrschaften ablösen.

noch einmal versuchen die grünenberger fuss zu fassen, verlagerten ihren hauptsitz nach rheinfelden und breisach, deren stadtherren sie vorübergehend werden. 1428 wohnten sie dem berühmten ritterturnier in basel bei, bei dem sich abenteurer aus aller welt massen und über das cervantes seinen don quixote schrieb.

doch mit den neuen verbindungen gerieten die grünenberger endgültig in die europäische territorialpolitik, und gingen sie endgültig unter. denn im alten zürichkrieg kämpfen sie erneut auf habsburgischer seite gegen bern, schwyz und basel, und wurden sie in der schlacht bei st. jakob an der birs vom den den habsburgern herbeieilenden truppen des angehenden französischen könig vernichtend geschlagen. so bleibt ihnen nichts mehr anders übrig, als ihren besitz im oberaargau direkt oder indirekt an die stadt bern zu verkaufen.

beim streifzug durch die ruinen wird mir klar, wie bedeutsam das adelsgeschlecht der freiherren von langenstein und grünenberg nicht nur als klostergründer, sondern auch als grund- und gerichtsherren mitten im mittelland waren, bevor sich die eidgenössische territorialpolitik bermerkbar machte, die alles, was nach habsburg aussah in den strudel zog, bis nur noch wenige grundmauern von ihrer grösse zeugen.

stadtwanderer

schweizer erinnerungsorte

am stoff der historisch gewachsenen selbst- und fremdverständnisse der schweiz weiterweben, um im eigenen alltag wie in der öffentlichkeit mit ihnen besser umgehen zu können, verspricht der basler historiker georg kreis jenen, die zu seinem buch “schweizer erinnerungsorte” greifen.

Kreis_Orte_UGin der alten eidgenossenschaft nahm man orte wörtlich, waren es doch die mitglieder der eidgenossenschaft. mit der mediationsakte wurden daraus 1803 kantone, die seit 1848 gliedstaaten des bundes sind. wenn der historiker georg kreis in seinem jüngsten buch von “orten” spricht, dann meint er das anders, im übertragenen sinne, denn es geht ihm um signifikante referenzpunkte der kollektiven erinnerung der schweiz. einfacher ausgedrückt interessieren ihn gemeinplätze, die das reden über die schweiz, in der schweiz und ausserhalb von ihr, erleichtern.

pierre nora, historiker in frankreich, hat hierfür 1980 den begriff der lieux de mémoire geprägt und damit eine welle von charakteristischen geschichtsbüchern in halb europa ausgelöst. kreis tut es ihnen mit dem buch “schweizer erinnerungsorte” gleich. im untertitel nennt er es speicher der swissness, aus dem er 26 verdichtungen herausgeholt hat.

die zahl 26 ist wohl nicht zufällig, denn die schweiz hat heute 26 kantone. geboten werden aber keine porträts der gliedstaaten, wie sie zur eidgenossenschaft kamen. vielmehr geht es in diesem buch gleichzeitig um das rütli und die landsgemeinde, wilhelm tell und bruder klaus, einsiedeln und marignano, solddienste, beresina-lied und bourbaki-panorama, winkelried, pestalozzi, guisan, gilberte de courgenay und heidi, den gotthard und den bernhardiner, das chalet und das grand hôtel, die rösti und die toblerone, das soldatenmesser und die swissair, die grande dixence und das bankgeheimnis, die swatch-uhr und das nicht gebaute atomkraftwerk in kaiseraugst. voilà les lieux de mémoire suisse.

das ergibt weder eine vollständige wanderung durch die schweiz, noch einen chronologischen abriss der schweizer geschichte. doch entsteht so ein undogmatischer und reichhaltiger essay über schweizer identität. kreis versichert sich ihr in diesem buch nicht zuletzt, weil sie brüchig geworden ist. doch es ist kein trauern über vergangene grösse des kleinstaates, genauso wenig wie es ein lauter schrei ist, angesichts der angst der schweizerInnen in der welt. vielmehr wird, bilanziere ich nach der lektüre, ein lebendiges weben am stoff von selbst- und fremdverständnissen geboten, die in bild und text präsentiert werden, um die bezüge, die politik, kultur und historikerInnen in der öffentlichkeit machen und die wir unserem alltag mehr oder minder bewusst übernehmen, besser einordnen zu lernen.

eingefleischten stadtwanderer-leserInnen muss man das ja eigentlich nicht mehr erklären!

stadtwanderer

die berner bären als filmthema

die berner bären kennen ein ungebrochenes interesse. jetzt soll ein dokumentarfilm zu bern und ihren bären in geschichte und gegenwart entstehen.

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dea artio, die bärengöttin von muri bei bern: ältestes zeugnis des bärenkultes in bern aus gallorömischer zeit

daniel bodenmann ist filmemacher. der neue bärenpark hat es ihm angetan. dazu will er einen dokumentarfilm drehen. doch interessiert ihn nicht nur die gegenwart, die begeisterung für urs und berna, der unfall mit dem behinderten oder der fehltritt mit den kostenüberschreitung. nein, es geht ihm um das verhältnis der berner zu ihren bären. um das zu verstehen, will er in der geschichte graben, den bär im wappen ergründen, und die bären in bern im bärengraben auferstehen lassen, und ihre tiefe wirkung auf die hiesige mentalität aufzeigen.

wir treffen uns erstmals beim zytglogge, kennen uns nicht. das rendez-vous, durch dritte eingeleitet, kann nur am 1. april stattfinden. das lässt skepsis aufkommen, die aber rasch verschwindet, als wir uns begrüssen. wir beschliessen einen spaziergang durch die stadt bis zum bärenpark zu machen. doch bleiben wir schon wenige meter danach stehen.

der bär ist seit 1513 ein ständiger gast in bern, beginne ich zu erzählen. damals kehrten die berner als stolze schlachtensieger in novarra beim mailand nach hause. als zeichen ihrer macht hatten sie einen bären dabei, den sie den franzosen abgenommen hatten. 1798 revanchierten diese sich. sie schleppten den berner bär nach paris ab, und erst einige jahre später kam bern wieder zu einem seiner wappentiere.

die legende will es, das bern seit der stadtgründung mit den bären verbunden sei. herzog berchtold soll nach vor dem aufbau der stadt erklärt haben, das erste tier, das man im eichenwald erlege, solle dem ort den namen geben. und da es ein bär war, hiess die stadt hinfort bern. das jedenfall wissen wir aus den alten stadtchroniken. doch sind die gut 200 jahre nach der stadtgründung aufgeschrieben worden.

unten an der aare erzähle ich dem filmemacher meine version, wie die stadt zu ihrem namen kam. die stelle an der alten untertorbrücke ist seit jeher ein übergang. denn die aare muss hier durch zwei felssteine mit 60 meter distanz durch. ein fähre erleichterte die überfahrt, und die gab es hier seit menschengedenken. das dürfte dem ort den namen gegeben haben. denn berna ist keltisch ein schlitz, ein engnis, und genau das meinte man mit der stelle, wo die aare durch musste und man sie auch einigermassen sicher überqueren konnte.

als die zähringer an die aare kamen, bauten sie ihre burg auf linke aareseite genau an die stelle, wo man die fähre überwachen konnte. denn für den wegn nach freiburg, lausanne und genf war der übergang von hoher bedeutung. ob sie selber im namen des bären bern regierten, ist nicht belegt. denn zur stadtgründung gibt es kaum quellen. erst als die zähringer ausgestorben waren und stadt zur reichsstadt erhoben wurde, kam der deutsche könig nach bern, und gab ihr ein siegel, das den bär enthält.

ich vermute deshalb, dass er eine art stellvertreter wurde. dass es in der nähe einer werdenden stadt noch bären gab, ist unwahrscheinlich. vielmehr wurde bewusst an die germanischen mythologie angeknüpft, um denn das prachttier lässt, wenn es sich mit einem menschen vereinigt, ein neues volk entstehen. der rückgriff war wohl auch so gemein. in der gegegend, die am ende des 12. jahrhunderts grenzland war zwischen burgundisch-savoyischen und schwäbisch-kyburgischen ansprüchen, sollte allen gezeigt werden, dass hier ein neues spezielles völkchen entsteht, das stolz ist auf seine stadt, und diese auch zu verteidigen weiss.

meinem filmemacher stockt der atem. ich solle es ihm nicht übel nehmen, das sei alles spannend, aber etwas viel aufs mal. auf jeden fall will er mich bald schon mit kamera und mikrophon interviewen. jetzt ist nur zu hoffen, dass das grosse projekt zustande kommt, den bärengeschichten weiss ich noch ein menge zu erzählen.

stadtwanderer

alles falsch: berner regierungsratswahlen müssen neu ausgezählt werden!

ein zählfehler hat das ergebnis der jüngsten regierungsratswahlen im kanton bern verfälscht. heute morgen soll die korrektur bekannt gemacht werden.

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fertig luschtig: heute wird die alte regierung verkünden, dass die neue gar nicht so zusammengesetzt sei, wie das offizielle foto vormache.

john antonakis, markting-professor in lausanne, war am montag morgen ausser sich. noch am samstag hatte die bernerzeitung seine wahlprognose für den neuen berner regierungsrat publiziert. am sonntag abend war dann klar, dass das ergebnis nicht mit der vorhersage übereinstimmte.

“da muss ein fehler unterlaufen sein”, diktierte antonakis um 0815 seinen studentInnen ins notizbuch. doch übte er so nicht selbstkritik, denn er war überzeugt, dass man sich in bern beim auszählen getäuscht habe. noch nie seien die prognosen des gurus falsch gewesen, wussten die studis nach der vorlesung zu berichten. und so waren auch sie überzeugt, das ihr wettfavorit, marc jost, der neue sunnyboy der evp, wegen eines irrtums um einen posten in der berner regierung geprellt worden war.

am dienstag war die geschichte als kolumne aus dem uni-campus im le temps zu lesen gewesen, und eine kopie davon wurde in der ehrwürdigen staatskanzlei neben dem berner rathaus etwas verschämt unter den spitzenbeamtInnen herumgereicht. in der nacht auf mittwoch schlief dann staatsschreiber kurt nuspliger, der oberste wächter über die wahlen, schlecht. denn im dunkeln erinnerte er sich an eine unrühmliche geschichte, die sich in winterthur zugetragen hatte. bei den wahlen in den dortigen gemeinderat hatte man jüngst vergessen, die stimmen aus dem e-voting-test zu den stimmen auf den wahlzetteln hinzuzuzählen. an der staatsschreiberkonferenz sei der fall kritisch, jedoch mit dem hinweis diskutiert worde, das könne passieren, wenn man nun auch virtuelle wahlzettel habe.

“du heiliger strohsack!”, soll nuspliger mitten in der nacht geschrien und schon um 0400 in seinem büro über dem protokoll gebrühtet haben, erzählt man sich nun hinter vorgehaltener hand. denn, ihm sei in den sinn gekommen, auch im berner oberland habe ein solcher test stattgefunden. von thun bis brienz hätten alle gemeinden um die oberländerseen daran teilgenommen. und ausgerechnet diese nicht-wahlzettel habe man am sonntag nicht zu den wahlzettel gerechnet.

alles, was seither zum wahlergebnis kommuniziert worden sei, musste also falsch sein. wenn nur der rickebacher res nicht wieder aus seiner haut fahre und sage, das sei nestbeschmutzung, dachte sich der staatsschreiber. denn dann werde der haas adi mit gestellter brust behaupten, er habe immer gesagt, alles was aus der rotgrünen regierung komme, sei schönfärberei. und das werde nun an ihm, dem ehrbahren beamten, hängen bleiben.

am donnerstag morgen nun wird der staatsschreiber dem alten regierungsrat bericht machen müssen, weiss der stadtwanderer. denn auch er war am mittwoch im rathaus, um ein kabel abzuholen, dass er am sonntag vergessen hatte. dabei erfuhr er, dass unmittelbar nach der eilends einberufenen morgensitzung ein neues protokoll zu den regierungsratwahlen veröffentlicht werde. um alles wieder ins lot zu bringen, werde nuspliger dem regierungsrat beantragen, die montagsausgabe der bz und des bundes amdonnerstag mit den neuen ergebnissen auf staatskosten nachdrucken zu lassen, sodass man wenigstens in der geschichtsschreibung nichts von dem fehler merken werde.

und davor werde man umgehend vier briefe schreiben müssen. einen an marc jost, der dank des nachzählens an sechster stelle stehe und regierungsrat werde, an philippe perrenoud, neu achter, dass er nur dank der juraklausel wieder regierungsrat sei, und einen an beatrice simon, dass sie nun siebte sei, an sich gewählt wäre, aber ausscheide, weil sonst keiner aus jura bernois in der regierung sitzen würde. der vierte brief schliesslich soll an professor john antonakis mit der bitte gehen, inskünftig das protokoll der regierungsratswahlen gleich selber zu schreiben.

stadtwanderer